Entscheidungsdatum: 04.10.2017
Der Beschluss des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts vom 31. Januar 2017 verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 3 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 19 Absatz 4 Satz 1 des Grundgesetzes.
Der Beschluss wird aufgehoben und die Sache an das Schleswig-Holsteinische Verwaltungsgericht zurückverwiesen.
Das Land Schleswig-Holstein hat dem Beschwerdeführer seine notwendigen Auslagen im Verfassungsbeschwerdeverfahren zu erstatten.
Der Wert der anwaltlichen Tätigkeit wird auf 10.000 Euro (in Worten: zehntausend Euro) festgesetzt.
Das Verfahren betrifft die Ablehnung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe für eine Aufstockungsklage eines syrischen Asylbewerbers durch das Schleswig-Hollsteinische Verwaltungsgericht.
1. Der am 1. Februar 1976 geborene Beschwerdeführer ist syrischer Staatsangehöriger, tscherkessischer Volks- und sunnitischer Religionszugehörigkeit. Er reiste am 17. September 2015 in die Bundesrepublik ein und stellte hier am 12. April 2016 einen Asylantrag, den er auf die Zuerkennung des internationalen Schutzes beschränkte. An demselben Tag fand auch die persönliche Anhörung statt.
Das Bundesamt erkannte mit Bescheid vom 24. Juni 2016 den subsidiären Schutzstatus zu und lehnte den Antrag im Übrigen ab. Der Beschwerdeführer sei unverfolgt ausgereist, Gründe für die generelle Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft für unverfolgt ausgereiste Syrer lägen nicht vor.
2. Der Beschwerdeführer erhob unter dem 12. Juli 2016 Klage, gerichtet auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, und beantragte die Bewilligung von Prozesskostenhilfe. Er begründete die Klage mit Schreiben vom 12. August 2016 unter umfangreicher Auseinandersetzung mit der Auskunftslage, der Praxis des Bundesamts und der Rechtsprechung zahlreicher Verwaltungsgerichte. Das Auswärtige Amt sei nicht mehr in der Lage gewesen, regelmäßige Lageberichte zu erstellen, Anhaltspunkte für eine Verbesserung der Menschenrechtslage in Syrien bestünden jedenfalls nicht.
Am 22. November 2016 gab die zuständige Kammer des Verwaltungsgerichts einer auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gerichteten Klage eines unverfolgt ausgereisten Syrers mit Gerichtsbescheid statt.
Mit Beschluss vom 31. Januar 2017 - zugegangen am 2. Februar 2017 - lehnte das Verwaltungsgericht die Bewilligung von Prozesskostenhilfe ab. Der 3. Senat des Oberverwaltungsgerichts Schleswig-Holstein habe die generelle Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft mit Urteil vom 23. November 2016 abgelehnt; dem schließe sich die Kammer an.
3. Das Verwaltungsgericht wies die Klage mit Gerichtsbescheid vom 9. Februar 2017 ab; der Beschwerdeführer beantragte am 27. Februar 2017 die Durchführung einer mündlichen Verhandlung.
4. Der Beschwerdeführer hat am 2. März 2017 Verfassungsbeschwerde gegen den PKH-Beschluss vom 31. Januar 2017 erhoben, mit der er eine Verletzung der Rechtsschutzgleichheit rügt. Maßgeblicher Zeitpunkt der hinreichenden Erfolgsaussichten sei jener der Bewilligungsreife über den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe. Zu diesem Zeitpunkt habe die entscheidende Kammer jedoch selbst noch entsprechenden Klagen stattgegeben, so dass hinreichende Erfolgsaussichten nicht hätten verneint werden dürfen. Im Übrigen handele es sich weiterhin um eine ungeklärte Frage, da die überwiegende erstinstanzliche Rechtsprechung die Flüchtlingseigenschaft nach wie vor zuerkenne. Allein die Klärung durch das Oberverwaltungsgericht Schleswig-Holstein reiche nicht aus.
