Entscheidungsdatum: 06.10.2015
Der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 29. August 2011 - 6 A 965/11 -, das Urteil des Verwaltungsgerichts Münster vom 12. April 2011 - 4 K 2032/09 - und der Bescheid der Bezirksregierung Münster vom 7. September 2009 - 47.5.6 - verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 33 Absatz 2 des Grundgesetzes. Der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts und das Urteil des Verwaltungsgerichts werden aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen.
Das Land Nordrhein-Westfalen hat dem Beschwerdeführer seine notwendigen Auslagen für das Verfassungsbeschwerdeverfahren zu erstatten.
Der Gegenstandswert für das Verfassungsbeschwerdeverfahren wird auf 60.000 € (in Worten: sechzigtausend Euro) festgesetzt.
I.
Der Beschwerdeführer wendet sich mit seiner Verfassungsbeschwerde gegen die Ablehnung der Verbeamtung aufgrund einer Höchstaltersgrenze. Er ist angestellter Lehrer im öffentlichen Schuldienst des Landes Nordrhein-Westfalen und begehrt die Übernahme in das Beamtenverhältnis auf Probe, obwohl er das 40. Lebensjahr und damit die laufbahnrechtliche Altersgrenze für die Einstellung bereits überschritten hat.
1. Lehrerinnen und Lehrer an öffentlichen Schulen werden in Nordrhein-Westfalen, sofern die laufbahn- und sonstigen beamtenrechtlichen Voraussetzungen vorliegen, in der Regel verbeamtet (§ 57 Abs. 4 Satz 2 des Schulgesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen vom 15. Februar 2005 in der Fassung des Gesetzes vom 25. Juni 2015
2. Der Beschwerdeführer durchlief von 1971 bis 1974 eine Ausbildung zum Bankkaufmann und war danach bei einer Sparkasse angestellt. Nach Absolvierung des Abiturs am Abendgymnasium studierte er von 1976 bis 1983 Elektrotechnik, Physik und Musik und legte 1983 die Erste sowie 1986 die Zweite Staatsprüfung für das Lehramt (Sekundarstufe II) ab. Von 1986 bis 2000 war er Dozent an der Sparkassenakademie des Sparkassen- und Giroverbandes. Danach wurde er zunächst befristet und seit 2001 unbefristet als Lehrer im Schuldienst des Landes angestellt. Einen Antrag auf Übernahme in das Beamtenverhältnis auf Probe lehnte die Bezirksregierung Münster mit Bescheid vom 20. Februar 2001 ab.
3. Das Bundesverwaltungsgericht erklärte mit Urteil vom 19. Februar 2009 - 2 C 18.07 - (BVerwGE 133, 143) die Einstellungshöchstaltersgrenzen der Laufbahnverordnung vom 23. November 1995 (GVBl 1996 S. 1) in der Fassung des Gesetzes vom 3. Mai 2005 (GVBl S. 498) für unwirksam. Da Einstellungshöchstaltersgrenzen im Beamtenrecht den Leistungsgrundsatz aus Art. 33 Abs. 2 GG einschränkten, dürften sie nicht voraussetzungslos im Ermessen der Verwaltung stehen. Der Gesetzgeber müsse ihre Regelung einschließlich der Ausnahmetatbestände selbst treffen.
4. Aufgrund von § 5 Abs. 1 Landesbeamtengesetz (LBG) in der Fassung vom 21. April 2009 (GVBl S. 224) beschloss die Landesregierung mit Wirkung zum 18. Juli 2009 in Artikel 1 der Verordnung zur Änderung der Laufbahnverordnung und anderer dienstrechtlicher Vorschriften (GVBl S. 381) eine teilweise Neuregelung der Laufbahnverordnung (im Folgenden LVO 2009). Sie hob die Altersgrenze zur Einstellung oder Übernahme in das Beamtenverhältnis auf Probe an; in das Beamtenverhältnis konnte danach berufen werden, wer das 40. Lebensjahr noch nicht vollendet hatte. Zugleich normierte sie die Möglichkeiten des Überschreitens der Höchstaltersgrenze neu.
5. Nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 19. Februar 2009 (2 C 18.07) beantragte der Beschwerdeführer im Juni 2009 erneut die Übernahme in das Beamtenverhältnis auf Probe. Die Bezirksregierung lehnte den Antrag mit Bescheid vom 7. September 2009 unter Bezugnahme auf die Neuregelung der Laufbahnverordnung ab. Die hiergegen erhobene Klage wies das Verwaltungsgericht Münster mit Urteil vom 12. April 2011 ab. Der Beschwerdeführer habe das 40. Lebensjahr und damit die laufbahnrechtliche Höchstaltersgrenze überschritten. Maßgebend sei insoweit die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung. Der Beschwerdeführer habe nicht darauf vertrauen dürfen, das Land werde keine neue Höchstaltersregelung treffen. Bedenken gegen die Neuregelung der Altersgrenzen in den §§ 6, 52, 84 LVO 2009 bestünden nicht. Auch kämen Ausnahmetatbestände zugunsten des Beschwerdeführers nicht in Betracht. Zwar sei die Ablehnung seines Verbeamtungsantrags im Jahr 2001 rechtswidrig gewesen, die Entscheidung sei aber bestandskräftig geworden. Eine Verpflichtung zum Wiederaufgreifen des damaligen Verfahrens bestehe nicht, das Land habe sein Ermessen insoweit auch beanstandungsfrei ausgeübt.
6. Den Antrag auf Zulassung der Berufung wies das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen mit Beschluss vom 29. August 2011 zurück. Der Beschwerdeführer habe ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nicht dargelegt. Er habe damit rechnen müssen, dass auch nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts am laufbahnrechtlichen Institut einer Höchstaltersgrenze festgehalten werde. Eine Übergangsregelung, welche die Übernahme rechtswidrig, aber bestandskräftig abgelehnter Bewerber ermögliche, habe der Verordnungsgeber von Verfassungs wegen nicht schaffen müssen. Mit seinem Einwand, Höchstaltersgrenzen könnten durch eine Änderung des Versorgungsrechts vermieden werden, verkenne der Beschwerdeführer den Gestaltungsspielraum des Verordnungsgebers.
II.
1. Der Beschwerdeführer rügt mit seiner Verfassungsbeschwerde die Verletzung von Art. 2 Abs. 1 GG, Art. 3 Abs. 1 GG, Art. 20 Abs. 3 GG sowie Art. 33 Abs. 2 GG und wendet sich mittelbar auch gegen die Neuregelungen in §§ 6 Abs. 1 Satz 1, 52 Abs. 1, 84 Abs. 2 LVO 2009. Die Einstellungsaltersgrenze der Laufbahnverordnung schränke den Leistungsgrundsatz des Art. 33 Abs. 2 GG unzulässig ein und sei schon daher unwirksam. Das Land habe darüber hinaus auch insofern gegen den Vorbehalt des Gesetzes verstoßen, weil es seinen vor Erlass der Neuregelung gestellten erneuten Antrag auf Übernahme in das Beamtenverhältnis auf Probe auf der Grundlage der erst später neu gefassten Laufbahnverordnung beschieden habe. Die Neuregelung genüge ferner nicht den Vorgaben des Bundesverwaltungsgerichts, lasse die notwendige Normenklarheit vermissen und sei nicht hinreichend bestimmt. Angesichts der verwendeten unbestimmten Rechtsbegriffe - insbesondere in § 84 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 LVO 2009 - überlasse sie die Generierung von Ausnahmetatbeständen nach wie vor der Verwaltung.
2. Die Verfassungsbeschwerde wurde der Landesregierung Nordrhein-Westfalen unter Hinweis auf die Entscheidung in den Senatsverfahren 2 BvR 1322/12 und 2 BvR 1989/12 zugestellt. Eine über die vorgenannten Verfahren hinausgehende weitere Stellungnahme ist nicht erfolgt. Die Gerichtsakten der Vorinstanzen haben der Kammer vorgelegen.
III.
1. Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt, weil dies zur Durchsetzung der Grundrechte des Beschwerdeführers angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Verfassungsbeschwerde ist mit Blick auf die für den vorliegenden Fall maßgeblichen und durch das Bundesverfassungsgericht bereits hinreichend geklärten Fragen offensichtlich begründet (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG).
2. Die angegriffenen Entscheidungen greifen in Grundrechte des Beschwerdeführers ein. Da das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 21. April 2015 - 2 BvR 1322/12 und 2 BvR 1989/12 - festgestellt hat, dass die durch die Verordnung des Landes Nordrhein-Westfalen in der Fassung vom 30. Juni 2009 auf der Grundlage des § 5 Abs. 1 Satz 1 LBG festgelegten Höchstaltersgrenzen für die Einstellung in das Beamtenverhältnis auf Probe mit dem Grundgesetz nicht vereinbar sind, fehlt es auch für den ablehnenden Bescheid gegenüber dem Beschwerdeführer an einer Ermächtigungsgrundlage. Die Regelungen der § 6 Abs. 1 Satz 1, § 52 Abs. 1 und § 84 Abs. 2 LVO 2009, nach denen die Einstellung aufgrund des erreichten Lebensalters verweigert werden kann, verstoßen insoweit gegen Art. 33 Abs. 2 GG. Die auf diesen Vorschriften beruhenden gerichtlichen und behördlichen Entscheidungen verletzen daher den Beschwerdeführer in seinem grundrechtsgleichen Recht aus Art. 33 Abs. 2 GG.
3. Gemäß § 95 Abs. 2 BVerfGG sind die angegriffenen Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen und des Verwaltungsgerichts Münster aufzuheben. Die Sache wird an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen, weil zu erwarten ist, dass der Verwaltungsrechtsstreit dort auf der Grundlage des vorliegenden Urteils zum Abschluss gebracht werden kann. Bei einer Zurückverweisung an das Oberverwaltungsgericht müsste dieses, bevor es zu einer das Verfahren beendenden Entscheidung gelangen könnte, erst über den Antrag des Beschwerdeführers befinden, die Berufung gemäß §§ 124 ff. VwGO zuzulassen (vgl. BVerfGE 104, 337 <356>).
4. Die Anordnung der Auslagenerstattung folgt aus § 34a Abs. 2 BVerfGG.
5. Grundlage der Festsetzung des Gegenstandswerts für das Verfassungsbeschwerdeverfahren ist § 37 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit § 14 Abs. 1 RVG (vgl. BVerfGE 79, 365 <366 ff.>). Die Erhöhung des Gegenstandswertes gegenüber den Festsetzungen der Instanzgerichte ergibt sich aus der objektiven Bedeutung der Verfahren im Hinblick auf die Regelungen beamtenrechtlicher Einstellungshöchstaltersgrenzen.