Entscheidungsdatum: 16.07.2015
Durch Vorgriffsstunden wird die langfristig insgesamt gleichbleibende Arbeitszeit eines Lehrers lediglich ungleichmäßig verteilt. Wenn der zeitliche Ausgleich für Vorgriffsstunden ganz oder teilweise nicht mehr möglich ist, weil die Dienstleistungspflicht des Lehrers aus von ihm nicht zu vertretendem Grund (z.B. nach vorzeitiger Versetzung in den Ruhestand infolge dauernder Dienstunfähigkeit) ohne vorherigen Ausgleich endet, muss der Dienstherr aus Gründen der Gleichbehandlung dem Betreffenden einen angemessenen anderen Ausgleich gewähren.
Der Kläger begehrt einen Ausgleich für nach vorzeitiger Versetzung in den Ruhestand nicht mehr zeitlich ausgleichbare vorgeleistete Unterrichtsstunden (Vorgriffsstunden).
Der 1949 geborene Kläger stand als Studienrat im Schuldienst des Landes Schleswig-Holstein. Von August 1999 bis Dezember 2006 leistete er aufgrund einer Verwaltungsvorschrift aus dem Jahr 1999 (Pflichtstundenerlass) über das wöchentliche Pflichtstundensoll hinaus Unterricht im Umfang von jeweils einer halben Unterrichtsstunde. Seit dem 15. Dezember 2006 war der Kläger dauerhaft erkrankt. Mit Ablauf des 30. November 2007 wurde er wegen Dienstunfähigkeit vorzeitig in den Ruhestand versetzt. Deshalb konnten die von ihm geleisteten Vorgriffsstunden nicht mehr - wie im Erlass vorgesehen - in den Jahren vor Erreichen der Regelaltersgrenze zeitlich ausgeglichen werden. Einen Ausgleich in Geld schloss der Erlass aus.
Der Beklagte lehnte den Antrag des Klägers ab, ihm für die nicht zeitlich ausgeglichenen Vorgriffsstunden einen finanziellen Ausgleich zu gewähren. Der dagegen gerichtete Widerspruch des Klägers blieb erfolglos.
Auf die daraufhin erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 8. August 2012 die angefochtenen Bescheide aufgehoben und festgestellt, dass der Kläger durch die Weigerung des Beklagten, ihm einen finanziellen Ausgleich für nicht zeitlich ausgeglichene Vorgriffsstunden zu gewähren, in seinen Rechten verletzt wird. Im Übrigen - soweit der Kläger für die Zeit vom 1. August 1999 bis zum 31. Juli 2007 einen finanziellen Ausgleich begehrt hat - hat es die Klage als unbegründet abgewiesen.
Auf die Berufung ausschließlich des Beklagten hat das Oberverwaltungsgericht das erstinstanzliche Urteil geändert und die Klage insgesamt abgewiesen. Eine Rechtsverletzung des Klägers liege nicht vor. Die Vorgriffsstundenregelung betreffe lediglich den Teil der Arbeitszeit, den die Lehrkräfte durch Unterricht zu erfüllen haben und lasse die in der Arbeitszeitverordnung geregelte durchschnittliche Wochenarbeitszeit der Beamten unberührt.
Mit der vom Senat zugelassenen Revision beantragt der Kläger,
das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts vom 25. März 2013 aufzuheben und die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts vom 8. August 2012 zurückzuweisen, mit der Maßgabe festzustellen, dass der Kläger durch die Weigerung des Beklagten in seinen Rechten verletzt wird, für die infolge seiner Versetzung in den vorzeitigen Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit nicht mehr im Wege des zeitlichen Ausgleichs kompensierbaren Vorgriffsstunden eine Regelung über einen angemessenen Ausgleich zu schaffen.
Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Revision des Klägers hat Erfolg. Das angefochtene Urteil des Oberverwaltungsgerichts beruht auf der Verletzung von Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO) und die Entscheidung stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 144 Abs. 4 VwGO).
Das Oberverwaltungsgericht hat zu Unrecht einen Anspruch des Klägers auf Schaffung einer angemessenen Ausgleichsregelung für geleistete, aber zeitlich nicht mehr ausgleichbare Vorgriffsstunden verneint.
