Entscheidungsdatum: 19.09.2018
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Stralsund vom 6. November 2017 mit den Feststellungen aufgehoben,
a) im Fall II.5 der Urteilsgründe,
b) im Strafausspruch,
c) hinsichtlich der Adhäsionsentscheidung insoweit, als eine Feststellung der Verpflichtung des Angeklagten zum Ersatz bereits entstandener immaterieller und materieller Schäden des Neben- und Adhäsionsklägers T. F. ausgesprochen worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die den Nebenklägern im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere als Jugendschutzkammer zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Verstoßes gegen Weisungen der Führungsaufsicht in acht Fällen, davon in einem Fall tateinheitlich mit versuchtem sexuellen Übergriff und exhibitionistischer Handlung sowie in zwei Fällen tateinheitlich mit sexueller Belästigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Es hat außerdem festgestellt, dass der Angeklagte verpflichtet ist, dem Adhäsionskläger T. F. aus den schädigenden Ereignissen im Zeitraum Februar bis Mai 2017 dem Grunde nach Schmerzensgeld und Schadensersatz zu leisten, und dass es sich insoweit um Ansprüche aus unerlaubter Handlung handelt. Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Angeklagten mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts.
Das Rechtsmittel hat in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen hat die Überprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
I.
Nach den Feststellungen war der Angeklagte, der bereits zwischen 1977 und 1994 mehrfach wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in Erscheinung getreten war, im Dezember 1999 wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes in neun und schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt und in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht worden. In der Folge befand er sich bis August 2015 im Maßregelvollzug und verbüßte anschließend den Strafrest bis zum Strafende im Februar 2016. Nach der Entlassung bezog er eine Wohnung in S. . Im Zeitraum zwischen Sommer 2016 und 30. Mai 2017 nahm er unter Verstoß gegen die ihm im Rahmen der Führungsaufsicht erteilte Weisung Kontakt zu Minderjährigen aus der Nachbarschaft auf, ließ diese bei sich übernachten und wurde sexuell übergriffig.
Das Landgericht hat im Anschluss an die Sachverständige eine Aufhebung oder Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit des Angeklagten zu den jeweiligen Tatzeiten ausgeschlossen.
II.
1. Die zu Fall II.5 der Urteilsgründe getroffenen Feststellungen tragen zwar die Verurteilung wegen Verstoßes gegen Weisungen der Führungsaufsicht. Dagegen begegnet die tateinheitliche Verurteilung wegen versuchten sexuellen Übergriffs und exhibitionistischer Handlung durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
Insoweit hat das Landgericht festgestellt, dass der Angeklagte anlässlich einer Übernachtung des damals 14-jährigen Geschädigten F. in seiner Wohnung mit dem Jungen baden wollte. Nachdem T. F. dies abgelehnt hatte, ging der Angeklagte alleine in die Badewanne, während der Junge im Wohnzimmer blieb und mit seiner Playstation spielte. Als der Angeklagte sein Bad beendet hatte, kam er nackt aus dem Badezimmer ins Wohnzimmer zu T. F. . Er ging auf den Jungen zu, wobei er mit der Hand an seinem Penis manipulierte. T. fühlte sich dadurch − was dem Angeklagten auch bewusst war − sexuell belästigt. Der Angeklagte kam so nahe auf T. F. zu, dass sein Penis noch etwa eine Armlänge von dessen Gesicht entfernt war. Dies verstand T. , wie vom Angeklagten gewollt, als Aufforderung den Penis zu berühren. T. drückte den Angeklagten mit seinen Beinen zurück. Der Angeklagte ließ daraufhin von dem Jungen ab.
a) Diese Feststellungen tragen eine Verurteilung wegen tateinheitlich begangener exhibitionistischer Handlung nicht.
Eine exhibitionistische Handlung ist dadurch gekennzeichnet, dass der Täter einem anderen ohne dessen Einverständnis sein entblößtes Glied vorweist, um sich dadurch oder zusätzlich durch Beobachten der Reaktion der anderen Person oder durch Masturbieren sexuell zu erregen, seine Erregung zu steigern oder zu befriedigen. Die Tathandlung liegt in dem Vorzeigen des entblößten Gliedes mit dem Ziel des hierdurch bewirkten sexuellen Lustgewinns (BT-Drucks. VI/3521 S. 53; BGH, Urteil vom 5. September 1995 - 1 StR 396/95, BGHR StGB § 183 Abs. 1 Exhibitionistische Handlung 1; Urteil vom 29. Januar 2015 − 4 StR 424/14, NStZ 2015, 337, 338). Dient die Handlung dagegen lediglich der Vorbereitung eines anderen Sexualdelikts, ist sie nicht exhibitionistisch (BayObLG, Urteil vom 16. Juni 1998 - 2 St RR 86/98, NJW 1999, 72, 73).
