Entscheidungsdatum: 27.08.2010
1. Die Beschlüsse des Landgerichts München II vom 1. September 2009 und 1. Dezember 2009 - 7 T 2710/08 - verletzen die Beschwerdeführer in ihrem grundrechtsgleichen Recht aus Artikel 101 Absatz 1 Satz 2 des Grundgesetzes. Sie werden aufgehoben.
2. Die Sache wird an das Landgericht München II zurückverwiesen.
3. ...
4. Der Wert des Gegenstandes der anwaltlichen Tätigkeit wird auf 8.000,00 € (in Worten: achttausend Euro) festgesetzt.
I.
Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen die Erteilung des Zuschlags in einem Zwangsversteigerungsverfahren.
In diesem Verfahren betrieb die früher als B. Bank AG firmierende U. Bank AG (im Folgenden auch: Bank) als Gläubigerin die Wiederversteigerung eines im Grundbuch auf den Namen der Schuldnerin S. eingetragenen Grundstücks, zuletzt wegen eines persönlichen Anspruchs im Betrag von 572.639,12 €, einer im Grundbuch in Abteilung III laufende Nummer 11 eingetragenen Sicherungshypothek zu 347.882,99 € und einer weiteren in Abteilung III laufende Nummer 12 eingetragenen Sicherungshypothek über 224.699,53 €, jeweils zuzüglich Zinsen.
Im Versteigerungstermin am 5. November 2007 blieben die Eheleute B. mit einem Gebot von 727.000,00 € Meistbietende. Nach dem Ende der Bietzeit lösten die Beschwerdeführer, die wegen eines persönlichen und eines im Grundbuch in Abteilung III laufende Nummer 14 eingetragenen dinglichen Anspruchs in Höhe von jeweils 104.000,00 € zuzüglich Zinsen mit Beschluss des Amtsgerichts vom 20. Juni 2006 dem Zwangsversteigerungsverfahren als weitere Gläubiger beigetreten waren, das in Abteilung III laufende Nummer 11 eingetragene Grundpfandrecht gegenüber der Bank ab und bewilligten die Einstellung des Verfahrens gemäß § 30 Abs. 1 ZVG.
Mit Beschluss vom 7. März 2008 hat das Amtsgericht den Zuschlag auf das von den Eheleuten B. abgegebene Meistgebot versagt (§ 33 ZVG) und festgestellt, dass die Zuschlagsversagung mit Eintritt der Rechtskraft des Beschlusses die Wirkung einer einstweiligen Einstellung des Zwangsversteigerungsverfahrens habe, soweit es von den Beschwerdeführern wegen der Ansprüche aus dem abgelösten Grundpfandrecht und dem Beitrittsbeschluss vom 20. Juni 2006 betrieben werde (§ 86 ZVG).
Auf die sofortige Beschwerde der Bank hat das mit einem Einzelrichter besetzte Landgericht mit angegriffenem Beschluss vom 1. September 2009 den Beschluss des Amtsgerichts vom 7. März 2008 aufgehoben und das Grundstück den Eheleuten B. als Meistbietenden zugeschlagen. Zur Begründung seiner Entscheidung hat das Landgericht unter anderem ausgeführt, dass eine Zuschlagsversagung nach den § 33, § 83 Nr. 6 ZVG eine "vollständige" Ablösung voraussetze, an der es jedoch vorliegend fehle. Denn die Bank habe die Zwangsversteigerung wegen eines persönlichen Anspruchs in Höhe von 572.639,12 € sowie wegen dinglicher Ansprüche aus den in Abteilung III laufende Nummern 11 und 12 eingetragenen Rechten betrieben, während die Beschwerdeführer nur eine Ablösung hinsichtlich des in Abteilung III laufende Nummer 11 verzeichneten Rechts vorgenommen hätten. Damit sei lediglich eine so genannte Teilablösung gegeben, die für eine wirksame Einstellungsbewilligung nicht genüge. Die Rechtsbeschwerde hat das Landgericht nicht zugelassen.
