Entscheidungsdatum: 28.02.2017
1. Der 1951 geborene Beklagte stand als Oberstudiendirektor im Dienst des klagenden Landes, er war zuletzt als Schulleiter verwendet worden. Im Frühjahr 2006 wurde eine Lungenkrebserkrankung beim Beklagten diagnostiziert und anschließend operiert, mit Ablauf des Jahres 2009 versetzte ihn der Kläger wegen Dienstunfähigkeit vorzeitig in den Ruhestand.
Nachdem bei einer Wohnungsdurchsuchung pornographische Bilddateien auf dem PC des Beklagten gefunden worden waren, verurteilte ihn das Amtsgericht im Dezember 2008 wegen des Besitzes kinderpornographischer Bilder zu einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen. Nach den tatsächlichen Feststellungen des Strafurteils hatte der Beklagte neben einer Vielzahl strafrechtlich nicht relevanter Bilddateien acht Bilder mit kinderpornographischem Inhalt besessen, die im Zeitraum von Januar 2006 bis Dezember 2007 abgespeichert worden waren.
Im sachgleichen Disziplinarverfahren erkannte das Verwaltungsgericht dem Beklagten das Ruhegehalt ab, die hiergegen gerichtete Berufung blieb erfolglos. Das Berufungsgericht hat dabei offengelassen, ob einem Strafurteil indizielle Wirkung für die Schwere des außerdienstlich begangenen Dienstvergehens zukommen könne, jedenfalls sei angesichts des Inhalts der Bilddateien und der nicht unerheblichen Anzahl von acht Bildern hier ausnahmsweise trotz einer von den Strafgerichten nur ausgesprochenen Geldstrafe im unteren Bereich von einer besonders schweren Verfehlung auszugehen. Auch die Frage, ob es durch das Lungenkarzinoid zu einer vermehrten Serotoninausstoßung gekommen sei, hat das Berufungsgericht dahinstehen lassen. Auch ohne sachverständige Begutachtung stehe zur sicheren Überzeugung des Gerichtes fest, dass eine derartige Störung nicht das Eingangsmerkmal der schweren anderen seelischen Abartigkeit im Sinne der §§ 20, 21 StGB erfüllen könne.
2. Die hiergegen gerichtete Beschwerde des Beklagten hat mit der Maßgabe Erfolg, dass der Rechtsstreit gemäß § 67 Satz 1, § 3 Abs. 1 des Disziplinargesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen - LDG NRW - i.V.m. § 133 Abs. 6 VwGO zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückzuverweisen ist. Die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO liegen vor, weil das Berufungsurteil auf den vom Beklagten geltend gemachten Verstößen gegen die Aufklärungspflicht beruhen kann. Das Oberverwaltungsgericht hätte das Vorbringen des Beklagten zum Vorliegen einer krankhaften Störung nicht unter Hinweis auf einen Wikipedia-Eintrag und die auch ohne sachverständige Begutachtung sichere Überzeugung des Senats abtun dürfen.
Gemäß § 57 Abs. 1 Satz 1 LDG NRW erhebt das Gericht die erforderlichen Beweise. Demnach hat es grundsätzlich selbst und von Amts wegen diejenigen Tatsachen zu ermitteln und festzustellen, die für den Nachweis des Dienstvergehens und die Bemessung der Disziplinarmaßnahme von Bedeutung sind (vgl. BT-Drs. 14/4659 S. 49 zu § 58 BDG). Entsprechend § 86 Abs. 1 VwGO folgt daraus die Verpflichtung, diejenigen Maßnahmen der Sachaufklärung zu ergreifen, die sich nach Lage der Dinge aufdrängen. Dies gilt gemäß § 65 Abs. 1 Satz 1 LDG NRW auch für die Berufungsinstanz (BVerwG, Beschluss vom 1. August 2013 - 2 B 77.12 - juris Rn. 7).
Bestehen tatsächliche Anhaltspunkte dafür, dass die Schuldfähigkeit des Beamten bei Begehung der Tat erheblich gemindert war, darf das Tatsachengericht im Rahmen seiner Bemessungsentscheidung diesen Aspekt nicht offen lassen oder zugunsten des Betroffenen unterstellen und sogleich auf die Einsehbarkeit der betreffenden Pflicht abstellen. Vielmehr muss es die Frage einer Minderung der Schuldfähigkeit des Beamten aufklären (BVerwG, Beschluss vom 26. September 2014 - 2 B 23.14 - Buchholz 310 § 98 VwGO Nr. 111 Rn. 5 m.w.N.). Hat der Beamte zum Tatzeitpunkt an einer krankhaften seelischen Störung im Sinne von § 20 StGB gelitten oder kann eine solche Störung nach dem Grundsatz "in dubio pro reo" nicht ausgeschlossen werden und ist die Verminderung der Schuldfähigkeit des Beamten erheblich, so ist dieser Umstand bei der Bewertung der Schwere des Dienstvergehens mit dem ihm zukommenden erheblichen Gewicht heranzuziehen. Bei einer erheblich verminderten Schuldfähigkeit kann die Höchstmaßnahme regelmäßig nicht mehr ausgesprochen werden (BVerwG, Urteil vom 25. März 2010 - 2 C 83.08 - BVerwGE 136, 173 Rn. 29 ff.).
