Bundesverwaltungsgericht

Entscheidungsdatum: 24.06.2010


BVerwG 24.06.2010 - 2 C 14/09

Rückforderung von Versorgungsbezügen für die Zeit nach dem Tod des Berechtigten; im Soll befindliches Konto; anderweitige Verfügung


Gericht:
Bundesverwaltungsgericht
Spruchkörper:
2. Senat
Entscheidungsdatum:
24.06.2010
Aktenzeichen:
2 C 14/09
Dokumenttyp:
Urteil
Vorinstanz:
vorgehend Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, 7. Januar 2009, Az: 4 S 283/06, Urteilvorgehend VG Karlsruhe, 16. November 2005, Az: 3 K 262/05, Urteil
Zitierte Gesetze

Leitsätze

Sind Versorgungsbezüge für die Zeit nach dem Tod des Berechtigten auf ein Konto überwiesen worden, so ist das Geldinstitut bei einem durchgängig im Soll befindlichen Konto nicht zur Rücküberweisung verpflichtet, soweit über den entsprechenden Betrag anderweitig verfügt wurde.

Tatbestand

1

Die am 29. Januar 2004 verstorbene Mutter des Beigeladenen bezog vom Kläger Versorgungsbezüge als Witwe eines Beamten. Am Todestag befand sich ihr bei der Beklagten geführtes Konto im Soll (mit 2 685,25 €). Am 30. Januar 2004 um 10.16 Uhr wurden diesem Konto die Versorgungsbezüge für Februar 2004 in Höhe von 993,75 € gutgeschrieben. Um 11.02 Uhr wurde eine vom Beigeladenen veranlasste Überweisung in Höhe von 1 924,82 € vollzogen. Mit Schreiben vom 12. März 2004 widerrief der Kläger gegenüber der Beklagten die Überweisung der Februarbezüge und forderte 993,75 € von der Beklagten zurück. Das Konto befand sich zum damaligen Zeitpunkt in Höhe von 2 707,39 € im Soll. Das seit dem 29. Januar 2004 stets überzogene Konto wurde am 19. März 2004 über das Konto des Beigeladenen ausgeglichen und dann aufgelöst. Durch eine interne Verrechnung führte der Kläger einen Teilbetrag der überwiesenen Versorgungsbezüge in Höhe von 581,27 € zurück.

2

Das Verwaltungsgericht hat der Klage auf Zahlung des noch verbliebenen Betrages von 412,48 € nebst Zinsen stattgegeben. Das Berufungsgericht hat die Klage dagegen abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, über die Versorgungsbezüge sei noch vor deren Rückforderung anderweitig verfügt worden. Der Einwand der anderweitigen Verfügung greife auch bei einem durchgängig im Soll befindlichen Konto.

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Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts. Er beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 7. Januar 2009 aufzuheben und die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 16. November 2005 zurückzuweisen.

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Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

5

Der Beigeladene stellt keinen Antrag.

Entscheidungsgründe

6

Die Revision, über die trotz Ausbleibens des Klägers und des Beigeladenen verhandelt und entschieden werden konnte (§ 102 Abs. 2 VwGO), ist unbegründet. Das Berufungsgericht hat ohne Verletzung von Bundesrecht angenommen, dass der Kläger keinen Anspruch auf Rücküberweisung der für die Zeit nach dem Tod der Mutter des Beigeladenen überwiesenen Versorgungsbezüge in Höhe des noch offenen Betrages von 412,48 € hat.

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Für den geltend gemachten Anspruch ist § 52 Abs. 4 BeamtVG in der Fassung der Bekanntmachung vom 24. Februar 2010 (BGBl I S. 150) i.V.m. § 118 Abs. 3 Sozialgesetzbuch (SGB) Sechstes Buch (VI) in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 19. Dezember 2007 (BGBl I S. 3024) maßgeblich.

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Änderungen der Rechtslage im Revisionsverfahren, die sich nach Erlass des Berufungsurteils ergeben haben, sind für die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts beachtlich, wenn das Berufungsgericht, entschiede es nunmehr anstelle des Bundesverwaltungsgerichts, die Rechtsänderung zu beachten hätte (Urteile vom 1. November 2005 - BVerwG 1 C 21.04 - BVerwGE 124, 276 <279 f.> und vom 23. Oktober 2007 - BVerwG 1 C 10.07 - BVerwGE 129, 367 <380>). Müsste das Berufungsgericht nunmehr entscheiden, hätte es seinem Urteil die jetzt geltende Fassung des § 52 Abs. 4 BeamtVG zugrunde zu legen. Hiergegen bestehen im Hinblick auf das rechtsstaatliche Rückwirkungsverbot keine Bedenken. § 118 Abs. 3 SGB VI ist mit der bisher geltenden Fassung des § 52 Abs. 4 BeamtVG nahezu wortgleich. Diese war dem § 118 Abs. 3 SGB VI nachgebildet (BTDrucks 14/7064, S. 39). Die jetzige dynamische Verweisung auf die rentenrechtlichen Regelungen zur Sicherstellung des Rückforderungsanspruchs dient lediglich der gesetzestechnischen Vereinfachung (Entwurf eines Dienstrechtsneuordnungsgesetzes, BTDrucks 16/7076 S. 160 zu Nr. 33).

