Entscheidungsdatum: 18.10.2017
Der Gerichtsbescheid des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts vom 15. Mai 2017 - 13 A 342/17 -, soweit er die Bewilligung von Prozesskostenhilfe ablehnt, sowie die Beschlüsse des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts vom 1. Juni 2017 - 13 A 131/17 -, vom 16. Juni 2017 - 13 A 202/17 -, vom 8. Juni 2017 - 13 A 181/17 -, soweit er den Beschwerdeführer zu a) betrifft, vom 14. Juni 2017 - 7 A 49/17 - und vom 3. August 2017 - 13 A 974/17 - verletzen die Beschwerdeführer in ihrem Grundrecht aus Artikel 3 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 19 Absatz 4 Satz 1 des Grundgesetzes.
Die Verfassungsbeschwerde 2 BvR 1682/17 wird bezüglich der Beschwerdeführer zu b), c) und d) nicht zur Entscheidung angenommen.
Die Entscheidungen werden insoweit aufgehoben und die Sachen an das Schleswig-Holsteinische Verwaltungsgericht zurückverwiesen.
Das Land Schleswig-Holstein hat den Beschwerdeführern ihre notwendigen Auslagen im Verfassungsbeschwerdeverfahren zu erstatten.
Der Gegenstandswert der anwaltlichen Tätigkeit wird für die Verfassungsbeschwerdeverfahren auf jeweils 10.000 € (in Worten: zehntausend Euro) festgesetzt.
Das Verfahren betrifft die Ablehnung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe für Aufstockungsklagen von syrischen Asylbewerbern durch das Schleswig-Holsteinische Verwaltungsgericht.
1. Die Beschwerdeführer in den Verfahren 2 BvR 1352/17, 2 BvR 1504/17, 2 BvR 1565/17, 2 BvR 1948/17 und 2 BvR 1987/17 sind am 5. August 1994, am 23. Januar 1992, am 10. März 1997, am 17. Oktober 1997 und am 28. Dezember 1999 geborene männliche syrische Staatsangehörige. Der Beschwerdeführer zu a) in dem Verfahren 2 BvR 1682/17 ist ein am 1. Januar 1977 geborener syrischer Staatsangehöriger, die Beschwerdeführer zu b) bis d) in diesem Verfahren sind seine in den Jahren 2010, 2012 und 2014 geborenen Kinder.
Die Beschwerdeführer reisten in den Jahren 2015 und 2016 in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragten hier Asyl. Sie begründeten die Anträge mit der politischen Verfolgung unverfolgt ausgereister Syrer im Falle ihrer Rückkehr nach Syrien wegen der Asylantragstellung im Ausland und mit der drohenden Einberufung zum Wehrdienst.
Das Bundesamt erkannte jeweils den subsidiären Schutzstatus zu und lehnte die Asylanträge im Übrigen ab. Die drohende Einberufung zum Wehrdienst rechtfertige nicht die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.
2. Die Beschwerdeführer erhoben gegen die Bescheide Klage, die sie unter anderem mit der aus ihrer Sicht ungeklärten Frage begründeten, inwieweit wehrdienstfähigen Männern, die sich dem Wehrdienst durch Ausreise entzogen hätten beziehungsweise sich im Falle einer Rückkehr dem Wehrdienst entziehen wollten, politische Verfolgung drohe. Der Beschwerdeführer in dem Verfahren 2 BvR 1987/17 trug ergänzend vor, dass er sich kurz vor Vollendung des 18. Lebensjahrs befinde, der syrische Staat jedoch auch Minderjährige nach den vorliegenden Auskünften zum Wehrdienst einziehe.
Das Verwaltungsgericht lehnte in allen Verfahren - in dem Verfahren 2 BvR 1352/17 im zeitgleich ergangenen Gerichtsbescheid, in den anderen Verfahren in einem der Hauptsacheentscheidung beigefügten oder am Vortag ergangenen Beschluss - die Bewilligung von Prozesskostenhilfe ab. Die Frage der politischen Verfolgung unverfolgt ausgereister Syrer, die im westlichen Ausland einen Asylantrag gestellt hätten, sei in der Rechtsprechung des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts geklärt. Auch eine Wehrdienstentziehung oder im Falle einer Rückkehr drohende Einberufung rechtfertigten keine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Dies habe die Kammer in Übereinstimmung mit dem Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz und anders als der Bayerische Verwaltungsgerichtshof entschieden.
3. Die Beschwerdeführer erhoben gegen die Beschlüsse jeweils Anhörungsrüge, die erfolglos blieb.
4. Die Beschwerdeführer haben fristgerecht Verfassungsbeschwerde eingelegt, mit der sie im Wesentlichen eine Verletzung der Rechtsschutzgleichheit rügen. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Frage der Bewilligung von Prozesskostenhilfe sei der Zeitpunkt der Bewilligungsreife. Zu diesem Zeitpunkt wie auch gegenwärtig sei die Frage, ob syrischen Flüchtlingen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit deswegen politische Verfolgung drohe, weil sie sich dem Wehrdienst in der syrischen Armee durch Flucht nach Deutschland entzogen hätten, in der Rechtsprechung des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts nicht geklärt und zwischen zahlreichen Oberverwaltungsgerichten und Verwaltungsgerichtshöfen umstritten. Allein die Entscheidung des Verwaltungsgerichts könne nicht zu einer Klärung der Frage führen.
5. Die Akten der Ausgangsverfahren haben dem Bundesverfassungsgericht vorgelegen. Das Land Schleswig-Holstein hatte Gelegenheit zur Stellungnahme.
Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerden in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang zur Entscheidung an und gibt ihnen statt. Die Annahme der Verfassungsbeschwerden in diesem Umfang ist zur Durchsetzung des Grundrechts der Beschwerdeführer aus Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG angezeigt. Die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerden maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen hat das Bundesverfassungsgericht bereits geklärt (vgl. BVerfGE 81, 347 <356 f.>). Die zulässigen Verfassungsbeschwerden sind insoweit in einer die Entscheidungskompetenz der Kammer eröffnenden Weise offensichtlich begründet. Die Entscheidungen des Verwaltungsgerichts verletzen die Beschwerdeführer in ihrer durch Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG grundrechtlich geschützten Rechtsschutzgleichheit.
1. Das Recht auf effektiven und gleichen Rechtsschutz, das für die öffentlich-rechtliche Gerichtsbarkeit aus Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG abgeleitet wird, gebietet eine weitgehende Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes (vgl. BVerfGE 78, 104 <117 f.>; 81, 347 <357> m.w.N.). Es ist dabei verfassungsrechtlich grundsätzlich unbedenklich, die Gewährung von Prozesskostenhilfe davon abhängig zu machen, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg hat und nicht mutwillig erscheint.
Die Auslegung und Anwendung des § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO (hier in Verbindung mit § 166 VwGO) wie auch des jeweils anzuwendenden einfachen Rechts obliegt hierbei in erster Linie den zuständigen Fachgerichten, die dabei von Verfassungs wegen den Zweck der Prozesskostenhilfe zu beachten haben. Das Bundesverfassungsgericht kann nur eingreifen, wenn Verfassungsrecht verletzt ist, insbesondere wenn die angegriffene Entscheidung Fehler erkennen lässt, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung der durch das Grundgesetz verbürgten Rechtsschutzgleichheit beruhen.
Die Fachgerichte überschreiten ihren Entscheidungsspielraum, wenn sie die Anforderungen an das Vorliegen einer Erfolgsaussicht überspannen und dadurch den Zweck der Prozesskostenhilfe, dem Unbemittelten den weitgehend gleichen Zugang zum Gericht zu ermöglichen, deutlich verfehlen (vgl. BVerfGE 81, 347 <357 f.>). Die Prüfung der Erfolgsaussicht soll nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung selbst in das Nebenverfahren der Prozesskostenhilfe vorzuverlagern und dieses an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen (vgl. BVerfGE 81, 347 <357>; vgl. Bergner/Pernice, in: Emmenegger/ Wiedmann, Linien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, Band 2, 241 <258 ff.>). Prozesskostenhilfe ist allerdings nicht bereits zu gewähren, wenn die entscheidungserhebliche Frage zwar noch nicht höchstrichterlich geklärt ist, ihre Beantwortung aber im Hinblick auf die einschlägige gesetzliche Regelung oder die durch die bereits vorliegende Rechtsprechung gewährten Auslegungshilfen nicht in dem genannten Sinne als "schwierig" erscheint. Ein Fachgericht, das § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO dahin auslegt, dass auch schwierige, noch nicht geklärte Rechtsfragen im Prozesskostenhilfeverfahren "durchentschieden" werden können, verkennt jedoch die Bedeutung der verfassungsrechtlich gewährleisteten Rechtsschutzgleichheit (vgl. BVerfGE 81, 347 <359>). Denn dadurch würde dem unbemittelten Beteiligten im Gegensatz zu dem bemittelten die Möglichkeit genommen, seinen Rechtsstandpunkt im Hauptsacheverfahren darzustellen und von dort aus in die höhere Instanz zu bringen (vgl. BVerfGK 2, 279 <282>; 8, 213 <217>).
2. Die angegriffenen Entscheidungen werden diesen verfassungsrechtlichen Vorgaben nicht gerecht, soweit sie der Frage, inwieweit wehrdienstfähigen Männern, die sich dem Wehrdienst durch Ausreise entzogen haben beziehungsweise sich im Falle einer Rückkehr dem Wehrdienst entziehen wollen, die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist, hinreichende Erfolgsaussichten absprechen. Denn diese Frage ist, wovon auch das Verwaltungsgericht ausgeht, in der Entscheidung des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts vom 23. November 2016 - 3 LB 17/16 - nicht beantwortet worden. Die Oberverwaltungsgerichte beziehungsweise Verwaltungsgerichtshöfe der anderen Länder vertreten zu dieser Frage unterschiedliche Auffassungen (vgl. einerseits die Gefahr politischer Verfolgung bejahend BayVGH, Urteil vom 12. Dezember 2016 - 21 B 16.30372 -; VGH BW, Urteil vom 14. Juni 2017 - A 11 S 511/17 -; dies verneinend etwa OVG NW, Urteil vom 4. Mai 2017 - 14 A 2023/16.A -; Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 12. September 2017 - 2 LB 750/17 -, jeweils in juris). Damit lag jedenfalls eine klärungsbedürftige Tatsachenfrage bezüglich der Verfolgungsgefahr für diese Gruppe in Syrien vor, die durch das Verwaltungsgericht nicht im Prozesskostenhilfeverfahren zu Lasten der Beschwerdeführer entschieden werden konnte. Auch das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts vom 3. März 2017 - 13 A 317/17 - konnte insoweit keine abschließende Klärung herbeiführen. Vielmehr gebot es der Zweck der Prozesskostenhilfe, es dem Rechtsschutzsuchenden zu ermöglichen, die klärungsbedürftige Frage in die zur Klärung berufene Instanz zu bringen, Prozesskostenhilfe zu bewilligen.
Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird gemäß § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
Das Land Schleswig-Holstein hat den Beschwerdeführern gemäß § 34a Abs. 2 BVerfGG die notwendigen Auslagen zu erstatten. Die Festsetzung des Werts des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit beruht auf § 37 Abs. 2 Satz 2 RVG.