Bundesverwaltungsgericht

Entscheidungsdatum: 09.11.2011


BVerwG 09.11.2011 - 2 B 93/11

Voraussetzungen des unionsrechtlichen Schadensersatzanspruchs; Verschulden


Gericht:
Bundesverwaltungsgericht
Spruchkörper:
2. Senat
Entscheidungsdatum:
09.11.2011
Aktenzeichen:
2 B 93/11
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, 8. April 2011, Az: 3 B 10.2529, Beschluss
Zitierte Gesetze
Art 6 Abs 1 MRK
EWGRL 207/76

Gründe

1

Die Beschwerde der Klägerin kann keinen Erfolg haben. Die Klägerin hat nicht dargelegt, dass ein Revisionszulassungsgrund gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 VwGO gegeben ist.

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Die Klägerin ist Amtsinspektorin (Besoldungsgruppe A 9) im Dienst des Beklagten. Mit ihrer Klage macht sie Ansprüche auf Beförderung in ein Amt der Besoldungsgruppe A 9 mit Amtszulage, hilfsweise auf Schadensersatz wegen Nichtbeförderung geltend, weil sie bei früheren Vergaben eines derartigen Amtes aufgrund ihrer Teilzeitbeschäftigung rechtswidrig übergangen wurde. Es steht rechtskräftig fest, dass die Beförderungsgrundsätze, die der Beklagte bis zum 31. Dezember 1999 angewandt hat, in Bezug auf die Berücksichtigung der Dienstzeiten teilzeitbeschäftigter Beamter gegen die Gleichbehandlungsrichtlinie 76/207/EWG verstießen.

3

Die Klage ist in den Vorinstanzen erfolglos geblieben. In den Gründen der Berufungsentscheidung heißt es, rückwirkende Beförderungen seien gesetzlich ausgeschlossen. Eine Beförderung mit Wirkung für die Zukunft komme nicht in Betracht, weil aktuell keine Planstelle zur Verfügung stehe und freie Stellen aufgrund einer Bewerberauswahl nach Leistungskriterien zu besetzen seien. Zwar sei die Klägerin bei Beförderungen in den Jahren 1996 und 1998 unter Verstoß gegen die Richtlinie 76/207/EWG übergangen worden. Daraus folge jedoch kein Schadensersatzanspruch nach deutschem Recht, weil den Beklagten kein Verschulden treffe. Er habe damals in Einklang mit dem Laufbahnrecht gehandelt, dessen Unvereinbarkeit mit der Richtlinie 76/207/EWG erst danach geklärt worden sei. Auch die Voraussetzungen des verschuldensunabhängigen unionsrechtlichen Schadensersatzanspruchs lägen nicht vor. Weder vermittle die Richtlinie 76/207/EWG der Klägerin eine subjektive Rechtsposition noch sei der Verstoß nach den Gesamtumständen des vorliegenden Falles als hinreichend qualifiziert zu bewerten.

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Die Klägerin trägt vor, es sei von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, ob sie "aus der europäischen Richtlinie 76/207/EWG einen verschuldensunabhängigen Schadensersatzanspruch bei rechtskräftig festgestellter geschlechtsspezifischer Diskriminierung" habe. Das deutsche Staatshaftungsrecht mit seinem Verschuldenserfordernis widerspreche der effektiven Durchsetzung der Richtlinie. Der Verwaltungsgerichtshof habe eine verschuldensunabhängige Haftung nach unionsrechtlichen Gesichtspunkten abgelehnt.

5

Die nach § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO erforderliche Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO setzt voraus, dass die Beschwerdeführerin eine konkrete Frage des revisiblen Rechts bezeichnet und aufzeigt, dass diese Frage sowohl im konkreten Fall entscheidungserheblich als auch allgemein klärungsbedürftig ist. Aus der Beschwerdebegründung muss sich ergeben, dass eine die Berufungsentscheidung tragende rechtliche Erwägung des Berufungsgerichts im Interesse der Rechtseinheit oder der Rechtsfortbildung der Nachprüfung in einem Revisionsverfahren bedarf (stRspr; vgl. zuletzt Beschluss vom 24. Januar 2011 - BVerwG 2 B 2.11 - Buchholz 237.7 § 15 NWLBG Nr. 9 = NVwZ-RR 2011, 329). Diesen Anforderungen genügt der Vortrag der Klägerin offensichtlich nicht:

6

Mit der aufgeworfenen Frage nach dem Bestehen eines originär unionsrechtlichen verschuldensunabhängigen Schadensersatzanspruchs wegen geschlechtsspezifischer Diskriminierung bezeichnet die Klägerin keine konkrete Rechtsfrage. Sie greift keine tragende rechtliche Erwägung der Berufungsentscheidung auf, sondern macht geltend, ihre Schadensersatzklage müsse Erfolg haben.

