Entscheidungsdatum: 22.05.2018
Die Abschiebung des Antragstellers nach Afghanistan wird bis zur Entscheidung über eine noch zu erhebende Verfassungsbeschwerde untersagt, längstens für die Dauer von zwei Monaten.
1. Der 1997 geborene Antragsteller ist afghanischer Staatsangehöriger. Er lebte mit seinen Eltern ab dem Jahr 2000 im Iran. Von dort aus reiste er im November 2015 mit seinen Eltern und zwei minderjährigen Geschwistern nach Deutschland ein, wo er einen Asylantrag stellte. Diesen lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) mit Bescheid vom 14. Juni 2016 ab. Der Antragsteller stellte am 22. September 2017 einen Asylfolgeantrag, mit dem er im Wesentlichen geltend machte, dass seine gesamte Familie in Deutschland lebe, keine Kontakte in Afghanistan habe und dass er wegen Nervenproblemen nicht in der Lage sei, alleine zu leben. Diesen Folgeantrag lehnte das Bundesamt mit Bescheid vom 22. November 2017 ab.
2. Der Antragsteller befindet sich aufgrund des Beschlusses des Amtsgerichts Landau an der Isar vom 16. Mai 2018 seit dem 17. Mai 2018 in Abschiebehaft in der Justizvollzugsanstalt Eichstätt.
3. Am 22. Mai 2018 stellte der Antragsteller beim Verwaltungsgericht Regensburg einen Eilantrag gemäß § 123 VwGO auf Aussetzung seiner Abschiebung. Zur Begründung machte er geltend, dass durch die kurzfristige Abschiebung und das Verhalten der Justizvollzugsanstalt sein Recht auf rechtliches Gehör und auf effektiven Rechtsschutz verletzt worden sei. Es sei bereits fraglich, ob das gesetzliche Verbot der Ankündigung einer Abschiebung überhaupt noch effektiven Rechtsschutz zulasse. Jedenfalls sei dem Antragsteller durch die Beamten der Justizvollzugsanstalt eine anwaltliche Beratung sowie die Einsichtnahme in Behördenakten mit dem Ziel, die geplante Abschiebung unter Berücksichtigung der verschlechterten Sicherheitslage in Afghanistan erneut überprüfen zu lassen, verwehrt worden. Es lägen zahlreiche aktuelle, näher benannte Erkenntnisberichte vor, aus denen sich ergebe, dass insbesondere faktische Iraner ohne familiäre Netzwerke in Afghanistan nicht in der Lage seien, sich dort eine Existenzgrundlage aufzubauen.
1. Am 22. Mai 2018 hat die Verfahrensbevollmächtigte des Antragstellers unter Vorlage einer Vollmacht für den Antragsteller einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung durch das Bundesverfassungsgericht gestellt und eine Verfassungsbeschwerde gegen den zu erwartenden Beschluss des Verwaltungsgerichts angekündigt. Geltend gemacht wird eine Verletzung seiner Rechte aus Art. 19 Abs. 4 in Verbindung mit Art. 2 Abs. 2, Art. 103 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG und Art. 6 EMRK.
2. Die Kombination von § 59 Abs. 1 Satz 8 AufenthG, wonach der Termin einer Abschiebung nicht angekündigt werden darf, und dem Verhalten der Beamten in der Justizvollzugsanstalt habe dem Antragsteller sein Recht auf effektiven Rechtsschutz genommen. Er habe aus der Justizvollzugsanstalt seine Familie kontaktiert, die sich daraufhin an den bayerischen Flüchtlingsrat gewandt habe. Dieser wiederum habe die jetzige Verfahrensbevollmächtigte des Antragstellers um Hilfe gebeten. Ihre Versuche, den Antragsteller in der Justizvollzugsanstalt zu kontaktieren, seien jedoch gescheitert. Es sei ihr ab dem Vormittag des 18. Mai 2018 nicht ermöglicht worden, das persönliche Gespräch mit dem Antragsteller zu suchen. Sie sei darauf verwiesen worden, dass die nächste Kontaktaufnahme erst am Dienstag, den 22. Mai 2018, ab 7:00 Uhr morgens möglich sei. Auch der bayerische Flüchtlingsrat habe keinen Kontakt zu dem Antragsteller herstellen können. Einer Vertreterin des Flüchtlingsrats sei am 18. Mai 2018 mitgeteilt worden, dass eine Vollmachtserteilung per Fax nicht möglich sei. Anwälte hätten erst am 22. Mai 2018 ab 7:00 Uhr, andere Personen ab 9:00 Uhr ein Besuchsrecht. Ein Telefonat der Vertreterin des bayerischen Flüchtlingsrats am 19. Mai 2018 mit einem Bediensteten der Justizvollzugsanstalt habe ergeben, dass ein Telefonat zwischen dem Antragsteller und einer Anwältin erst am 22. Mai 2018 möglich sei. Am 20. Mai 2018 habe die Vertreterin des bayerischen Flüchtlingsrats erfahren, dass der Antragsteller mit seinem Bruder telefoniert habe und ihm täglich ein 10-minütiges Telefonat erlaubt sei. Am 21. Mai 2018 habe ein ehrenamtlicher Unterstützer dem Antragsteller eine anwaltliche Vollmacht vorlegen dürfen. Die Verfahrensbevollmächtigte des Antragstellers hat die Ereignisse um ihre gescheiterte Kontaktaufnahme mit dem Antragsteller anwaltlich versichert und eine an sie gerichtete E-Mail des bayerischen Flüchtlingsrats zur gescheiterten Kontaktaufnahme mit dem Antragsteller zum Nachweis vorgelegt.
3. Am 22. Mai 2018 hat das Verwaltungsgericht den Eilantrag des Antragstellers im fachgerichtlichen Verfahren abgelehnt. Eine Kontaktaufnahme zwischen ihm und seiner Bevollmächtigten sei durch die Bediensteten der Justizvollzugsanstalt nicht vereitelt worden. Eine Reiseunfähigkeit sei nicht ersichtlich. Es sei mit näher benannter Rechtsprechung und auf der Grundlage der aktuellen Erkenntnislage auch davon auszugehen, dass der Antragsteller in Afghanistan eine Existenzgrundlage werde sicherstellen können. Der Beschluss wurde dem Bundesverfassungsgericht gegen 17:00 Uhr übermittelt; die Abschiebung war für die Zeit ab 18:45 Uhr vorgesehen.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat Erfolg.
1. Nach § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Bei der Prüfung dieser Voraussetzungen ist ein strenger Maßstab anzulegen. Dabei haben die Gründe, welche der Antragsteller für die Verfassungswidrigkeit der angegriffenen Hoheitsakte anführt, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben, es sei denn, die Verfassungsbeschwerde erweist sich von vornherein als unzulässig oder offensichtlich unbegründet. Bei offenem Ausgang des Verfassungsbeschwerdeverfahrens muss das Bundesverfassungsgericht die Folgen abwägen, die eintreten würden, wenn die einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde aber der Erfolg zu versagen wäre (vgl. BVerfGE 76, 253 <255>).
2. Nach diesen Maßstäben ist die beantragte einstweilige Anordnung zu erlassen.
a) Eine noch zu erhebende Verfassungsbeschwerde wäre nach dem derzeitigen Stand des Vortrags des Antragstellers weder von vornherein unzulässig noch offensichtlich unbegründet. Der Antragsteller hat eine als offen zu bewertende verfassungsrechtliche Frage aufgeworfen. Vor dem Hintergrund der Rechtslage nach einfachem Recht (§ 59 Abs. 1 Satz 8 AufenthG) bedarf es der näheren Überprüfung, welche verfassungsrechtlichen Anforderungen aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG - Zugang zu effektivem, insbesondere rechtzeitigem Rechtsschutz - für die Möglichkeit einer Kontaktaufnahme zwischen einem in Abschiebungshaft befindlichen Ausreisepflichtigen und dessen Verfahrensbevollmächtigten abzuleiten sind.
b) Die damit erforderliche Folgenabwägung geht zu Gunsten des Antragstellers aus. Erginge die einstweilige Anordnung nicht, erwiese sich die Verfassungsbeschwerde später aber als begründet, wäre der Eingriff in das Recht auf effektiven Rechtsschutz nicht reparabel. Im Fall einer Abschiebung des Antragstellers nach Afghanistan wäre ein rechtzeitiger Rechtsschutz nicht mehr nachholbar. Demgegenüber könnte der Antragsteller, sollte sich die geplante Abschiebung als rechtmäßig erweisen, ohne Weiteres zu einem späteren Zeitpunkt abgeschoben werden.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.