Dass der Angeklagte bereits durch das Vorzeigen bzw. aus der Kombination von Vorzeigen und Manipulation des Penis auf eine sexuelle Erregung oder Befriedigung abzielte, ist weder festgestellt noch folgt dies zwingend aus dem Geschehensablauf, der in unmittelbarem Fortgang in das Aufstellen vor dem Geschädigten mündete, wodurch er diesen zum Berühren des Penis bewegen wollte.
b) Auf der Grundlage seiner Feststellungen hätte das Landgericht zudem erörtern müssen, ob der Angeklagte strafbefreiend vom Versuch des sexuellen Übergriffs zurückgetreten ist. Weder ist belegt, dass der Versuch fehlgeschlagen war, noch ist es ausgeschlossen, dass der Angeklagte freiwillig vom unbeendeten Versuch zurückgetreten ist.
Ein Versuch ist fehlgeschlagen, wenn der Täter nach der letzten von ihm vorgenommenen Tathandlung erkennt, dass mit den bereits eingesetzten oder den ihm sonst zur Verfügung stehenden Mitteln der erstrebte Taterfolg nicht mehr herbeigeführt werden kann, ohne dass er eine neue Handlungs- und Kausalkette in Gang setzt (st. Rspr.; s. etwa nur Senat, Urteil vom 19. Mai 2010 - 2 StR 278/09, NStZ 2010, 690, 691 mwN).
Nach diesem Maßstab belegen die Urteilsgründe einen fehlgeschlagenen Versuch nicht. Entgegen der Ansicht des Generalbundesanwalts ergibt sich aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe nicht hinreichend, dass aufgrund des Zurückstoßens durch den Geschädigten von einem fehlgeschlagenen Versuch auszugehen ist. Dass der Angeklagte aus seiner Sicht im Zeitpunkt nach der letzten Ausführungshandlung sein Ziel nur noch durch Anwendung von Nötigungsmitteln und in wesentlicher Änderung des ursprünglichen Tatplans hätte erreichen können, versteht sich, gerade auch unter Berücksichtigung einer Vorverurteilung, wo der Angeklagte anfänglichen Widerstand des Tatopfers durch verbale Einwirkung erfolgreich überwunden hatte, nicht von selbst.
c) Auch für die Prüfung, ob ein Versuch unbeendet oder beendet ist, ist maßgeblich darauf abzustellen, welche Vorstellung der Täter nach seiner letzten Ausführungshandlung von der Tat hat (sog. Rücktrittshorizont; s. nur BGH, Urteil vom 19. März 2013 - 1 StR 647/12, NStZ-RR 2013, 273, 274 mwN). Welche Vorstellungen sich der Angeklagte hier vom Erreichen des von ihm erstrebten Taterfolgs in dem Moment machte, als er sich von dem Geschädigten abwandte, lässt sich den Urteilsfeststellungen jedoch nicht entnehmen.
2. Der gesamte Strafausspruch hat keinen Bestand, weil die Erwägungen, mit denen das Landgericht eine erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit (§ 21 StGB) des Angeklagten ausgeschlossen hat, rechtlicher Nachprüfung nicht standhalten.
Insofern ist die Beweiswürdigung des Landgerichts trotz eingeschränkter revisionsrechtlicher Nachprüfbarkeit lückenhaft. Der Tatrichter hat die Schuldfähigkeit des Angeklagten ohne Bindung an die Äußerungen des Sachverständigen in eigener Verantwortung zu beurteilen. Schließt sich der Tatrichter dem Sachverständigen an, muss er sich grundsätzlich mit dem Gutachteninhalt auseinandersetzen und die wesentlichen Anknüpfungstatsachen und Schlussfolgerungen des Sachverständigen auf eine für das Revisionsgericht nachprüfbare Weise im Urteil mitteilen (st. Rspr.; siehe etwa Senat, Beschluss vom 27. Januar 2016 - 2 StR 314/15, juris Rn. 6; Fischer, StGB, 65. Aufl., § 20 Rn. 65 mwN). Der Umfang der tatrichterlichen Darlegungspflicht bestimmt sich nach den Umständen des Einzelfalls.
