Bundesverwaltungsgericht

Entscheidungsdatum: 16.06.2016


BVerwG 16.06.2016 - 2 B 72/15

Urlaubsabgeltungsanspruch ist auf den Mindesturlaubsanspruch von vier Wochen beschränkt


Gericht:
Bundesverwaltungsgericht
Spruchkörper:
2. Senat
Entscheidungsdatum:
16.06.2016
Aktenzeichen:
2 B 72/15
ECLI:
ECLI:DE:BVerwG:2016:160616B2B72.15.0
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, 3. Juni 2015, Az: 6 A 2326/12, Urteil
Zitierte Gesetze
Art 7 Abs 1 EGRL 88/2003
Art 7 Abs 2 EGRL 88/2003

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein Westfalen vom 3. Juni 2015 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 5 200 € festgesetzt.

Gründe

1

Die auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) und auf einen Verfahrensfehler (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) gestützte Beschwerde des Klägers ist unbegründet.

2

1. Der 1949 geborene Kläger stand zuletzt als Regierungsgewerbeamtsrat (Besoldungsgruppe A 12 BBesO) im Dienst des Beklagten. Zum 31. Dezember 2007 wurde er antragsgemäß in den einstweiligen Ruhestand versetzt. Zuvor - Anfang November 2007 - beantragte der Kläger, der im Jahr 2007 bereits an 15 Tagen Urlaub genommen hatte, ihm den ihm für das Kalenderjahr 2007 zustehenden Erholungsurlaub von 30 Kalendertagen für den Zeitraum vom 12. November bis zum 21. Dezember 2007 zu gewähren. Der Beklagte gewährte dem Kläger lediglich fünf Urlaubstage und lehnte den Antrag im Übrigen mit der Begründung ab, es sei noch ein sehr aufwändiger und umfangreicher Vorgang abschließend zu bearbeiten, dessen Weiterbearbeitung durch einen anderen Kollegen angesichts des Umfangs und seiner Komplexität nicht sinnvoll sei. Den Antrag des Klägers auf finanzielle Abgeltung für die 25 im Jahr 2007 nicht gewährten Urlaubstage lehnte der Beklagte ab. Die Klage des Klägers ist in den Vorinstanzen erfolglos geblieben. Zur Begründung hat das Oberverwaltungsgericht im Wesentlichen ausgeführt:

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Das Unionsrecht vermittle einem Beamten lediglich einen Anspruch auf Abgeltung des unionsrechtlich garantierten Mindesturlaubs. Den ihm im Jahr 2007 unionsrechtlich zustehenden Mindesturlaub von 20 Tagen habe der Kläger aber vollständig in Anspruch genommen. Für die finanzielle Abgeltung des über den unionsrechtlichen Mindesturlaub hinausgehenden Urlaubs aus nationalem Recht bestehe keine Anspruchsgrundlage.

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2. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), die ihr die Beschwerde beimisst.

5

Grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine - vom Beschwerdeführer zu bezeichnende - grundsätzliche, bisher höchstrichterlich nicht beantwortete Rechtsfrage aufwirft, die im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder einer Weiterentwicklung des Rechts revisionsgerichtlicher Klärung bedarf und die für die Entscheidung des Revisionsgerichts erheblich sein wird (stRspr, BVerwG, Beschluss vom 2. Oktober 1961 - 8 B 78.61 - BVerwGE 13, 90 <91 f.>). Das ist hier nicht der Fall.