Die von den Beschwerdeführern dagegen eingelegte Gehörsrüge, in der sie auch auf Zulassung der Rechtsbeschwerde zum Bundesgerichtshof angetragen haben, hat das Landgericht mit angegriffenem Beschluss vom 1. Dezember 2009 zurückgewiesen. Darin hat es die Nichtzulassung des Rechtsmittels damit begründet, dass dem Verfahren vor dem Hintergrund der von ihm zitierten Rechtsprechung (BGH, Beschlüsse vom 5. Oktober 2006 - V ZB 2/06 -, Rpfleger 2007, S. 93 ff.; vom 29. März 2007 - V ZB 160/06 -, Rpfleger 2007, S. 488 f.; OLG Stuttgart, Beschluss vom 22. April 1997 - 8 W 50/97 -, Rpfleger 1997, S. 397 f.; OLG Köln, Beschluss vom 16. Juni 1989 - 2 W 47/89 -, Rpfleger 1990, S. 176 f.) keine besondere rechtliche Bedeutung zugekommen sei, die die Zulassung erforderlich gemacht hätte.
II.
1. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde machen die Beschwerdeführer geltend, dass die Auffassung des Landgerichts, sie hätten die Bank nicht vollständig, sondern nur teilweise abgelöst, weswegen ihre Einstellungsbewilligung den Fortgang des von der Bank betriebenen Verfahrens und die Erteilung des Zuschlags an die Eheleute B. nicht hindere, unzutreffend, unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt nachvollziehbar und somit unhaltbar sei und daher ihr Grundrecht aus Art. 3 Abs. 1 GG verletze. Des Weiteren habe sich das Landgericht willkürlich über die Voraussetzungen des § 574 ZPO hinweggesetzt, indem es den Zuschlag erteilt habe, ohne die Rechtsbeschwerde zum Bundesgerichtshof zuzulassen; darin liege ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1, Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG. Außerdem habe das Landgericht dem Anspruch der Beschwerdeführer auf Gewährung rechtlichen Gehörs aus Art. 103 Abs. 1 GG nicht genügt.
2. Den Begünstigten des Ausgangsverfahrens und dem Bayerischen Staatsministerium der Justiz und für Verbraucherschutz ist Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden. Das Staatsministerium hat von einer Stellungnahme abgesehen. Die Eheleute B. halten die Verfassungsbeschwerde für unbegründet. Weder seien die Beschwerdeführer in ihren Rechten verletzt, noch komme der Sache grundsätzliche Bedeutung zu; eine Abweichung von einer gefestigten Rechtsprechung oder allgemeinen Meinung, wie von den Beschwerdeführern behauptet, liege nicht vor. Die U. Bank AG beantragt, die Verfassungsbeschwerde zurückzuweisen; ihrer Ansicht nach lägen keine Umstände vor, die einen Verstoß des Landgerichts gegen Art. 103 Abs. 1 GG und/oder Art. 3 Abs. 1 GG begründen könnten.
3. Die Akten des Ausgangsverfahrens sind beigezogen worden.
III.
Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt. Die Annahme ist zur Durchsetzung des verfassungsmäßigen Rechts der Beschwerdeführer auf den gesetzlichen Richter nach Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Voraussetzungen für eine stattgebende Entscheidung durch die Kammer liegen vor (§ 93c BVerfGG).
1. Die Entscheidung des Landgerichts, die Rechtsbeschwerde zum Bundesgerichtshof nicht zuzulassen, verstößt gegen die Gewährleistung des grundrechtsgleichen Rechts auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG).
a) Die Entscheidung eines Gerichts, die Rechtsbeschwerde nicht zuzulassen, kann gegen die Gewährleistung des grundrechtsgleichen Rechts auf den gesetzlichen Richter verstoßen. Voraussetzung hierfür ist das Vorliegen von Willkür; die bloß einfachrechtlich fehlerhafte Handhabung der Zulassungsvorschriften genügt nicht (BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 11. Dezember 2008 - 1 BvR 1665/08 -, NVwZ-RR 2009, S. 361 <362>; vgl. auch BVerfGK 2, 202 <204>; BVerfGE 67, 90 <94 f.>; 87, 282 <284 f.>). Willkürlich ist ein Richterspruch, wenn er unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass er auf sachfremden Erwägungen beruht (vgl. BVerfGE 4, 1 <7>; 80, 48 <51>).
b) Dieser Schluss ist hier gerechtfertigt.
