Bundesverfassungsgericht

Entscheidungsdatum: 07.11.2012


BVerfG 07.11.2012 - 2 BvR 1567/11

Nichtannahmebeschluss: Keine Verletzung von Grundrechten und grundrechtsgleichen Rechten durch Unterbringung in einem Haftraum mit nur wenig über 6 qm Grundfläche - zur Zulässigkeit der Kopplung des Behandlungsangebots an einen Wechsel auf eine Behandlungsstation


Gericht:
Bundesverfassungsgericht
Spruchkörper:
2. Senat 3. Kammer
Entscheidungsdatum:
07.11.2012
Aktenzeichen:
2 BvR 1567/11
ECLI:
ECLI:DE:BVerfG:2012:rk20121107.2bvr156711
Dokumenttyp:
Nichtannahmebeschluss
Vorinstanz:
vorgehend OLG Frankfurt, 16. Juni 2011, Az: 3 Ws 274/11 (StVollz), Beschlussvorgehend LG Gießen, 3. Februar 2011, Az: 2 StVK - Vollz. - 728/10, Beschluss
Zitierte Gesetze
Art 3 MRK

Gründe

1

1. a) Soweit der strafgefangene Beschwerdeführer rügt, dass seine Behandlung von einer Verlegung in einen menschenunwürdigen Haftraum auf der Behandlungsstation der Justizvollzugsanstalt abhängig gemacht werde, ist die Verfassungsbeschwerde, soweit nicht bereits unzulässig, unbegründet.

2

aa) Die Unterbringung eines einzelnen Gefangenen in einem Haftraum, in dem ihm eine Grundfläche von nur wenig über 6 m2 zur Verfügung steht, liegt zwar an der unteren Grenze des Hinnehmbaren, verletzt aber - jedenfalls wenn es sich, wie im Fall des Angebots, das dem Beschwerdeführer gemacht wurde, um eine Unterbringung im wohngruppennahen Vollzug mit weitreichenden Möglichkeiten der Zeitverbringung außerhalb des Haftraums handelt - noch nicht die Menschenwürde (vgl. zu den Anforderungen an die Grundfläche des Haftraums bei Einzelunterbringung BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 19. Oktober 1993 - 2 BvR 1778/93 -, juris; bei Mehrfachbelegung BVerfGK 12, 410 <415 ff.>; 13, 67 <68>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 7. November 2011 - 1 BvR 1403/09 -, juris; VerfGH Berlin, Beschluss vom 3. November 2009 - VerfGH 184/07 - juris, jew. m.w.N.). Auch eine Verletzung des Art. 3 EMRK - die insofern von Bedeutung wäre, als die Grundrechte des Grundgesetzes nach Möglichkeit so auszulegen sind, dass Verstöße gegen die Europäische Menschenrechtskonvention vermieden werden (vgl. BVerfGE 111, 307 <329>; 128, 326 <367 f.>) - ist nicht ersichtlich. In der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte sind Verstöße gegen Art. 3 EMRK nur in Fällen erheblich gravierenderer Beengtheit der räumlichen Verhältnisse festgestellt worden (vgl. BVerfGK 12, 410 <417>, m.w.N., sowie aus jüngerer Zeit EGMR, Urteil vom 7. April 2009,  Brânduşe ./. Rumänien, Beschwerde Nr. 6586/03, Rn. 49; Urteil vom 20. Januar 2009,  Sławomir Musiał ./. Polen, Beschwerde Nr. 28300/06, Rn. 95; Urteil vom 16. Juli 2009, Sulejmanovic ./. Italien, Beschwerde Nr. 22635/03, Rn. 43; Urteil vom 12. März 2009, Aleksandr Makarov ./. Russland, Beschwerde Nr. 15217/07, Rn. 93; Urteil vom 22. Mai 2012, Idalov ./. Russland, Beschwerde Nr. 5826/03, Rn. 101, m.w.N.). Das Europäische Komitee zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung (CPT) hat für Hafträume, die in Einzelbelegung für Aufenthalte von mehr als einigen Stunden Dauer vorgesehen sind, eine Grundfläche von 7 m 2 als wünschenswert bezeichnet, zugleich aber ausdrücklich klargestellt, dass es sich hier nicht um einen Mindeststandard handele (CPT-Standards, CPT/Inf/E(2002)1 - Rev. 2010, Rn. 43). Der jüngste allgemeine Jahresbericht des CPT betont, dass Zellen, die weniger als 6 m 2 messen, nicht für die Unterbringung von Gefangenen genutzt werden sollten (21st General Report of the CPT, CPT/Inf(2011)28, Rn. 59). Dieser Empfehlung lief die angebotene Unterbringung des Beschwerdeführers auf der Behandlungsabteilung nicht zuwider.

