Entscheidungsdatum: 18.09.2017
Die Verfahren werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.
Die Beschlüsse des Verwaltungsgerichts Minden vom 26. Januar 2017 - 1 K 5132/16.A -, vom 31. Januar 2017 - 1 K 3750/16.A -, vom 2. Februar 2017 - 1 K 3874/16.A -, vom 6. Februar 2017 - 11 K 4370/16.A -, vom 8. Februar 2017 - 1 K 3752/16.A - und vom 20. Februar 2017 - 1 K 3752/16.A - verletzen die Beschwerdeführer in ihrem Grundrecht aus Artikel 3 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 19 Absatz 4 Satz 1 des Grundgesetzes.
Die Beschlüsse werden aufgehoben und die Sachen an das Verwaltungsgericht Minden zurückverwiesen.
Das Land Nordrhein-Westfalen hat den Beschwerdeführern ihre notwendigen Auslagen im Verfassungsbeschwerdeverfahren zu erstatten.
Damit erledigen sich jeweils die Anträge auf Gewährung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts.
Der Gegenstandswert der anwaltlichen Tätigkeit wird für die Verfassungsbeschwerdeverfahren auf jeweils 10.000 € (in Worten: zehntausend Euro) festgesetzt.
Die Verfassungsbeschwerden betreffen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe in asylrechtlichen Verfahren.
1. Die Beschwerdeführer sind syrische Staatsangehörige, die im Jahr 2015 in die Bundesrepublik Deutschland einreisten, wo sie Asylanträge stellten. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge erkannte den Beschwerdeführern subsidiären Schutz zu und lehnte die Asylanträge im Übrigen ab. Weder verwirklichten sie eines der in Betracht kommenden Anknüpfungsmerkmale noch werde ihnen ein solches vom syrischen Regime zugeschrieben.
2. a) Die Beschwerdeführer erhoben gegen die Bescheide Klage zum Verwaltungsgericht Minden, mit der sie die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft begehrten. Für diese Verfahren beantragten sie die Bewilligung von Prozesskostenhilfe. Sie trugen insbesondere vor, dass unverfolgt ausgereisten Syrern aufgrund der Asylantragstellung im westlichen Ausland politische Verfolgung durch das syrische Regime drohe.
b) Das Verwaltungsgericht lehnte die Bewilligung von Prozesskostenhilfe jeweils ab. Die Klagen hätten keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. In der neueren Rechtsprechung (OVG NRW, Beschluss vom 6. Oktober 2016 - 14 A 1852/16.A -; OVG Schleswig-Holstein, Urteil vom 23. November 2016 - 3 LB 17/16 -; Bayerischer VGH, Urteil vom 12. Dezember 2016 - 21 B 16.30338 -; OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 16. Dezember 2016 - 1 A 10922/16 -; OVG Saarland, Urteil vom 2. Februar 2017 - 2 A 515/16 -) sei hinreichend geklärt, dass unverfolgt ausgereisten Syrern nicht allein aufgrund der illegalen Ausreise, der Asylantragstellung im Ausland und des längeren Auslandsaufenthaltes politische Verfolgung drohe. Die Gefahr einer menschenrechtswidrigen Befragung der Beschwerdeführer hinsichtlich ihrer oppositionellen Haltung knüpfe nicht an asylerhebliche Merkmale an.
3. Die Beschwerdeführer erhoben gegen die Beschlüsse Anhörungsrügen, die das Verwaltungsgericht in der überwiegenden Zahl der Verfahren zurückwies. Im Verfahren 2 BvR 665/17 wertete das Verwaltungsgericht die Anhörungsrüge des Beschwerdeführers als weiteren Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe und lehnte diesen ab.
4. Die Beschwerdeführer haben jeweils Verfassungsbeschwerde erhoben, mit der sie eine Verletzung ihres jeweiligen Rechts auf Rechtsschutzgleichheit rügen. Das Verwaltungsgericht habe den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 14. November 2016 - 2 BvR 31/14 - ignoriert, dem zufolge die Frage, ob syrischen Flüchtlingen wegen der drohenden Befragung durch den syrischen Geheimdienst Flüchtlingsschutz oder subsidiärer Schutz zuzuerkennen sei, klärungsbedürftig sei. Mit der Ablehnung des Antrags auf Gewährung von Prozesskostenhilfe unter Verweis auf obergerichtliche Rechtsprechung habe das Verwaltungsgericht den Prüfungsmaßstab im Prozesskostenhilfeverfahren überspannt.
