Entscheidungsdatum: 21.03.2017
1. Der 1969 geborene Beklagte steht als Polizeiobermeister (Besoldungsgruppe A 8 BBesO) im Dienst der Klägerin und wird im Grenzschutz verwendet. Durch rechtskräftigen Strafbefehl verurteilte ihn das Amtsgericht im Jahr 2009 wegen 22 tatmehrheitlich begangener Fälle des Betrugs zu einer Gesamtgeldstrafe von 150 Tagessätzen. Ausweislich der tatsächlichen Feststellungen im Strafbefehl hatte der Beklagte im Internet Mobiltelefone versteigert, obwohl er weder willens noch in der Lage war, diese auch zu liefern. Nach Zahlung zweier Raten hat der Beklagte Privatinsolvenz angemeldet und den Strafrest als Ersatzfreiheitsstrafe verbüßt.
Im nachfolgenden Disziplinarklageverfahren hat das Verwaltungsgericht den Beklagten wegen dieses Pflichtenverstoßes sowie der Ausübung ungenehmigter Nebentätigkeiten aus dem Beamtenverhältnis entfernt. Die hiergegen gerichtete Berufung blieb zunächst erfolglos; nach Aufhebung des Berufungsurteils durch das Bundesverwaltungsgericht (Beschluss vom 26. September 2014 - 2 B 23.14 - Buchholz 310 § 98 VwGO Nr. 111) hat der Verwaltungsgerichtshof den Beklagten in das Amt eines Polizeimeisters (Besoldungsgruppe A 7 BBesO) zurückgestuft.
Der Verwaltungsgerichtshof ging dabei nach einer Vernehmung des den Beklagten behandelnden Facharztes von einer erheblich verminderten Steuerungsfähigkeit des Beklagten zur Zeit der Tathandlungen und einer zwischenzeitlich vollständigen Überwindung der Erkrankung aus. Nach Eingang einer Stellungnahme des Sachverständigen hierzu hatten die Beteiligten auf eine weitere mündliche Verhandlung verzichtet.
2. Die mit der Beschwerde geltend gemachten Verfahrensmängel (§ 69 BDG i.V.m. § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) liegen nicht vor.
a) Mit dem Vortrag, der Vorsitzende habe an keiner der vorangegangenen mündlichen Verhandlungen teilgenommen, wird der behauptete Verstoß gegen § 112 VwGO nicht aufgezeigt.
Nach § 112 VwGO kann das Urteil nur von den Richtern und ehrenamtlichen Richtern gefällt werden, die an der dem Urteil zugrunde liegenden Verhandlung teilgenommen haben. Die Vorschrift sichert damit (wie § 309 ZPO für den Zivilprozess), dass der Rechtsstreit aufgrund des unmittelbaren Eindrucks der mündlichen Verhandlung und ggf. einer dort durchgeführten Beweisaufnahme entschieden wird.
Die Anwendbarkeit des § 112 VwGO setzt damit voraus, dass das Urteil aufgrund einer mündlichen Verhandlung ergangen ist. Die Norm kann dagegen nicht - entsprechend - herangezogen werden, wenn das Gericht im Einverständnis der Beteiligten seine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung trifft (§ 101 Abs. 2 VwGO). Dies gilt nach der Rechtsprechung auch dann, wenn der Entscheidung im schriftlichen Verfahren bereits eine mündliche Verhandlung vorangegangen ist und die Beteiligten nur auf weitere mündliche Verhandlung verzichtet haben (BVerwG, Urteil vom 2. August 1984 - 3 C 31.83 - Buchholz 310 § 112 VwGO Nr. 6 Rn. 22 m.w.N. und Beschluss vom 12. Juli 2006 - 4 BN 15.06 - Buchholz 310 § 112 VwGO Nr. 11 Rn. 2 sowie BGH, Urteil vom 19. März 1992 - I ZR 122/90 - NJW-RR 1992, 1065 = juris Rn. 12 zur Parallelvorschrift des § 309 ZPO).
Die im schriftlichen Verfahren getroffene Entscheidung des neu besetzten Spruchkörpers darf zur Wahrung des Grundsatzes der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme (§ 96 Abs. 1 Satz 1 VwGO) aber nur Umstände berücksichtigen, die aktenkundig sind oder auf der Wahrnehmung aller an der Entscheidung beteiligten Richter beruhen (BVerfG, Beschluss vom 30. Januar 2008 - 2 BvR 2300/07 - NJW 2008, 2243 Rn. 18). Frühere Aussagen von Zeugen oder Sachverständigen können dabei durch die Auswertung des Sitzungsprotokolls einbezogen werden.
Eine Wiederholung der Beweisaufnahme vor den das Urteil fällenden Richtern ist daher nur dann geboten, wenn der persönliche Eindruck des Zeugen oder Sachverständigen für alle Richter unverzichtbar ist. Dies wird insbesondere dann der Fall sein, wenn konkrete Anhaltspunkte für Zweifel an der Glaubwürdigkeit der vernommenen Person und der Glaubhaftigkeit ihrer Aussagen vorliegen (BVerwG, Beschlüsse vom 15. März 2013 - 2 B 12.12 - juris Rn. 7 und vom 26. August 2013 - 9 B 13.13 - juris Rn. 9).