5. Die Akten des Ausgangsverfahrens haben dem Bundesverfassungsgericht vorgelegen. Das Ministerium für Justiz, Europa, Verbraucherschutz und Gleichstellung hatte für das Land Schleswig-Holstein Gelegenheit zur Äußerung.
Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist zur Durchsetzung des Grundrechts des Beschwerdeführers aus Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG angezeigt. Die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen hat das Bundesverfassungsgericht bereits geklärt (vgl. BVerfGE 81, 347 <356 f.>). Die zulässige Verfassungsbeschwerde ist in einer die Entscheidungskompetenz der Kammer eröffnenden Weise offensichtlich begründet. Der Beschluss des Verwaltungsgerichts verletzt den Beschwerdeführer in der durch Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG grundrechtlich geschützten Rechtsschutzgleichheit.
1. Das Recht auf effektiven und gleichen Rechtsschutz, das für die öffentlich-rechtliche Gerichtsbarkeit aus Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG abgeleitet wird, gebietet eine weitgehende Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes (vgl. BVerfGE 78, 104 <117 f.>; 81, 347 <357> m.w.N.). Es ist dabei verfassungsrechtlich grundsätzlich unbedenklich, die Gewährung von Prozesskostenhilfe davon abhängig zu machen, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg hat und nicht mutwillig erscheint.
Die Auslegung und Anwendung des § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO (hier in Verbindung mit § 166 VwGO) wie auch des jeweils anzuwendenden einfachen Rechts obliegt in erster Linie den zuständigen Fachgerichten, die dabei den - verfassungsrechtlich gebotenen - Zweck der Prozesskostenhilfe zu beachten haben. Das Bundesverfassungsgericht kann nur eingreifen, wenn Verfassungsrecht verletzt ist, insbesondere wenn die angegriffene Entscheidung Fehler erkennen lässt, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung der durch das Grundgesetz verbürgten Rechtsschutzgleichheit beruhen.
Die Fachgerichte überschreiten ihren Entscheidungsspielraum, wenn sie die Anforderungen an das Vorliegen einer Erfolgsaussicht überspannen und dadurch den Zweck der Prozesskostenhilfe, dem Unbemittelten den weitgehend gleichen Zugang zu Gericht zu ermöglichen, deutlich verfehlen (vgl. BVerfGE 81, 347 <357 f.>). Die Prüfung der Erfolgsaussicht soll nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung selbst in das Nebenverfahren der Prozesskostenhilfe vorzuverlagern und dieses an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen (vgl. BVerfGE 81, 347 <357>; ausführlich Bergner/Pernice, in: Emmenegger/Wiedmann, Linien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Band 2, 241 <258 ff.>). Prozesskostenhilfe ist allerdings nicht bereits zu gewähren, wenn die entscheidungserhebliche Frage zwar noch nicht höchstrichterlich geklärt ist, ihre Beantwortung aber im Hinblick auf die einschlägige gesetzliche Regelung oder die durch die bereits vorliegende Rechtsprechung gewährten Auslegungshilfen nicht in dem genannten Sinne als "schwierig" erscheint. Ein Fachgericht, das § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO dahin auslegt, dass auch schwierige, noch nicht geklärte Rechtsfragen im Prozesskostenhilfeverfahren "durchentschieden" werden können, verkennt jedoch die Bedeutung der verfassungsrechtlich gewährleisteten Rechtsschutzgleichheit (vgl. BVerfGE 81, 347 <359>). Denn dadurch würde dem unbemittelten Beteiligten im Gegensatz zu dem bemittelten die Möglichkeit genommen, seinen Rechtsstandpunkt im Hauptsacheverfahren darzustellen und von dort aus in die höhere Instanz zu bringen (vgl. BVerfGK 2, 279 <282>; 8, 213 <217>).
