Entscheidungsdatum: 21.12.2015
I.
Die Anträge der Beschwerdeführer sind darauf gerichtet, § 217 StGB in der Fassung durch das Gesetz zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung vom 3. Dezember 2015 (BGBl I S. 2177) außer Vollzug zu setzen. Gemäß dem neu gefassten § 217 Abs. 1 StGB macht sich derjenige strafbar, der in der Absicht, die Selbsttötung eines anderen zu fördern, diesem hierzu geschäftsmäßig die Gelegenheit gewährt, verschafft oder vermittelt. Die Tat wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Als Teilnehmer bleibt gemäß § 217 Abs. 2 StGB straffrei, wer selbst nicht geschäftsmäßig handelt und entweder Angehöriger des in Absatz 1 genannten anderen ist oder diesem nahesteht.
In dieser am 10. Dezember 2015 in Kraft getretenen Vorschrift sehen die Beschwerdeführer eine Verletzung ihres Selbstbestimmungsrechts über das eigene Sterben, das Bestandteil des allgemeinen Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) sei, zumindest aber von der allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) umfasst werde.
Die Beschwerdeführer sind alle Mitglieder des Vereins Sterbehilfe Deutschland e.V., dessen Zweck gemäß § 2 Abs. 1 der Vereinssatzung insbesondere die Unterstützung seiner Mitglieder bei der Durchsetzung des "Recht[s] auf Selbstbestimmung bis zum letzten Atemzug" ist. Gemäß § 2 Abs. 4 der Satzung ermöglicht der Verein einem Mitglied, das aus dem Leben scheiden will, "unter Beachtung der jeweils geltenden deutschen und schweizerischen Rechtsordnung" einen begleiteten Suizid.
Die Beschwerdeführer tragen vor, sich über einen längeren Zeitraum ausführlich mit der Option eines Suizids beschäftigt zu haben und wegen ihrer gesundheitlichen Beeinträchtigungen ernsthaft gewillt zu sein, ihrem Leben unter bestimmten Voraussetzungen in der nahen Zukunft ein Ende zu setzen. Zum Beleg ihrer uneingeschränkten Fähigkeit zur Einsicht und selbstbestimmten Willensbildung haben sie jeweils ein Gutachten eines Facharztes für Neurologie und Psychiatrie vorgelegt.
Der Verein hat ihnen zwischen April und Juni 2014 auf ihren Wunsch hin und nach Maßgabe seiner ethischen Grundsätze die - als "grünes Licht" bezeichnete - Zusage erteilt, sie im Falle eines eigenverantwortlichen Sterbewunsches bei einer Selbsttötung zu unterstützen. Im Hinblick auf den Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens zu dem von den Beschwerdeführern angegriffenen § 217 StGB hat der Verein allerdings durch Pressemitteilung vom 27. November 2015 erklärt, keine Suizidbegleitungen mehr durchzuführen. Bereits durch eine zum 30. August 2015 erfolgte Satzungsänderung hatte der Verein in § 2a der Satzung geregelt, sich an eine in Kraft getretene Regelung, die eine Begleitung beim Suizid verbietet, halten zu wollen.
Die Beschwerdeführer sehen sich in ihrem Selbstbestimmungsrecht über das eigene Sterben zum einen als (mögliche) Adressaten der Strafnorm verletzt. Es sei nicht mit hinreichender Sicherheit auszuschließen, dass sie sich als Teilnehmer einer Tat gemäß § 217 StGB strafbar machen könnten. Es komme insbesondere eine Strafbarkeit wegen Anstiftung gemäß §§ 217, 26 StGB in Betracht, wenn sie als Suizidwillige bei dem potenziellen Förderer des Suizids einen Tatentschluss im Sinne des § 217 StGB hervorrufen sollten. Zum anderen umfasse der Schutzbereich des Selbstbestimmungsrechts über den eigenen Tod auch die Inanspruchnahme der Hilfe Dritter zu diesem Zweck. § 217 StGB erschwere oder verhindere jedoch durch die Strafandrohung für den geschäftsmäßigen Suizidhelfer die von Beschwerdeführern gewünschte Inanspruchnahme professioneller Hilfe beim Suizid.