aa) Nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3 Satz 1 ZPO hat das Landgericht als Beschwerdegericht - in der im Gerichtsverfassungsgesetz vorgeschriebenen Besetzung als Kammer mit drei Richtern einschließlich des Vorsitzenden (vgl. § 568 Satz 2 Nr. 2 ZPO, § 75 GVG; BGHZ 154, 200 <202 ff.>; 156, 320 <321 ff.>) - die Rechtsbeschwerde zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat. Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache, wenn sie eine entscheidungserhebliche, klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage aufwirft, die sich in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen stellen kann, oder wenn andere Auswirkungen des Rechtsstreits auf die Allgemeinheit deren Interessen in besonderem Maße berühren und ein Tätigwerden des Bundesgerichtshofs erforderlich machen (vgl. BGHZ 152, 182 <190 ff.>; 154, 288 <291 f.>; 159, 135 <137>).
bb) Das Landgericht hatte im angegriffenen Beschluss vom 1. September 2009 über zwei entscheidungserhebliche Rechtsfragen zu entscheiden. Zunächst war über die Rechtsfolge zu befinden, die sich ergibt, wenn der bestrangig betreibende Gläubiger nach dem Ende der Bietzeit, aber noch vor der Verkündung der Entscheidung über den Zuschlag durch einen anderen ("vollständig") abgelöst wird und dieser die Einstellung des Verfahrens bewilligt. Daran anschließend war die Frage zu beantworten, ob für die ("vollständige") Ablösung durch einen nachrangig betreibenden Gläubiger die Befriedigung nur des bestrangig klassifizierten Anspruchs genügt, wenn - wie hier - der bestrangig betreibende Gläubiger die Befriedigung aus dem Grundstück auch noch wegen anderer Ansprüche im Sinne des § 10 Abs. 1 ZVG betreibt, oder ob in einem solchen Fall für eine ("vollständige") Ablösung auch die Befriedigung aller weiteren Ansprüche des bestrangig betreibenden Gläubigers durch den ablösenden Gläubiger notwendig ist.
(1) Bezüglich der ersten entscheidungserheblichen Rechtsfrage nahm das Landgericht an, dass bei einer ("vollständigen") Ablösung des bestrangig betreibenden Gläubigers und einer ("wirksamen") Einstellungsbewilligung des Ablösenden nach Schluss der Versteigerung und vor Verkündung der Entscheidung über den Zuschlag derselbe nach § 30 Abs. 1, §§ 33, 83 Nr. 6 ZVG zu versagen ist.
(2) Bezüglich der zweiten entscheidungserheblichen Rechtsfrage genügte dem Landgericht die Ablösung nur des bestrangig betriebenen Verfahrens, das heißt die "Ablösung hinsichtlich der Rechte Abt. III lfd. Nr. 11" für eine ("vollständige") Ablösung nicht; nach seiner Auffassung handelt es sich hier nur um eine so genannte "Teilablösung", bei der die Bewilligung der Verfahrenseinstellung durch den ablösenden Gläubiger nicht die Versagung des Zuschlags zur Folge hat. Für eine ("vollständige") Ablösung - mit der Folge der Zuschlagsversagung bei Bewilligung der Verfahrenseinstellung durch den Ablösenden nach Ende der Bietzeit und vor Verkündung der Entscheidung über den Zuschlag - ist seiner Ansicht nach somit auch die Befriedigung aller weiteren Ansprüche (§ 10 Abs. 1 ZVG) des bestrangig betreibenden Gläubigers durch den ablösenden Gläubiger erforderlich.
cc) Während das Landgericht bei der Beantwortung der ersten Frage mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in Einklang steht (vgl. BGH, Beschluss vom 5. Oktober 2006, a.a.O.), lässt sich dies bezüglich der zweiten Frage nicht feststellen. Anders als vom Landgericht angenommen, kann der höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht entnommen werden, dass eine ("vollständige") Ablösung des bestrangig betreibenden Gläubigers, der - wie hier die Bank - die Zwangsversteigerung aus mehreren Ansprüchen betreibt, durch einen anderen Gläubiger neben der Befriedigung des bestrangigen Anspruchs auch die Befriedigung der weiteren, nachrangig vollstreckten Ansprüche des bestrangig betreibenden Gläubigers voraussetzte.
