Bundesverfassungsgericht

Entscheidungsdatum: 25.04.2018


BVerfG 25.04.2018 - 2 BvQ 28/18

Ablehnung des Erlasses einer einstweiligen Anordnung bzgl der Rückführung eines bereits abgeschobenen Ausländers und der Erteilung einer Duldung zwecks Eheschließung: mangelnde Darlegung eines schweren Nachteils bei Möglichkeit späterer Einreise (§§ 5 Abs 2, 11 Abs 8 AufenthG ) - zudem Unzulässigkeit der Hauptsache


Gericht:
Bundesverfassungsgericht
Spruchkörper:
2. Senat 1. Kammer
Entscheidungsdatum:
25.04.2018
Aktenzeichen:
2 BvQ 28/18
ECLI:
ECLI:DE:BVerfG:2018:qk20180425.2bvq002818
Dokumenttyp:
Ablehnung einstweilige Anordnung
Vorinstanz:
vorgehend VG Ansbach, 18. Februar 2018, Az: AN 5 S 18.00274, Beschlussvorgehend Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, 23. März 2018, Az: 19 Cs 18.430, Beschluss
Zitierte Gesetze

Tenor

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.

Gründe

I.

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1. Die einstweilige Anordnung ist auf die Rückführung eines bereits abgeschobenen Ausländers nach Deutschland und Erteilung einer Duldung gerichtet.

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2. Der Antragsteller zu 1., ein vietnamesischer Staatsangehöriger und abgelehnter Asylsuchender, beabsichtigt, mit der Antragstellerin zu 2., einer deutschen Staatsangehörigen, die Ehe zu schließen.

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3. Nachdem das Standesamt die Anmeldung der Eheschließung abgelehnt hatte, beantragten die Antragsteller beim Amtsgericht, das Standesamt anzuweisen, die Eheschließung ohne die Einleitung eines Befreiungsverfahrens gemäß § 1309 Abs. 2 BGB vorzunehmen und festzustellen, dass ein solches Verfahren entbehrlich sei. Mit Beschluss vom 23. Januar 2018 gab das Amtsgericht der Antragstellerin zu 2. auf, das Verfahren für die Befreiung von der Beibringung eines Ehefähigkeitszeugnisses für den Antragsteller zu 1. einzuleiten und ordnete zugleich an, dass das Standesamt bei der Anmeldung der Eheschließung und der Überprüfung des Vorliegens der Ehevoraussetzungen davon auszugehen habe, dass die frühere Ehe des Antragstellers zu 1. in Vietnam wirksam geschieden worden sei.

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4. Mit Beschluss vom 13. Februar 2018 lehnte das Verwaltungsgericht einen Antrag des Antragstellers zu 1. auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gegen seine am selben Tag geplante Abschiebung ab. Ein Duldungsanspruch nach Art. 6 Abs. 1 GG bestehe nur, wenn die Eheschließung unmittelbar bevorstehe. Das sei nicht der Fall, weil der Antragstellerin zu 2. erst aufgegeben worden sei, das Verfahren für die Befreiung von der Beibringung eines Ehefähigkeitszeugnisses beim Oberlandesgericht einzuleiten.

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Der Antragsteller zu 1. wurde am 13. Februar 2018 abgeschoben.

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5. Die hiergegen erhobene Beschwerde, mit der die Antragsteller die Rückführung des Antragstellers zu 1. und die Erteilung einer Duldung zum Zweck der Eheschließung beantragten, wies der Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 23. März 2018 zurück. Die Abschiebung sei nicht rechtswidrig gewesen, weil die Eheschließung nicht unmittelbar bevorgestanden habe. Die Antragsteller hätten auch im Beschwerdeverfahren nicht dargelegt, vor dem Ablauf der Rechtsmittelfrist des amtsgerichtlichen Beschlusses und vor der Abschiebung des Antragstellers zu 1. das erforderliche Befreiungsverfahren gemäß § 1309 Abs. 2 BGB eingeleitet zu haben. Ein allein in der Verantwortungssphäre des Standesamts liegendes Eheschließungshindernis liege nicht vor, da die Antragsteller der Rechtsauffassung gewesen seien, zur Durchführung eines solchen Verfahrens nicht verpflichtet zu sein.

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6. Mit ihrem beim Bundesverfassungsgericht gestellten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung möchten die Antragsteller die Rückführung des Antragstellers zu 1. nach Deutschland erreichen. Sie rügen eine Verletzung ihrer Rechte aus Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG.

II.

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1. Nach § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist.

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Bei der Prüfung dieser Voraussetzungen ist ein strenger Maßstab anzulegen. Dabei haben die Gründe, welche der Beschwerdeführer für die Verfassungswidrigkeit der angegriffenen Hoheitsakte anführt, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben, es sei denn, die Verfassungsbeschwerde erweist sich von vornherein als unzulässig oder offensichtlich unbegründet. Bei offenem Ausgang des Verfassungsbeschwerdeverfahrens muss das Bundesverfassungsgericht die Folgen abwägen, die eintreten würden, wenn die einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde aber der Erfolg zu versagen wäre (vgl. BVerfGE 76, 253 <255>).

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Gemessen daran hat der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung keinen Erfolg.

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2. Die Antragsteller haben nicht substantiiert dargelegt, welcher schwere Nachteil im Sinne von § 32 Abs. 1 BVerfGG ihnen drohen würde, wenn die begehrte einstweilige Anordnung vor Abschluss des - noch nicht anhängigen - Hauptsacheverfahrens nicht ergehen würde. Insbesondere ist nicht erkennbar, weshalb es dem Antragsteller zu 1. nicht möglich und zumutbar sein sollte, zu einem späteren Zeitpunkt zum Zwecke der Eheschließung erneut in das Bundesgebiet einzureisen, und zwar mit dem hierfür erforderlichen Visum (§ 5 Abs. 2 AufenthG) und mit einer gegebenenfalls erforderlichen Betretenserlaubnis (§ 11 Abs. 8 AufenthG). Die Antragsteller haben auch nicht schlüssig vorgetragen, dass das Eheschließungsverfahren nicht von der Antragstellerin zu 2. weiterbetrieben werden kann. Sie haben ferner nicht dargelegt, wann die Urkunden für die Eheschließung ihre Gültigkeit verlieren.

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3. Darüber hinaus wäre eine noch zu erhebende Verfassungsbeschwerde auf der Grundlage des bisherigen Vortrags unzulässig. Für eine Folgenabwägung besteht daher kein Raum.

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Der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde steht der Grundsatz der Subsidiarität entgegen. Dieser erfordert, dass ein Beschwerdeführer über das Gebot der Rechtswegerschöpfung hinaus alle ihm nach Lage der Sache zur Verfügung stehenden prozessualen Möglichkeiten ergreift, um die geltend gemachte Grundrechtsverletzung in dem unmittelbar mit ihr zusammenhängenden sachnächsten Verfahren zu verhindern oder zu beseitigen (vgl. BVerfGE 68, 368 <389>; 74, 102 <113>; 104, 65 <70>; 107, 395 <414>; 112, 50 <60>). Danach obliegt es einem Beschwerdeführer auch, die für die Entscheidung maßgeblichen Tatsachen schon im Ausgangsverfahren vollständig vorzutragen (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 15. August 2014 - 2 BvR 969/14 -, juris, Rn. 33 ff.; Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 7. September 2010 - 1 BvR 851/10 -, juris, Rn. 29; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 21. November 2012 - 2 BvR 2432/12 -, juris, Rn. 1).

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Dies ist hier nicht geschehen. Die Antragsteller haben im fachgerichtlichen Verfahren nicht vorgetragen, sie hätten bereits einen Antrag auf Befreiung von der Beibringung eines Ehefähigkeitszeugnisses gestellt und das Standesamt habe sich geweigert, diesen an das Oberlandesgericht weiterzuleiten. Damit haben sie nicht alles ihnen Zumutbare getan, um eine fachgerichtliche Entscheidung zu ihren Gunsten herbeizuführen.

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a) Die noch zu erhebende Verfassungsbeschwerde wäre nach derzeitigem Sachstand auch mangels ausreichender Begründung (§ 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG) unsubstantiiert.

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Die Antragsteller setzen sich mit möglichen Grundrechtsverletzungen durch den Beschluss des Verwaltungsgerichts nicht auseinander, obwohl dies erforderlich gewesen wäre. Soweit sie sich zusätzlich gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs wenden, genügt die Begründung derzeit nicht den Vorgaben aus § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG. So wäre es notwendig gewesen, auf den Umstand einzugehen, dass die Antragsteller vor Gericht einen Anspruch auf Eheschließung ohne vorheriges Befreiungsverfahren geltend gemacht haben, da dies ihre Behauptung in Zweifel zieht, sie hätten - entgegen der Annahme des Beschwerdegerichts - ein solches Befreiungsverfahren schon seit 2016 betrieben. Schließlich mangelt es an substantiiertem Vortrag zu der geltend gemachten Verletzung in ihrer Eheschließungsfreiheit aus Art. 6 Abs. 1 GG. Die Antragsteller wiederholen hierzu im Wesentlichen ihr Vorbringen aus dem verwaltungsgerichtlichen Verfahren und beschränken sich in Form einer Beschwerde- oder Berufungsbegründung auf die Geltendmachung einer Rechtsfehlerhaftigkeit der angegriffenen Entscheidung. Außerdem bitten sie um Klärung mehrerer aus ihrer Sicht rechtsgrundsätzlicher Fragen zum Vorliegen eines Abschiebungshindernisses wegen unmittelbar bevorstehender Eheschließung, was nicht Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts ist. Ferner mangelt es an konkreten Darlegungen dazu, welche verfassungsrechtlichen Anforderungen sich aus Art. 6 Abs. 1 GG im Hinblick auf den Schutz der Eheschließungsfreiheit ergeben und inwiefern der Verfassungsgerichtshof bei der Anwendung des § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG die Bedeutung oder Tragweite dieses Grundrechts - gegebenenfalls in Verbindung mit Art. 12 EMRK - verkannt haben soll.

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Diese Entscheidung ist unanfechtbar.