II.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung bleibt ohne Erfolg.
1. Da eine Entscheidung des Senats über die Annahme der Verfassungsbeschwerde bislang nicht ergangen ist, ist die Kammer für alle die Verfassungsbeschwerde betreffenden Entscheidungen zuständig (§ 93d Abs. 2 Satz 1 BVerfGG). Dies gilt auch - mit der Einschränkung des § 93d Abs. 2 Satz 2 BVerfGG - für das Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.
2. Nach § 32 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Dabei haben die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit des angegriffenen Hoheitsaktes vorgetragen werden, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben, es sei denn, die Verfassungsbeschwerde wäre von vornherein unzulässig oder offensichtlich unbegründet (vgl. BVerfGE 7, 367 <371>; 68, 233 <235>; 71, 158 <161>; 79, 379 <383>; 91, 140 <144>; 103, 41 <42>; stRspr). Bei offenem Ausgang muss das Bundesverfassungsgericht die Folgen, die einträten, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen abwägen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde aber der Erfolg zu versagen wäre (vgl. BVerfGE 88, 169 <172>; 88, 173 <179 f.>; 91, 140 <144>; 99, 57 <66>; stRspr).
Wenn die Aussetzung des Vollzugs eines Gesetzes begehrt wird, ist bei der Prüfung, ob die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung vorliegen, ein besonders strenger Maßstab anzulegen. Das Bundesverfassungsgericht darf von seiner Befugnis, ein Gesetz außer Kraft zu setzen, nur mit größter Zurückhaltung Gebrauch machen, ist doch der Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen ein Gesetz stets ein erheblicher Eingriff in die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers. Die Gründe, die für den Erlass einer einstweiligen Anordnung sprechen, müssen daher im Vergleich zu Anordnungen, die weniger schwer in die Interessen der Allgemeinheit eingreifen, bei Gesetzen ganz besonderes Gewicht haben (vgl. BVerfGE 46, 337 <340>; 85, 167 <171>; 104, 23 <27 f.>; 104, 51 <55 f.>; 117, 126 <135>; 122, 342 <361 f.>; BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 26. August 2015 - 2 BvF 1/15 -, juris, Rn. 12; Beschluss des Ersten Senats vom 6. Oktober 2015 - 1 BvR 1571/15 u.a. -, juris, Rn. 13; stRspr). Zudem rechtfertigen schwere Nachteile oder ein anderer wichtiger Grund für sich eine einstweilige Anordnung noch nicht. Ihr Erlass muss zur Abwehr der Nachteile auch unter Berücksichtigung der bei einer Verfassungsbeschwerde gegen ein Gesetz erforderlichen Zurückhaltung des Senats dringend geboten sein. Die in § 32 Abs. 1 BVerfGG geforderte Dringlichkeit ist als Unaufschiebbarkeit einer zumindest vorläufigen Regelung zu verstehen (BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 27. April 2000 - 2 BvR 801/99 -, juris, Rn. 29; Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 9. Juni 2004 - 1 BvR 668/04 -, juris, Rn. 4).
3. Die Verfassungsbeschwerde ist weder von vornherein unzulässig noch offensichtlich unbegründet. Derzeit ist jedoch in Anbetracht des besonders strengen Prüfungsmaßstabs nicht feststellbar, dass die Beschwerdeführer bei Fortgeltung der angegriffenen Strafvorschrift bis zur Entscheidung in der Hauptsache so gravierende Nachteile erleiden würden, dass es zum jetzigen Zeitpunkt unabdingbar wäre, das angegriffene Gesetz auf der Grundlage des § 32 BVerfGG außer Vollzug zu setzen.
a) Sofern § 217 StGB nicht außer Vollzug gesetzt wird, wären die Beschwerdeführer jedenfalls bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache gehindert, die von ihnen grundsätzlich gewünschte Form einer begleiteten Selbsttötung in Anspruch zu nehmen, da der Verein Sterbehilfe Deutschland e.V. durch das strafbewehrte Verbot einer geschäftsmäßigen Sterbehilfe gehindert ist, die den Beschwerdeführern zugesagte Unterstützung zu leisten.
aa) Entgegen der von den Beschwerdeführern vertretenen Rechtsansicht, würden diese sich jedoch selbst dann keinem Risiko einer Strafbarkeit aussetzen, wenn sie Mitarbeiter des Vereins oder andere Personen als geschäftsmäßige Suizidhelfer zu tatbestandsmäßigen Förderungshandlungen im Sinne des § 217 StGB bestimmen oder Beihilfehandlungen zu einer solchen Tat leisten sollten. Eine Strafbarkeit wegen Anstiftung oder Beihilfe zu einer geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung kommt nach den Grundsätzen einer sogenannten notwendigen Teilnahme nicht in Betracht. Eine notwendige Teilnahme liegt vor, wenn die Tatbestandsverwirklichung begrifflich die Mitwirkung mehrerer voraussetzt. Demgemäß bleibt insbesondere das durch die Strafvorschrift geschützte Opfer auch bei einer Mitwirkungshandlung straflos (vgl. BGHSt 10, 386; BGH, Urteil vom 19. Januar 1993 - 1 StR 518/92 -, MDR 1993, S. 563; Heine/Weißer, in: Schönke/Schröder, StGB, 29. Aufl. 2014, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 42 m.w.N.). Da es bei einer Mitwirkungshandlung des geschützten Rechtsgutsinhabers generell an der für eine strafbare Teilnahme notwendigen eigenständigen Unrechtsverwirklichung fehlt (vgl. Heine/Weißer, a.a.O., Rn. 42), kommt es auch nicht darauf an, ob die Teilnahmehandlung das Maß des zur Tatbestandsverwirklichung Notwendigen nicht überschreitet.
Aus der Begründung des Gesetzentwurfs ergibt sich, dass gerade der potenzielle Suizident vor einer abstrakt das Leben und die Autonomie des Einzelnen gefährdenden Handlung in Form einer geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung geschützt werden soll (vgl. BTDrucks 18/5373, S. 11 f., 14). Ebenso wie sich der Sterbewillige bei einem missglückten Tötungsversuch, der von einem anderen auf ausdrücklichen Wunsch des Opfers hin unternommen wurde, nicht wegen Teilnahme an einer Tötung auf Verlangen (§ 216 StGB) strafbar machen kann (Eser/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, StGB, 29. Aufl. 2014, § 216 Rn. 18), bleibt daher auch der Suizidwillige, der bei einem anderen den Entschluss zu einer Förderungshandlung im Sinne des § 217 StGB weckt oder eine Beihilfehandlung hierzu erbringt, straflos. Diese Straffreistellung des Suizidwilligen entspricht auch dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers, der allein im Hinblick auf die Anwendbarkeit der Grundsätze einer notwendigen Teilnahme von einer expliziten Straffreistellung abgesehen hat (vgl. BTDrucks 18/5373, S. 20).
bb) Die Beschwerdeführer sind daher von der Strafandrohung des § 217 StGB nicht als Normadressaten, sondern nur insoweit betroffen, als das Verbot einer geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung die von ihnen grundsätzlich gewünschte konkrete Art eines begleiteten Suizids mit Unterstützung des Vereins Sterbehilfe Deutschland e.V. verhindert.
Dabei ist jedoch zum einen zu berücksichtigen, dass die Beschwerdeführer ihren grundsätzlichen Wunsch nach einem begleiteten Suizid in den von ihnen gegenüber dem Verein Sterbehilfe Deutschland e.V. ausgefüllten Fragebögen bereits in einem Zeitraum von Mai 2013 bis Januar 2014 geäußert haben, ohne dass sich seitdem ihr Wunsch aktualisiert hätte. Zum anderen würde eine Fortgeltung des § 217 StGB bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache nur zu einem weiteren Aufschub der beabsichtigen Form der begleiteten Selbsttötung führen, die im Falle eines Erfolgs der Verfassungsbeschwerden in der Hauptsache noch realisiert werden könnte. Der Eintritt irreversibler Folgen ist somit nicht zu befürchten. Schließlich ist zu berücksichtigen, dass die von den Beschwerdeführern gewünschte Selbstbestimmung über ihr eigenes Sterben durch eine Fortgeltung des § 217 StGB nicht vollständig verhindert, sondern lediglich hinsichtlich des als Unterstützer in Betracht kommenden Personenkreises beschränkt wird. Selbst die Inanspruchnahme professioneller ärztlicher Unterstützung wäre für die Beschwerdeführer nicht gänzlich ausgeschlossen, sofern der betreffende Helfer nicht das Tatbestandsmerkmal der Geschäftsmäßigkeit erfüllt.
b) Für den Fall, dass die einstweilige Anordnung ergeht, die Verfassungsbeschwerde aber später erfolglos bliebe, sind nicht nur die Folgen zu berücksichtigen, die sich für die Beschwerdeführer und diejenigen ergeben, die sich aufgrund eines frei gebildeten Willensentschlusses ebenso wie die Beschwerdeführer zu einer durch geschäftsmäßig tätige Helfer im Sinne des § 217 StGB begleiteten Selbsttötung entschlossen haben. Bei der Folgenabwägung sind vielmehr die Auswirkungen auf alle von dem Gesetz Betroffenen zu berücksichtigen (vgl. BVerfGE 112, 284 <292>; 122, 342 <362>; 131, 47 <61>).
Es ist daher zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber bei Beschluss des § 217 StGB davon ausgegangen ist, dass eine Entwicklung hin zu einer zunehmenden Verbreitung des assistierten Suizids nicht nur künftig zu befürchten, sondern bereits eingetreten ist. Der Gesetzgeber sieht mit dieser Entwicklung die Gefahr verbunden, dass der "fatale Anschein einer Normalität" und schlimmstenfalls sogar der sozialen Gebotenheit der Selbsttötung entstehen und dadurch auch Menschen zur Selbsttötung verleitet werden könnten, die dies ohne ein Angebot eines assistierten Suizids aus eigenem Antrieb nicht täten (BTDrucks 18/5373, S. 11 mit weiterem Verweis auf BTDrucks 17/11126, S. 1, 6 und 7). Weder der Vortrag der Beschwerdeführer noch sonstige Anhaltspunkte lassen darauf schließen, dass die tatsächlichen Feststellungen, von denen der Gesetzgeber ausgegangen ist, offensichtlich fehlerhaft sein könnten und die von diesem prognostizierte weitere Entwicklung einer rationalen Grundlage entbehren könnte.
Für den Fall, dass § 217 StGB außer Vollzug gesetzt würde, ist daher zu besorgen, dass sich insbesondere unter schweren Erkrankungen leidende, auf fremde Hilfe angewiesene Personen, die in weit geringerem Maße als die Beschwerdeführer zu einer selbstbestimmten und reflektierten Entscheidung über das eigene Sterben in der Lage sind, durch die dann fortsetzbaren Angebote geschäftsmäßiger Förderung der Selbsttötung zu einem Suizid verleiten lassen könnten. Es kann dabei auch nicht davon ausgegangen werden, dass jeder geschäftsmäßige Anbieter einer Suizidassistenz seine Leistungen von der Erfüllung ethischer Standards abhängig macht, die den "Ethischen Grundsätzen" entsprechen, die der Verein Sterbehilfe Deutschland e.V. gemäß § 2 Abs. 1 Satz 4 seiner Satzung für verbindlich erklärt hat.
Schließlich ist zu berücksichtigen, dass bei Erlass der einstweiligen Anordnung der durch § 217 StGB bezweckte Schutz menschlichen Lebens als eines grundrechtlich durch Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG geschützten Rechtsguts von höchstem Rang (vgl. BVerfGE 115, 118 <152> m.w.N.) und der Schutz des autonomen Umgangs des Einzelnen mit diesem Rechtsgut vor einer jedenfalls abstrakten Gefährdung entfallen würde. Die Anzahl der Personen, bei denen sich diese abstrakte Gefährdung vom Zeitpunkt des Erlasses der einstweiligen Anordnung bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache realisieren könnte, ist dabei kaum einzuschätzen.
c) Insgesamt wiegen die Nachteile, die bei einer Aussetzung des Vollzugs des § 217 StGB drohen, schwerer als die nachteiligen Folgen, die auf Seiten der Beschwerdeführer eintreten, wenn die einstweilige Anordnung nicht erlassen wird.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.