Bundespatentgericht

Entscheidungsdatum: 26.09.2013


BPatG 26.09.2013 - 2 Ni 61/11 (EP)

Wirkungslosigkeit dieser Entscheidung Patentnichtigkeitsklageverfahren – „Tragbares elektronisches Gerät zur Fotoverwaltung (europäisches Patent)“ – zur Patentfähigkeit bei einer Lehre zum Weiterblättern oder Ausschnittsverschieben von digitalen Fotos auf Mobiltelefonen


Gericht:
Bundespatentgericht
Spruchkörper:
2. Senat
Entscheidungsdatum:
26.09.2013
Aktenzeichen:
2 Ni 61/11 (EP)
Dokumenttyp:
Urteil
Zitierte Gesetze
Art 54 EuPatÜbk
Art 56 EuPatÜbk

Tenor

In der Patentnichtigkeitssache

betreffend das europäische Patent 2 059 868

(DE 60 2007 009 551)

hat der 2. Senat (Nichtigkeitssenat) des Bundespatentgerichts auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 26. September 2013 unter Mitwirkung der Vorsitzenden Richterin Sredl, der Richter Merzbach und Dipl.-Ing. Baumgardt, der Richterin Dipl-Phys. Dr. Thum-Rung sowie des Richters Dipl.-Phys. Dr. Forkel

für Recht erkannt:

I. Das europäische Patent 2 059 868 wird mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig erklärt.

II. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

III. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 %

des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1

Gegen das europäische Patent EP 2 059 868 B1 (DE 60 2007 009 551.4), das am 29. September 2010 in englischer Sprache veröffentlicht wurde und die Bundesrepublik Deutschland als Bestimmungsland benennt, sind drei Nichtigkeitsklagen erhoben worden. Die entsprechenden Verfahren 2 Ni 58/11 (EP), 2 Ni 61/11 (EP) und 2 Ni 76/11 (EP) wurden durch Beschluss des 2. Senats vom 9. Februar 2012 zum Zwecke der gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung miteinander verbunden. Nachdem die Klägerin im Verfahren 2 Ni 58/11 (nachfolgend: Klägerin „HTC“) die Klage mit Schriftsatz vom 15. November 2012 (Bd. I, Bl. 207) zurückgenommen hat, wurde mit Beschluss des Senats vom 5. April 2013 die Verbindung der Verfahren in Bezug auf das Verfahren 2 Ni 58/11 (EP) aufgehoben und die Fortführung der weiter zur gemeinsamen Entscheidung und Verhandlung verbundenen Verfahren 2 Ni 61/11 (EP) und 2 Ni 76/11 (EP) unter dem Aktenzeichen 2  61/11 (EP) angeordnet.

2

Das Streitpatent geht zurück auf eine PCT-Anmeldung mit der Veröffentlichungsnummer WO 2008 / 30 779 A2 (in englischer Sprache) und betrifft nach dem Titel ein „Tragbares elektronisches Gerät zur Fotoverwaltung“. Es nimmt die Prioritäten von sieben zwischen dem 6. September 2006 und dem 30. August 2007 in den USA eingereichten Voranmeldungen in Anspruch. Eine Übersetzung der Anmeldung in die deutsche Sprache wurde als DE 11 2007 000 067 T5 publiziert.

3

Das Streitpatent umfasst 13 Patentansprüche. Der Patentanspruch 1 ist auf ein „Computerimplementiertes Verfahren … bei einem Gerät mit einer Berührungsbildschirmanzeige“ gerichtet. Der ihm nebengeordnete Anspruch 8 ist auf ein „Elektronisches Gerät, aufweisend eine Berührungsbildschirmanzeige, einen oder mehrere Prozessoren, Speicher und ein Programm“ gerichtet, wobei das Programm Befehle aufweist, die das Verfahren des Anspruchs 1 ausführen. Der Nebenanspruch 7 ist auf ein entsprechendes „Computerprogramm mit Softwarecode“ gerichtet, das angepasst ist, um das Verfahren nach einem der Ansprüche 1 bis 6 auszuführen. Die Ansprüche 2 bis 6 und 9 bis 13 sind Unteransprüche.

4

In der Verfahrenssprache Englisch haben die erteilten unabhängigen Patentansprüche 1, 7 und 8 folgenden Wortlaut:

5

1. A computer-implemented method, comprising:

6

at a device (100) with a touch screen display (112):

7

detecting (2402) a first movement (2310) of a physical object on or near the touch screen display (112);

8

while detecting the first movement (2310), translating (2404) a first digital object (2300-1) displayed on the touch screen display (112) in a first direction, wherein the first digital object (2300-1) is associated with a set of digital objects;

9

characterized in that:

10

in response to display of a previously hidden edge (2312) of the first digital object (2300-1) and continued detection of the first movement (2310),

11

displaying (2406) an area (2314) beyond the edge (2312) of the first digital object (2300-1);

12

after the first movement (2310) is no longer detected, translating (2408) the first digital object (2300-1) in a second direction (2316) until the area (2314) beyond the edge (2312) of the first digital object (2300-1) is no longer displayed;

13

detecting (2410) a second movement (2318) of the physical object on or near the touch screen display (112); and

14

in response to detecting the second movement (2318) while the previously hidden edge (2312) of the first digital object (2300-1) is displayed, translating (2412) the first digital object (2300-1) in the first direction and displaying a second digital object (2300-2) in the set of digital objects.

15

7. A computer program with software code adapted to perform the method of any one of claims 1 to 6.

16

8. An electronic device (100), comprising:

17

a touch screen display (112);

18

one or more processors (120);

19

memory (102); and

20

a program, wherein the program is stored in the memory and configured to be executed by the one or more processors, the program including:

21

instructions for detecting (2402) a first movement (2310) of a physical object on or near the touch screen display (112);

22

instructions for, while detecting the first movement (2310), translating (2404) a first digital object (2300-1) displayed on the touch screen display (112) in a first direction, wherein the first digital object (2300-1) is associated with a set of digital objects;

23

characterized in that:

24

instructions for, in response to display of a previously hidden edge (2312) of the first digital object (2300-1) and continued detection of the first movement (2310), displaying (2406) an area (2314) beyond the edge (2312) of the first digital object;

25

instructions for, after the first movement (2310) is no longer detected,

26

translating (2408) the first digital object (2300-1) in a second direction (2316) until the area (2314) beyond the edge of the first digital object (2300-1) is no longer displayed;

27

instructions for detecting (2410) a second movement (2318) of the physical object on or near the touch screen display (112); and

28

instructions for, in response to detecting the second movement (2318) while the previously hidden edge (2312) of the first digital object (2300-1) is displayed, translating (2412) the first digital object (2300-1) in the first direction and displaying a second digital object (2300-2) in the set of digital objects.

29

Hinsichtlich des Wortlauts der auf den erteilten Patentanspruch 1 direkt oder indirekt rückbezogenen Unteransprüche 2 bis 6 sowie der auf den erteilten Patentanspruch 8 direkt oder indirekt rückbezogenen Unteransprüche 9 bis 13 wird auf die Streitpatentschrift Bezug genommen.

30

In der deutschen Übersetzung lauten die nebengeordneten Ansprüche 1, 7 und 8:

31

1. Computerimplementiertes Verfahren, aufweisend:

32

bei einem Gerät (100) mit einer Berührungsbildschirmanzeige

33

(112):

34

Erkennen (2402) einer ersten Bewegung (2310) eines physikalischen Objekts auf oder in der Nähe der Berührungsbildschirmanzeige (112);

35

Verschieben (2404) eines ersten digitalen Objekts (2300-1), das auf der Berührungsbildschirmanzeige (112) angezeigt wird, in eine erste Richtung während des Erkennens der ersten Bewegung (2310), wobei das erste digitale Objekt (2300-1) mit einem Satz von digitalen Objekten assoziiert ist;

36

gekennzeichnet durch,

37

in Antwort auf Anzeigen einer vorher versteckten Kante (2312) des ersten digitalen Objekts (2300-1) und kontinuierliches Erkennen der ersten Bewegung (2310), Anzeigen (2406) eines Bereichs (2314), der über die Kante (2312) des ersten digitalen Objekts (2300-1) hinausgeht;

38

nachdem dass die erste Bewegung (2310) nicht mehr erkannt wird, Verschieben (2408) des ersten digitalen Objekts (2300-1) in eine zweite Richtung (2316) bis der über die Kante (2312) des ersten digitalen Objekts (2300-1) hinausgehende Bereich (2314) nicht mehr angezeigt wird;

39

Erkennen (2410) einer zweiten Bewegung (2318) des physikalischen Objekts auf oder in der Nähe der Berührungsbildschirmanzeige (112); und

40

in Antwort auf Erkennen der zweiten Bewegung (2318) während die vorher versteckte Kante (2312) des ersten digitalen Objekts (2300-1) angezeigt wird, Verschieben (2412) des ersten digitalen Objekts (2300-1) in die erste Richtung und Anzeigen eines zweiten digitalen Objekts (2300-2) in dem Satz von digitalen Objekten.

41

7. Computerprogramm mit Softwarecode, das angepasst ist, das Verfahren nach irgendeinem der Ansprüche 1 bis 6 durchzuführen.

42

8. Elektronisches Gerät (100), aufweisend:

43

eine Berührungsbildschirmanzeige (112);

44

einen oder mehrere Prozessoren (120);

45

Speicher (102); und

46

ein Programm, wobei das Programm im Speicher gespeichert und konfiguriert ist, durch die einen oder mehreren Prozessoren ausgeführt zu werden, wobei das Programm aufweist:

47

Befehle zum Erkennen (2402) einer ersten Bewegung (2310) eines physikalischen Objekts auf oder in der Nähe der Berührungsbildschirmanzeige (112);

48

Befehle zum Verschieben (2404) eines ersten digitalen Objekts (2300-1),

49

das auf der Berührungsbildschirmanzeige (112) angezeigt wird, in eine erste Richtung während des Erkennens der ersten Bewegung (2310), wobei das erste digitale Objekt (2300-1) mit einem Satz von digitalen Objekten assoziiert ist;

50

gekennzeichnet durch,

51

Befehle zum, in Antwort auf Anzeigen einer vorher versteckten Kante (2312) des ersten digitalen Objekts (2300-1) und kontinuierliches Erkennen der ersten Bewegung (2310), Anzeigen (2406) eines Bereichs (2314),

52

der über die Kante (2312) des ersten digitalen Objekts hinausgeht;

53

Befehle zum, nachdem dass die erste Bewegung (2310) nicht mehr erkannt wird, Verschieben (2408) des ersten digitalen Objekts (2300-1) in eine zweite Richtung (2316) bis der über die Kante des ersten digitalen Objekts (2300-1) hinausgehende Bereich (2314) nicht mehr angezeigt wird;

54

Befehle zum Erkennen (2410) einer zweiten Bewegung (2318) des physikalischen Objekts auf oder in der Nähe der Berührungsbildschirmanzeige (112); und

55

Befehle zum, in Antwort auf Erkennen der zweiten Bewegung (2318) während die vorher versteckte Kante (2312) des ersten digitalen Objekts (2300-1) angezeigt wird, Verschieben (2412) des ersten digitalen Objekts (2300-1) in die erste Richtung und Anzeigen eines zweiten digitalen Objekts (2300-2) in dem Satz von digitalen Objekten.