Im Beschluss des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 22. April 1997 (a.a.O.), der sich mit der Ablösung des bestrangigen Gläubigers durch den Schuldner unter Erwerb einer Eigentümergrundschuld mit Löschungsverpflichtung gegenüber nachrangigen Gläubigern und somit mit einer anderen Fallkonstellation befasst, wird die Rechtsansicht des Landgerichts ebenfalls nicht geteilt.
Auf die Literatur kann sich das Landgericht nicht berufen. Die Literatur vertritt vielmehr, soweit ersichtlich, einhellig die gegenteilige Auffassung. Sie besagt, dass der ablösende Gläubiger, der die Zuschlagsversagung herbeiführen will, nur das bestrangig betriebene Verfahren abzulösen braucht (vgl. Stöber, ZVG, 19. Aufl. 2009, § 75 Rn. 2.5 Buchst. e und Rn. 2.8; Storz/Kiderlen, Praxis des Zwangsversteigerungsverfahrens, 11. Aufl. 2008, B 7.3.1 und 7.4.2; Böttcher, ZVG, 4. Aufl. 2005, § 75 Rn. 18). Überdies wird in der Literatur darauf hingewiesen (vgl. Storz, Rpfleger 1990, S. 177 <178>), dass der Beschluss des Oberlandesgerichts Köln vom 16. Juni 1989 (a.a.O.) schon deshalb nicht überzeugt, weil es bei der von ihm vorgefundenen - hier nicht gegebenen - Fallgestaltung richtigerweise zu einer Verfahrenseinstellung nach § 72 Abs. 3, § 77 Abs. 1 ZVG und nicht zu einer Zuschlagserteilung hätte gelangen müssen.
Die zur zweiten entscheidungserheblichen Rechtsfrage vom Landgericht vertretene Rechtsansicht findet mithin in der Rechtsprechung keine hinreichende Stütze und wird vom Schrifttum einhellig abgelehnt.
dd) Nimmt man hinzu, dass sich diese Rechtsfrage in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen stellen kann und sie zum Zeitpunkt der Entscheidung des Landgerichts höchstrichterlich noch nicht geklärt war, lag ihre Klärungsbedürftigkeit auf der Hand. Ihre Klärungsfähigkeit war ohnehin offensichtlich. Unter diesen Umständen die Sache nicht der Kammer zur Entscheidung zu übertragen und - bei (unterstellt) identischer Entscheidung durch die Kammer - die Rechtsbeschwerde zum Bundesgerichtshof nicht zuzulassen, war unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar und muss daher als willkürliche Verfahrensweise angesehen werden, die mit Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG nicht zu vereinbaren ist.
2. Die angegriffenen Beschlüsse beruhen auf dem Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG. Denn es ist - was hierfür bereits genügte (vgl. BVerfGK 2, 202 <206>) - nicht nur nicht auszuschließen, sondern sogar sehr wahrscheinlich, dass der Bundesgerichtshof nach Zulassung der Rechtsbeschwerde die zweite der hier entscheidungserheblichen Rechtsfragen anders beantwortet hätte als das Landgericht (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Juni 2010 - V ZB 192/09 -, juris, Rn. 20 f., 26 ff.). Es sind deshalb nach § 93c Abs. 2 in Verbindung mit § 95 Abs. 2 BVerfGG die angegriffenen Beschlüsse aufzuheben und die Sache an das Landgericht zurückzuverweisen, ohne dass entschieden zu werden braucht, ob die Beschwerdeführer auch in ihrem Grundrecht aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG, ihrem grundrechtsgleichen Recht aus Art. 103 Abs. 1 GG und/oder durch die Art und Weise der Anwendung der Vorschriften des Zwangsversteigerungsgesetzes in ihrem Grundrecht aus Art. 3 Abs. 1 GG verletzt wurden.
IV.
Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG.
Der nach § 37 Abs. 2 RVG festzusetzende Gegenstandswert für die anwaltliche Tätigkeit im Verfassungsbeschwerdeverfahren beträgt, wenn der Verfassungsbeschwerde durch die Entscheidung einer Kammer stattgegeben wird, in der Regel 8.000,00 €. Weder die objektive Bedeutung der Sache noch Umfang und Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit weisen hier Besonderheiten auf, die zu einer Abweichung Anlass geben.