Diese Voraussetzungen liegen für die Würdigung der Aussagen des behandelnden Facharztes des Beklagten nicht vor. Sie werden in der Sache auch von der Klägerin gar nicht vorgetragen. Die Beschwerde rügt vielmehr, aus den aktenkundigen Äußerungen könne die vom Berufungsgericht angenommene Verminderung der Steuerungsfähigkeit nicht entnommen werden. Damit ist indes nicht ein Verfahrensfehler bezeichnet, sondern die Richtigkeit der Beweiswürdigung des Berufungsgerichts in Frage gestellt.
Der Vortrag trifft im Übrigen auch in tatsächlicher Hinsicht nicht zu: Ausweislich der Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 16. Dezember 2015 hat der Zeuge angegeben, die Depression des Beklagten sei bereits im maßgeblichen Zeitraum April/Mai 2008 der schweren Form zuzuordnen gewesen. (Nur) auf diese aktenkundige Aussage hat das Berufungsgericht seine Würdigung gestützt.
b) Auch der gerügte Verstoß gegen § 108 Abs. 2 VwGO liegt nicht vor.
Die Klägerin hatte Gelegenheit, sich zu den Angaben des als Zeugen vernommenen Arztes zu äußern. Die nunmehr vermisste Information über die - spätere - Beweiswürdigung des Gerichts begründet keinen Verstoß gegen § 108 Abs. 2 VwGO. Das Berufungsgericht war nicht verpflichtet, die sich aus den Zeugenaussagen ergebenden Folgen für die Beweiswürdigung mit den Beteiligten vorab zu erörtern. Dies gilt umso mehr, als das Gericht die Sache nicht als entscheidungsreif angesehen und den Beschluss gefasst hat, den Sachverständigen um eine Stellungnahme zu den Aussagen des behandelnden Arztes zu bitten.
Nach Eingang dieser Stellungnahme hat die Klägerin erneute Ausführungen zum Vorliegen einer Minderung der Einsichts- und Steuerungsfähigkeit des Beklagten gemacht und anschließend auf weitere mündliche Verhandlung verzichtet. Anhaltspunkte für eine Verletzung der aus § 108 Abs. 2 VwGO folgenden Pflichten des Berufungsgerichts sind bei dieser Sachlage nicht ersichtlich.
c) Schließlich hat die Beschwerde auch nicht aufgezeigt, dass die Beweiswürdigung des Berufungsgerichts auf einem revisionsgerichtlich relevanten Verstoß gegen die Denkgesetze beruht.
Die Beschwerde selbst macht geltend, die Aussage des Zeugen lasse denk-logisch zwei gleichberechtigte Alternativen zu. Sie reklamiert damit zwar die Möglichkeit einer für sie günstigeren Würdigung, räumt aber zugleich die Zulässigkeit des vom Berufungsgericht gezogenen Schlusses ein. Es verstößt nicht gegen die Denkgesetze, wenn das Berufungsgericht aus der (als denkbar konzedierten) Annahme einer schweren Depression die Möglichkeit einer Verminderung der Steuerungsfähigkeit schlussfolgert. Selbst wenn diese Annahme eher atypisch sein sollte, ist deren Unterstellung in dubio pro reo jedenfalls nicht verfahrensfehlerhaft.
3. Die Beschwerde hat auch keine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache aufgezeigt (§ 69 BDG i.V.m. § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).
Der von ihr bezeichnete Rechtssatz,
"wenn nach dem Grundsatz 'in dubio pro reo' das Vorliegen einer schweren Depression nicht auszuschließen ist, ist der Betroffene vermindert schuldfähig",
ist vom Berufungsgericht weder in verallgemeinernder Form aufgestellt noch konkret angenommen worden. Vielmehr sind im Berufungsurteil hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte für das Vorliegen einer erheblich verminderten Schuldfähigkeit nach § 21 StGB bejaht worden. Die Rechtsfrage würde sich in einem Revisionsverfahren daher nicht stellen (vgl. § 137 Abs. 2 VwGO).
Das Berufungsgericht hat den Zweifelssatz nur insoweit herangezogen, als es die dem ursprünglichen (vom Bundesverwaltungsgericht später aufgehobenen) Berufungsurteil vom 22. Oktober 2013 maßgeblich zugrunde liegenden Aussagen des Gutachters zur bestehenden Steuerungsfähigkeit in Frage gestellt hat. Insoweit liegt der Sache nach - was die Beschwerde zutreffend rügt - kein Zweifelsfall vor; das Berufungsgericht ist (den Aussagen des Zeugen folgend) vielmehr positiv von einer erheblichen Verminderung der Steuerungsfähigkeit ausgegangen. Eine grundsätzlich bedeutsame Rechtsfrage folgt hieraus nicht.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs. 1 BDG i.V.m. § 154 Abs. 2 VwGO.
Ein Streitwert für das Beschwerdeverfahren muss nicht festgesetzt werden, weil sich die Höhe der Gerichtskosten streitwertunabhängig aus dem Gesetz ergibt (vgl. § 78 Satz 1 BDG i.V.m. Nr. 12 und 62 des als Anlage zu diesem Gesetz erlassenen Gebührenverzeichnisses).
5. Mit diesem Beschluss und der darin enthaltenen Kostenentscheidung zulasten der Klägerin erledigt sich der vom Beklagten durch Schriftsatz vom 7. März 2017 gestellte Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe.