Bundesverfassungsgericht

Entscheidungsdatum: 19.03.2014


BVerfG 19.03.2014 - 2 BvQ 9/14

Ablehnung einer einstweiligen Anordnung: Chancengleichheit politischer Parteien und staatliche Neutralitätspflicht


Gericht:
Bundesverfassungsgericht
Spruchkörper:
2. Senat 2. Kammer
Entscheidungsdatum:
19.03.2014
Aktenzeichen:
2 BvQ 9/14
Dokumenttyp:
Ablehnung einstweilige Anordnung
Zitierte Gesetze

Gründe

1

Die Antragstellerin sieht sich durch Äußerungen der Oberbürgermeisterin der Landeshauptstadt Saarbrücken im Vorfeld der Europa- und Kommunalwahlen 2014 in ihrem Recht auf Wahrung der Chancengleichheit politischer Parteien verletzt.

I.

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1. Die Antragstellerin will als politische Partei zur Europawahl am 25. Mai 2014 und zu den am selben Tag stattfindenden Kommunalwahlen in Saarbrücken antreten. Ihr wurde von der Landeshauptstadt Saarbrücken zur Durchführung einer Parteiveranstaltung am 18. Januar 2014 zunächst die Nutzung der Festhalle Saarbrücken-Schafbrücke erlaubt, der Zulassungsbescheid jedoch noch vor der Veranstaltung mit der Begründung widerrufen, die Antragstellerin habe nicht offengelegt, dass es sich bei der Parteiveranstaltung um ihren Bundesparteitag handele. Außerdem kam es in der Öffentlichkeit zu Protesten gegen den geplanten Bundesparteitag der Antragstellerin.

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2. Vor diesem Hintergrund veröffentlichte die Landeshauptstadt Saarbrücken auf ihrer Internetseite eine Presseerklärung mit der Überschrift "OB Britz und Rechtsdezernent Thomas Brück fordern Verbot der NPD - Oberbürgermeisterin Charlotte Britz und Thomas Brück, Dezernent für Umwelt, Migration und Recht, haben nach dem geglückten Verhindern des NPD-Bundesparteitages in Saarbrücken ein Verbot der NPD gefordert." und folgendem Wortlaut:

"Wir hatten in diesem konkreten Fall die rechtliche Möglichkeit, den Mietvertrag mit der NPD für die Halle in Schafbrücke zu widerrufen, da uns die Partei hinsichtlich der geplanten Veranstaltung arglistig täuschen wollte", erklärten Charlotte Britz und Thomas Brück. Damit sei zwar für diesen Einzelfall ein juristischer Weg gefunden worden, die NPD-Veranstaltung zu verhindern, das generelle Problem bleibe jedoch weiterhin bestehen. Britz und Brück: "Die NPD ist keine verbotene Partei. Ihr stehen daher die gleichen Rechte wie demokratischen Parteien zu - auch was die Nutzung öffentlicher Hallen betrifft." Der Bundesparteitag werde nun voraussichtlich in einer anderen Stadt stattfinden, das Problem werde verlagert. "Der Missstand, dass die NPD in diesem demokratischen Land ihre Veranstaltungen durchführen darf, bleibt bestehen. Wir brauchen daher endlich ein Verbot der NPD", erklärten Britz und Brück. Unabhängig davon sei die Landeshauptstadt aber erleichtert, dass der Bundesparteitag der NPD nicht in Saarbrücken stattfinden werde. "Wir wollen in Saarbrücken keine Nazis. Wir sind eine weltoffene Stadt, die eine lebendige Willkommenskultur pflegt und in der Fremdenhass, Rassismus und Antisemitismus keinen Platz haben", sagten Britz und Brück.

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3. Die Antragstellerin ersuchte hiergegen erfolglos um Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes. Das Verwaltungsgericht und das Oberverwaltungsgericht des Saarlandes bewerteten die Presseerklärung als sachliche Äußerung ohne erkennbaren Wahlbezug. Die Presseerklärung behandele eine kommunale Angelegenheit. Auch die Äußerung zum Verbot der Antragstellerin sei auf das konkret geschilderte kommunale Problem bezogen und daher von der Verbandskompetenz der Gemeinde gedeckt.

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4. Mit dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung will die Antragstellerin erreichen, dass die Landeshauptstadt Saarbrücken es unterlässt, öffentlich ein Verbot der Antragstellerin zu fordern. Sie sieht sich durch die Äußerungen der Oberbürgermeisterin in ihrem Recht auf Chancengleichheit politischer Parteien in der Vorwahlzeit verletzt (Art. 21 Abs. 1 i.V.m. Art. 3 Abs. 1, Art. 28 Abs. 1 GG). Insbesondere habe die Oberbürgermeisterin nicht die Kompetenz, ein Parteiverbot zu fordern, da es sich hierbei um eine allgemeinpolitische Angelegenheit handele. Die verfassungsrechtlichen Maßstäbe für die Grenzen zulässiger staatlicher Öffentlichkeitsarbeit und regierungsamtlicher Warnungen, die auch auf kommunale Organe übertragbar seien, erforderten für die Äußerungen der Oberbürgermeisterin zudem eine gesonderte Rechtsgrundlage, an der es hier fehle.

