Entscheidungsdatum: 07.06.2016
Die Anträge auf Erlass von Vollstreckungsanordnungen werden verworfen.
I.
Gegenstand des Verfahrens sind Anträge auf Erlass von Vollstreckungsanordnungen nach § 35 BVerfGG im Nachgang zum Urteil des Senats vom 5. Mai 2015 zur R-Besoldung (BVerfGE 139, 64). Der Entscheidung lagen unter anderem vier Vorlagebeschlüsse des Verwaltungsgerichts Halle nach Art. 100 Abs. 1 GG zugrunde. Den Klagen in den Ausgangsverfahren wurde mit bislang unveröffentlichten rechtskräftigen Urteilen des Verwaltungsgerichts Halle vom 8. Juli 2015 stattgegeben. Die hiesigen Antragsteller sind die Kläger der Ausgangsverfahren vor dem Verwaltungsgericht Halle.
1. Das Bundesverfassungsgericht hatte dem Gesetzgeber des Landes Sachsen-Anhalt mit Ziffer 3 des Tenors der Senatsentscheidung vom 5. Mai 2015 aufgegeben, verfassungskonforme Regelungen mit Wirkung spätestens vom 1. Januar 2016 an zu treffen (BVerfGE 139, 64 <71>).
Der Gesetzgeber des Landes Sachsen-Anhalt hat daraufhin das Gesetz zur Änderung besoldungs- und richterrechtlicher Vorschriften vom 18. Dezember 2015 (GVBl S. 654) erlassen, welches am 30. Dezember 2015 in Kraft getreten ist.
2. Die Kläger der Ausgangsverfahren vor dem Verwaltungsgericht Halle haben unter dem 4. März 2016 die Anträge gestellt, "eine Vollstreckungsanordnung gem. § 35 BVerfGG zu erlassen, in der dem Gesetzgeber des Landes Sachsen-Anhalt aufgegeben wird, eine verfassungskonforme Regelung für die Besoldungsgruppe R 1 Landesbesoldungsordnung für die Jahre 2008 bis 2010 zu erlassen."
Zur Begründung wird angeführt, die vom Landesgesetzgeber gewählte Minimallösung führe nicht zu verfassungskonformen Regelungen. Der Besoldungsgesetzgeber habe für jedes der Jahre 2008 bis 2010 punktuell lediglich einen der drei beanstandeten Parameter repariert (1. Prüfungsstufe), und zwar lediglich bis zur Abweichung von 4,99 % sowie lediglich isoliert für ein Jahr und nicht als Basis für die Folgejahre. Er habe durch eine einmalige Brutto-Nachzahlung einen Steuerschaden bei den Betroffenen herbeigeführt und somit die relevante Netto-Alimentation nicht hinreichend verbessert. Weiterhin habe er allenfalls die evidente Unteralimentation beseitigt, nicht jedoch die einfache Rechtswidrigkeit der Besoldung. Schließlich habe er die erforderliche Gesamtabwägung (2. Prüfungsstufe) gänzlich unterlassen, womit sich die Verfassungswidrigkeit seiner Regelung bereits aus der Verfehlung der prozeduralen Anforderungen ergebe.
II.
Die Anträge werden verworfen, weil sie unzulässig sind.
1. Nach § 35 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung bestimmen, wer sie vollstreckt; es kann auch im Einzelfall die Art und Weise der Vollstreckung regeln. Danach trifft das Gericht alle Anordnungen, die erforderlich sind, um seinen verfahrensabschließenden Sachentscheidungen Geltung zu verschaffen. Grundsätzlich kann das Bundesverfassungsgericht auch nachträglich Vollstreckungsanordnungen auf der Grundlage des § 35 BVerfGG treffen. Allerdings darf die Vollstreckungsanordnung die Sachentscheidung, deren Vollstreckung sie dient, nicht ändern, modifizieren, ergänzen oder erweitern (vgl. BVerfGE 6, 300 <303 f.>; 68, 132 <140>; 100, 263 <265>).