7

Im Übrigen wirft die Berufungsentscheidung in Bezug auf den unionsrechtlichen Schadensersatzanspruch keine klärungsbedürftige Rechtsfrage auf, weil die Voraussetzungen dieses Anspruchs Einzelner durch die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) geklärt sind. Danach kann ein Einzelner Entschädigung für Schäden verlangen, die ihm durch einen Verstoß des Organs eines Mitgliedstaates gegen Unionsrecht entstehen, wenn drei Voraussetzungen erfüllt sind: Erstens muss die unionsrechtliche Norm, gegen die verstoßen worden ist, Einzelnen subjektive Rechtspositionen vermitteln. Zweitens muss der Verstoß gegen die Norm hinreichend qualifiziert, d.h. offenkundig und erheblich sein. Dies ist aufgrund einer Würdigung der fallbezogenen Umstände zu beurteilen, wobei das Maß an Klarheit und Genauigkeit der verletzten Vorschrift ebenso zu berücksichtigen ist wie der Umfang des Ermessensspielraums, den die Vorschrift den Organen der Mitgliedstaaten belässt. Drittens muss zwischen dem Rechtsverstoß und dem Schaden ein unmittelbarer Kausalzusammenhang bestehen. Ein Verschulden an dem Rechtsverstoß ist nicht erforderlich (stRspr; vgl. zuletzt EuGH, Urteil vom 25. November 2010 - C-429/09 - NZA 2011, 53 Rn. 45 ff.). Da die Voraussetzungen des unionsrechtlichen Schadensersatzanspruchs durch die Rechtsprechung des EuGH geklärt sind, kommt die von der Klägerin geforderte Anrufung des EuGH nach Art. 267 Abs. 3 AEUV nicht in Betracht.

8

Diese durch die Rechtsprechung des EuGH vorgegebenen Rechtsgrundsätze hat der Verwaltungsgerichtshof der Berufungsentscheidung zugrunde gelegt und auf den festgestellten Sachverhalt angewandt. Insbesondere hat er die hinreichende Qualifikation des Verstoßes gegen die Richtlinie 76/207/EWG (zweite Anspruchsvoraussetzung) anhand der Maßstäbe des EuGH geprüft und aufgrund einer fallbezogenen Würdigung des festgestellten Sachverhalts verneint. Auch hat der Verwaltungsgerichtshof zutreffend angenommen, dass der unionsrechtliche Schadensersatzanspruch kein Verschulden in Bezug auf den Verstoß gegen Unionsrecht voraussetzt.

9

Die Rüge der unangemessen langen Verfahrensdauer im Sinne von Art. 6 Abs. 1 EMRK ist generell nicht geeignet, die Zulassung der Revision wegen eines Verfahrensmangels im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zu erreichen. Ein derartiger Verstoß könnte in einem Revisionsverfahren oder durch eine Zurückverweisung nach § 133 Abs. 6 VwGO nicht geheilt werden (Beschlüsse vom 23. März 2005 - BVerwG 8 B 3.05 - Buchholz 428 § 2 VermG Nr. 80 S. 98, vom 21. Juli 2008 - BVerwG 8 B 26.08 - juris Rn. 3 und vom 9. September 2009 - BVerwG 4 BN 4.09 - juris Rn. 27). Darüber hinaus genügt auch diese Rüge den Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO nicht:

10

Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) ist die Angemessenheit der Verfahrensdauer nach Art. 6 Abs. 1 EMRK nach den Umständen des Falles unter Berücksichtigung seiner Komplexität, des Verhaltens des Beteiligten und der zuständigen Organe sowie der Bedeutung des Rechtsstreits zu beurteilen (stRspr; vgl. EGMR, Urteil vom 16. Juli 2009 - 8453/04 - NVwZ 2010, 1015 <1017>). Die danach erforderliche Auseinandersetzung mit Gesichtspunkten, die für die Angemessenheit der Verfahrensdauer von Bedeutung sind, enthält die Beschwerdebegründung nicht. Die Klägerin beschränkt sich auf den Vortrag, die Verfahrensdauer betrage rund 17 Jahre. Dabei übersieht sie, dass sie die in Streit stehenden Ansprüche auf Beförderung und Schadensersatz erstmals mit Schriftsatz vom 4. April 2006 beim Beklagten geltend gemacht hat. Auch dürfte von Bedeutung sein, dass die Klägerin die Beförderungsentscheidungen in den Jahren 1996 und 1998, durch die der Beklagte nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs zu ihren Lasten gegen die Richtlinie 76/207/EWG verstoßen hat, hingenommen hat, ohne zeitnah um gerichtlichen Rechtsschutz nachzusuchen.