6

Die Beschwerde sieht die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache in den Fragen,

"ob der sich bei Zugrundelegung der Rechtsprechung des EuGH aus Artikel 7 Abs. 2 der Richtlinie 2003/88/EG ergebende Urlaubsabgeltungsanspruch seinem Umfang nach auch dann auf den sich aus Artikel 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG ergebenden unionsrechtlichen Mindesturlaubsanspruch von vier Wochen beschränkt ist, wenn die Nichtinanspruchnahme des Jahresurlaubs vor Eintritt in den Ruhestand nicht auf krankheitsbedingten Gründen beruht, sondern darauf, dass der verbleibende Urlaub vor dem Eintritt in den Ruhestand von dem Dienstherrn unter Hinweis auf dienstliche Gründe nicht gewährt worden ist, und wenn der nationalstaatliche (Landes-) Gesetzgeber den Beamten durch entsprechende gesetzliche Regelungen eine dem Umfang nach über den unionsrechtlichen Mindesturlaub hinausgehenden Urlaubsanspruch gewährt, ohne zugleich Urlaubsabgeltungsansprüche auf den Umfang des unionsrechtlich verbürgten Mindesturlaubs einzuschränken,"

und

"ob bei der Beurteilung, ob und in welchem Umfang dem betroffenen Arbeitnehmer/Beamten bei Berücksichtigung der in dem jeweiligen Kalenderjahr bereits genommenen Urlaubstage nach Maßgabe von Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2003/88/EG ein Anspruch auf Urlaubsabgeltung zusteht, auch dann genommene Urlaubstage anspruchsmindernd zu berücksichtigen sind, die nach Maßgabe der nationalstaatlichen Vorschriften in zulässiger Weise in das jeweilige Kalenderjahr übertragen worden sind, wenn die Nichtinanspruchnahme der verbliebenen Urlaubstage vor Eintritt in den Ruhestand nicht auf krankheitsbedingten Gründen beruht, sondern auf einer Nichtgewährung durch den Dienstherrn."

7

Diese Fragen vermögen die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache nicht zu rechtfertigen, weil sie sich auf der Grundlage der bisherigen Rechtsprechung auch ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens im Sinne des Urteils des Oberverwaltungsgerichts beantworten lassen.

8

Die beiden Fragen beziehen sich auf die Auslegung von Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung (ABl EU Nr. L 299 S. 9; im Folgenden: RL 2003/88/EG). Für Beamte kann sich ein Anspruch auf finanzielle Abgeltung von nicht in Anspruch genommenen Urlaubs im Jahr 2007 allein aus Art. 7 Abs. 2 RL 2003/88/EG ergeben. Denn das innerstaatliche Recht räumte Beamten im Jahr 2007 keinen solchen Abgeltungsanspruch ein; dies gilt auch für den Schwerbehindertenzusatzurlaub nach § 125 Abs. 1 Satz 1 SGB IX (BVerwG, Urteil vom 31. Januar 2013 - 2 C 10.12 - Buchholz 232.3 § 1 EUrlV Nr. 1 Rn. 8 und 15).

9

Aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union zu Art. 7 RL 2003/88/EG folgt, dass der Anspruch auf Abgeltung nicht in Anspruch genommenen Urlaubs, den der Gerichtshof aus Art. 7 Abs. 2 RL 2003/88/EG ableitet, auf den sich aus Art. 7 Abs. 1 RL 2003/88/EG ergebenden Mindesturlaub von vier Wochen beschränkt ist. In seinem Urteil vom 3. Mai 2012 (Rs. C-337/10, Neidel, NVwZ 2012, 688 Rn. 35 f. m.w.N.) hat der Gerichtshof klargestellt, dass sich die Richtlinie darauf beschränkt, Mindestvorschriften für Sicherheit und Gesundheitsschutz aufzustellen. Danach ist es Sache der Mitgliedstaaten, ob sie Beamten zusätzlich zum Anspruch auf einen bezahlten Mindestjahresurlaub von vier Wochen weitere Ansprüche auf bezahlten Urlaub gewähren und einen Anspruch auf finanzielle Vergütung des nicht genommenen Urlaubs vorsehen.

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Der aus Art. 7 Abs. 2 RL 2003/88/EG abgeleitete Urlaubsabgeltungsanspruch ist daher ungeachtet des Grundes für die Nichtinanspruchnahme des Urlaubs - aufgrund einer Erkrankung oder aufgrund der Ablehnung der Bewilligung von Erholungsurlaub durch den Dienstherrn - auf den Mindesturlaubsanspruch von vier Wochen beschränkt. Nach den tatsächlichen Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts hatte der Kläger im Jahr 2007 aber bereits an 20 Arbeitstagen Erholungsurlaub. Dabei ist unerheblich, ob es sich um Urlaub aus dem vorangegangenen Urlaubsjahr gehandelt hat, der in das nachfolgende Jahr übertragen worden ist (BVerwG, Urteil vom 31. Januar 2013 - 2 C 10.12 - Buchholz 232.3 § 1 EUrlV Nr. 1 Rn. 23; dazu BVerfG, Kammerbeschluss vom 15. Mai 2014 - 2 BvR 324/14 [ECLI:DE:BVerfG:2014:vk20140515.2bvr032414] - NVwZ 2014, 1160 Rn. 12 f.).

11

Dem in der Beschwerdebegründung herangezogenen Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 12. Juni 2014 (Rs. C-118/13 [ECLI:EU:C:2014:1755] - Bollacke, NJW 2014, 2415) kann zum Aspekt der Begrenzung des unionsrechtlichen Anspruchs auf Abgeltung nicht genommenen Urlaubs auf den in Art. 7 Abs. 1 RL 2003/88/EG eingeräumten Mindesturlaub von vier Wochen und zu dem Gesichtspunkt der Übertragung nicht genommenen Urlaubs auf Folgejahre nichts Gegenteiliges entnommen werden. In der Beschwerdebegründung wird bei der Argumentation unter Berufung auf dieses Urteil des Gerichtshofs nicht berücksichtigt, dass bereits das vorlegende Gericht in den Vorlagefragen mehrfach vom bezahlten Mindestjahresurlaub spricht (Rn. 13). Dementsprechend beziehen sich die Ausführungen des Gerichtshofs zum Begriff des Urlaubs auf diesen unionsrechtlich vorgegebenen Mindestjahresurlaub von vier Wochen und nicht auf den bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses nach Maßgabe der nationalstaatlichen Regelungen noch bestehenden Jahresurlaubsanspruch. Aus den Urteilen des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 20. Januar 2009 (Rs. C-350/06 und C- 520/06, Schultz-Hoff, Slg. 2009, I-179 Rn. 62) und vom 3. Mai 2012 (Rs. C-337/10, Neidel, NVwZ 2012, 688 Rn. 30) folgt ferner, dass Art. 7 Abs. 2 RL 2003/88/EG einzelstaatlichen Rechtsvorschriften oder Gepflogenheiten nur dann entgegensteht, wenn danach für nicht genommenen bezahlten Jahresurlaub am Ende des Arbeitsverhältnisses keine finanzielle Vergütung gezahlt wird und wenn der betroffene Arbeitnehmer während des gesamten Bezugszeitraums und/oder Übertragungszeitraums oder eines Teils davon krankgeschrieben bzw. im Krankheitsurlaub war und deshalb seinen Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub nicht verwirklichen konnte.

12

3. Die Rüge, das Oberverwaltungsgericht habe es verfahrensfehlerhaft unterlassen, dem Gerichtshof der Europäischen Union nach Art. 267 AEUV Fragen zur Auslegung der Richtlinie 2003/88/EG vorzulegen, ist unbegründet. Denn in den Fällen, in denen das Oberverwaltungsgericht durch Urteil entscheidet, ist es wegen der Möglichkeit der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision nicht letztinstanzliches Hauptsachegericht im Sinne von Art. 267 Abs. 3 AEUV. Lediglich für diese Gerichte besteht nach dem Unionsrecht eine Vorlagepflicht, falls die Voraussetzungen für die Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union nach Art. 267 Abs. 1 Buchst. a AEUV gegeben sind.

13

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 47 Abs. 1 und 3 sowie § 52 Abs. 3 Satz 1 GKG.