Entscheidungsdatum: 06.10.2015
Der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 16. Oktober 2012 - 6 A 504/11 -, das Urteil des Verwaltungsgerichts Minden vom 10. Februar 2011 - 4 K 2718/09 - und der Bescheid der Bezirksregierung Detmold vom 8. Oktober 2009 - 47.GE - verletzen die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Artikel 33 Absatz 2 des Grundgesetzes. Der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts und das Urteil des Verwaltungsgerichts werden aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen.
Das Land Nordrhein-Westfalen hat der Beschwerdeführerin ihre notwendigen Auslagen für das Verfassungsbeschwerdeverfahren zu erstatten.
I.
Die Beschwerdeführerin war bis zum 31. Juli 2015 als tarifangestellte Lehrerin im öffentlichen Schuldienst des Landes Nordrhein-Westfalen tätig. Der Beginn ihres Ruhestands soll eigenen Angaben zufolge zum 1. November 2015 erfolgen. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde wendet sie sich gegen die Ablehnung ihrer Berufung in das Beamtenverhältnis auf Probe im Jahr 2009 aufgrund des Überschreitens der laufbahnrechtlichen Altersgrenze.
1. Lehrerinnen und Lehrer an öffentlichen Schulen werden in Nordrhein-Westfalen, sofern die laufbahn- und sonstigen beamtenrechtlichen Voraussetzungen vorliegen, in der Regel verbeamtet (§ 57 Abs. 4 Satz 2 des Schulgesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen vom 15. Februar 2005 in der Fassung des Gesetzes vom 25. Juni 2015
2. Die Beschwerdeführerin schloss ihr Lehramtsstudium mit der Ersten Philologischen Staatsprüfung im Jahr 1977 ab und bestand im Jahr 1987 die Zweite Staatsprüfung für das Lehramt (Sekundarstufe I und II, Fächer: Deutsch und Englisch). Von 1994 bis zum 31. Juli 2015 war sie als Lehrkraft im Angestelltenverhältnis des Landes Nordrhein-Westfalen tätig. Einen im Jahr 2001 gestellten Verbeamtungsantrag lehnte das Land bestandskräftig ab.
3. Das Bundesverwaltungsgericht erklärte mit Urteil vom 19. Februar 2009 - 2 C 18.07 - (BVerwGE 133, 143) die Einstellungshöchstaltersgrenzen der Laufbahnverordnung vom 23. November 1995 (GVBl 1996 S. 1) in der Fassung des Gesetzes vom 3. Mai 2005 (GVBl S. 498) für unwirksam. Da Einstellungshöchstaltersgrenzen im Beamtenrecht den Leistungsgrundsatz aus Art. 33 Abs. 2 GG einschränkten, dürften sie nicht voraussetzungslos im Ermessen der Verwaltung stehen. Der Gesetzgeber müsse ihre Regelung einschließlich der Ausnahmetatbestände selbst treffen.
4. Aufgrund von § 5 Abs. 1 Landesbeamtengesetz (LBG) in der Fassung vom 21. April 2009 (GVBl S. 224) beschloss die Landesregierung mit Wirkung zum 18. Juli 2009 in Artikel 1 der Verordnung zur Änderung der Laufbahnverordnung und anderer dienstrechtlicher Vorschriften (GVBl S. 381) eine teilweise Neuregelung der Laufbahnverordnung (im Folgenden LVO 2009). Sie hob die Altersgrenze zur Einstellung oder Übernahme in das Beamtenverhältnis auf Probe an; in das Beamtenverhältnis konnte danach berufen werden, wer das 40. Lebensjahr noch nicht vollendet hatte. Zugleich normierte sie die Möglichkeiten des Überschreitens der Höchstaltersgrenze neu.
5. Bezugnehmend auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 19. Februar 2009 (BVerwGE 133, 143) beantragte die Beschwerdeführerin erneut die Übernahme in das Beamtenverhältnis auf Probe. Die Bezirksregierung lehnte den Antrag mit Bescheid vom 8. Oktober 2009 auf Grundlage der neugefassten Laufbahnverordnung ab.
6. Die hiergegen erhobene Klage wies das Verwaltungsgericht Minden mit Urteil vom 10. Februar 2011 ab. Im entscheidungserheblichen Zeitpunkt habe die Beschwerdeführerin die laufbahnrechtliche Höchstaltersgrenze überschritten. Die Neuregelungen der Laufbahnverordnung seien nach der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts wirksam. Ein Ausnahmetatbestand greife zugunsten der Beschwerdeführerin nicht ein. Auch habe der Dienstherr die Neuregelung der Laufbahnverordnung vor einer Entscheidung über ihren Antrag abwarten dürfen. Allein der Umstand, dass zur Zeit der Antragstellung keine Höchstaltersgrenze bestanden habe, lasse die Anwendung der Neuregelung nicht unbillig erscheinen.
7. Den hiergegen gerichteten Antrag auf Zulassung der Berufung wies das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen mit Beschluss vom 16. Oktober 2012 zurück. Das Verwaltungsgericht habe zutreffend auf den Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abgestellt. Die Neuregelungen der Laufbahnverordnung seien mit höherrangigem Recht vereinbar. Das Verwaltungsgericht habe auch zu Recht das Vorliegen von Ausnahmetatbeständen abgelehnt. Einer Vorlage nach Art. 267 Abs. 3 AEUV im Hinblick auf die Vereinbarkeit mit Unionsrecht bedürfe es nicht, weil sich die von der Beschwerdeführerin gestellten Fragen auf Grundlage der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Gerichtshofs der Europäischen Union beantworten ließen.