Nach diesen Maßstäben begegnet die Beweiswürdigung des Landgerichts durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Die Strafkammer führt aus, die Sachverständige habe „überzeugend dargelegt, dass die Schuldfähigkeit des Angeklagten bei den Taten im Sinne der §§ 20, 21 StGB nicht erheblich vermindert oder gar aufgehoben war“. Beim Angeklagten, dessen intellektuelle Fähigkeiten im unteren Bereich anzusiedeln seien, liege eine „kombinierte Persönlichkeitsstörung (F61.0) mit überwiegend dissozialen und paranoiden sowie narzisstischen Zügen“ sowie eine „Pädophilie (F65.4)“ mit Ausrichtung auf Kinder beiderlei Geschlechts vor. Die Persönlichkeitsstörung führe zu keiner „durchgehend schweren Beeinträchtigung der sozialen Kompetenz von Krankheitswert“, auch die Pädophilie erreiche nicht den erforderlichen Schweregrad, weil der Angeklagte „keinesfalls sozial und beruflich isoliert und zwingend auf den Kontakt mit Kindern angewiesen gewesen [sei]“. Auch bei einer Gesamtbetrachtung beider Störungen sei nicht von einer schweren seelischen Abartigkeit auszugehen. Der Angeklagte habe „andere Handlungsoptionen gehabt, zumal er solche im Maßregelvollzug gelernt habe“. Anknüpfungstatsachen teilt das Landgericht in diesem Zusammenhang nicht mit, sondern führt lediglich aus, dass die Sachverständige „umfangreiches Aktenmaterial“ eingesehen habe. Den Urteilsgründen lassen sich weder hinreichend die gutachterliche Diagnose tragende Befunde noch die Symptome des Störungsbildes oder deren Einwirkung auf den Angeklagten in der konkreten Tatsituation entnehmen. Auch versäumt es das Landgericht darzulegen, aufgrund welcher überdauernden psychischen Störung der Angeklagte im Jahr 1999 in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht worden war, wie sich diese Störung während des mehr als 15 Jahre dauernden Maßregelvollzugs entwickelt hat und mit welchem Erfolg der Angeklagte dort alternative Handlungsoptionen erlernt habe. Ebenfalls nicht mitgeteilt wird, zu welchen Befunden die früheren Gutachter aufgrund der „vielfältigen, zum Teil sehr differenzierten und detailreichen Darstellungen der Gesprächsverläufe“ gelangt waren.
3. Die Adhäsionsentscheidung unterliegt hinsichtlich des getroffenen Feststellungsausspruchs der Aufhebung, soweit die Feststellung bereits entstandene immaterielle und materielle Ansprüche betrifft.
a) Die Feststellung, „dass der Angeklagte verpflichtet ist, dem Adhäsionskläger aus den schädigenden Ereignissen im Zeitraum Februar bis Mai 2017 dem Grunde nach Schmerzensgeld und Schadensersatz zu leisten, umfasst sowohl materielle und immaterielle Schäden, die bereits entstanden sind, als auch solche, die als derzeit „noch nicht absehbare Folgen“ der Taten künftig eintreten werden. Indes ist weder dargetan noch sonst ersichtlich, warum der Adhäsionskläger nicht in der Lage sein sollte, bereits entstandene materielle und immaterielle Schäden, wie etwa die Kosten für seine psychiatrische Behandlung, schon jetzt zu beziffern. Seiner Feststellungsklage fehlt es daher diesbezüglich an dem erforderlichen Feststellungsinteresse (vgl. Senat, Beschluss vom 15. Dezember 2016 - 2 StR 380/16).
b) Dies führt insoweit zur Aufhebung der Adhäsionsentscheidung und - da die Sache teilweise zurückzuverweisen ist - auch hinsichtlich des zivilrechtlichen Teils des Urteils zur Zurückverweisung an das Landgericht (vgl. BGH, Beschluss vom 27. September 2011 - 3 StR 255/11, juris Rn. 11).
Appl |
RiBGH Prof. Dr. Krehl |
Bartel |
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Appl |
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Schmidt |