3

bb) Soweit der Beschwerdeführer die Unzumutbarkeit der ihm angebotenen Unterbringung im Verfassungsbeschwerdeverfahren zusätzlich mit dem Verweis darauf begründet, dass ihm in der angebotenen Zelle aufgrund der gegebenen Ausstattung weniger als 2 m² freie Bodenfläche zur Verfügung stehe und das Hauptraumfenster erst in einer Höhe von zwei Metern über dem Boden beginne sowie durch doppelte Vergitterung eine zu geringe Lichtfläche aufweise, ist die Verfassungsbeschwerde - unabhängig von der Frage, inwieweit damit Menschenwürdeverstöße oder sonstige Rechtsverletzungendargetan sind - unzulässig, weil insoweit der Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde nicht gewahrt ist, der es erfordert, dass vor Erhebung der Verfassungsbeschwerde die Möglichkeiten der Abwehr des gerügten Grundrechtsverstoßes im fachgerichtlichen Verfahren genutzt werden (vgl. BVerfGE 107, 395 <414>; 112, 50 <60>; dort auch zur diesbezüglichen Darlegungslast). Der Beschwerdeführer hat es, soweit aus den vorgelegten Unterlagen ersichtlich, versäumt, das von ihm für unzureichend erachtete Maß an verbleibender freier Bodenfläche und die Beschaffenheit des Haftraumfensters bereits im fachgerichtlichen Verfahren zu rügen.

4

b) Soweit die Verfassungsbeschwerde dahin zu verstehen sein sollte, dass der Beschwerdeführer die Koppelung des Behandlungsangebots an einen Wechsel in die angebotene Zelle auch unabhängig davon, ob diese Unterbringung als solche die Grenzen des Zumutbaren überschreitet, im Hinblick darauf beanstanden will, dass eine einzeltherapeuthische Behandlung ohne einen Wechsel auf die Behandlungsstationermöglicht werden könne, ist - abgesehen davon, dass auch insoweit der Grundsatz der Subsidiarität nicht gewahrt sein dürfte - ein Grundrechtsverstoß nicht ersichtlich. Im Hinblick auf das legitime Ziel eines möglichst effizienten Einsatzes der Behandlungskapazitäten ist es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass die Justizvollzugsanstalt diesen Einsatz an einen Wechsel der jeweiligen Gefangenen auf die Behandlungsstation koppelt, die aufgrund der Gesamtheit der dortigen Wohn- und Behandlungsbedingungen insgesamt einen günstigeren Rahmen für therapeutische Erfolge bietet. Auf den Einwand des Beschwerdeführers, die Behandlung eines Gefangenen dürfe nicht von der Zustimmung zur Unterbringung in einen mehrfach belegten Haftraum abhängig gemacht werden (vgl. § 18 HStVollzG), kommt es nicht an, da die Behandlung des Beschwerdeführers nicht von der Unterbringung in einem mehrfach belegten Haftraum, sondern von einem Wechsel in einen - wenn auch besonders kleinen - Einzelhaftraum abhängig gemacht wurde.

5

2. Die Frage, ob in dem Umstand, dass die Justizvollzugsanstalt einzeltherapeutische Behandlung nur auf einer einzigen von mehreren Stationen für einen Bruchteil der Gefangenen anbietet, eine mit dem Anspruch auf einen resozialisierungsorientierten Strafvollzug (vgl. BVerfGE 98, 169 <200 f.>; 116, 69 <85 f.>; stRspr) unvereinbare Unterausstattung mit Behandlungskapazitäten zum Ausdruck kommt, stellt sich im vorliegenden Fall nicht als eine die Grundrechte des Beschwerdeführersbetreffende Frage. Denn die Behandlung des Beschwerdeführersist nicht an einer etwaigen Unterausstattung der Justizvollzugsanstalt mit Behandlungskapazitäten, sondern an seinem Unwillen, sich in den angebotenen Haftraum auf der Behandlungsstation verlegen zu lassen, gescheitert. Ein grundrechtlicher Anspruch des Gefangenen darauf, dass ihm unabhängig von berechtigten organisatorischen Belangen der Anstalt und unabhängig von sachlichen Gesichtspunkten der Behandlungsoptimierung bestimmte Behandlungsmöglichkeiten an seinem bisherigen Unterbringungsort innerhalb der Anstalt, also ohne Verknüpfung mit einem Haftraumwechsel, angeboten werden, besteht nicht.

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3. Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

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Diese Entscheidung ist unanfechtbar.