9

Nach diesen Vorschriften gelten Geldleistungen, die für die Zeit nach dem Tod des Berechtigten auf ein Konto bei einem Geldinstitut im Inland überwiesen werden, als unter Vorbehalt erbracht. Das Geldinstitut hat sie der überweisenden Stelle zurückzuüberweisen, wenn diese sie als zu Unrecht erbracht zurückfordert (§ 52 Abs. 4 BeamtVG i.V.m. § 118 Abs. 3 Satz 1 und 2 SGB VI).

10

Da die Versorgungsbezüge für den Monat Februar 2004 tatsächlich für die Zeit nach dem Tod der Mutter des Beigeladenen auf das bei der Beklagten geführte Konto überwiesen wurden, gelten sie als unter Vorbehalt erbracht. Der Kläger hat sie auch mit Schreiben vom 12. März 2004 von der Beklagten als zu Unrecht erbracht zurückgefordert.

11

Nach § 52 Abs. 4 BeamtVG i.V.m. § 118 Abs. 3 Satz 3 SGB VI besteht jedoch keine Verpflichtung zur Rücküberweisung, soweit über den entsprechenden Betrag bei Eingang der Rückforderung bereits anderweitig verfügt wurde, es sei denn, dass die Rücküberweisung aus einem Guthaben erfolgen kann. Das Geldinstitut darf den überwiesenen Betrag nicht zur Befriedigung eigener Forderungen verwenden (Satz 4).

12

Danach ist die Beklagte nicht zur Rücküberweisung verpflichtet, weil über den entsprechenden Betrag bei Eingang der Rückforderung am 12. März 2004 bereits anderweitig verfügt worden war. Der Beigeladene hatte nach dem Eingang der Versorgungsbezüge am 30. Januar 2004 vom Girokonto seiner Mutter eine Überweisung veranlasst, deren Wert die Versorgungsbezüge überstieg. Die Rückausnahme des § 52 Abs. 4 BeamtVG i.V.m. § 118 Abs. 3 Satz 3 letzter Halbs. SGB VI ist nicht gegeben. Denn das Konto der Mutter des Beigeladenen wies nach den tatsächlichen Feststellungen im Berufungsurteil bei Eingang der Rückforderung kein Guthaben auf.

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Der Kläger kann sich zur Begründung seines Rückforderungsanspruchs auch nicht auf § 52 Abs. 4 BeamtVG i.V.m. § 118 Abs. 3 Satz 4 SGB VI berufen, wonach das Geldinstitut den überwiesenen Betrag nicht zur Befriedigung eigener Forderungen verwenden darf. Ein solcher Vermögenszuwachs seitens des Geldinstituts ist bei der Abbuchung von Kontoführungsgebühren, Zinsen oder anderen Kosten des Geldinstituts oder einer solchen zugunsten eines vom selben Geldinstitut geführten Darlehnskontos des Kontoinhabers gegeben (vgl. BSG, Urteil vom 3. Juni 2009 - B 5 R 65/07 R - juris Rn. 19), nicht aber bei der bloßen Durchführung einer Überweisung auf ein bei einem anderen Geldinstitut geführtes Konto.

14

Dem Umstand, dass das Girokonto der Mutter des Beigeladenen im Zeitraum von der Gutschrift der Versorgungsbezüge bis zum Eingang des Rückforderungsverlangens des Klägers und auch darüber hinaus bis zu seiner Auflösung im Soll stand, kommt keine Bedeutung zu.

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Dies folgt bereits aus dem Wortlaut des § 52 Abs. 4 BeamtVG i.V.m. § 118 Abs. 3 Satz 3 letzter Halbs. SGB VI ("...es sei denn, dass die Rücküberweisung aus einem Guthaben erfolgen kann."). Hieraus ergibt sich im Umkehrschluss, dass der Gesetzgeber auch die Möglichkeit eines Soll-Stands des Kontos bedacht hat. Andernfalls hätten anderweitige Verfügungen nur in denjenigen Fällen Bedeutung, in denen sie ein nach der Gutschrift auf dem Konto vorhandenes Guthaben aufzehren oder jedenfalls unter den Versorgungsbetrag absenken (vgl. BSG, Urteil vom 3. Juni 2009 a.a.O. juris Rn. 15 m.w.N.).

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Auch der Zweck der Norm spricht gegen die Annahme, bei einem Minus-Konto befreie eine anderweitige Verfügung über den entsprechenden Betrag das Geldinstitut nicht von der Verpflichtung zur Rücküberweisung. Denn für diesen Zweck ist der Stand des betreffenden Kontos nicht von Bedeutung.