5. Die Akten der Ausgangsverfahren haben dem Bundesverfassungsgericht vorgelegen. Das Justizministerium des Landes Nordrhein-Westfalen sowie das Bundesministerium des Innern hatten Gelegenheit zur Äußerung.
Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerden zur Entscheidung an und gibt ihnen statt. Die Annahme der Verfassungsbeschwerden ist zur Durchsetzung des Grundrechts der Beschwerdeführer aus Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG angezeigt. Die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerden maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen hat das Bundesverfassungsgericht bereits geklärt (vgl. BVerfGE 81, 347 <356 f.>). Die zulässigen Verfassungsbeschwerden sind in einer die Entscheidungskompetenz der Kammer eröffnenden Weise offensichtlich begründet. Die Beschlüsse des Verwaltungsgerichts verletzen die Beschwerdeführer in ihrer durch Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG grundrechtlich geschützten Rechtsschutzgleichheit.
1. Das Recht auf effektiven und gleichen Rechtsschutz, das für die öffentlich-rechtliche Gerichtsbarkeit aus Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG abgeleitet wird, gebietet eine weitgehende Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes (vgl. BVerfGE 78, 104 <117 f.>; 81, 347 <357> m.w.N.). Es ist dabei verfassungsrechtlich grundsätzlich unbedenklich, die Gewährung von Prozesskostenhilfe davon abhängig zu machen, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg hat und nicht mutwillig erscheint.
Die Auslegung und Anwendung des § 114 Absatz 1 Satz 1 ZPO (hier in Verbindung mit § 166 VwGO) wie auch des jeweils anzuwendenden einfachen Rechts obliegt hierbei in erster Linie den zuständigen Fachgerichten, die dabei den - verfassungsgebotenen - Zweck der Prozesskostenhilfe zu beachten haben. Das Bundesverfassungsgericht kann nur eingreifen, wenn Verfassungsrecht verletzt ist, insbesondere wenn die angegriffene Entscheidung Fehler erkennen lässt, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung der durch das Grundgesetz verbürgten Rechtsschutzgleichheit beruhen.
Die Fachgerichte überschreiten ihren Entscheidungsspielraum, wenn sie die Anforderungen an das Vorliegen einer Erfolgsaussicht überspannen und dadurch den Zweck der Prozesskostenhilfe, dem Unbemittelten den weitgehend gleichen Zugang zu Gericht zu ermöglichen, deutlich verfehlen (vgl. BVerfGE 81, 347 <357 f.>). Die Prüfung der Erfolgsaussicht soll nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung selbst in das Nebenverfahren der Prozesskostenhilfe vorzuverlagern und dieses an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen (vgl. BVerfGE 81, 347 <357>; vgl. ausführlich Bergner/Pernice, in: Emmenegger/Wiedmann, Linien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts II, 241 <258 ff.>). Prozesskostenhilfe ist allerdings nicht bereits zu gewähren, wenn die entscheidungserhebliche Frage zwar noch nicht höchstrichterlich geklärt ist, ihre Beantwortung aber im Hinblick auf die einschlägige gesetzliche Regelung oder die durch die bereits vorliegende Rechtsprechung gewährten Auslegungshilfen nicht in dem genannten Sinne als "schwierig" erscheint. Ein Fachgericht, das § 114 Absatz 1 Satz 1 ZPO dahin auslegt, dass auch schwierige, noch nicht geklärte Rechtsfragen im Prozesskostenhilfeverfahren "durchentschieden" werden können, verkennt jedoch die Bedeutung der verfassungsrechtlich gewährleisteten Rechtsschutzgleichheit (vgl. BVerfGE 81, 347 <359>). Denn dadurch würde dem unbemittelten Beteiligten im Gegensatz zu dem bemittelten die Möglichkeit genommen, seinen Rechtsstandpunkt im Hauptsacheverfahren darzustellen und von dort aus in die höhere Instanz zu bringen (vgl. BVerfGK 2, 279 <282>; 8, 213 <217>).