II.
Die anwaltlich nicht vertretene Beschwerdeführerin wendet sich mit ihrer Verfassungsbeschwerde gegen den Beschluss des Oberverwaltungsgerichts vom 16. Oktober 2012 und der Sache nach auch gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts und den Bescheid der Bezirksregierung. Sie rügt die Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG, Art. 33 Abs. 2, Abs. 5 GG, Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG sowie Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) durch die Ablehnung ihrer Verbeamtung wegen Überschreitung einer Altersgrenze. Sie wendet sich bei sachgerechter Auslegung ihrer Beschwerdeschrift auch mittelbar gegen die Regelungen in §§ 6 Abs. 1 und 52 Abs. 1 LVO 2009. Die Beschwerdeführerin hatte darüber hinaus im Hinblick auf den absehbaren Beginn ihres Ruhestands zunächst noch den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt, nahm diesen Antrag aber mit Schreiben vom 11. August 2015 zurück.
III.
1. Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt, weil dies zur Durchsetzung der Grundrechte der Beschwerdeführerin angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Verfassungsbeschwerde ist mit Blick auf die für den vorliegenden Fall maßgeblichen und durch das Bundesverfassungsgericht bereits hinreichend geklärten Fragen offensichtlich begründet (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG).
2. Die angegriffenen Entscheidungen greifen in Grundrechte der Beschwerdeführerin ein. Da das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 21. April 2015 - 2 BvR 1322/12 und 2 BvR 1989/12 - festgestellt hat, dass die durch die Verordnung des Landes Nordrhein-Westfalen in der Fassung vom 30. Juni 2009 auf der Grundlage des § 5 Abs. 1 Satz 1 LBG festgelegten Höchstaltersgrenzen für die Einstellung in das Beamtenverhältnis auf Probe mit dem Grundgesetz nicht vereinbar sind, fehlt es auch für den ablehnenden Bescheid gegenüber der Beschwerdeführerin an einer Ermächtigungsgrundlage. Die Regelungen der § 6 Abs. 1 Satz 1, § 52 Abs. 1 und § 84 Abs. 2 LVO 2009, nach denen die Einstellung aufgrund des erreichten Lebensalters verweigert werden kann, verstoßen insoweit gegen Art. 33 Abs. 2 GG. Die auf diesen Vorschriften beruhenden gerichtlichen und behördlichen Entscheidungen verletzen daher die Beschwerdeführerin in ihrem grundrechtsgleichen Recht aus Art. 33 Abs. 2 GG.
3. Gemäß § 95 Abs. 2 BVerfGG sind die angegriffenen Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts des Landes Nordrhein-Westfalen und des Verwaltungsgerichts aufzuheben. Die Sache wird an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen, weil zumindest im Falle von übereinstimmenden Erledigungserklärungen zu erwarten ist, dass der Verwaltungsrechtsstreit dort auf der Grundlage des vorliegenden Urteils zum Abschluss gebracht werden kann. Bei einer Zurückverweisung an das Oberverwaltungsgericht müsste dieses, bevor es zu einer das Verfahren beendenden Entscheidung gelangen könnte, erst über den Antrag der Beschwerdeführerin befinden, die Berufung gemäß §§ 124 ff. VwGO zuzulassen (vgl. BVerfGE 104, 337 <356>), wobei vorliegend der Ablauf der Dienstzeit als erledigendes Ereignis im Hinblick auf die Zulassungsvoraussetzungen von § 124a Abs. 2 bis 6 VwGO eine zusätzliche Rechtsschutzerschwernis darstellen würde.
4. Die Zurückverweisung an das Verwaltungsgericht ist unabhängig davon geboten, dass im weiteren Verfahren im Hinblick auf den zum 1. November 2015 offenbar anstehenden Eintritt der Beschwerdeführerin in den Ruhestand und die schon erfolgte tatsächliche Beendigung der beruflichen Tätigkeit zum 31. Juli 2015 möglicherweise nur noch über die Rechtsfolgen einer Erledigung der Hauptsache zu entscheiden sein wird, was insbesondere die Kosten des Verfahrens betrifft (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 28. April 2011 - 1 BvR 2411/10 -, juris). Die Entscheidung über ihre (erfolgreiche) Verfassungsbeschwerde wäre im Rahmen einer nachfolgenden Entscheidung auf der Grundlage von § 161 Abs. 2 VwGO nach billigem Ermessen zu berücksichtigen. Zudem ist zu Gunsten der Beschwerdeführerin - hier ungeachtet der konkreten Erfolgsaussichten eines solchen Rechtsmittels - die Erhebung einer Fortsetzungsfeststellungsklage (vgl. BVerwG, Urteil vom 15. November 1984 - 2 C 56/81 -, juris) im Anschluss an die Beendigung ihrer Tätigkeit als Lehrerin nicht grundsätzlich auszuschließen, was ebenfalls sachgerecht die Zurückverweisung zum Verwaltungsgericht bedingt, da die Beschwerdeführerin für diesen Streitgegenstand ansonsten die Ausgangsinstanz verlöre. Eine Ausnahme von der Zurückverweisung, wie dies etwa bei einer originären Eilregelung ohne Sachentscheidung angenommen wird (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 24. Februar 2003 - 1 BvQ 8/01 -, juris), ist vorliegend nicht gegeben.
5. Die Anordnung der Auslagenerstattung folgt aus § 34a Abs. 2 BVerfGG.