1. Die Feststellungsklage ist zulässig. Mit ihr kann der wegen dauernder Dienstunfähigkeit vorzeitig in den Ruhestand versetzte Kläger die Feststellung begehren, die Weigerung des Beklagten, eine Regelung über den angemessenen Ausgleich für die nicht mehr zeitlich gesondert kompensierbaren Vorgriffsstunden zu erlassen, verletze ihn in seinen Rechten. Das einer Klärung zugängliche Rechtsverhältnis im Sinne von § 43 Abs. 1 VwGO ist die zwischen den Beteiligten streitige Frage, ob der Kläger einen Anspruch auf Ausgleich für geleistete, aber zeitlich nicht mehr erlassgerecht ausgleichbare Vorgriffsstunden hat und ob der Beklagte dadurch, dass er einen solchen Ausgleich ablehnt, Rechte des Klägers aus Art. 3 Abs. 1 GG verletzt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 17. Januar 2006 - 1 BvR 541, 542/02 - BVerfGE 115, 81 <95 f.>).
Dem auf Feststellung eines Anspruchs auf Normerlass gerichteten Klageantrag steht auch der Gedanke der Subsidiarität (§ 43 Abs. 2 Satz 1 VwGO) nicht entgegen. Feststellungsklagen gegenüber Leistungsklagen gegen den Staat sind nur dann subsidiär, wenn andernfalls die Sonderregelungen über Fristen und Vorverfahren für Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen unterlaufen würden (stRspr, vgl. u.a. BVerwG, Urteile vom 2. Juli 1976 - 7 C 71.75 - BVerwGE 51, 69 <75>, vom 25. Januar 2001 - 2 A 4.00 - Buchholz 232 § 26 BBG Nr. 39 S. 2 und vom 4. Juli 2002 - 2 C 13.01 - Buchholz 240 § 49 BBesG Nr. 2 S. 3). Dies ist hier nicht der Fall.
Wegen der fehlenden normierten Rechtsgrundlage muss sich der Kläger deshalb nicht auf den unsicheren Weg des Verpflichtungsbegehrens verweisen lassen. Denn Normerlass und Zahlung sind jeweils unterschiedliche Rechtsschutzbegehren.
Schließlich ist - entgegen der Auffassung des Beklagten - auch ein der Klärung zugängliches konkretes Rechtsverhältnis des Klägers zu dem materiell-rechtlich verpflichteten Land gegeben. Die Klage richtet sich zwar gegen das Ministerium. Dies trägt dem Umstand Rechnung, dass das Land Schleswig-Holstein gemäß der ihm in § 61 Nr. 3, § 78 Abs. 1 Nr. 2 VwGO eingeräumten Befugnis in § 6 des Ausführungsgesetzes zur Verwaltungsgerichtsordnung vom 6. März 1990 (GVOBI. Schl.-H. S. 226, ber. S. 347) bestimmt hat, dass die Klage gegen die Landesbehörde zu richten ist, die den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen oder den beantragten Verwaltungsakt unterlassen hat. Diese Regelung bewirkt, dass die Landesbehörde in passiver Prozessstandschaft für die Körperschaft handelt. Hat ein Land von der Ermächtigung in § 78 Abs. 1 Nr. 2 VwGO Gebrauch gemacht, kann die Klage nicht gegen den Rechtsträger erhoben werden, obgleich dieser allein Verpflichteter des materiell-rechtlichen Anspruchs ist und daher durch das Urteil ausschließlich der Rechtsträger, nicht aber die beklagte Behörde selbst verpflichtet wird (vgl. BVerwG, Urteil vom 25. August 1988 - 2 C 62.85 - BVerwGE 80, 127 <128>; Brenner in: Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Aufl. 2014, § 78 Rn. 28).
2. Die Revision ist begründet. Der Kläger hat einen Anspruch auf Schaffung einer angemessenen Ausgleichsregelung für die von ihm geleisteten, aber zeitlich nicht mehr ausgeglichenen Vorgriffsstunden. Das Land ist verpflichtet, infolge von dauernder Dienstunfähigkeit vorzeitig in den Ruhestand versetzten Lehrern einen angemessenen Ausgleich für erbrachte, aber nicht mehr ausgeglichene Vorgriffsstunden zu gewähren, um eine gleichheitswidrige Benachteiligung gegenüber den Vergleichsgruppen der Lehrer, die keine Vorgriffsstunden geleistet haben und der Lehrer, die einen vollständigen Zeitausgleich für erbrachte Vorgriffsstunden erhalten haben, zu vermeiden. Daher verletzt das Berufungsurteil Bundesverfassungsrecht, nämlich Art. 3 Abs. 1 GG.