Aus diesem verfassungsrechtlichen Ausgangspunkt der Rechtsschutzgleichheit folgt, dass Änderungen in der Beurteilung der Erfolgsaussichten, die nach der Bewilligungsreife des Prozesskostenhilfeantrags eintreten, grundsätzlich nicht mehr zu Lasten des Rechtsschutzsuchenden zu berücksichtigen sind (vgl. in jeweils unterschiedlichen Konstellationen BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 26. Juni 2003 - 1 BvR 1152/02 -, NJW 2003, S. 3190 <3191>; Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 13. Juli 2005 - 1 BvR 175/05 -, NJW 2005, S. 3489; BVerfGK 8, 213 <216 ff.>; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 8. Juli 2016 - 2 BvR 2231/13 -, NJW-RR 2016, S. 1264 <1266>; Linke, NVwZ 2003, S. 421 <423 ff.>). Denn der vernünftig abwägende Rechtsschutzsuchende kann die Entscheidung über die Klageerhebung - jedenfalls in einem Rechtsgebiet wie dem Asylrecht, in dem ein isolierter Prozesskostenhilfeantrag vielfach als unzulässig angesehen wird (vgl. kritisch und mit weiteren Nachweisen Neumann, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Aufl. 2014, § 166 Rn. 29) - nur innerhalb des Laufs der Rechtsbehelfsfristen treffen. Diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen entspricht zwischenzeitlich auch die Rechtsprechung der Oberverwaltungsgerichte, wobei es verfassungsrechtlich unerheblich ist, ob für die Beurteilung der hinreichenden Erfolgsaussichten generell auf den Zeitpunkt der Bewilligungsreife des Prozesskostenhilfeantrags abgestellt wird (vgl. BayVGH, Beschluss vom 7. April 2017 - 7 ZB 16.498 -, juris, Rn. 1; OVG Lüneburg, Beschluss vom 29. Juni 2012 - 12 PA 69/12 -, juris, Rn. 2) oder jedenfalls dem entscheidenden Gericht zuzurechnende Verzögerungen bei der Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag nicht zu Lasten des Rechtsschutzsuchenden berücksichtigt werden (vgl. OVG NRW, Beschluss vom 9. März 2012 - 18 E 1326/11 -, juris, Rn. 19; OVG Bremen, Beschluss vom 2. September 2014 - 2 PA 93/14 -, juris, Rn. 3; jeweils zu der Frage des zwischenzeitlich rechtskräftigen Abschlusses des Hauptsacheverfahrens; a.A. und auf den Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abstellend noch OVG Lüneburg, Beschluss vom 27. Juli 2004 - 2 PA 1176/04 -, DÖV 2005, S. 34).
2. Diesen Maßstäben wird die angegriffene Entscheidung nicht gerecht. Im Zeitpunkt der Klageerhebung im Juli 2016 war die einfach-rechtliche Ausgangslage jedenfalls offen, die oberverwaltungsgerichtlichen Entscheidungen gaben entsprechenden Klagen wohl überwiegend statt (Hessischer VGH, Beschluss vom 27. Januar 2014 - 3 A 917/13.Z.A. -; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 29. Oktober 2013 - A 11 S 2046/13 -). Dies entsprach auch der Entscheidungspraxis der mit der Sache befassten Kammer des Verwaltungsgerichts. Der Beschwerdeführer hatte in diesem Zeitpunkt auch alles ihm Mögliche getan und im Laufe der Zeit mehrfach wegen des Verfahrensstands nachgefragt. Die Klärung der entscheidungserheblichen Frage zu Ungunsten des Beschwerdeführers durch die Entscheidung des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts vom 23. November 2016 rechtfertigte mithin nicht die Versagung von Prozesskostenhilfe.
3. Der Beschluss des Verwaltungsgerichts ist aufzuheben und die Sache dorthin zurückzuverweisen, da nicht auszuschließen ist, dass das Verwaltungsgericht bei Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Maßgaben zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre.
Das Land Schleswig-Holstein hat dem Beschwerdeführer gemäß § 34a Abs. 2 BVerfGG die notwendigen Auslagen zu erstatten. Die Festsetzung des Werts des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit beruht auf § 37 Abs. 2 Satz 2 RVG.