Die Frage, ob die Verminderung der Steuerungsfähigkeit aufgrund einer krankhaften seelischen Störung "erheblich" war, ist zwar eine Rechtsfrage, die die Verwaltungsgerichte in eigener Verantwortung zu beantworten haben (BVerwG, Urteil vom 29. Mai 2008 - 2 C 59.07 - juris Rn. 30). Als Vorfrage muss indes geklärt werden, ob der Beamte im Tatzeitraum an einer Krankheit gelitten hat, die seine Fähigkeit, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, vermindert hat. Erst wenn die seelische Störung und ihr Schweregrad feststehen oder nach dem Grundsatz "in dubio pro reo" nicht ausgeschlossen werden können, kann beurteilt werden, ob die Voraussetzungen für eine erheblich geminderte Schuldfähigkeit vorliegen (BVerwG, Beschluss vom 4. Juli 2013 - 2 B 76.12 - Buchholz 310 § 144 VwGO Nr. 80 Rn. 20).
Hierzu bedarf es in der Regel besonderer ärztlicher Sachkunde. Für die in Rede stehenden medizinischen Fachfragen gibt es keine eigene, nicht durch entsprechende medizinische Sachverständigengutachten vermittelte Sachkunde des Richters (BVerwG, Urteil vom 25. Juli 2013 - 2 C 12.11 - BVerwGE 147, 244 Rn. 11). Diese kann insbesondere nicht durch den Hinweis auf einen Wikipedia-Eintrag begründet werden.
Mit der Aussage, selbst wenn man eine Auswirkung der erhöhten Serotoninproduktion auf die Sexualfunktion annehme, könne dies nicht erklären, warum diese Auswirkungen ausgerechnet zum Herunterladen und Abspeichern kinderpornographischer Bilder hätte führen sollen, maßt sich das Oberverwaltungsgericht überdies Kenntnisse zu medizinischen Kausalzusammenhängen an, deren Grundlage und Fundierung jedenfalls nicht offen gelegt sind.
Schließlich verkennt die Argumentation des Berufungsurteils auch, dass das Vorliegen einer krankhaften Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit auch unterhalb der Schwelle einer seelischen Abartigkeit im Sinne der §§ 20, 21 StGB für die Gesamtwürdigung von Bedeutung sein kann (BVerwG, Beschluss vom 20. Dezember 2013 - 2 B 35.13 - Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 21 Rn. 21).
Dies gilt vorliegend umso mehr, als die Verhängung der disziplinaren Höchstmaßnahme für ein außerdienstlich begangenes Dienstvergehen, das von den Strafgerichten nur mit einer Geldstrafe im unteren Bereich geahndet worden ist, nur ausnahmsweise und bei Vorliegen disziplinarrechtlich bedeutsamer Umstände in Betracht kommt (BVerwG, Urteil vom 18. Juni 2015 - 2 C 9.14 - BVerwGE 152, 228 Rn. 38). Diese dürften sich vorliegend jedenfalls nicht aus den Umständen der Tatbegehung ergeben. Nach Anzahl, Art und Inhalt der abgeurteilten Bilddateien, dem Alter der betroffenen Kinder und der Form des abgebildeten Missbrauchs liegen die vom Beklagten begangenen Taten im deutlich unteren Bereich der möglichen Begehungsformen einer Straftat nach § 184b Abs. 4 StGB a.F. und weisen daher für sich genommen noch nicht den für die Verhängung der disziplinarrechtlichen Höchstmaßnahme erforderlichen Schweregehalt auf (vgl. zu den unterschiedlichen Begehungsformen BVerwG, Urteile vom 18. Juni 2015 - 2 C 9.14 - BVerwGE 152, 228 Rn. 40 einerseits, - 2 C 25.14 - Buchholz 235.2 LDisziplinarG Nr. 34 Rn. 42 andererseits). Dementsprechend ist der mögliche Strafrahmen durch die Strafgerichte auch nicht ausgeschöpft und nur auf eine Geldstrafe in Höhe von 50 Tagessätzen erkannt worden.