56

Beide Klägerinnen machen geltend, der Gegenstand des Streitpatents sei in vollem Umfang gegenüber dem Stand der Technik nicht patentfähig. Die Klägerinnen sowie die vormalige Klägerin „HTC“ haben sich hierzu zunächst – teilweise übereinstimmend – auf folgende Druckschriften und Unterlagen berufen, wobei der Senat die vereinheitlichte Dokumentenbezeichnung der Beklagten gemäß ihrem Schriftsatz vom 1. Februar 2013 (Anlage NB2, Bd. I, Bl. 220, 261-262) verwendet:

57

Dokument

Beklagte

vormalige Kl. HTC

Kl. zu 1. Motorola

Kl. zu 2. Samsung

EP 2 059 868 B1

N2    

N2    

NK3     

S1    

WO 2008 / 30 779 A2

N2a     

N2a     

NK4     

S2    

US 2005 / 195 154 A1 (Robbins)

N4    

N4    

                 

EP 0 626 635 A2 (Naughton)

N5    

N5    

NK16   

        

US 2004 / 125 088 A1 (Zimmerman)

N6    

N6    

                 

WO 03 / 81 458 A1 (Lira)

N7    

N7    

NK 5   

D6    

Amy Karlson et al., „AppLens and LaunchTile: Two designs for One-Handed Thumb Use on Small Devices", CHI 2005, April 2005

N8    

N8    

D9    

D9    

Amy Karlson et al., PowerPoint- Präsentation „AppLens and LaunchTile: Two designs for One-Handed Thumb Use on Small Devices"

N9    

                 

D9a     

Web posting von P. Ballard vom 05.05.2005 betr. XNav

N10     

                 

D10     

Stellungnahme von Herrn Bederson mit Exhibits A bis M

N11     

        

NK 7, tw. NK10

        

Tagungsprogramm der CHI 2005

N12     

        

NK 8   

        

Auszüge der Website der CHI 2005

und Wayback Machine

N13     

        

NK 9   

        

WO 03 / 23 593 A1

N14     

                 

D1    

US 2003 / 122 787A1

N15     

                 

D2    

US 2004 / 205 504 A1

N16     

                 

D3    

US 2005 / 183 026 A1

N17     

                 

D4    

US 2006 / 1 652 A1

N18     

                 

D5    

WO 01 /29 702 A2

N19     

                 

D7    

US 2006 / 190 833 A1

N20     

                 

D8    

Video Karlson CHI 2005

V1    

        

V1    

V1    

Video XNav

V2    

        

V2    

V2    

Programm XNav

P1    

                 

P1    

58

Die Klägerinnen zu 1. und 2. haben zur Stützung ihres Vorbringens ferner noch – nicht übereinstimmend - nachfolgende Dokumente vorgelegt (vereinheitlichte Dokumentenbezeichnung der Beklagten gemäß ihrem Schriftsatz vom 30. Juli 2013, Seiten 2 – 4; Bd. III, Bl. 471 – 473)

59

Dokument

Benennung Beklagte

Kl. zu 1. (Motorola)

Kl. zu 2. (Samsung)

Prioritätsdokumente US 60/824,769 P; US 60/879,253 P; US 60/879,469 P; US 60/883,785 P

N21a-d

NK11   

        

Aussetzungsbeschluss LG Mannheim (Az. 7 O 334/11)

N22     

NK12   

        

Mitteilung USPTO vom 15. Oktober 2012 zu US 7,469,381

N23     

NK13   

        

US 7,469,381

N24     

NK14   

        

Schriftsatz Nichtigkeitsbeklagte im Verletzungsverfahren 7 O 19695/11

N25     

NK15   

        

Eidesstattliche Erklärung Forlines zu Glimpse

N26     

NK17   

        

„Glimpse: A Novel Input Model for Multi-level Devices"

N27     

NK18   

        

Videos „Glimpse Raw"/„Glimpse Demo"

N28     

NK19   

        

Video iPhone Präsentation

N29     

NK20   

        

Datenblatt HP iPAQ h4100

N30     

        

D11     

Unterlagen öffentl. Zugänglichkeit iPAQ

N31     

        

D11a/D11b

Auszug Verletzungsklage Patentinhaberin gegen Samsung vor LG Mannheim vom 16. Juni 2011

N32     

        

S4    

Replik Patentinhaberin vom 13. Januar 2012 in Verletzungsverfahren vor LG Mannheim

N33     

        

S5    

Aussetzungsbeschluss LG Mannheim vom 4. Mai 2012

N34     

        

S6    

Berufungsbegründung Patentinhaberin vom 8. Juni 2012 vor OLG München in Verfahren gegen Motorola

N35     

        

S7    

Duplik der Patentinhaberin vom 8. November 2012 im Berufungsverfahren vor OLG München

N36     

        

S8    

60

Beide Klägerinnen sind der Auffassung, dass der Gegenstand des Streitpatents durch den Stand der Technik neuheitsschädlich getroffen sei; jedenfalls ergäben sich die Merkmale der beanspruchten Erfindung für den Fachmann in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik. Die Klägerinnen nehmen insoweit u. a. Bezug auf die Entgegenhaltungen N5 („Naughton“), N7 („Lira“), N8 („LaunchTile“) sowie einem von der Klägerin zu 1. zum Schriftsatz vom 08.04.2013 als Anlage NK 20, V1 vorgelegtes Video betreffend eine iPhone-Präsentation durch Herrn Steve Jobs im Januar 2007. In Bezug auf NK 20 sei dabei von Bedeutung, dass der vom Streitpatent geschützte Gegenstand lediglich in den Voranmeldungen US-947118 P und US-848210 offenbart werde, so dass der frühestmögliche Zeitrang des Streitpatents der 29. Juni 2007 sei.

61

Die Klägerinnen beantragen,

62

das europäische Patent EP 2 059 868 mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig zu erklären.

63

Die Beklagte beantragt,

64

die Klagen abzuweisen.

65

Hilfsweise beantragt sie, dem Streitpatent eine der Fassungen der mit Schriftsatz vom 30.07.2013 vorgelegten Hilfsanträge I bis VII, Bl. 470/558 d. A., bzw. dem in der mündlichen Verhandlung überreichten Hilfsantrag VII a zu geben.

66

In der Fassung des Hilfsantrags I lautet der Patentanspruch 1 in deutscher Übersetzung, mit markierten Änderungen gegenüber der erteilten Fassung (bezüglich der übrigen Ansprüche wird auf die Akte verwiesen):

67

1. Computerimplementiertes Verfahren, aufweisend:

68

bei einem Gerät (100) mit einer Berührungsbildschirmanzeige

69

(112):

70

Erkennen (2402) einer ersten Bewegung (2310) eines physikalischen Objekts auf oder in der Nähe der Berührungsbildschirmanzeige (112);

71

Verschieben (2404) eines ersten digitalen Objekts (2300-1), das auf der Berührungsbildschirmanzeige (112) angezeigt wird, in eine erste Richtung während des Erkennens der ersten Bewegung (2310), wobei das erste digitale Objekt (2300-1) mit einem Satz von digitalen Objekten assoziiert ist und wobei der Satz von digitalen Objekten ein Satz von digitalen Abbildungen, ein Satz von Webseiten oder ein Satz von elektronischen Doku menten ist;

72

gekennzeichnet durch,

73

in Antwort auf Anzeigen einer vorher versteckten Kante (2312) des ersten digitalen Objekts (2300-1) und kontinuierliches Erkennen der ersten Bewegung (2310), Anzeigen (2406) eines Bereichs (2314), der über die Kante (2312) des ersten digitalen Objekts (2300-1) hinausgeht;

74

nachdem dass die erste Bewegung (2310) nicht mehr erkannt wird, Verschieben (2408) des ersten digitalen Objekts (2300-1) in eine zweite Richtung (2316) bis der über die Kante (2312) des ersten digitalen Objekts (2300-1) hinausgehende Bereich (2314) nicht mehr angezeigt wird;

75

Erkennen (2410) einer zweiten Bewegung (2318) des physikalischen Objekts auf oder in der Nähe der Berührungsbildschirmanzeige (112); und

76

in Antwort auf Erkennen der zweiten Bewegung (2318) während die vorher versteckte Kante (2312) des ersten digitalen Objekts (2300-1) angezeigt wird, Verschieben (2412) des ersten digitalen Objekts (2300-1) in die erste Richtung und Anzeigen eines zweiten digitalen Objekts (2300-2) in dem Satz von digitalen Objekten.

77

In der Fassung des Hilfsantrags II lautet der Patentanspruch 1 in deutscher Übersetzung, mit markierten Änderungen gegenüber der erteilten Fassung (bezüglich der übrigen Ansprüche wird auf die Akte verwiesen):

78

1. Computerimplementiertes Verfahren, aufweisend:

79

bei einem Gerät (100) mit einer Berührungsbildschirmanzeige

80

(112):

81

Erkennen (2402) einer ersten Bewegung (2310) eines physikalischen Objekts auf oder in der Nähe der Berührungsbildschirmanzeige (112);

82

Verschieben (2404) eines ersten digitalen Objekts (2300-1), das auf der Berührungsbildschirmanzeige (112) angezeigt wird, in eine erste Richtung während des Erkennens der ersten Bewegung (2310), wobei das erste digitale Objekt (2300-1) mit einem Satz von digitalen Objekten assoziiert ist und wobei der Satz von digitalen Objekten ein Satz von digitalen Abbildungen ist;

83

gekennzeichnet durch,

84

in Antwort auf Anzeigen einer vorher versteckten Kante (2312) des ersten digitalen Objekts (2300-1) und kontinuierliches Erkennen der ersten Bewegung (2310), Anzeigen (2406) eines Bereichs (2314), der über die Kante (2312) des ersten digitalen Objekts (2300-1) hinausgeht;

85

nachdem dass die erste Bewegung (2310) nicht mehr erkannt wird, Verschieben (2408) des ersten digitalen Objekts (2300-1) in eine zweite Richtung (2316) bis der über die Kante (2312) des ersten digitalen Objekts (2300-1) hinausgehende Bereich (2314) nicht mehr angezeigt wird;

86

Erkennen (2410) einer zweiten Bewegung (2318) des physikalischen Objekts auf oder in der Nähe der Berührungsbildschirmanzeige (112); und

87

in Antwort auf Erkennen der zweiten Bewegung (2318) während die vorher versteckte Kante (2312) des ersten digitalen Objekts (2300-1) angezeigt wird, Verschieben (2412) des ersten digitalen Objekts (2300-1) in die erste Richtung und Anzeigen eines zweiten digitalen Objekts (2300-2) in dem Satz von digitalen Objekten.

88

In der Fassung des Hilfsantrags III lautet der Patentanspruch 1 in deutscher Übersetzung, mit markierten Änderungen gegenüber der erteilten Fassung (bezüglich der übrigen Ansprüche wird auf die Akte verwiesen):

89

1. Computerimplementiertes Verfahren, aufweisend:

90

bei einem Gerät (100) mit einer Berührungsbildschirmanzeige

91

(112):

92

Erkennen (2402) einer ersten im Wesentlichen horizontalen oder vertikalen Bewegung (2310) eines physikalischen Objekts auf oder in der Nähe der Berührungsbildschirmanzeige (112);

93

Verschieben (2404) eines ersten digitalen Objekts (2300-1), das auf der Berührungsbildschirmanzeige (112) angezeigt wird, so dass seine Kante versteckt ist, in eine erste Richtung während des Erkennens der ersten Bewegung (2310), wobei das erste digitale Objekt (2300-1) mit einem Satz von digitalen Objekten assoziiert ist;

94

Anzeigen der vorher versteckten Kante des ersten digitalen Objekts (2300-1) als Ergebnis der ersten Bewegung:

95

in Antwort auf Anzeigen einer der vorher versteckten Kante (2312) des ersten digitalen Objekts (2300-1) und kontinuierliches Erkennen der ersten Bewegung (2310), Anzeigen (2406) eines Bereichs (2314), der über die Kante (2312) des ersten digitalen Objekts (2300-1) hinausgeht;

96

nachdem dass die erste Bewegung (2310) nicht mehr erkannt wird, Verschieben (2408) des ersten digitalen Objekts (2300-1) in eine zweite Richtung (2316), die zur ersten Richtung entgegengesetzt ist, bis der über die Kante (2312) des ersten digitalen Objekts (2300-1) hinausgehende Bereich (2314) nicht mehr angezeigt wird;

97

Erkennen (2410) einer zweiten im Wesentlichen horizontalen oder vertikalen Bewegung (2318) des physikalischen Objekts auf oder in der Nähe der Berührungsbildschirmanzeige (112), die ähnlich der ersten Bewegung ist; und

98

in Antwort auf Erkennen der zweiten Bewegung (2318) während die vorher versteckte Kante (2312) des ersten digitalen Objekts (2300-1) angezeigt wird, Verschieben (2412) des ersten digitalen Objekts (2300-1) in die erste Richtung und Anzeigen eines zweiten digitalen Objekts (2300-2) in dem Satz von digitalen Objekten.

99

In der Fassung des Hilfsantrags IV lautet der Patentanspruch 1 in deutscher Übersetzung, mit markierten Änderungen gegenüber der erteilten Fassung (bezüglich der übrigen Ansprüche wird auf die Akte verwiesen):

100

1. Computerimplementiertes Verfahren, aufweisend:

101

bei einem Gerät (100) mit einer Berührungsbildschirmanzeige

102

(112):

103

Erkennen (2402) einer ersten im Wesentlichen horizontalen oder vertikalen Bewegung (2310) eines physikalischen Objekts auf oder in der Nähe der Berührungsbildschirmanzeige (112);

104

Verschieben (2404) eines ersten digitalen Objekts (2300-1), das auf der Berührungsbildschirmanzeige (112) angezeigt wird, in eine erste Richtung während des Erkennens der ersten Bewegung (2310), wobei das erste digitale Objekt (2300-1) vergrößerbar ist und wobei das erste digitale Objekt (2300-1) mit einem Satz von digitalen Objekten assoziiert ist;

105

Anzeigen einer vorher versteckten Kante des ersten digitalen Objekts (2300-1) als Ergebnis der ersten Bewegung;

106

in Antwort auf Anzeigen einer der vorher versteckten Kante (2312) des ersten digitalen Objekts (2300-1) und kontinuierliches Erkennen der ersten Bewegung (2310), Anzeigen (2406) eines Bereichs (2314), der über die Kante (2312) des ersten digitalen Objekts (2300-1) hinausgeht;

107

nachdem dass die erste Bewegung (2310) nicht mehr erkannt wird, Verschieben (2408) des ersten digitalen Objekts (2300-1) in eine zweite Richtung (2316), die zur ersten Richtung entgegengesetzt ist, bis der über die Kante (2312) des ersten digitalen Objekts (2300-1) hinausgehende Bereich (2314) nicht mehr angezeigt wird;

108

Erkennen (2410) einer zweiten im Wesentlichen horizontalen oder vertikalen Bewegung (2318) des physikalischen Objekts auf oder in der Nähe der Berührungsbildschirmanzeige (112), die ähnlich der ersten Bewegung ist; und

109

in Antwort auf Erkennen der zweiten Bewegung (2318) während die vorher versteckte Kante (2312) des ersten digitalen Objekts (2300-1) angezeigt wird, Verschieben (2412) des ersten digitalen Objekts (2300-1) in die erste Richtung und Anzeigen eines zweiten digitalen Objekts (2300-2) in dem Satz von digitalen Objekten.

110

In der Fassung des Hilfsantrags V lautet der Patentanspruch 1 in deutscher Übersetzung, mit markierten Änderungen gegenüber der erteilten Fassung (bezüglich der übrigen Ansprüche wird auf die Akte verwiesen):

111

1. Computerimplementiertes Verfahren, aufweisend:

112

bei einem Gerät (100) mit einer Berührungsbildschirmanzeige

113

(112):

114

Erkennen (2402) einer ersten im Wesentlichen horizontalen oder vertikalen Bewegung (2310) eines physikalischen Objekts auf oder in der Nähe der Berührungsbildschirmanzeige (112);

115

Verschieben (2404) eines ersten digitalen Objekts (2300-1), das auf der Berührungsbildschirmanzeige (112) angezeigt wird, in eine erste Richtung während des Erkennens der ersten Bewegung (2310), wobei das erste digitale Objekt (2300-1) vergrößerbar ist, so dass seine Kante versteckt ist, und wobei das erste digitale Objekt (2300-1) mit einem Satz von digitalen Objekten assoziiert ist;

116

Anzeigen der vorher versteckten Kante des ersten digitalen Objekts (2300-1) als Ergebnis der ersten Bewegung:

117

in Antwort auf Anzeigen einer der vorher versteckten Kante (2312) des ersten digitalen Objekts (2300-1) und kontinuierliches Erkennen der ersten Bewegung (2310), Anzeigen (2406) eines Bereichs (2314), der über die Kante (2312) des ersten digitalen Objekts (2300-1) hinausgeht;

118

nachdem dass die erste Bewegung (2310) nicht mehr erkannt wird, Verschieben (2408) des ersten digitalen Objekts (2300-1) in eine zweite Richtung (2316), die zur ersten Richtung entgegengesetzt ist, bis der über die Kante (2312) des ersten digitalen Objekts (2300-1) hinausgehende Bereich (2314) nicht mehr angezeigt wird;

119

Erkennen (2410) einer zweiten im Wesentlichen horizontalen oder vertikalen Bewegung (2318) des physikalischen Objekts auf oder in der Nähe der Berührungsbildschirmanzeige (112), die ähnlich der ersten Bewegung ist; und

120

in Antwort auf Erkennen der zweiten Bewegung (2318) während die vorher versteckte Kante (2312) des ersten digitalen Objekts (2300-1) angezeigt wird, Verschieben (2412) des ersten digitalen Objekts (2300-1) in die erste Richtung und Anzeigen eines zweiten digitalen Objekts (2300-2) in dem Satz von digitalen Objekten.

121

In der Fassung des Hilfsantrags VI lautet der Patentanspruch 1 in deutscher Übersetzung, mit markierten Änderungen gegenüber der erteilten Fassung (bezüglich der übrigen Ansprüche wird auf die Akte verwiesen):

122

1. Computerimplementiertes Verfahren, aufweisend:

123

bei einem Gerät (100) mit einer Berührungsbildschirmanzeige

124

(112):

125

Erkennen (2402) einer ersten im Wesentlichen horizontalen oder vertikalen Bewegung (2310) eines physikalischen Objekts auf oder in der Nähe der Berührungsbildschirmanzeige (112);

126

Verschieben (2404) eines ersten digitalen Objekts (2300-1), das auf der Berührungsbildschirmanzeige (112) angezeigt wird, in eine erste Richtung während des Erkennens der ersten Bewegung (2310), wobei das erste digitale Objekt (2300-1) vergrößerbar ist, so dass seine Kante versteckt ist, und wobei das erste digitale Objekt (2300-1) mit einem Satz von digitalen Objekten assoziiert ist;

127

Anzeigen der vorher versteckten Kante des ersten digitalen Objekts (2300-1) als Ergebnis der ersten Bewegung;

128

in Antwort auf Anzeigen einer der vorher versteckten Kante (2312) des ersten digitalen Objekts (2300-1) und kontinuierliches Erkennen der ersten Bewegung (2310), Anzeigen (2406) eines Bereichs (2314), der über die Kante (2312) des ersten digitalen Objekts (2300-1) hinausgeht;

129

nachdem dass die erste Bewegung (2310) nicht mehr erkannt wird, Verschieben (2408) des ersten digitalen Objekts (2300-1) in eine zweite Richtung (2316), die zur ersten Richtung entgegengesetzt ist, bis der über die Kante (2312) des ersten digitalen Objekts (2300-1) hinausgehende Bereich (2314) nicht mehr angezeigt wird;

130

Erkennen (2410) einer zweiten im Wesentlichen horizontalen oder vertikalen Bewegung (2318) des physikalischen Objekts auf oder in der Nähe der Berührungsbildschirmanzeige (112), die ähnlich der ersten Bewegung ist; und

131

in Antwort auf Erkennen der zweiten Bewegung (2318) während die vorher versteckte Kante (2312) des ersten digitalen Objekts (2300-1) angezeigt wird, Verschieben (2412) des ersten digitalen Objekts (2300-1) in die erste Richtung aus der Berührungsbildschirmanzeige heraus und Anzeigen eines zweiten digitalen Objekts (2300-2) in dem Satz von digitalen Objekten.

132

In der Fassung des Hilfsantrags VII lautet der Patentanspruch 1 in deutscher Übersetzung, mit markierten Änderungen gegenüber der erteilten Fassung (bezüglich der übrigen Ansprüche wird auf die Akte verwiesen):

133

1. Computerimplementiertes Verfahren, aufweisend:

134

bei einem Gerät (100) mit einer Berührungsbildschirmanzeige

135

(112):

136

Erkennen (2402) einer ersten im Wesentlichen horizontalen oder vertikalen Bewegung (2310) eines physikalischen Objekts auf oder in der Nähe der Berührungsbildschirmanzeige (112);

137

Verschieben (2404) eines ersten digitalen Objekts (2300-1), das wovon ein Teil auf der Berührungsbildschirmanzeige (112) angezeigt wird und wovon ein Teil sich jenseits der Berührungsbildschirmanzeige in eine zweite Richtung erstreckt, die zur ersten Richtung entgegengesetzt ist, so dass eine Kante des ersten digitalen Objekts (2300-1) versteckt ist, in eine erste Richtung während des Erkennens der ersten Bewegung (2310), wobei das erste digitale Objekt (2300-1) mit einem Satz von digitalen Objekten assoziiert ist;

138

Anzeigen der vorher versteckten Kante des ersten digitalen Objekts (2300-1) als Ergebnis der ersten Bewegung;

139

in Antwort auf Anzeigen einer der vorher versteckten Kante (2312) des ersten digitalen Objekts (2300-1) und kontinuierliches Erkennen der ersten Bewegung (2310), Anzeigen (2406) eines Bereichs (2314), der über die Kante (2312) des ersten digitalen Objekts (2300-1) hinausgeht;

140

nachdem dass die erste Bewegung (2310) nicht mehr erkannt wird, Verschieben (2408) des ersten digitalen Objekts (2300-1) in eine die zweite Richtung (2316) bis der über die Kante (2312) des ersten digitalen Objekts (2300-1) hinausgehende Bereich (2314) nicht mehr angezeigt wird;

141

Erkennen (2410) einer zweiten im Wesentlichen horizontalen oder vertikalen Bewegung (2318) des physikalischen Objekts auf oder in der Nähe der Berührungsbildschirmanzeige (112), die ähnlich der ersten Bewegung ist; und

142

in Antwort auf Erkennen der zweiten Bewegung (2318) während die vorher versteckte Kante (2312) des ersten digitalen Objekts (2300-1) angezeigt wird, Verschieben (2412) des ersten digitalen Objekts (2300-1) in die erste Richtung aus der Berührungsbildschirmanzeige heraus und Anzeigen eines zweiten digitalen Objekts (2300-2) in dem Satz von digitalen Objekten.

143

In der Fassung des in der mündlichen Verhandlung ausschließlich in englischer Sprache überreichten Hilfsantrags VIIa lautet der Patentanspruch 1, mit markierten Änderungen gegenüber der Fassung nach Hilfsantrag VII (bezüglich der übrigen Ansprüche wird auf die Akte verwiesen):

144

1. A computer-implemented method, comprising:

145

at a device (100) with a touch screen display (112):

146

detecting (2402) a first substantially horizontal or vertical movement (2310) of a physical object on or near the touch screen display (112);

147

while detecting the first movement (2310), translating (2404) in a first direction a first digital object (2300-1), which is enlarged and a portion of which is displayed on the touch screen display (112) and a portion of which extends beyond the touch screen display in a second direction opposite to the first direction such that an edge of the enlarged first digital object (2300-1) is hidden, wherein the first digital object (2300-1) is associated with a set of digital objects;

148

displaying the previously hidden edge (2312) of the enlarged first digital object (2300-1) as a result of the first movement;

149

in response to displaying the previously hidden edge (2312) of the enlarged first digital object (2300-1) and continued detection of the first movement (2310), displaying (2406) an area (2314) beyond the edge (2312) of the enlarged first digital object (2300-1);

150

after the first movement (2310) is no longer detected, translating (2408) the enlarged first digital object (2300-1) in the second direction (2316) until the area (2314) beyond the edge (2312) of the enlarged first digital object (2300-1) is no longer displayed;

151

detecting (2410) a second substantially horizontal or vertical movement (2318) of the physical object on or near the touch screen display (112) which is similar to the first movement; and

152

in response to detecting the second movement (2318) while the previously hidden edge (2312) of the enlarged first digital object (2300-1) is displayed, translating (2412) the enlarged first digital object (2300-1) in the first direction off of the touch screen display and displaying a second digital object (2300-2) in the set of digital objects.

153

Die Beklagte tritt den Ausführungen der Klägerin in allen Punkten entgegen. Sie hält den Gegenstand des Streitpatents bereits in der Fassung des Hauptantrags für schutzfähig, jedenfalls aber in den Fassungen der Hilfsanträge.

154

Zur Stützung ihrer Auffassung hat die Beklagte mit Schriftsatz vom 30. Juli 2013 die Dokumente

155

N37   Gutachten Prof. Dr. Butz v. 27. Juli 2013

156

N38   US-Amtsbescheid US 7 469 381

157

N39 Übersetzung Entscheidung Landgericht Tokio zu JP 4 743 919 B2

158

N40 Entscheidung des Japanischen Patentamts vom 20. August 2013 zu JP 4 743 919 B2

159

vorgelegt.

160

Die Klägerinnen machen weiterhin geltend, dass der Gegenstand des Streitpatents auch in der Fassung der Hilfsanträge gegenüber dem Stand der Technik mangels Neuheit bzw. fehlender erfinderische Tätigkeit nicht patentfähig sei. Darüber hinaus sei der erst in der mündlichen Verhandlung gestellte Hilfsantrag VII a verspätet vorgelegt worden.

161

Auf Hinweis des Gerichts zur Prioritätslage hat die Beklagte in der mündlichen Verhandlung erklärt, dass auch sie davon ausgehe, dass der früheste Prioritätszeitpunkt des Streitpatents der 29. Juni 2007 sei.

162

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Akteninhalt verwiesen.

Entscheidungsgründe

163

Die Klagen, mit denen u. a. der Nichtigkeitsgrund der fehlenden Patentfähigkeit nach Artikel II § 6 Absatz 1 Nr. 1 IntPatÜG, Artikel 138 Abs. 1 lit a EPÜ i. V. m. Artikel 54 Absatz 1, 2 und Artikel 56 EPÜ geltend gemacht wird, sind zulässig. Sie sind auch begründet. Das Streitpatent hat weder in der erteilten Fassung noch in der Fassung einer der Hilfsanträge Bestand, da ihm der vorgenannte Nichtigkeitsgrund der fehlenden Patentfähigkeit entgegensteht.

I.

164

Der in der mündlichen Verhandlungen von der Beklagten vorgelegte Hilfsantrag VIIa war trotz der Rüge der Klägerinnen nicht als verspätet zurückzuweisen.

165

Die durch das 2009 in Kraft getretene Patentrechtsmodernisierungsgesetz (PatRModG) erfolgte Neufassung des § 83 PatG und die damit in das Nichtigkeitsverfahren eingeführten Präklusionsregeln sehen zwar grundsätzlich die Möglichkeit vor, verspätetes Vorbringen zurückzuweisen. Hierfür ist es aber stets erforderlich, dass dieser Vortrag tatsächliche oder rechtliche Fragen aufkommen lässt, die in der mündlichen Verhandlung nicht oder nur mit unverhältnismäßigem Aufwand zu klären sind (vgl. Begründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Vereinfachung und Modernisierung des Patentrechts, BlPMZ 2009, 307, 315). Kann das an sich verspätete Vorbringen dagegen noch ohne Weiteres in die mündliche Verhandlung einbezogen werden, ohne dass es zu einer Verfahrensverzögerung kommt, liegen die Voraussetzungen für eine Zurückweisung nach § 83 Abs. 4 PatG nicht vor. So liegt der Fall hier, weil das Streitpatent auch in den beschränkt verteidigten Anspruchsfassungen nach sämtlichen Hilfsanträgen einschließlich des in der mündlichen Verhandlung gestellten Hilfsantrags VIIa für nichtig zu erklären ist und die Berücksichtigung dieses Hilfsantrags, welcher nur eine geringfügige Veränderung/Einschränkung gegenüber Hilfsantrag VII enthält und zu dem die Parteien verhandelt haben, auch zu keiner Verzögerung des Rechtsstreits geführt hat.

II.

166

Das Streitpatent erweist sich sowohl in der erteilten Fassung als auch im Umfang der Hilfsanträge I bis VIIa nicht als patentfähig, da die jeweils beanspruchte Lehre aus dem Stand der Technik vorbekannt war oder sich daraus für den Fachmann in naheliegender Weise ergab (Artikel II § 6 Absatz 1 Nr. 1 IntPatÜG, Artikel 138 Abs. 1 lit a EPÜ i. V. m. Artikel 54, Artikel 56 EPÜ).

167

1. Das Streitpatent betrifft Maßnahmen zur Bedienung von elektronischen Geräten mit einer Berührungsbildschirmanzeige, insbesondere von tragbaren Geräten wie Mobiltelefonen, und insbesondere für das Management von digitalen Fotos zum Beispiel beim Fotografieren, Editieren der Fotos, und Versand per E-Mail.

168

1.1 Gemäß der Beschreibungseinleitung stellt bei tragbaren elektronischen Geräten, besonders bei handgehaltenen mit einem relativ kleinen Bildschirm, die Gestaltung der Benutzerschnittstelle eine große Herausforderung dar. Üblich sei eine Tastenbedienung, die aber wegen der Menge der möglichen Bedienfunktionen einzelne Tasten mit Funktionen überlade, oder aber vom Benutzer das Nachverfolgen eines komplexen Menüsystems verlange. Ferner seien physikalische Tasten wenig flexibel im Hinblick auf unterschiedliche Programme, und der Benutzer habe Mühe, sich mehrfache Bediensequenzen und Menü-Hierarchien zu merken. Eine wesentliche Verbesserung stellten grafische Benutzeroberflächen (GUIs) in Verbindung mit berührungsempfindlichen Bildschirmen (Touchscreens) dar; hier interagiere der Benutzer mit der GUI in erster Linie durch Fingerkontakte und Gesten auf dem Bildschirm (vgl. Streitpatent Absätze [0002] bis [0004], Absatz [0008]).

169

Die Streitpatentschrift liefert für eine Verwaltung und Anzeige von Fotos auf den genannten elektronischen Geräten mehrere unterschiedliche Ideen zur Verbesserung der Fingerbedienung. Bereits in der PCT-Recherche war die Uneinheitlichkeit der dem Streitpatent zugrunde liegende Anmeldung bemängelt worden (siehe WO 2008 / 30 779 A3). Unter Schutz gestellt ist im vorliegenden Streitpatent nur eine dieser Ideen; die Beschreibung ist aber nicht daran angepasst worden, so dass das Streitpatent sehr viele Abschnitte enthält, die sich nicht auf den Gegenstand der erteilten Ansprüche beziehen. Die patentierte Lehre ist i.w. nur in den Absätzen [0140] bis [0156] sowie den Figuren 23A bis 23H und 24 beschrieben. Sie befasst sich mit Folgendem:

170

Beispielsweise bei der Fotoverwaltung – wobei dann ein Digitalfoto dem beanspruchten „digitalen Objekt“ entspricht, und eine Sammlung von Fotos, etwa im Sinne eines Fotoalbums, dem beanspruchte „Satz von digitalen Objekten“ – war es bei vielen Geräten mit Touchscreen üblich, durch eine horizontale Streichgeste („Sweep“) ein angezeigtes Foto aus dem Bildschirm zu schieben und dadurch gleichzeitig das nächste Foto aus der Sammlung auf den Bildschirm treten zu lassen. Diese Funktion (Weiterblättern, sog. Scrollen) führt bei nicht vergrößerten Fotos zu einem schnellen „Durchblättern" der Sammlung. Ebenso war es üblich, ein einzelnes angezeigtes Foto zu vergrößern; als Folge davon wird das Foto auf dem (hierfür zu kleinen) Bildschirm nicht mehr vollständig angezeigt. In dieser Situation würde der Nutzer als die „intuitive“ Funktion einer Streichgeste eine Verschiebung des dargestellten Foto-Ausschnitts erwarten. D.h. einer horizontalen Streichgeste müssen durch das Gerät grundsätzlich zwei unterschiedliche Funktionen (Weiterblättern, oder Ausschnittsverschiebung) zugeordnet werden, und es stellt sich die Frage, woran das Gerät die jeweilige Benutzerabsicht erkennen könnte. Aus Benutzersicht besteht das Problem, dass die Mehrdeutigkeit der Streichgeste gerade bei der Anzeige von vergrößerten Objekten zu fehlerhaften oder unbeabsichtigten Nutzereingaben führen kann.

171

1.2 Im Streitpatent selbst ist im Sinne einer Aufgabenstellung lediglich angegeben, es bestehe ein Bedürfnis nach tragbaren Multifunktionsgeräten mit transparenteren und intuitiveren Benutzerschnittstellen für die Fotoverwaltung (siehe Absatz [0007]).

172

Zur Lösung dieser Aufgabe ist mit dem Patentanspruch 1 (hier in der deutschen Übersetzung und mit der Merkmalsgliederung der Patentinhaberin vom 1. Februar 2013 versehen, siehe Anlage NB1, wobei aber die Reihenfolge der Merkmale entsprechend der Formulierung des Anspruchs belassen wurde) unter Schutz gestellt:

173

1 [ein] Computerimplementiertes Verfahren, aufweisend:

174

1.1 bei einem Gerät (100) mit einer Berührungsbildschirmanzeige (112):

175

2 Erkennen (2402) einer ersten Bewegung (2310) eines physikalischen Objekts auf oder in der Nähe der Berührungsbildschirmanzeige (112);

176

3 Verschieben (2404) eines ersten digitalen Objekts (2300-1), das auf der Berührungsbildschirmanzeige (112) angezeigt wird, in eine erste Richtung

177

3.1 während des Erkennens der ersten Bewegung (2310),

178

3.2 wobei das erste digitale Objekt (2300-1) mit einem Satz von digitalen Objekten assoziiert ist;

179

gekennzeichnet durch

180

4.2 in Antwort auf Anzeigen einer vorher versteckten Kante (2312) des ersten digitalen Objekts (2300-1) und

181

4.1 kontinuierliches Erkennen der ersten Bewegung (2310),

182

4 Anzeigen (2406) eines Bereichs (2314), der über die Kante (2312) des ersten digitalen Objekts (2300-1) hinausgeht;

183

5.1 nachdem dass die erste Bewegung (2310) nicht mehr erkannt wird,

184

5 Verschieben (2408) des ersten digitalen Objekts (2300-1) in eine zweite Richtung (2316)

185

5.2 bis der über die Kante (2312) des ersten digitalen Objekts (2300-1) hinausgehende Bereich (2314) nicht mehr angezeigt wird;

186

6 Erkennen (2410) einer zweiten Bewegung (2318) des physikalischen Objekts auf oder in der Nähe der Berührungsbildschirmanzeige (112); und

187

7.1 in Antwort auf Erkennen der zweiten Bewegung (2318)

188

7.2 während die vorher versteckte Kante (2312) des ersten digitalen Objekts (2300-1) angezeigt wird,

189

7 Verschieben (2412) des ersten digitalen Objekts (2300-1) in die erste Richtung und Anzeigen eines zweiten digitalen Objekts (2300-2) in dem Satz von digitalen Objekten.

190

1.3 Im engeren Sinne lässt sich diesem Patentanspruch 1 entsprechend der Darstellung der Figuren 23C bis 23E und 23F bis 23H folgende Lehre entnehmen:

191

In der Ausgangssituation ist auf dem berührungsempfindlichen Bildschirm ein Foto 2300-1 („erstes digitales Objekt“) aus einem Satz von Fotos in vergrößerter Darstellung angezeigt (so dass nur ein Teil des Fotos auf den Bildschirm passt, siehe Streitpatent Absatz [0141]). Jetzt wird eine vom Benutzer auf dem Touchscreen ausgeführte erste Geste 2310 („erste Bewegung“ = Streichgeste, Wischbewegung nach links) erkannt und damit korrespondierend das Foto in einer ersten Richtung (Figur 23C / 23D: nach links) verschoben. Wenn dann ein vorher nicht sichtbarer Rand („Kante“) 2312 des Fotos ins angezeigte Bild gelangt und die Geste noch andauert, soll auch ein Bereich 2314 jenseits des Foto-Randes angezeigt werden (Figur 23D). Sobald der Benutzer seine Geste beendet, wird das angezeigte Foto in einer zweiten Richtung 2316 verschoben (im engeren Sinne: „zurückschnappen“ = „bounce-back effect“), bis der Bereich jenseits des Randes nicht mehr sichtbar ist (d. h. der Rand des Fotos schließt am Ende mit der Anzeigefläche ab, Figur 23E). Wenn der Benutzer unter der Voraussetzung, dass der Rand des Fotos bei Beginn der Geste sichtbar ist, eine zweite Geste 2318 (im engeren Sinne: eine der ersten Geste 2310 entsprechende Geste) ausführt, wird das angezeigte Foto aus der Anzeige heraus- und das nächste Foto aus dem Satz von Fotos in das Bild hinein geschoben (Figur 23F, G, H).

192

Damit ist der Patentanspruch 1 im engeren Sinne darauf gerichtet, Anzeige-abhängig (wird der Rand des Fotos angezeigt, oder ein nicht bis zum Rand reichender Ausschnitt?) einer bestimmten Geste (im Beispiel: Wischbewegung nach links) zwei unterschiedliche Funktionen zuzuordnen (zum nächsten Foto wechseln / Foto-Ausschnitt verschieben – siehe Streitpatent Absatz [0144], [0153]). Offensichtlich wird dadurch eine „intuitive“ Bedienung ermöglicht, weil die Benutzerschnittstelle abhängig von der momentanen Foto-Darstellung unterschiedlich reagiert, und zwar „richtig“ im Sinne der jeweiligen Absicht des Benutzers.

193

1.4 Die tatsächlich unter Schutz gestellte Lehre nach Patentanspruch 1 des Streitpatents geht jedoch aufgrund der vielen offenen Formulierungen („erste“ und „zweite“ Bewegung, „erste“ und „zweite“ Richtung jeweils ohne definierte Beziehung zu einander, u.a.) deutlich über das konkrete Ausführungsbeispiel hinaus. Sie ist nicht auf die anhand der Beschreibung und der Figuren geschilderte „engere Sichtweise“ beschränkt.

194

Denn dass sich die Beschreibung und die Ausführungsbeispiele des Patents ausschließlich auf bestimmte Ausführungsformen beziehen, schränkt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs einen weiter zu verstehenden Sinngehalt der Patentansprüche nicht auf diese Ausführungsformen ein. Eine Auslegung unterhalb des Wortlauts (im Sinn einer Auslegung unterhalb des Sinngehalts) der Patentansprüche ist generell nicht zulässig. „Es ist grundsätzlich Sache des Patentinhabers, gebotene Einschränkungen des Patentschutzes … selbst herbeizuführen“ (BGH GRUR 2007, 309 – Schussfädentransport).

195

2. Als Fachmann, der mit der Aufgabe betraut wird, die grafische Benutzerschnittstelle einer berührungsempfindlichen Anzeigevorrichtung für eine Fotoverwaltung benutzerfreundlicher und möglichst intuitiv zu gestalten, sieht der Senat einen berufserfahrenen Entwicklungsingenieur für Benutzerschnittstellen, insbesondere von tragbaren Kleingeräten mit Touchscreen, mit Hochschul- oder Fachhochschulabschluss in der Datenverarbeitungstechnik oder Informatik an.

196

Etliche Zusammenhänge und Begriffe des Streitpatents bedürfen einer Interpretation.

197

3.1 Der Patentanspruch 1 bezieht sich lediglich auf ein „Gerät mit einer Berührungsbildschirmanzeige“. Anders als bei der selbstgenannten Aufgabe (Absatz [0007]) besteht weder eine Einschränkung auf tragbare Geräte, noch auf die Fotoverwaltung.

198

3.2 Die Formulierung in Merkmal 2 bzw. 6: „Erkennen einer … Bewegung eines physikalischen Objekts auf oder in der Nähe der Berührungsbildschirmanzeige“ wird der Fachmann dahingehend verstehen, dass sowohl Fingereingaben als auch Stifteingaben eingeschlossen sind, und dass es auf die Erkennungstechnik für die Berührung nicht ankommt (vgl. Streitpatent Absatz [0062] / [0063], insbesondere Spalte 11 Zeile 26 – 34, Zeile 48 ff.).

199

3.3 Ausgangspunkt des Verfahrens ist ein auf dem Touchscreen angezeigtes „digitales Objekt“, welches zu einem „Satz von digitalen Objekten“ gehört (Merkmal 3.2). Diese „digitalen Objekte“ sind im Streitpatent nicht näher definiert. Als Beispiele werden genannt: ein einzelnes Foto aus einem Satz von Fotos, eine einzelne Webseite aus einem Satz von Webseiten oder ein elektronisches Dokument aus einem Satz solcher Dokumente (siehe Absatz [0148], Unteranspruch 4 / 11).

200

3.4 Nach den Merkmalen 2 und 3.1 soll eine Eingabe-Bewegung (im Folgenden: „Geste“) erkannt werden. Auf diese Geste hin soll das angezeigte Objekt in einer „ersten Richtung“ auf dem Bildschirm verschoben werden (Merkmal 3).

201

Der Anspruch legt weder die Richtung der Eingabe-Geste noch ihre Beziehung zur Bewegungsrichtung des angezeigten Objektes fest; dass die Bewegungsrichtung mit der Richtung der Geste übereinstimmen müsste, lässt sich dem Anspruch nicht entnehmen. So würde etwa eine spiralförmige Eingabegeste auch mit unter den Anspruch fallen oder eine Bewegung des angezeigten Objektes entgegengesetzt oder senkrecht zur Richtung der Geste.

202

3.5 Die Merkmalsgruppe 4 geht davon aus, dass die Eingabegeste (d. h. die Bewegung des Eingabeobjekts über den Bildschirm) weiterhin andauert (Merkmal 4.1), und dass infolge der korrespondierenden Bewegung des dargestellten digitalen Objektes nun eine „vorher versteckte Kante“ des Objektes ins Bild kommt (Merkmal 4.2). Nach Merkmal 4 soll dann ein Bereich jenseits des Objektes angezeigt werden, d. h. der Rand des Objektes soll ins Bild hinein- und weiterwandern (siehe Figur 23D).

203

3.5.1 Die Angabe „vorher versteckte Kante“ impliziert, dass das Objekt zu Beginn nicht vollständig angezeigt war, jedenfalls dass zumindest ein Rand nicht sichtbar war. Im Ausführungsbeispiel ist das auf eine vorhergehende Vergrößerung des angezeigten Bildes zurückzuführen (siehe Streitpatent Absatz [0141], Figur 23A / B). Eine solche vorhergehende Vergrößerung geht aus den Anspruchsmerkmalen jedoch nicht hervor.

204

3.5.2 Es fehlt auch an einer genauen Definition für „versteckte Kante“. Nach einer im Verfahren vorgetragenen Auslegung soll eine „vorher versteckte Kante“ erst dann erkennbar sein können, wenn zumindest die erste Pixelreihe ihrer Umgebung sichtbar ist. Der „Bereich jenseits der Kante“ soll dadurch charakterisiert sein, dass er visuell unterschiedlich von dem digitalen Objekt ist (unter Bezug auf Absatz [0142] des Streitpatents, Spalte 31 Zeile 8/9). Jedoch wurden auch andere Auslegungen vorgetragen, die sich ebenfalls begründen lassen.

205

Die Frage kann aber offen bleiben, weil sie hier nicht entscheidungserheblich ist. Denn der Stand der Technik beschreibt eine zunächst nicht sichtbare Kante und einen sichtbar werdenden Bereich jenseits der Kante (s. u. 6.2.1).

206

3.6 Wenn die Eingabegeste endet (Merkmal 5.1), soll gemäß Merkmal 5 das angezeigte Objekt „in eine zweite Richtung“ verschoben werden, „bis der über die Kante des ersten digitalen Objekts hinausgehende Bereich nicht mehr angezeigt wird“ (Merkmal 5.2). Dass die „zweite Richtung“ zur „ersten Richtung“ entgegengesetzt sein müsste, ist dem Anspruch jedoch nicht zu entnehmen.

207

3.7 Gemäß den weiteren Merkmalen 6 und 7, 7.1, 7.2 wird eine zweite Eingabegeste erfasst. Diese soll anspruchsgemäß zur Folge haben, dass das angezeigte digitale Objekt in die erste Richtung verschoben wird, und dass ein zweites digitales Objekt aus dem Satz nach Merkmal 3.2 angezeigt wird – wie es anschaulich in den Figuren 23F, 23G, 23H dargestellt ist.

208

3.7.1 Die Merkmale 6 und 7, 7.1, 7.2 nehmen auf den vorangegangenen Verfahrensablauf keinen direkten Bezug. Insbesondere braucht anspruchsgemäß die „zweite Bewegung“ nicht mit der zuvor erfassten „ersten Bewegung“ übereinzustimmen, es könnte sich also um eine beliebige andere Geste handeln. In den Absätzen [0144] und [0153] der Streitpatentschrift werden die erste und die zweite Geste zwar ausdrücklich als „similar movements“ bzw. „in the same or substantially the same direction“ bezeichnet – ein solches Merkmal hat aber keinen Eingang in den Patentanspruch gefunden und beschränkt ihn somit nicht.

209

3.7.2 Fraglich ist, welche Bedeutung dem Ausdruck in Merkmal 7.2 „die vorher versteckte Kante des ersten digitalen Objekts“ zukommt. Hier könnte verstanden werden, dass die Merkmale 6 und 7, 7.1, 7.2 nur im Kontext mit dem vorangegangenen Verfahrensablauf ablaufen, d.h. dass der angezeigte Objektrand (Merkmal 7.2), der ein Weiterblättern zu einem zweiten Objekt aus dem Satz von Objekten (Merkmal 7) bewirkt, unmittelbar vorher versteckt gewesen sein müsste, so dass die „zweite Bewegung“ nur als auf eine „erste Bewegung“ folgend erkannt werden kann.

210

Dieses Verständnis ist aber nicht zwingend. Die Ausführungen der Beklagten (siehe z. B. die Widerspruchsbegründung vom 31. Oktober 2011 gegen die Motorola-Klage, Seite 8 Abschnitt I.1 / I.2) gehen dahin, dass hier „zwei Gruppen von Merkmalen“ beansprucht seien, die keine Definition einer Reihenfolge oder zeitlichen Abfolge enthielten. Der Senat folgt dieser Auslegung, da sie umfassender ist (und die Beklagte es in der Hand hat, sich dagegen abzugrenzen, wenn sie es für erforderlich hielte).

211

3.7.3 Was geschehen soll, wenn die zweite Geste ausgeführt wird, solange die vorher versteckte Kante nicht angezeigt wird, ist nicht Gegenstand der Patentansprüche und war im Streitpatent auch generell nicht auffindbar. Dass also z. B. ein Weiterblättern zu einem nächsten Objekt durch Vornehmen einer „zweiten Bewegung“ auch erfolgen könnte, wenn keine „vorher versteckte Kante“ angezeigt ist, ist weder beansprucht noch ausgeschlossen.

212

3. Frühestmöglicher Prioritätszeitpunkt für das Streitpatent ist der 29. Juni 2007. Die vier älteren Prioritäten können nicht in Anspruch genommen werden.

213

Die Klägerinnen haben detailliert vorgetragen (siehe z. B. Eingabe der Klägerin 1 vom 8. April 2013, Seite 2 bis 5), dass die im Streitpatent unter Schutz gestellte Erfindung von den vier ältesten Prioritätsanmeldungen (US 824 769 P; US 883 785 P; US 879 253 P; US 879 469 P) nicht umfasst ist.

214

Die Beklagte hat nicht dargelegt, wo die Erfindung in den genannten Prioritätsunterlagen offenbart wäre, und hat in der mündlichen Verhandlung dem Datum 29. Juni 2007 als frühestem Prioritätszeitpunkt zugestimmt.

215

5. Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 des Streitpatents ist nicht komplett vom Patentschutz nach Art. 52 Abs. 2 Nr. 2c/d EPÜ ausgeschlossen, weil zumindest ein Teilaspekt seiner Lehre ein konkretes technisches Problem bewältigt. Ob bei der Prüfung auf erfinderische Tätigkeit alle Merkmale zu berücksichtigen sind, kann indes dahingestellt bleiben.

216

5.1 Klägerseitig wurde vorgetragen, dass sämtliche Merkmale des Patentanspruchs 1 lediglich die Darstellung von Information beträfen und keine technische Problemlösung darstellten (siehe Schriftsatz der Klägerin 1 vom 4. September 2013, insbesondere Seite 5 unten bis Seite 9). Dieser Beurteilung kann nicht gefolgt werden.

217

Ob ein konkretes technisches Problem durch eine Erfindung mit technischen Mitteln gelöst wird, ist objektiv danach zu bestimmen, was die Erfindung tatsächlich leistet. Dies ist durch Auslegung des Patentanspruchs zu entwickeln. Die in der Patentschrift angegebene Aufgabe fungiert lediglich als Hilfsmittel bei der Ermittlung des objektiven technischen Problems (BGH GRUR 2011, 610 – Webseitenanzeige, Rn. 20, m. w. N.).

218

Im vorliegenden Fall bewirkt die Erfindung nach Patentanspruch 1 (und zwar im „engeren Sinne“ nach obigem Verständnis, wenn die „erste Bewegung“ und die „zweite Bewegung“ näherungsweise übereinstimmen) eine Ansteuerung der Eingabeschnittstelle des Gerätes derart, dass einer bestimmten, vom Benutzer ausgeführten und vom Gerät erkannten Geste kontextabhängig zwei unterschiedliche Steuerfunktionen zugeordnet werden können. Diese Lehre greift in das unmittelbare Zusammenwirken der Elemente des elektronischen Gerätes ein und ist somit grundsätzlich technischer Natur (BGH GRUR 2010, 613 – Dynamische Dokumentengenerierung).

219

Um den Ausschlusstatbestand nach Art. 52 Abs. 2 Buchst. c oder d EPÜ zu überwinden, muss sie ferner zumindest mit einem Teilaspekt ein technisches Problem bewältigen (BGH GRUR 2011, 125 – Wiedergabe topografischer Informationen). Dies ist hier der Fall. Ausgehend von der genannten Leistung sieht der Senat ein „objektives technisches Problem“ darin, für zwei unterschiedliche Steuerfunktionen (Objekt auf Bildschirm verschieben / zum nächsten Objekt blättern) dieselbe Eingabe-Geste (Wischbewegung in einer Richtung) vorzusehen und eine eindeutige Zuordnung zu gewährleisten. Die patentgemäße Lösung im engeren Sinne besteht darin, als Unterscheidungskriterium auszuwerten, ob der Rand des dargestellten Objektes bereits im Anzeigebereich sichtbar ist oder nicht.

220

Einzuräumen ist allerdings, dass der Patentanspruch 1 nicht auf diese „engere Sichtweise“ beschränkt ist (s. o. 1.4) und seine Formulierung auch Verfahren umfasst, die dieses konkrete technische Problem nicht lösen.

221

5.2 Der Senat hat im „Hinweis an die Parteien“ vom 23. Mai 2013 auf seine Auffassung hingewiesen, dass insbesondere die Merkmale 4, 5.1, 5 und 5.2 (welche einerseits die Anzeige eines Bereichs, der über die vorher versteckte Kante hinausgeht, und andererseits den Zurückschnapp-Effekt beschreiben) bei der Prüfung auf erfinderische Tätigkeit nicht zu berücksichtigen seien, weil sie die Lösung des technischen Problems mit technischen Mitteln nicht bestimmten oder zumindest beeinflussten (BGH, a. a. O. – Wiedergabe topografischer Informationen).

222

Diese Frage kann jedoch offenbleiben, weil der entgegenstehende Stand der Technik diese Merkmale mit umfasst (s. u. 6.2.1, 8.2.1).

223

6. Zum Hauptantrag

224

Das Streitpatent kann in der erteilten Fassung keinen Bestand haben, weil der Gegenstand des Patentanspruchs 1 aus dem Stand der Technik vorbekannt ist; die nebengeordneten Ansprüche und die Unteransprüche sind nicht günstiger zu beurteilen.

225

6.1 Von besonderer Bedeutung hierfür ist die Druckschrift N7 / Lira (WO 03 / 81 458 A1). Sie beschreibt die Anzeige elektronischer Dokumente, wie insbesondere Web-Seiten, auf einem Anzeigefenster eines Kleingeräts, z. B. PDA, Telefon, handgehaltener Computer oder elektronisches Buch (siehe Beschreibung Seite 1). Die Eingabe kann auf einem Touchscreen mit Finger oder Stift erfolgen (Seite 3 Zeile 7 bis 14).

226

Für das Problem, eine elektronische Seite 100 in Fenstern bzw. auf Bildschirmen verschiedener Größen darzustellen, werden verschiedene Lösungsmöglichkeiten erörtert (siehe Figur 1 und zugehörige Beschreibung). In den folgenden Figuren ist im Hintergrund die gesamte Seite 100 dargestellt; der Bildausschnitt (Figur 2: 200) repräsentiert den Bildschirm des Kleingeräts und veranschaulicht die vom Benutzer vorzunehmenden Maßnahmen, wenn Teile des Gesamtbildes 100 angezeigt werden sollen, die zunächst nicht sichtbar sind.

227

Bei der Lösung nach Figur 4B werden mehrere Spalten jeweils in der Bildschirmbreite des Kleingeräts nebeneinander generiert, wobei dann ein seitlicher Wechsel von Spalte zu Spalte möglich ist. Figur 6 ff. und insbesondere die Figuren 12 bis 14 beschreiben das Scrollen des angezeigten Ausschnitts direkt mit Stift oder Finger („touch-and-drag“ scrolling): so wie der Stift oder Finger bewegt wird, bewegt sich auch der angezeigte Bildausschnitt 1205 (Seite 14 Zeile 18 ff.). Zusätzlich kann eine automatische Ausrichtung (vertical alignment control) vorgesehen sein: weil der Stift bei einer beabsichtigen vertikalen Verschiebung vom Nutzer meist auch ein wenig horizontal hin- und herbewegt wird, „schwankt“ der Bildausschnitt horizontal entsprechend – dies kann im Ausführungsbeispiel der Figur 14A durch Ignorieren kleinerer Horizontalbewegungen vermieden werden (Seite 14 Zeile 29 bis Seite 15 Zeile 7). Zur Unterscheidung von einer beabsichtigen Horizontalverschiebung wird ein Schwellwert gesetzt: erst wenn dieser überschritten wird, erfolgt eine Bewegung des Bildausschnitts hin zur benachbarten Spalte. Der „Schwellwert“ stellt dabei gemäß Figur 14A eine bestimmte Position dar (seitliche Rahmen 1400, siehe Seite 15 Zeile 8 bis 12), d. h. solange der Stift den Bereich zwischen den Begrenzungslinien 1400 nicht verlässt, wird die horizontale Auslenkung ignoriert.

228

Im Ausführungsbeispiel der Figur 14B wird die automatische Ausrichtung erst durch Abheben des Stifts von der Anzeige aktiviert, womit der Benutzer zu erkennen gibt, dass seine Eingabebewegung beendet sein soll (Seite 15 Zeile 18 bis Zeile 21); danach „schnappt“ die anzuzeigende Spalte in eine an das Anzeigefenster ausgerichtete Darstellung (Figur 14B: Verschiebung nach links, entsprechend dem weißen Pfeil). Der Fachmann wird dies so verstehen, dass – im Gegensatz zu Figur 14A – kleinere Horizontalbewegungen nicht ignoriert, sondern zunächst ausgeführt werden, d. h. der Bildausschnitt bewegt sich mit der horizontalen Stiftbewegung. Ist jedoch, wenn der Stift abgehoben wird, die ausgeführte Bewegung in horizontaler Richtung noch innerhalb des Schwellwert-Bereichs, „schnappt“ die Anzeige in die zentrierte Darstellung der aktuellen Spalte zurück (siehe Seite 15 Zeile 23 bis 25, nach Korrektur des offensichtlich falschen Bezugszeichens der „logical column“ in 1220). Überschreitet die Bewegung den Schwellwert (d. h. verlässt sie den Bereich zwischen den Begrenzungslinien 1400), „springt“ die Anzeige nach Abheben des Stifts in die nächste in Bewegungsrichtung liegende Spalte (siehe Seite 15 Zeile 8 bis 12, Zeile 18 bis 28). Gemäß dem letzten Satz auf Seite 15 kann dieses „Einrasten auf eine Spalte“ (snap-on-column) animiert werden, um als Bewegung zu erscheinen, während die Anzeige auf die richtige Spalte gesetzt wird, siehe dazu Figur 15, Figur 14 B.

229

Die drei angezeigten Spalten haben seitliche Ränder (vgl. Figur 4B, Figur 13, Figur 14 A / B), wobei diese Ränder in der Ausgangssituation, z. B. nach dem „Einrasten auf eine Spalte“ aufgrund einer vorherigen Stiftbewegung, abhängig von den Dimensionen des Anzeigefensters, ggf. für den Benutzer nicht explizit sichtbar sind (vgl. Figur 14B, Spalte 1220, unterstes Anzeigefenster).

230

6.2 Sämtliche Merkmale des Patentanspruchs 1 der erteilten Fassung sind aus der Druckschrift N7 entnehmbar.

231

6.2.1 Im Sinne der Lehre des Patentanspruchs 1 entnimmt der Fachmann der Druckschrift N7 zunächst allgemein eine Benutzerschnittstelle für kleine Berührungsbildschirme, die einen einfachen Wechsel der angezeigten Information erlaubt. Speziell zeigt ihm das „touch-and-drag“ scrolling gemäß Figur 6, das auch der Figur 14B zugrundeliegt, ein Computer-implementiertes Verfahren nach den Merkmalen 1 und 1.1, bei dem eine Bewegung eines physikalischen Objekts (Stift) auf der Berührungsbildschirmanzeige 605 / 1205 erkannt wird, und bei dem während des Erkennens der Bewegung ein auf dem Bildschirm angezeigtes digitales Objekt (Spalte einer Internetseite) in eine entsprechende „erste Richtung“ verschoben wird (Merkmale 2, 3 und 3.1).

232

Nach der speziellen Lehre von Figur 14B ist der Fall, dass der Schwellwert nicht überschritten wird, bezogen auf die Nomenklatur der erteilten Patentansprüche als „erste Bewegung“ anzusehen. Sie beginnt mit der Anzeige der Zentralspalte 1220 im „eingerasteten Zustand“, wobei die seitlichen Ränder der Spalte nicht sichtbar sind, und bewirkt, dass die Stift-Bewegung in horizontaler Richtung zunächst von der Anzeige mitverfolgt wird. Dabei wandern der vorher nicht sichtbare Rand und ein Teil der benachbarten Spalte („ein Bereich, der über die Kante … hinausgeht“) in den Bildausschnitt hinein (Merkmale 1, 1.1, 2, 3, 3.1, 4.2, 4.1, 4).

233

Nach dem Abheben des Stiftes (Merkmal 5.1) „schnappt“ dann die Anzeige zurück auf die zentrierte Darstellung der aktuellen Spalte (Verschieben in einer „zweiten Richtung“, Merkmal 5), wobei ein über den Rand hinausgehender Bereich, der zu der jeweiligen Nachbarspalte gehört, nicht mehr angezeigt wird (Figur 14 B, unten bzw. Vergrößerung rechts: der weiße Pfeil deutet das Zurückspringen an – Merkmal 5.2).

234

Als „zweite Bewegung“ in der Nomenklatur der erteilten Patentansprüche ist der Fall anzusehen, dass der Schwellwert überschritten wird (Horizontalbewegung geht über die Bereichsgrenzen 1400 hinaus). Im Rahmen dieser Bewegung wird die aktuelle Spalte immer weiter zur Seite geschoben (wobei auch der ursprünglich nicht sichtbare Spaltenrand angezeigt wird – Merkmal 7.2), und beim Abheben des Stifts (und Erkennen, dass der Schwellwert überschritten ist, dass somit eine „zweite Bewegung“ vorliegt – Merkmal 6) „springt“ die Anzeige in eine zentrierte Darstellung der entsprechenden Nachbarspalte (Merkmale 7.1 und 7). Dabei ist die Nachbarspalte als „zweites digitales Objekt“ anzusehen. Der „Satz von digitalen Objekten“ (Merkmal 3.2) besteht nach diesem Verständnis aus sämtlichen anzeigbaren Spalten der Internetseite.

235

6.2.2 Demgegenüber macht die Beklagte geltend, das Verständnis von Spalten der Darstellung einer Internetseite als eigenständige „digitale Objekte“ verkenne die Bedeutung dieses Begriffs für den Fachmann. Gestützt auf das Privatgutachten aus der Anlage N37 führt sie aus, dass die Spalten einer dargestellten Bildschirmseite lediglich als Unter-Einheiten eines digitalen Objekts, jedoch nicht selbst als digitale Objekte verstanden werden dürften.

236

Darauf kommt es im vorliegenden Fall aber nicht an.

237

In der Lehre der Druckschrift N7 erkennt der Fachmann einen Vorschlag zur Auslegung einer Benutzerschnittstelle, der sich mit mehreren auf dem Bildschirm darstellbaren Ansichtsbereichen (Spalten einer Internetseite) befasst, die zusammengehören, aber jeweils für sich allein die Bildschirmbreite ausfüllen. Der Fachmann entnimmt, dass je nach Art der Geste („erste Bewegung“ vs. „zweite Bewegung“) entweder der angezeigte Ansichtsbereich beibehalten, oder zum benachbarten Ansichtsbereich gesprungen wird; dabei ist es bedeutungslos, ob dem der Ansicht zugrundeliegenden digitalen Datensatz bestimmte Objekt-Eigenschaften zukommen oder nicht, weil diese hier auf die Steuerung der Darstellung keinen Einfluss haben. Auch im Streitpatent selbst wird an keiner Stelle ausgeführt, welche konkreten Konsequenzen der Bezug auf „digitale Objekte“, etwa aufgrund besonderer Objekt-Eigenschaften, für die beanspruchte Steuerung der Bild-Darstellung hätte.

238

6.2.3 Die Beklagte hält ferner entgegen, der Fachmann hätte die Druckschrift N7 gar nicht herangezogen. N7 habe die Anpassung der Darstellung einer Internetseite an einen kleinen Bildschirm zum Gegenstand; hingegen betreffe das Streitpatent die Navigation innerhalb der Objekte eines Satzes von digitalen Objekten und somit ein völlig anderes Problem.

239

Diese Sichtweise greift jedoch zu kurz. Das Streitpatent befasst sich mit dem allgemeinen Problem, die Benutzerschnittstelle eines tragbaren Multifunktionsgerätes mit Berührungsbildschirm transparenter und intuitiver zu gestalten. Genau dieses leistet auch die Lehre der N7, so dass sie hier zum relevanten Stand der Technik gerechnet werden muss.

240

6.3 Die Nebenansprüche 7 und 8 sind nicht anders zu bewerten als der Patentanspruch 1. Sie enthalten nichts Zusätzliches, womit sich eine eigenständige Patentfähigkeit begründen ließe.

241

Der auf ein Computerprogramm gerichtete Anspruch 7 ist ohne weitere Merkmale allein auf das Verfahren nach einem der Ansprüche 1 bis 6 zurückbezogen und steht oder fällt daher mit diesen.

242

Der Vorrichtungsanspruch 8 ist i. w. gekennzeichnet durch ein Programm, das Befehle zur wörtlichen Durchführung der Verfahrensschritte des Anspruchs 1 aufweist. Er ist zwar gegenüber dem Patentanspruch 1 zusätzlich auf technische Baugruppen gerichtet (Prozessoren 120, Speicher 102) – jedoch auf nichts, was im gegebenen Zusammenhang nicht selbstverständlich wäre. Daher ist für den Patentanspruch 8 eine andere Beurteilung als für den Hauptanspruch nicht gerechtfertigt.

243

6.4 Dass die zusätzlichen Merkmale der Unteransprüche, soweit sie nicht konkret Gegenstand von Hilfsanträgen sind, zu einer anderen Beurteilung der Patentfähigkeit führen könnten, wurde weder geltend gemacht, noch ist es ersichtlich.

244

7. Zu den Hilfsanträgen I bis VI

245

Die Hilfsanträge I bis VI können nicht günstiger beurteilt werden, weil keines der zusätzlichen Merkmale dem erteilten Patentanspruch 1 etwas hinzufügt, was eine Patentfähigkeit tragen könnte; auch ein synergistischer Effekt ist nicht erkennbar.

246

7.1 Den Hilfsanträgen I und II kann nicht stattgegeben werden, weil die jeweilige Einschränkung durch den Stand der Technik nahegelegt ist.

247

Gemäß Hilfsantrag I werden die unabhängigen Patentansprüche 1 und 8 durch das Merkmal aus den Unteransprüchen 4 bzw. 11 eingeschränkt,

248

„(dass) der Satz von digitalen Objekten ein Satz von digitalen Abbildungen, ein Satz von Webseiten oder ein Satz von elektronischen Dokumenten ist.“

249

Mit Hilfsantrag II wird diese Einschränkung allein auf einen „Satz von digitalen Abbildungen“ reduziert.

250

Diese Einschränkungen erlauben keine Änderung der Beurteilung für die jeweiligen Patentansprüche. Es lag für den Fachmann nahe, die Lehre der Druckschrift N7 betreffend die Verbesserung der Benutzerschnittstelle insbesondere auch auf die digitale Fotoverwaltung zu übertragen, d. h. auf einen „Satz von digitalen Abbildungen“, weil das auch schon vor dem Prioritätstag eine übliche Anwendung für Computer (mit wie auch ohne Berührungsbildschirmanzeige) war.

251

Mit dem jeweiligen Patentanspruch 1 fällt der gesamte Hilfsantrag. Beantragt der Patentinhaber, das Patent in beschränktem Umfang mit einem bestimmten Anspruchssatz oder bestimmten Anspruchssätzen aufrechtzuerhalten, rechtfertigt es grundsätzlich die Ablehnung des jeweiligen gesamten Antrags, wenn sich auch nur der Gegenstand eines Patentanspruchs aus dem vom Patentinhaber verteidigten Anspruchssatz als nicht patentfähig erweist (vgl. sinngemäß für das Einspruchsbeschwerdeverfahren BGH GRUR 2007, 862 – Informationsübermittlungsverfahren II, bei Verteidigung des Patents durch Hilfsanträge auf das Nichtigkeitsverfahren zu übertragen).

252

7.2. Auch der Hilfsantrag III hat keinen Erfolg. Es kann dahinstehen, ob – wie von den Klägerinnen vorgetragen – eine unzulässige Erweiterung vorliegt. Denn unverändert ist gegenüber Druckschrift N7 keine erfinderische Tätigkeit erkennbar.

253

Der Patentanspruch 1 (und in entsprechender Weise auch der nebengeordnete Patentanspruch 8) gemäß Hilfsantrag III weist folgende Unterschiede zum erteilten Patentanspruch 1 des Streitpatents auf:

254

7.2.1 In Merkmal 2: Die „erste Bewegung“ ist eine „im Wesentlichen horizontale oder vertikale Bewegung“

255

Jedoch beschreibt die Druckschrift N7 ebenfalls „im Wesentlichen horizontale oder vertikale Bewegungen“ für das Eingabeobjekt (siehe z. B. Seite 14 Zeile 18 ff.).

256

7.2.2 In Merkmal 3: Das auf der Berührungsbildschirmanzeige dargestellte erste digitale Objekt ist so angezeigt, dass seine Kante versteckt ist

257

Von einer solchen Anzeige geht auch die Lehre der N7 aus, vgl. oben Abschnitt 6.1 letzter Absatz.

258

7.2.3 Nach Merkmal 3.2, anstelle des „gekennzeichnet durch“, ist ein neues Merkmal eingefügt:

259

 3.3 „Anzeigen der vorher versteckten Kante des ersten digitalen Objekts (2300-1) als Ergebnis der ersten Bewegung“

260

Auch dieses deckt sich mit der Lehre der N7, vgl. oben Abschnitt 6.2.1 Absatz 2.

261

7.2.4 In Merkmal 5: Die zweite Richtung, in welche das angezeigte digitale Objekt „zurückschnappt“, soll zur ersten Richtung „entgegengesetzt“ sein

262

Dies ist eine Klarstellung, mit welcher lediglich das Zurückschnappen als solches definiert wird. Die Druckschrift N7 lehrt nichts anderes, vgl. oben Abschnitt 6.2.1 Absatz 3.

263

7.2.5 In Merkmal 6: Auch die „zweite Bewegung“ ist eine „im Wesentlichen horizontale oder vertikale Bewegung“

264

Hierfür gilt dasselbe wie bei der „ersten Bewegung“, s. o. 7.2.1.

265

7.2.6 In Merkmal 6: Die „zweite Bewegung“ ist „ähnlich der ersten Bewegung“

266

Nachdem weder im Patentanspruch noch in der Beschreibung etwas darüber ausgesagt ist, in welchem Aspekt die Ähnlichkeiten bestehen und wie weitgehend sie sein sollen, ist dieses neue Merkmal nicht geeignet, einen Schutzbereich so klar und eindeutig zu definieren, dass er „für Außenstehende hinreichend sicher vorhersehbar ist” (BGH GRUR 1989, 903 – Batteriekastenschnur).

267

Im Übrigen ist dieses Merkmal ebenfalls der Druckschrift N7 entnehmbar. Zwar müssen die in der N7 beschriebene „erste“ und „zweite Bewegung“ unterschiedlich sein, denn es kommt bei N7 zur Unterscheidung auf das Maß der Auslenkung an: bei Unterschreiten des Schwellwerts wird die erste Bewegung, beim Überschreiten des Schwellwerts die zweite Bewegung erkannt. Dennoch sind diese beiden Bewegungen „ähnlich“, denn sie weisen in dieselbe Richtung, und es genügt schon, wenn sie sich um eine sehr geringe Auslenkung unterscheiden.

268

Nach alledem ist der Gegenstand des Patentanspruchs 1 in der Fassung nach Hilfsantrag III für den Fachmann naheliegend. Mit dem Patentanspruch 1 fällt der gesamte Hilfsantrag III (s. o. 7.1, letzter Absatz).

269

7.3 Für die mit den Hilfsanträgen IV, V und VI beanspruchten Maßnahmen war gleichfalls keine erfinderische Tätigkeit erforderlich.

270

In der Fassung nach Hilfsantrag IV unterscheidet sich der Patentanspruch 1 gegenüber dem Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag III i. w. an zwei Stellen:

271

7.3.1 Die Klarstellung in Merkmal 3, wonach das auf der Berührungsbildschirmanzeige dargestellte erste digitale Objekt so angezeigt ist, dass seine Kante versteckt ist, wurde wieder gestrichen. Wegen des nun fehlenden Bezuges wurde Merkmal 3.3 angepasst: „Anzeigen einer vorher versteckten Kante …“.

272

Dies beeinflusst die patentrechtliche Beurteilung nicht.

273

7.3.2 In Merkmal 3.2 wurde eingefügt, dass das erste digitale Objekt vergrößerbar ist.

274

Dass ein Objekt „vergrößerbar“ ist, gesteht ihm lediglich die Möglichkeit einer Vergrößerung zu, ohne eine konkrete Maßnahme zu enthalten. Allein die Möglichkeit, Objekte zu vergrößern oder zu verkleinern, hätte jeder Nutzer von einer Fotoverwaltung erwartet, sie war in üblichen Bildbearbeitungsprogrammen lange vorher realisiert. Das Vorliegen einer erfinderischen Tätigkeit lässt sich damit keinesfalls begründen.

275

Die Fassung nach Hilfsantrag V geht vom Hilfsantrag IV aus, mit einer zusätzlichen Ergänzung:

276

7.3.3 In Merkmal 3.2 wurde eingefügt, dass das erste digitale Objekt vergrößerbar ist, so dass seine Kante versteckt ist. Entsprechend wurde Merkmal 3.3 wieder zurück-geändert: „Anzeigen der vorher versteckten Kante …“.

277

Hier gilt dasselbe wie zuvor: Dass das Objekt grundsätzlich vergrößert werden kann (egal wie weit – d. h. auch soweit, dass eine seiner Kanten auf dem Display nicht mehr angezeigt werden kann, also versteckt ist), ist eine für die digitale Fotoverwaltung übliche Option und schränkt die Lehre des Anspruchs nicht wirksam ein. Zwar könnte der Rückbezug „Anzeigen der vorher versteckten Kante …“ nun – für sich betrachtet – die Auslegung erlauben, dass das Objekt vorher auch tatsächlich vergrößert wurde. Eine solche Auslegung stünde aber im Widerspruch zur Formulierung „dass das erste digitale Objekt vergrößerbar ist“, welche keine tatsächliche Vergrößerung fordert. Die Widersprüchlichkeit geht hier zu Lasten der Beklagten (die es ja in der Hand hat, eine Klarstellung zu schaffen – vgl. die Hilfsanträge VII und VIIa) und reicht für die Definition eines klaren und eindeutigen Schutzbereichs nicht aus. Allein der Rückbezug auf das Anzeigen der vorher versteckten Kante kann daher, weil unklar, als erfinderischer Unterschied zur Lehre der Druckschrift N7 nicht geltend gemacht werden.

278

Die Fassung nach Hilfsantrag VI basiert auf Hilfsantrag V, mit einer zusätzlichen Ergänzung:

279

7.3.4 In Merkmal 7 wurde eingefügt, dass das Verschieben des ersten digitalen Objekts in die erste Richtung aus der Berührungsbildschirmanzeige heraus erfolgt

280

Damit soll ausgedrückt werden, dass die „zweite Bewegung“, die das Weiterblättern zum nächsten Objekt bewirken soll, dabei das bisher dargestellte Objekt ganz aus dem Anzeigebereich herausschiebt, so dass es aus der Anzeige verschwindet.

281

Nichts anderes geschieht aber nach der Lehre der Druckschrift N7, wo beim Überschreiten des Schwellwerts die danebenliegende Spalte in der Anzeige „zentriert“ wird, was einem Wegschieben der bisherigen Spalte gleichkommt (siehe die Darstellungen in Figur 14A und Figur 14B, jeweils den Kreisausschnitt, welche beide nur genau eine, d. h. die aktuelle Spalte zeigen).

282

Damit beruht auch der jeweilige Patentanspruch 1 in der Fassung der Hilfsanträge IV, V und VI gegenüber der Druckschrift N7 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit. Mit dem Patentanspruch 1 fällt jeweils der gesamte Hilfsantrag (s. o. 7.1, letzter Absatz).

283

8. Zu den Hilfsanträgen VII und VIIa

284

Der Beklagten ist zuzustimmen, dass der Gegenstand der Patentansprüche nach den Hilfsanträgen VII und VIIa nicht mehr ohne weiteres als durch die Lehre der Druckschrift N7 nahegelegt bezeichnet werden kann. Dennoch bleiben beide Hilfsanträge ohne Erfolg, weil ihr jeweiliger Gegenstand durch einen anderen Stand der Technik vorweggenommen oder zumindest nahegelegt ist.

285

8.1 Der Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag VII, mit Kennzeichnung der Unterschiede zum erteilten Patentanspruch 1 durch Unterstreichen, und mit einer soweit möglich entsprechenden Gliederung versehen, lautet:

286

1 Computerimplementiertes Verfahren, aufweisend:

287

1.1 bei einem Gerät (100) mit einer Berührungsbildschirmanzeige (112):

288

2' Erkennen (2402) einer ersten im Wesentlichen horizontalen oder vertikalen Bewegung (2310) eines physikalischen Objekts auf oder in der Nähe der Berührungsbildschirmanzeige (112);

289

3' Verschieben (2404) eines ersten digitalen Objekts (2300-1), das wovon ein Teil auf der Berührungsbildschirmanzeige (112) angezeigt wird

290

3x und wovon ein Teil sich jenseits der Berührungsbildschirmanzeige in eine zweite Richtung erstreckt,

291

3y die zur ersten Richtung entgegengesetzt ist,

292

3z so dass eine Kante des ersten digitalen Objekts (2300-1) versteckt ist,

293

3 in eine erste Richtung

294

3.1 während des Erkennens der ersten Bewegung (2310),

295

3.2 wobei das erste digitale Objekt (2300-1) mit einem Satz von digitalen Objekten assoziiert ist;

296

3.3 Anzeigen der vorher versteckten Kante des ersten digitalen Objekts (2300-1) als Ergebnis der ersten Bewegung;

297

4.2 in Antwort auf Anzeigen einer der vorher versteckten Kante (2312) des ersten digitalen Objekts (2300-1) und

298

4.1 kontinuierliches Erkennen der ersten Bewegung (2310),

299

4 Anzeigen (2406) eines Bereichs (2314), der über die Kante (2312) des ersten digitalen Objekts (2300-1) hinausgeht;

300

5.1 nachdem dass die erste Bewegung (2310) nicht mehr erkannt wird,

301

5 Verschieben (2408) des ersten digitalen Objekts (2300-1) in eine die zweite Richtung (2316)

302

5.2 bis der über die Kante (2312) des ersten digitalen Objekts (2300-1) hinausgehende Bereich (2314) nicht mehr angezeigt wird;

303

6' Erkennen (2410) einer zweiten im Wesentlichen horizontalen oder vertikalen Bewegung (2318) des physikalischen Objekts auf oder in der Nähe der Berührungsbildschirmanzeige (112),

304

6x die ähnlich der ersten Bewegung ist; und

305

7.1 in Antwort auf Erkennen der zweiten Bewegung (2318)

306

7.2 während die vorher versteckte Kante (2312) des ersten digitalen Objekts (2300-1) angezeigt wird,

307

7' Verschieben (2412) des ersten digitalen Objekts (2300-1) in die erste Richtung aus der Berührungsbildschirmanzeige heraus und Anzeigen eines zweiten digitalen Objekts (2300-2) in dem Satz von digitalen Objekten.

308

Dieser Anspruch basiert auf dem Patentanspruch 1 nach dem vorangehenden Hilfsantrag VI; darüber hinaus wird hiermit noch beansprucht, dass das erste digitale Objekt vor der Verschiebung nur zu einem Teil angezeigt wird (Merkmal 3') und sich ein Teil jenseits der Anzeige in die der Verschiebebewegung entgegengesetzte Richtung erstreckt (Merkmale 3x und 3y). Gegenüber Hilfsantrag VI wurde das Merkmal, dass das erste digitale Objekt vergrößerbar ist, hier gestrichen (s. u. 8.2.3).

309

8.2 Die Lehre gemäß Patentanspruch 1 des Hilfsantrags VII unterscheidet sich von der Lehre der Druckschrift N7, bei welcher jeweils die komplette Spalte in Bildschirmbreite angezeigt wird. Ob eine Abwandlung der Lehre in der Richtung, dass nur ein Teil der Spalte angezeigt wird, dennoch für den Fachmann nahegelegen haben könnte, kann offen bleiben, da der mit Hilfsantrag VII beanspruchte Gegenstand anderweitig vorweggenommen ist.

310

8.2.1 Zum Stand der Technik gehört auch die Präsentation des iPhone der ersten Generation durch Steve Jobs auf der MacWorld Conference & Expo am 9. Januar 2007, von welcher die Klägerin 1 eine Videoaufzeichnung vorgelegt hat (Anlage NK20, V1 – unter http://www.youtube.com/watch?v=s72uTrA5EDY derzeit im Internet abrufbar). Dieser Präsentation sind sämtliche Merkmale des Patentanspruchs 1 nach Hilfsantrag VII für sich allein betrachtet entnehmbar.

311

Unter Berücksichtigung des tatsächlichen Zeitrangs des Streitpatents (s. o. 4.) hat die Beklagte die Vorveröffentlichung dessen, was auf dem Video zu sehen ist, nicht bestritten.

312

Bei dem präsentierten iPhone der ersten Generation handelt es sich erkennbar um ein Gerät mit einer Berührungsbildschirmanzeige (Merkmal 1.1), dessen interne Steuerung computerimplementiert ist (Merkmal 1). Das Video hat eine Länge von etwas mehr als 51 Minuten. Etwa im Zeitraum 42:30 bis 43:05 wird die Darstellung der Titelseite einer Internet-Zeitungsausgabe („erstes digitales Objekt“) vorgeführt. Die dargestellte Zeitungsseite wird der Fachmann zweifellos als eine von mehreren derartigen Seiten verstehen (Merkmal 3.2). Zunächst (42:33) ist eine Komplett-Ansicht der Titelseite gezeigt, mit einer größeren Anzahl von Artikeln in fünf Spalten. Bei 42:42 erfolgt eine Vergrößerung eines Bildes in der Mitte der Seite. Danach wird offensichtlich nur ein Teil der Seite angezeigt (z. T. Merkmal 3'), und ein Teil erstreckt sich jenseits der Anzeige in drei Richtungen (nach links, nach rechts, nach unten); dabei sind die rechten und linken Ränder der Internetseite nicht sichtbar (Merkmale 3x, 3y, 3z).

313

Etwa bei 42:47 ist dargestellt, wie durch horizontale oder vertikale Wischbewegungen (Merkmal 2') eine entsprechende Bewegung des dargestellten Bildausschnitts erfolgt (Merkmal 3' bzw. 3, sowie 3.1). Zum Zeitpunkt 42:48 ist der vorher nicht sichtbare linke Rand der Seite als Ergebnis der ausgeführten Wischgeste ins Anzeigebild gerutscht (Merkmal 3.3).

314

Bei genauem Hinsehen ist ersichtlich, dass bei der Bewegung des angezeigten Seitenausschnitts nach rechts (infolge einer Wischbewegung nach rechts, wie in dem zweiten Bildfenster des Videos rechts oben erkennbar) zunächst der linke Rand der Seite und dann ein schwarzer Bereich, der über den linken Rand hinausgeht, auf der Anzeigefläche des iPhone erscheinen (Merkmale 4.2, 4.1, 4). Nach Beendigung der Wischbewegung (Merkmal 5.1) schnappt die Anzeige des Seitenausschnitts bis zum linken Rand der Anzeigefläche zurück, wobei der schwarze Bereich verschwindet (Merkmale 5, 5.2).

315

An anderer Stelle, etwa im Zeitraum 33:00 bis 33:40, sind Details der Bedienung bei einer Fotoverwaltung erkennbar. Etwa bei 33:09 ist der zugrundeliegende „Satz von digitalen Objekten“, ein Album mit Fotos, zu sehen, wobei ab 33:19 eine Einzeldarstellung der Fotos erfolgt; das Foto füllt den Bildschirm vollständig aus, so dass – im Vergleich mit Figur 23F des Streitpatents – sein linker und rechter Rand angezeigt sind (Merkmal 7.2). Bei 33:20 wird eine Wischbewegung nach links vorgeführt („zweite im Wesentlichen horizontale Bewegung, die ähnlich der ersten Bewegung ist“ – Merkmale 6', 6x). Daraufhin wird das erste Foto nach links aus der Berührungsbildschirmanzeige herausgeschoben, und ein zweites Foto rückt nach (Merkmale 7.1, 7.2, 7').

316

8.2.2 Der Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag VII umfasst den Fall, dass keine zeitliche Beziehung zwischen der „ersten Bewegung“ für die Verschiebung des Bildausschnitts und der „zweiten Bewegung“ für das Weiterblättern zum nächsten Objekt besteht. Ein diese beiden Bewegungen in gleicher Weise interpretierendes Verfahren ist, wie dargestellt, aus der genannten Präsentation vorbekannt.

317

Die Gegenargumentation der Beklagten überzeugt nicht.

318

Die Beklagte hält entgegen, dass die Ausschnitte aus der Präsentation die „erste Bewegung“ und die „zweite Bewegung“ als völlig unabhängig voneinander, als zwei verschiedene Komplexe zeigten. Die jeweils erkennbaren Lehren beträfen zwei verschiedene „erste digitale Objekte“, nicht dasselbe Objekt. Die im Patentanspruch 1 vorgegebene Abfolge aus der „ersten Bewegung“ und der „zweiten Bewegung“ sei der Präsentation gerade nicht entnehmbar.

319

Diese Analyse der Präsentation ist zwar auch nach dem Verständnis des Senats zutreffend. Wie aber zuvor bereits festgestellt (s. o. 3.7.2), verlangt die an dieser Stelle offene Formulierung des Patentanspruchs 1 gerade nicht zwingend die Interpretation, dass die „zweite Bewegung“ nur als auf die „erste Bewegung“ folgend, also im Sinne einer vorgegebenen Abfolge verstanden werden müsste. Die Beklagte selbst hat in ihrer Widerspruchsbegründung vorgetragen, dass hier zwei Gruppen von Merkmalen ohne Definition einer Reihenfolge oder Abfolge beansprucht seien (Eingabe vom 31. Oktober 2011, Seite 8 Abschnitt I.1 / I.2).

320

Der Senat stellt fest, dass die Formulierung des Patentanspruchs 1 nach Hilfsantrag VII eine solche „unabhängige“ Auslegung der zwei Gruppen von Merkmalen, dass also keine zeitliche Beziehung zwischen der „ersten Bewegung“ und der „zweiten Bewegung“ besteht, jedenfalls zulässt. Davon ausgehend ist es unbeachtlich, dass die zwei Gruppen von Merkmalen in der Präsentation an zwei verschiedenen digitalen Objekten vorgeführt werden. Der Fachmann, der sich mit der Entwicklung von Benutzerschnittstellen befasst, erkennt hierin zwei allgemeine Bedienungsprinzipien, und sieht es als deren immanente Eigenschaft an, dass sie sich auch auf ein- und dasselbe Objekt anwenden lassen.

321

Soweit es noch darauf ankommen könnte, dass das zugrundeliegende Arbeitsverfahren die „erste Bewegung“ und die „zweite Bewegung“ unterscheiden muss, liefert hierfür der Stand der Technik, zum Beispiel mit der Druckschrift N7, eine brauchbare Lösung: dass die beiden Bewegungen ähnlich, aber unterschiedlich sind. Dafür reicht es, wie oben dargestellt (siehe 7.2.6), bereits aus, wenn sie sich um eine sehr geringe Auslenkung unterscheiden. Dieser Fall ist durch die Formulierung des Patentanspruchs 1 nach Hilfsantrag VII nicht ausgeschlossen – denn verlangt ist lediglich, dass die beiden Bewegungen „ähnlich“ sein sollen. Dass hingegen die Unterscheidung anhand der Sichtbarkeit der Kante erfolgen sollte, ist nicht unmittelbar und eindeutig Gegenstand des Patentanspruchs.

322

8.2.3 Es soll hier noch darauf hingewiesen werden, dass in der Reinschrift der deutschen Fassung des Patentanspruchs 1 nach Hilfsantrag VII (Anlage HA7a Seite 5 Zeile 14 / 15) das zusätzliche Merkmal enthalten ist, dass „das erste digitale Objekt (2300-1) vergrößerbar ist“. Dieses Merkmal fehlt in der deutschen Fassung, in welcher die Änderungen markiert sind (Anlage HA7a Seite 1 Zeile 16 / 17), wie auch in beiden englischen Fassungen des Hilfsantrags VII (Anlage HA7b).

323

Der Senat betrachtet das zusätzliche Merkmal als rein redaktionellen Fehler. Aber auch unter Einbeziehung dieses Merkmals könnte der Hilfsantrag VII nicht günstiger beurteilt werden, da aus der vorgeführten Präsentation bereits hervorgeht, dass das dortige „erste digitale Objekt“ (Zeitungsseite) vergrößerbar ist.

324

8.3 Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 in der Fassung nach Hilfsantrag VIIa ist durch den Stand der Technik nahegelegt.

325

8.3.1 Der Patentanspruch 1 des Hilfsantrags VIIa unterscheidet sich vom Patentanspruch 1 des Hilfsantrags VII zunächst durch eine Einschränkung im dortigen Merkmal 3' (nun als 3'' bezeichnet, Unterschied markiert, deutsche Übersetzung durch den Senat):

326

3'' Verschieben (2404) eines ersten digitalen Objekts (2300-1), welches vergrößert ist und wovon ein Teil auf der Berührungsbildschirmanzeige (112) angezeigt wird

327

Ferner ist im Folgenden das „erste digitale Objekt (2300-1)“, außer in Zeile 14, durchgängig als „vergrößertes erstes digitales Objekt (2300-1)“ bezeichnet.

328

8.3.2 Mit diesem Unterschied lässt sich das Vorliegen einer erfinderischen Tätigkeit jedoch nicht begründen.

329

Soweit sich der Präsentation des iPhone (NK20, V1) die Merkmale der Merkmalsgruppen 1 bis 5 aus der Darstellung der Titelseite einer Internet-Zeitungsausgabe entnehmen lassen (s. o. 8.2.1: etwa im Zeitraum 42:30 bis 43:05), betrifft dies bereits eine ausdrücklich vergrößerte Darstellung; denn etwa zum Zeitpunkt 42:42 erfolgt, wie oben ausgeführt, eine Vergrößerung des Zeitungsausschnitts. Sämtliche Merkmale aus den Merkmalsgruppen 1 bis 5 betreffend ein „erstes digitales Objekt, welches vergrößert ist,“ sind daher aus der Präsentation vorbekannt.

330

Einzuräumen ist, dass die Merkmale der Merkmalsgruppen 6 und 7 betreffend die Erkennung der „zweiten Bewegung“, und das daraufhin erfolgende Herausschieben des dargestellten Objektes aus der Anzeige und Anzeigen des nächsten Objektes, in der Präsentation für ein nicht vergrößertes Bild vorgeführt werden.

331

Die Präsentation zeigt aber an mehreren weiteren Stellen (vgl. etwa bei 31:32; 33:09; 44:29; 44:36), dass das „Blättern“ durch gleichartige Objekte mittels einer Wischbewegung zu den Standard-Bedienfunktionen des vorgestellten iPhones gehörte. Es war daher für den Fachmann naheliegend, dies auch auf vergrößert dargestellte Objekte anzuwenden.

332

Als Gegenargument wurde (sinngemäß) angeführt, dass das Gerät dann nicht unterscheiden könne, welche Funktion der Benutzer auslösen wollte, d. h. ob eine erkannte Wischbewegung als „erste Bewegung“ oder als „zweite Bewegung“ interpretiert werden soll (vgl. 8.2.2, letzter Absatz). Da aber anspruchsgemäß die beiden Bewegungen lediglich „ähnlich“ sein sollen, sind – wenn auch nur gering – unterschiedliche Bewegungen, die gerade anhand der ausgeführten Bewegung unterscheidbar sind, vom Wortlaut des Anspruchs mit umfasst, so dass für einen solchen Fall das fiktive Problem gar nicht besteht, die beanspruchte Lösung deshalb doch nahelag. Dass hingegen die Unterscheidung anhand der Sichtbarkeit der Kante erfolgen sollte, lässt sich, wie schon zum Hilfsantrag VII festgestellt, der Formulierung des Patentanspruchs 1 nicht klar und deutlich entnehmen.

333

Falls die Patentinhaberin nunmehr aber durch die Formulierung „while the previously hidden edge (2312) of the enlarged first digital object (2300-1) is displayed” einen zeitlichen Bezug zwischen der „ersten Bewegung“ und der „zweiten Bewegung“ herstellen wollte (in dem Sinne, dass die zweite Bewegung nur erfasst werden könnte, wenn zuvor die erste Bewegung erfasst worden ist), so ist die gewählte Formulierung dafür nicht geeignet: Gerade dieser für den erteilten Patentanspruch 1 abgestrittene Bezug (s. o. 3.7.2) kann nach dem Verständnis des Senats durch eine Beschränkung auf „vergrößerte Objekte“ nicht eindeutig und unmissverständlich hergestellt werden, so dass eine zeitliche Abfolge der beiden Bewegungen in die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit nicht einfließen kann.

334

8.4 Sonach ist der Patentanspruch 1 in der Fassung nach Hilfsantrag VII wie auch in der Fassung nach Hilfsantrag VIIa nicht patentfähig. Mit dem Patentanspruch 1 fällt jeweils der gesamte Hilfsantrag (s. o. 7.1, letzter Absatz).

III.

335

Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs. 2 PatG i. V. m. § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 99 Abs. 1 PatG, § 709 Satz 1 und 2 ZPO.

IV.

336

Auf die beigefügte Rechtsmittelbelehrung wird verwiesen.