Bundesverwaltungsgericht

Entscheidungsdatum: 22.11.2010


BVerwG 22.11.2010 - 2 B 8/10

Verlesung und Genehmigung des Protokolls; Streit über Wirksamkeit einer Klagerücknahme


Gericht:
Bundesverwaltungsgericht
Spruchkörper:
2. Senat
Entscheidungsdatum:
22.11.2010
Aktenzeichen:
2 B 8/10
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, 29. Oktober 2009, Az: 3 B 08.698, Urteil
Zitierte Gesetze

Gründe

1

Im Mai 2006 erhob die Klägerin Klage auf Gewährung von Unfallruhegehalt wegen eines Dienstunfalls. Im Protokoll über die mündliche Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht ist vermerkt, dass die anwaltlich vertretene Klägerin nach der Erörterung der Streitsache in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht die Klagerücknahme erklärt hat. Im Protokoll ist nicht vermerkt, dass die Klagerücknahme der Klägerin vorgelesen und von dieser genehmigt worden ist. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag der Klägerin auf Berichtigung des Protokolls abgelehnt. Die Klage der Klägerin auf Fortsetzung des Verfahrens hat das Verwaltungsgericht abgewiesen und festgestellt, dass die Klage zurückgenommen ist. Der Verwaltungsgerichtshof hat die Berufung zurückgewiesen. Zwar habe das Verwaltungsgericht dadurch gegen § 105 VwGO in Verbindung mit § 160 Abs. 3 Nr. 8 und § 162 Abs. 1 Satz 1 und 3 ZPO verstoßen, dass es der Klägerin die Feststellungen im Protokoll zur Klagerücknahme nicht vorgelesen und ihre Genehmigung nicht eingeholt habe. Dieser Verstoß berühre die Wirksamkeit der Klagerücknahme jedoch nicht. Bestehe Streit über die Abgabe einer Prozesshandlung, so habe eine Klärung durch Beweisaufnahme zu erfolgen. Diese habe ergeben, dass die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht die Rücknahme ihrer Klage erklärt habe. Der Verwaltungsgerichtshof hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen. Die hiergegen gerichtete Beschwerde der Klägerin ist unbegründet.

2

Die Revision ist nicht wegen der allein geltend gemachten grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zuzulassen. Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), wenn sie eine abstrakte, in dem zu entscheidenden Fall erhebliche Frage des revisiblen Rechts mit einer über den Einzelfall hinausgehenden allgemeinen Bedeutung aufwirft, die im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder im Interesse der Rechtsfortbildung in einem Revisionsverfahren geklärt werden muss (stRspr., vgl. Beschluss vom 2. Oktober 1961 - BVerwG 8 B 78.61 - BVerwGE 13, 90 <91> = Buchholz 310 § 132 VwGO Nr. 18). Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt, wenn eine von der Beschwerde aufgeworfene Rechtsfrage bereits geklärt ist. So verhält es sich hier.

3

Die Beschwerde sieht als grundsätzlich klärungsbedürftig die Frage an,

ob der in § 162 Abs. 1 Satz 3 ZPO für das Protokoll geforderte Vermerk "vorgelesen und genehmigt" über das Verlesen und Genehmigen des Textes einer Prozesserklärung nach § 160 Abs. 3 Nr. 8 ZPO zu den in § 165 Satz 1 ZPO zu beachtenden und für die Verhandlung vorgeschriebenen Förmlichkeiten gehört mit der Folge, dass gegen den diese Förmlichkeiten betreffenden Inhalt nach § 165 Satz 2 ZPO nur der Nachweis der Fälschung zulässig ist mit der Folge, dass das Protokoll eine über die allgemeine Beweiskraft öffentlicher Urkunden hinausgehende besondere Beweiskraft hat.

4

Diese Frage rechtfertigt die Zulassung der Revision nicht, weil sie bereits höchstrichterlich geklärt ist und die Beschwerde keine Gründe darlegt, die eine erneute Prüfung durch das Bundesverwaltungsgericht in einem Revisionsverfahren geboten erscheinen lassen.

