Entscheidungsdatum: 21.06.2012
1. Die Vollstreckung der gegen die Beschwerdeführer ausgesprochenen Gesamtfreiheitsstrafen aus dem Urteil des Landgerichts München II vom 27. April 2010 - W5 KLs 63 Js 20750/08 - wird bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde der Beschwerdeführer - längstens für die Dauer von sechs Monaten (§ 32 Abs. 6 Satz 1 BVerfGG) - ausgesetzt.
2. ...
I.
1. a) Das Landgericht München II sprach die Beschwerdeführer des gemeinschaftlichen Betrugs in 27 Fällen, jeweils in Tateinheit mit vorsätzlichem gemeinschaftlichem unerlaubtem Betreiben eines Bankgeschäfts, schuldig und verurteilte den Beschwerdeführer S. deswegen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten sowie den Beschwerdeführer G. zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und vier Monaten.
b) In der Hauptverhandlung vor dem Landgericht München II war es zu einer Verständigung nach § 257c StPO gekommen, in der das Gericht den Beschwerdeführern eine Gesamtfreiheitsstrafe von nicht mehr als drei Jahren und sechs Monaten (S.) sowie drei Jahren und vier Monaten (G.) zugesichert hatte. Vor dem Zustandekommen der Verfahrensabsprache hatte die Strafkammer die Beschwerdeführer entgegen § 257c Abs. 5 StPO nicht über den Wegfall der Bindungswirkung für das Gericht nach § 257c Abs. 4 StPO belehrt.
c) Der Bundesgerichtshof verwarf die Revision der Beschwerdeführer gegen das Urteil des Landgerichts München II gemäß § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet. Zu der Revisionsrüge eines Verstoßes gegen § 257c Abs. 5 StPO führte der Bundesgerichtshof aus, eine der von § 257c Abs. 4 StPO erfassten Fallkonstellationen, über die gemäß § 257c Abs. 5 StPO vorab zu belehren sei, liege nicht vor. Dementsprechend überstiegen die verhängten Strafen auch nicht die jeweils zugesicherte Höhe. Auch sonst seien konkrete, fallbezogene Gründe, die für die Möglichkeit sprächen, dass sich der aufgezeigte Verfahrensmangel auf das Prozessverhalten der Beschwerdeführer ausgewirkt haben könnte, so dass letztlich ein für sie günstigeres Urteil nicht auszuschließen wäre, weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
2. Die Beschwerdeführer rügen insbesondere eine Verletzung ihrer Selbstbelastungsfreiheit, ihres Rechts auf ein faires Verfahren sowie des Schuldgrundsatzes. Zudem wenden sie sich gegen die Vorschrift des § 257c StPO, die wegen Verstoßes gegen den Schuldgrundsatz verfassungswidrig sei.
3. Die Beschwerdeführer beantragen, die Vollziehung der im Tenor genannten Entscheidung im Wege der einstweiligen Anordnung bis zur Entscheidung über ihre Verfassungsbeschwerde auszusetzen.
II.
Die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung liegen vor. Der zulässige Antrag ist begründet.
1. Nach § 32 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Dabei haben die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit des angegriffenen Hoheitsaktes vorgetragen werden, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben, es sei denn, die Verfassungsbeschwerde wäre von vornherein unzulässig oder offensichtlich unbegründet (vgl. BVerfGE 103, 41 <42>; stRspr). Bei offenem Ausgang muss das Bundesverfassungsgericht die Folgen, die einträten, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen abwägen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde aber der Erfolg zu versagen wäre (vgl. BVerfGE 99, 57 <66>; stRspr).
2. Die Verfassungsbeschwerde ist weder von vornherein unzulässig noch offensichtlich unbegründet. Im Rahmen der somit erforderlichen Abwägung über- wiegen die Gründe für den Erlass einer einstweiligen Anordnung. Erginge die einstweilige Anordnung nicht, erwiese sich die Verfassungsbeschwerde später aber als begründet, könnten die ausgesprochenen Gesamtfreiheitsstrafen in der Zwischenzeit weiter vollstreckt werden. Dies wäre ein erheblicher, irreparabler Eingriff in das besonders gewichtige (vgl. BVerfGE 65, 317 <322>) Recht auf die Freiheit der Person (vgl. BVerfGE 22, 178 <180>; 104, 220 <234>). Erginge dagegen die einstweilige Anordnung, erwiese sich die Verfassungsbeschwerde später jedoch als unbegründet, wögen die damit verbundenen Nachteile deutlich weniger schwer. Zwar könnten dann die Gesamtfreiheitsstrafen vorübergehend nicht vollstreckt werden. Es ist jedoch nicht ersichtlich, dass durch das Zurücktreten des öffentlichen Interesses an einer nachdrücklichen und beschleunigten Vollstreckung rechtskräftig verhängter Freiheitsstrafen hier ein erheblicher Nachteil für das Wohl der Allgemeinheit zu besorgen wäre, zumal jeweils bereits ein Teil der Strafe vollstreckt ist.
3. Die Anordnung der Auslagenerstattung folgt aus § 34a Abs. 3 BVerfGG.