2. Die Anträge sind nicht statthaft, da die begehrten Vollstreckungsanordnungen über diese Grenze hinausgingen. Die beantragten - die Ziffer 3 des Tenors des Urteils vom 5. Mai 2015 lediglich reformulierenden - Vollstreckungsanordnungen enthielten, sofern sie ergingen, die (inzidente) Feststellung, dass das Gesetz zur Änderung besoldungs- und richterrechtlicher Vorschriften vom 18. Dezember 2015 keine verfassungskonformen Regelungen treffe. Eine solche Feststellung setzte eine Prüfung der durch das Gesetz geschaffenen neuen Rechtslage voraus. Ein derartiger Beschluss erschöpfte sich daher nicht in der Vollstreckung der Sachentscheidung vom 5. Mai 2015, sondern ergänzte und erweiterte sie.
Die verfassungsrechtliche Würdigung der geänderten Gesetzeslage könnte Gegenstand eines eigenständigen verfassungsgerichtlichen Verfahrens sein, sei es im Rahmen eines konkreten Normenkontrollverfahrens aufgrund fachgerichtlicher Vorlage nach Art. 100 Abs. 1 GG, sei es im Rahmen einer - nach Erschöpfung des Rechtswegs erhobenen - Verfassungsbeschwerde. Es kann indes nicht Zweck des § 35 BVerfGG sein, den Begünstigten eines früheren verfassungsgerichtlichen Verfahrens neben einem neuen verfassungsgerichtlichen Verfahren einen zusätzlichen wahlweisen Rechtsbehelf in Form eines Antrags auf Erlass einer Vollstreckungsanordnung zu gewähren (vgl. - im Hinblick auf eine vorangegangene Verfassungsbeschwerde - BVerfGE 68, 132 <141>).
Andernfalls würden die funktionell-rechtlichen Grenzen zur Fachgerichtsbarkeit missachtet. Die Aufbereitungs-, Vorprüfungs- und Entlastungsfunktion der Fachgerichte wiegt vorliegend mit Blick auf die - auch von den Antragstellern eingeforderte - Komplexität der vorzunehmenden mehrstufigen verfassungsrechtlichen Prüfung besonders schwer. Wie im Urteil vom 5. Mai 2015 dargelegt, erschöpft sich die Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit der Alimentation nicht in der bloßen Berechnung, ob die durch Zahlenwerte konkretisierten Parameter eingehalten wurden. Vielmehr tritt zu dieser ersten - allenfalls eine Vermutung evident verfassungswidriger Alimentierung begründenden - Prüfungsstufe eine zweite hinzu, welche eine komplexe Gesamtabwägung erfordert und daher - spätestens - jedes Vollstreckungsverfahren überfordern würde. Die Anträge nach § 35 BVerfGG zuzulassen, hieße daher, das Verhältnis von fachgerichtlichem und verfassungsgerichtlichem Rechtsschutz zu verkehren (vgl. zu diesem Aspekt BVerfGE 100, 263 <265>).
Die Unstatthaftigkeit von Anträgen auf Erlass von Vollstreckungsanordnungen, die eine Würdigung in der Sachentscheidung noch nicht berücksichtigter Normen erforderten, gilt auch, wenn der Vollzug der Sachentscheidung - wie hier - gerade im Erlass von Normen besteht. Sofern der Gesetzgeber ein (Änderungs-)Gesetz erlässt, welches seinerseits Gegenstand eigenständiger Prüfung in einem konkreten Normenkontroll- oder Verfassungsbeschwerdeverfahren sein kann, ist der Weg über § 35 BVerfGG versperrt. Etwas anderes dürfte allenfalls dann gelten, wenn der von der ausgesprochenen Gesetzgebungspflicht betroffene Gesetzgeber gar nicht tätig geworden ist oder nur in einer Weise, die so offensichtlich hinter den sich aus der Sachentscheidung ergebenden Anforderungen zurückbleibt, dass dies materiell einer Untätigkeit gleichkommt. Eine solche Konstellation ist vorliegend jedoch nicht gegeben. Der sachsen-anhaltinische Besoldungsgesetzgeber verfolgte mit seinem Änderungsgesetz in Auseinandersetzung mit dem Urteil vom 5. Mai 2015 das Ziel, eine amtsangemessene Besoldung anhand der dort genannten Anforderungen herzustellen, und hat dieses Ziel jedenfalls nicht in einer der Untätigkeit gleich zu achtenden Weise verfehlt.