5

Nach der übereinstimmenden Rechtsprechung der Bundesgerichte führt der Verstoß gegen § 162 Abs. 1 ZPO als solcher nicht zur Unwirksamkeit einer in der mündlichen Verhandlung erklärten Klagerücknahme. Besteht Streit über ihre Wirksamkeit, hat das Gericht durch eine nicht nach § 165 Satz 2 ZPO beschränkte Beweisaufnahme zu klären, ob die Klage in der mündlichen Verhandlung tatsächlich zurückgenommen worden ist.

6

Das durch § 105 VwGO in Verbindung mit § 162 Abs. 1 ZPO vorgeschriebene Verfahren der Verlesung und Genehmigung von Protokollerklärungen soll lediglich Gewähr für die Richtigkeit des Protokolls bieten und damit seine Beweiskraft untermauern, ist aber nicht im Sinne eines zwingenden Formerfordernisses zu verstehen (Beschluss vom 14. November 1984 - BVerwG 8 C 57.83 - Buchholz 310 § 92 VwGO Nr. 7; BSG, Urteile vom 31. Januar 1963 - 9 RV 962/61 - NJW 1963, 1125 und vom 12. März 1981 - 11 RA 52/80 - MDR 1981, 612; BGH, Urteil vom 5. April 1989 - IVb ZR 26/88 - BGHZ 107, 142 <145 f.> = FamRZ 1989, 847 <848>; Beschlüsse vom 18. Januar 1984 - IVb ZB 53/83 - NJW 1984, 1465 und vom 4. Juli 2007 - XII ZB 14/07 - NJW-RR 2007, 1451 m.w.N.; BFH, Beschluss vom 15. Juli 2010 - VIII B 90/09 - juris, Rn. 12; BAG, Beschluss vom 5. Januar 1987 - 5 AS 11/86 - juris Rn. 9 ff.). Dass ein Vorgang allein durch das Protokoll bewiesen werden kann, stellt nach § 105 VwGO in Verbindung mit § 165 Satz 1 ZPO die Ausnahme dar und gilt lediglich für die Beachtung der für die mündliche Verhandlung vorgeschriebenen Förmlichkeiten. Förmlichkeiten betreffen den äußeren Hergang der Verhandlung, wie etwa die An- oder Abwesenheit des Beteiligtenvertreters, die Öffentlichkeit einer Verhandlung, die Erörterung der Sach- und Rechtslage und die Durchführung einer Beweisaufnahme durch die Vernehmung von Zeugen oder Sachverständigen (Stöber, in: Zöller, ZPO, 28. Aufl., § 165 Rn. 2 m.w.N.). Von § 165 Satz 1 ZPO nicht erfasst ist dagegen der Inhalt der Verhandlung. Darunter sind in erster Linie die Protokollfeststellungen nach § 160 Abs. 3 Nr. 1, 3 bis 6, 8, 9 und 10 ZPO über den Inhalt von Erklärungen des Beteiligten zu verstehen. Einseitige Prozesshandlungen, wie das Anerkenntnis oder die Rücknahme der Klage, werden in der mündlichen Verhandlung allein durch die Erklärung gegenüber dem Gericht vollzogen und damit wirksam. Die ordnungsgemäße Protokollierung einer solchen Erklärung ist nicht Wirksamkeitsvoraussetzung, sondern dient nur Beweiszwecken (BGH, Beschlüsse vom 18. Januar 1984 - IVb ZB 53/83 - a.a.O. und vom 4. Juli 2007 - XII ZB 14/07 - a.a.O.; Roth, in: Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl., § 162 Rn. 9).

7

Die Beschwerde legt nicht dar, dass die in der Rechtsprechung der Bundesgerichte hinsichtlich der Klagerücknahme einheitlich beantwortete Frage erneut klärungsbedürftig ist. Die von der Beschwerde aufgeworfene Frage, wie ein Verstoß gegen § 105 VwGO in Verbindung mit § 162 Abs. 1 ZPO bei der Stellung von (Sach-) Anträgen in der mündlichen Verhandlung zu werten ist, würde sich im Revisionsverfahren nicht stellen, weil es hier um eine Klagerücknahme geht.