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Das Geldinstitut wird im Interesse einer möglichst einfachen Rückabwicklung der zu Unrecht ausbezahlten Versorgungsbezüge vorrangig herangezogen, weil und solange es über diesen Geldbetrag verfügen kann. Bis zur Nachricht vom Tod des Kontoinhabers weiß das Geldinstitut nichts vom gesetzlich fingierten Vorbehalt des § 52 Abs. 4 BeamtVG i.V.m. § 118 Abs. 3 Satz 1 SGB VI, der sämtliche Verfügungen über die überwiesenen Versorgungsbezüge - mit Ausnahme der Rücküberweisung an die überweisende Stelle - rechtswidrig macht. Kennt das Institut den Vorbehalt nicht, so muss es entsprechend dem bestehenden Vertrag handeln. Es ist verpflichtet, Geldein- und -ausgänge zu buchen. Diese Unkenntnis des Geldinstituts ist der Grund dafür, dass die im Widerspruch zum Vorbehalt stehenden Verfügungen es von der Pflicht zur Rücküberweisung befreien. Der Kontovertrag schließt regelmäßig, wie im Falle der Mutter des Beigeladenen, eine vorübergehende Überziehung des Kontos infolge von Überweisungen ein. Führt das Geldinstitut bis zur Kenntniserlangung vom Tod des Inhabers vertragsgemäß Verfügungen aus, durch die es die Zugriffsmöglichkeit auf die zu Unrecht gezahlten Versorgungsbezüge verliert (Barauszahlung oder Weiterleitung an einen anderen), entfällt der Grund für seine Heranziehung (vgl. BSG, Urteil vom 3. Juni 2009 a.a.O. juris Rn. 16). Für den Verlust der Verfügungsgewalt, der die Grundlage für die Inanspruchnahme des Geldinstituts entfallen lässt, ist es ohne Belang, ob das Konto einen positiven oder negativen Stand aufweist.

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Würde dem Geldinstitut wegen eines Soll-Standes des Girokontos die Berufung auf eine "anderweitige Verfügung" über den entsprechenden Betrag verweigert, so führte dies zu einer verschuldensunabhängigen Haftung des Geldinstituts, obwohl dieses lediglich als Dienstleistungsunternehmen in Anspruch genommen werden soll ("zurückzuüberweisen"). Zudem ist für die Risikoverteilung zu berücksichtigen, dass die überweisende Stelle zu Unrecht Versorgungsbezüge für den Monat nach dem Tod der Berechtigten gezahlt hat. Das Verlustrisiko darf nicht auf das Geldinstitut abgewälzt werden, wenn es sich in Unkenntnis vom Tod der Berechtigten an die Vorgaben des Kontovertrages gehalten und lediglich Überweisungen auf ein bei einem anderen Geldinstitut geführtes Konto abgewickelt hat.

19

Der Ausschluss des Einwands der anderweitigen Verfügung im Falle des Soll-Standes eines Kontos widerspräche damit dem typisierten Interessenausgleich, der § 52 Abs. 4 BeamtVG i.V.m. § 118 Abs. 3 Satz 3 SGB VI zugrunde liegt und zu Gunsten des Geldinstituts wirkt. Das Geldinstitut soll aus einer ungerechtfertigten Überweisung keinen offensichtlichen wirtschaftlichen Vorteil ziehen und den Betrag, sofern es noch darüber verfügen kann, zurücküberweisen. Das Geldinstitut soll aber auch nicht Gefahr laufen, wirtschaftliche Nachteile zu erleiden, wenn es bis zum Eingang der Rückforderung entsprechend dem Kontoführungsvertrag noch die Verfügungen berechtigter Personen bis zur Höhe der eingegangenen Geldleistung ausführt und damit den Zugriff auf diese Leistung verliert (vgl. BSG, Urteil vom 9. Dezember 1998 - B 9 V 48/97 R - BSGE 83, 176 <180>; Beschluss vom 22. April 2008 - B 5a R 120/07 R - juris Rn. 31).

20

Einer Vorlage an den Gemeinsamen Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes bedarf es nicht, weil keine Abweichung i.S.v. § 2 Abs. 1 RsprEinhG vorliegt. Die nunmehr für Streitigkeiten aus dem Bereich der gesetzlichen Rentenversicherung zuständigen Senate des Bundessozialgerichts gehen ebenfalls davon aus, dass auch bei einem im Soll befindlichen Konto eine einer Saldierung nachfolgende anderweitige Verfügung über den entsprechenden Betrag den Rücküberweisungsanspruch der leistenden Stelle nach § 118 Abs. 3 Satz 3 SGB VI ausschließt (BSG, Urteil vom 3. Juni 2009 - B 5 R 120/07 R - BSGE 103, 206 und Beschluss vom 13. November 2008 - B 13 R 27/08 S -).