Der allgemeine Gleichheitssatz gemäß Art. 3 Abs. 1 GG gebietet, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln. Es bleibt dem Normgeber überlassen, aufgrund autonomer Wertungen die Differenzierungsmerkmale auszuwählen, an die er eine Gleich- oder Ungleichbehandlung anknüpft. Die Ungleichbehandlung von Sachverhalten ist erst dann geboten, wenn eine am Gerechtigkeitsgedanken orientierte Betrachtungsweise ergibt, dass die Ungleichheiten so bedeutsam sind, dass ihnen Rechnung getragen werden muss. Dies setzt voraus, dass sich im Hinblick auf die Eigenart des in Rede stehenden Sachbereichs ein vernünftiger, einleuchtender Grund für die Gleichbehandlung nicht finden lässt (BVerwG, Urteil vom 27. März 2014 - 2 C 50.11 - BVerwGE 149, 244 Rn. 13).
Die vorliegend aufgrund des Pflichtstundenerlasses aus dem Jahr 1999 zu beurteilenden Sachverhalte betreffen den bis zum Ende des Schuljahres 2013/2014 reichenden Übergangszeitraum, bis zu dem die Rechtsprechung die Regelung von Pflichtstunden für Lehrer durch Verwaltungsvorschrift unbeanstandet gelassen hat. Seither sind Pflichtstundenzahlen durch Rechtsverordnung auf gesetzlicher Grundlage festzulegen (BVerwG, Urteil vom 30. August 2012 - 2 C 23.10 - BVerwGE 144, 93 Rn. 15 f.).
Nach dem Pflichtstundenerlass dient die Regelung der Vorgriffsstunden der Deckung eines vorübergehenden Personalmehrbedarfs. In der Rechtsprechung des Senats ist geklärt, dass Vorgriffsstunden wegen des späteren zeitlichen Ausgleichs die Regelarbeitszeit für Lehrer nicht erhöhen. Die vorübergehende Erhöhung der wöchentlichen Pflichtstundenzahl und deren späterer zeitlicher Ausgleich durch die Ermäßigung der Arbeitszeit nach Wegfall des Mehrbedarfs stehen in einem untrennbaren Zusammenhang. Durch die Einführung von Vorgriffsstunden wird die insgesamt gleich bleibende Arbeitszeit langfristig ungleichmäßig verteilt (BVerwG, Urteil vom 28. November 2002 - 2 CN 1.01 - BVerwGE 117, 219 <222 f.>).
Der Beklagte hat bewusst einen Ausgleichsmechanismus durch die konkrete Verknüpfung zwischen Vorgriffsstunden und Ausgleichsstunden geschaffen. Zwischen der Vorleistung und dem späteren Ausgleich besteht ein untrennbarer Zusammenhang. Nach der Verwaltungsvorschrift soll nur derjenige Beamte in den Genuss des Ausgleichs kommen, der zuvor entsprechende Vorleistungen erbracht hat. Die Verpflichtung, Vorgriffsstunden zu leisten, unterliegt einer Altersbegrenzung, die den Zweck hat, die Möglichkeit eines späteren zeitlichen Ausgleichs der geleisteten Vorarbeit sicherzustellen. Im Übrigen sieht die Verwaltungsvorschrift vor, dass der zeitliche Ausgleich nur in dem Umfang erfolgen soll, in dem zuvor Vorgriffsstunden erteilt wurden. Dieser Gedanke kommt in § 8 Abs. 3 zum Ausdruck, der nur einen zeitanteiligen Ausgleich vorgeleisteter Stunden vorsieht. Der Ausgleichsmechanismus funktioniert, wenn der Lehrer die Regelaltersgrenze erreicht. Auch den Fall des Antragsruhestandes etwa bei Altersteilzeit im Blockmodell löst der Mechanismus mit der Verblockung des zeitlichen Ausgleichs der Vorgriffsstunden sachgerecht.