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5. Die Landeshauptstadt Saarbrücken ist der Ansicht, die Pressemitteilung sei als spezifisch ortsbezogene Erklärung von ihrem kommunalpolitischen Mandat gedeckt (Art. 117 Abs. 2 und 3 der Saarländischen Landesverfassung, § 1 und § 5 Abs. 1 und 2 KSVG). Es sei keine weitere gesetzliche Ermächtigung erforderlich. Die Landeshauptstadt und ihre Organe hätten zudem weder in der Vergangenheit noch in der Gegenwart allgemeinpolitische Erklärungen zu Wählergruppen und Parteien einschließlich ihrer Programme abgegeben und damit in den Europa- und Kommunalwahlkampf eingegriffen. Das werde auch in Zukunft so sein. Außerdem habe sie die Presserklärung mittlerweile von ihrer Internetseite entfernt. Eine Erforderlichkeit der Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes zur Abwehr schwerer Nachteile sei vor diesem Hintergrund nicht erkennbar.

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6. Die Presseerklärung wurde von der Landeshauptstadt Saarbrücken zunächst nur von der Seite der aktuellen Meldungen und nicht aus der Rubrik Pressearchiv entfernt. Nachdem die Antragstellerin hierauf aufmerksam gemacht hatte, entfernte die Landeshauptstadt Saarbrücken die Presseerklärung am 13. März 2014 vollständig von ihrer Internetseite. Die Antragstellerin hält die Ausführungen der Landeshauptstadt Saarbrücken vor diesem Hintergrund für unglaubwürdig und gibt an, ihren Zugangsanspruch zu kommunalen Einrichtungen im laufenden Wahlkampf verstärkt einfordern und notfalls gerichtlich durchsetzen zu wollen. In diesem Zusammenhang bestehe die Gefahr einer erneuten Forderung nach einem Verbot der Antragstellerin durch die Landeshauptstadt Saarbrücken.

II.

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Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat keinen Erfolg.

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1. Nach § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln. Dabei müssen die Gründe, welche für die Verfassungswidrigkeit der angegriffenen Maßnahme sprechen, außer Betracht bleiben, es sei denn, die Hauptsache erwiese sich als von vornherein unzulässig oder offensichtlich unbegründet. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist jedoch nur begründet, wenn eine vorläufige Regelung zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum allgemeinen Wohl dringend geboten ist (vgl. BVerfGE 108, 238 <245 f.>; stRspr).

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2. Danach liegen die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung hier nicht vor. Es ist gegenwärtig nicht davon auszugehen, dass durch künftige Äußerungen der Landeshauptstadt Saarbrücken und ihrer Organe der Antragstellerin ein schwerer Nachteil, geschweige denn dem gemeinen Wohl ein Schaden droht.

11

Das Recht politischer Parteien auf Chancengleichheit bei Wahlen (Art. 21 Abs. 1, Art. 38 Abs. 1 GG) wird verletzt, wenn Staatsorgane als solche parteiergreifend zugunsten oder zulasten einer politischen Partei in den Wahlkampf einwirken (vgl. BVerfGE 44, 125 <146>). Für die verfassungsrechtliche Zulässigkeit staatlichen Informationshandelns ist stets erforderlich, dass es sich innerhalb des dem jeweiligen Organ zugewiesenen Aufgaben- und Zuständigkeitsbereiches hält (vgl. BVerfGE 44, 125 <149>). Die besondere staatliche Neutralitätspflicht in der Vorwahlzeit und die sich daraus ergebenden Grenzen für die Öffentlichkeitsarbeit gelten auch für kommunale Organe (BVerwGE 104, 323 <326 f.>).

12

Die Gemeinden sind im Rahmen ihres kommunalen Selbstverwaltungsrechts (Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG) befugt, Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln. Die Verbandskompetenz der Gemeinden beschränkt sich damit auf diejenigen Bedürfnisse und Interessen, die in der örtlichen Gemeinschaft wurzeln oder auf sie einen spezifischen Bezug haben, die also den Gemeindeeinwohnern gerade als solchen gemeinsam sind, indem sie das Zusammenleben und -wohnen der Menschen in der Gemeinde betreffen (BVerfGE 79, 127 <151>).

13

Aufgrund der Stellungnahme der Landeshauptstadt Saarbrücken ist davon auszugehen, dass sie sich ihrer Neutralitätspflicht sowie der Grenzen ihres kommunalpolitischen Mandats bewusst ist. Dass die Landeshauptstadt Saarbrücken die Pressemitteilung vollständig von ihrer Internetseite entfernt hat, spricht dafür, dass sie die besondere Gefährdungslage der Parteien in der Vorwahlzeit berücksichtigt. Es ist nicht zu erwarten, dass die Landeshauptstadt Saarbrücken, wie von der Antragstellerin befürchtet, bis zum Wahltag am 25. Mai 2014 sich in einer Weise äußern wird, die dem nicht Rechnung trägt (vgl. BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 17. September 2013 - 2 BvE 4/13 -, juris, Rn. 7, 8). Die Absicht der Antragstellerin, ihr Zulassungsrecht zu kommunalen Einrichtungen erneut einzufordern, ist vor diesem Hintergrund nicht ausreichend, eine Wiederholungsgefahr zu begründen (vgl. BVerfGE 110, 77 <90 f.>).