2. Gemessen an diesen Maßstäben halten die angegriffenen Beschlüsse einer verfassungsgerichtlichen Überprüfung offensichtlich nicht stand. Das Verwaltungsgericht hat in den Prozesskostenhilfeverfahren über eine schwierige Tatsachenfrage entschieden, die jedenfalls durch das übergeordnete Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen nicht geklärt war. Zwar hatte das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen bis zum 14. November 2016 in ständiger Rechtsprechung (vgl. Beschlüsse vom 5. Januar 2012 - 14 A 2484/11.A -; vom 9. Dezember 2013 - 14 A 2663/13.A -; vom 13. Februar 2014 - 14 A 198/14.A -; vom 5. September 2016 - 14 A 1802/16.A -; vom 6. Oktober 2016 - 14 A 1852/16.A -, alle juris) entschieden, dass unverfolgt ausgereisten Syrern nicht allein aufgrund der illegalen Ausreise, der Asylantragstellung im Ausland und des längeren Auslandsaufenthaltes politische Verfolgung drohe und damit die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht vorlägen. Mit Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 14. November 2016 - 2 BvR 31/14 - hat das Bundesverfassungsgericht jedoch die Frage, ob auf der Grundlage der Tatsachenfeststellungen des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen allen potentiell nach Syrien zurückkehrenden Asylbewerbern Flüchtlingsschutz oder subsidiärer Schutz zu gewähren ist, als bundesrechtliche Rechtsfrage gewertet, die nicht im Sinne der bisherigen Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen geklärt sei. Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg (Beschluss vom 19. Juni 2013 - A 11 S 927/13 -, juris, Rn. 4) ist auf der Grundlage der auch vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen angenommenen Tatsachenfeststellung zu einer anderen rechtlichen Beurteilung gelangt. Er hat angenommen, dass aus Syrien illegal ausgereisten Flüchtlingen, die im Ausland einen Asylantrag gestellt und sich dort nicht nur kurzfristig aufgehalten haben, die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen sei. Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 14. November 2016 hatte zur Folge, dass die streitgegenständliche Frage in der obergerichtlichen Rechtsprechung Nordrhein-Westfalens ab diesem Zeitpunkt erneut ungeklärt war. Das Verwaltungsgericht konnte auch nicht die übrige verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung zur Beantwortung der sich in den Prozesskostenhilfeverfahren stellenden Frage heranziehen. Auch dort ist nicht geklärt, ob unverfolgt ausgereisten Syrern wegen ihrer illegalen Ausreise, Asylantragstellung im Ausland und ihres längeren Auslandsaufenthalts die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Einige Oberverwaltungsgerichte, auf deren Auffassung sich das Verwaltungsgericht Minden stützt, lehnen die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ab (vgl. OVG Schleswig-Holstein, Urteil vom 23. November 2016 - 3 LB 17/16 -; OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 16. Dezember 2016 - 1 A 10922/16 -; Bayerischer VGH, Urteil vom 12. Dezember 2016 - 21 ZB 16.30338 -; OVG Saarland, Urteil vom 2. Februar 2017 - 2 A 515/16 -). Andere Oberverwaltungsgerichte sprechen die Flüchtlingseigenschaft zu (vgl. VGH Hessen, Beschluss vom 27. Januar 2014 - 3 A 917/13.Z.A. -; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 29. Oktober 2013 - A 11 S 2046/13 -). Die erstinstanzliche Entscheidungspraxis zu dieser Frage ist sehr uneinheitlich. Erst nach Erlass der angegriffenen Beschlüsse hat das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen durch Urteil vom 21. Februar 2017 - 14 A 2316/16.A - die streitgegenständliche Frage unter Annahme veränderter tatsächlicher Feststellungen für die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung in Nordrhein-Westfalen einer Klärung zugeführt. Da die streitgegenständliche Frage mangels zur Verfügung stehender Auslegungshilfen zuvor ungeklärt war, stellte die Versagung von Prozesskostenhilfe die Unbemittelten gegenüber den Bemittelten deutlich schlechter und nahm ihnen die Chance, ihren Rechtsstandpunkt in der mündlichen Verhandlung und in der zweiten Instanz weiter zu vertreten.
3. Die Beschlüsse des Verwaltungsgerichts sind aufzuheben und die Sachen dorthin zurückzuverweisen, da nicht auszuschließen ist, dass das Verwaltungsgericht bei Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Maßgaben zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre.
Das Land Nordrhein-Westfalen hat den Beschwerdeführern gemäß § 34a Abs. 2 BVerfGG die ihnen jeweils entstandenen notwendigen Auslagen zu erstatten. Die Festsetzung des Werts des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit beruht auf § 37 Abs. 2 Satz 2 RVG.