Gestört wird der besondere, auf Kompensation ausgerichtete Mechanismus indes, wenn der Ersatz erbrachter Vorgriffsstunden durch Ausgleichsstunden ganz oder teilweise nicht mehr möglich ist, weil die Dienstleistungspflicht des Lehrers ohne vorherigen Ausgleich endet. Dazu kommt es bei der dauernden Dienstunfähigkeit des Lehrers. In diesen Fällen werden die betroffenen Lehrer sowohl gegenüber der Vergleichsgruppe der Lehrer, die keine Vorgriffsstunden geleistet haben, als auch gegenüber denjenigen, die einen vollständigen Zeitausgleich für erbrachte Vorgriffsstunden erhalten haben, ungleich behandelt. Für diese Ungleichbehandlung gibt es keinen sachlichen Grund. Der Dienstherr muss sich an der von ihm gewählten Konstruktion festhalten lassen. Das gilt insbesondere dann, wenn dieser Ausgleichsmechanismus aus Gründen scheitert, die der betroffene Beamte nicht zu vertreten hat, hier die vorzeitige Zurruhesetzung infolge dauernder Dienstunfähigkeit. Andernfalls käme es bei dieser Gruppe von Lehrern faktisch zu einer Erhöhung der Pflichtstundenzahl und damit der durchschnittlichen Wochenarbeitszeit. Nach der Rechtsprechung des Senats besteht ein Ausgleichsanspruch, den der Beamte durch "Vorarbeit" erdient hat, wenn die Inanspruchnahme der Gegenleistung - hier: der spätere zeitliche Ausgleich - nachträglich unmöglich geworden ist (vgl. zur Altersteilzeit im Blockmodell BVerwG, Urteil vom 16. Oktober 2008 - 2 C 15.07 - Buchholz 237.7 § 78b NWLBG Nr. 2 Rn. 20 sowie zuletzt Beschluss vom 23. April 2015 - 2 B 69.14 - juris Rn. 9, 13).
Daraus folgt die Verpflichtung des Dienstherrn, für Lehrer, die den zeitlichen Ausgleich in dem dafür vorgesehenen Zeitraum aus von ihnen nicht zu vertretendem Grund nicht in Anspruch nehmen können, einen angemessenen anderen Ausgleich vorzusehen (BVerwG, Urteil vom 28. November 2002 - 2 CN 1.01 - BVerwGE 117, 219 <227>). Bei derartigen Störungen eines besonderen, vom Dienstherrn gewählten Ausgleichsmechanismus kann aus Art. 3 Abs. 1 GG indes nicht ohne Weiteres ein Anspruch auf Ausgleich durch finanzielle Entschädigung hergeleitet werden. Vielmehr obliegt dem Dienstherrn zu entscheiden, welche angemessene Ausgleichsmaßnahme an die Stelle des nicht (vollständig) möglichen zeitlichen Ausgleichs in dem dafür vorgesehenen Zeitraum treten soll (BVerwG, Beschluss vom 15. September 2011 - 2 B 33.11 - juris Rn. 7).
In welcher Form der Rechtsverletzung abgeholfen wird, steht in der Entscheidungsfreiheit des Beklagten. Auf Grundlage der Rechtsprechung des Senats kommt etwa der Erlass einer Verordnung und eine (Rechtsfolgen-)Verweisung auf die Landesverordnung über die Gewährung von Mehrarbeitsvergütung für schleswig-holsteinische Beamtinnen und Beamte (Mehrarbeitsvergütungsverordnung) vom 8. Juni 2010 (GVOBI. Sch.-H. 2010, 483) in Betracht. Auf die Besoldung als Ausgleichssurrogat kann nicht zurückgegriffen werden, da die Besoldung kein Entgelt im Sinne einer Entlohnung für konkrete Dienste darstellt, sondern vielmehr die Gegenleistung des Dienstherrn dafür ist, dass sich der Beamte mit voller Hingabe der Erfüllung seiner Dienstpflichten widmet. Sie ist nicht auf den Ausgleich oder die Entlohnung von Arbeitsstunden, sondern auf die Sicherstellung einer amtsangemessenen Lebensführung gerichtet (vgl. BVerwG, Urteil vom 26. Juli 2012 - 2 C 29.11 - BVerwGE 143, 381 Rn. 39 m.w.N.).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.