Entscheidungsdatum: 30.12.2010
Die Nichtzulassungsbeschwerde des Beklagten kann keinen Erfolg haben. Die in der Beschwerdebegründung dargelegten Gründe können nicht zur Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1, § 68 Satz 2 BremDG oder wegen eines Verfahrensmangels gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO, § 68 Satz 2 BremDG führen.
Das Oberverwaltungsgericht hat den Beklagten auf die maßnahmebeschränkte Berufung des Klägers gegen das erstinstanzliche Urteil aus dem Beamtenverhältnis entfernt. In den Gründen des Berufungsurteils heißt es, die Klägerin habe die Berufungsbegründungsfrist gewahrt, weil sie die Begründung innerhalb der vom Vorsitzenden des Berufungsgerichts verlängerten Frist dort eingereicht habe. Den Regelungen über die Einreichung und Begründung der Berufung gemäß § 63 Abs. 1 Satz 2 und Satz 3 BremDG sei nicht zu entnehmen, dass die Begründung in einem derartigen Fall zwingend beim Verwaltungsgericht einzureichen sei. In der Sache komme nur die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis als angemessene Disziplinarmaßnahme in Betracht. Der Beklagte sei als Polizeibeamter nicht mehr tragbar, weil er nach den bindenden Feststellungen des Verwaltungsgerichts im März und April 2004 in 15 Fällen dienstlich anvertraute Gelder in Höhe von insgesamt 5 180,45 € unterschlagen habe.
Der Beklagte wirft die Fragen als rechtsgrundsätzlich bedeutsam im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, § 68 Satz 2 BremDG auf, ob
- eine Berufungsbegründung ungeachtet des Wortlauts des § 63 Abs. 1 Satz 2 BremDG und des Kontextes dieser gesetzlichen Regelung mit der Vorgängerregelung der Bundesdisziplinarordnung, dem Rechtsmittelbereinigungsgesetz und dem Dienstrechtsneuordnungsgesetz die fristwahrende Einlegung der Berufungsbegründung beim Oberverwaltungsgericht zulasse;
- die Gerichte berechtigt seien, bei Fristverlängerungsanträgen aus prozessökonomischen Erwägungen abweichend vom Gesetzeswortlaut und einer gesetzgeberischen Entscheidung die Zuständigkeit des Oberverwaltungsgerichts für die Einreichung der Berufungsbegründung anzunehmen;
- der Vorsitzende des für die Berufung zuständigen Senates des Oberverwaltungsgerichts nach § 63 Abs. 1 Satz 3 BremDG für Anträge auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist zuständig sei.
Der Revisionszulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist gegeben, wenn die Rechtssache eine konkrete, in dem zu entscheidenden Fall erhebliche Frage des revisiblen Rechts aufwirft, die im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Rechtsfortbildung der Klärung in einem Revisionsverfahren bedarf (Beschluss vom 2. Oktober 1961 - BVerwG 8 B 78.61 - BVerwGE 13, 90 <91> = Buchholz 310 § 132 VwGO Nr. 18; stRspr). An der Entscheidungserheblichkeit der Rechtsfrage fehlt es, wenn der Ausgang des Rechtsstreits nicht von deren Beantwortung abhängt, weil feststeht, dass sich die Berufungsentscheidung jedenfalls aus anderen Gründen als richtig darstellt. In diesen Fällen kann von der Revisionszulassung in entsprechender Anwendung des § 144 Abs. 4 VwGO abgesehen werden (Beschlüsse vom 22. August 1996 - BVerwG 8 B 100.96 - Buchholz 310 § 144 VwGO Nr. 62 und vom 10. Juni 2009 - BVerwG 2 B 26.09 - juris Rn. 8; stRspr).
So liegt der Fall hier. Die Revision des Beklagten hat auch dann keinen Erfolg, wenn in Disziplinarklageverfahren auch die gesonderte Berufungsbegründung fristwahrend nur beim Verwaltungsgericht eingereicht werden könnte. Bei einer derartigen Auslegung des § 63 Abs. 1 Satz 2 und Satz 3 BremDG wäre die Berufungsbegründung der Klägerin zwar nicht fristgerecht eingegangen. Das Oberverwaltungsgericht hätte die Berufung der Klägerin gegen das erstinstanzliche Urteil jedoch nicht als unzulässig verwerfen dürfen. Vielmehr hätte es der Klägerin nach § 60 Abs. 2 Satz 4, Abs. 4 VwGO von Amts wegen Wiedereinsetzung in die dann versäumte Berufungsbegründungsfrist gewähren müssen, weil die gesetzlichen Voraussetzungen der Wiedereinsetzung offensichtlich vorgelegen haben (vgl. Beschluss vom 27. März 2000 - BVerwG 3 B 41.00 - Buchholz 310 § 60 VwGO Nr. 233). Insbesondere wäre dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin entgegen der Auffassung des Beklagten kein Verschulden an der Fristversäumnis anzulasten gewesen. Denn er durfte sich darauf verlassen, dass der rechtzeitige Eingang der Berufungsbegründung beim Oberverwaltungsgericht die verlängerte Berufungsbegründungsfrist wahren würde (§ 60 Abs. 1 VwGO). Dies ergibt sich aus folgenden Erwägungen:
Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin musste nach dem Stand von Rechtsprechung und Schrifttum annehmen, dass die Entscheidung über die Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist nach § 63 Abs. 1 Satz 3 BremDG dem Vorsitzenden des für die Berufung zuständigen Senats des Oberverwaltungsgerichts oblag. Zum einen hatte dieser Vorsitzende über den Verlängerungsantrag der Klägerin entschieden; er hatte die Berufungsbegründungsfrist ohne Weiteres antragsgemäß bis zum 28. November 2008 verlängert. Zum anderen entsprach diese Vorgehensweise der damals von Obergerichten und Schrifttum übereinstimmend vertretenen Auffassung; daran hat sich seitdem nichts geändert (OVG Münster, Urteil vom 20. Februar 2008 - 21d A 956/07 - NVwZ-RR 2008, 844; OVG Greifswald, Urteil vom 15. Juli 2009 - 10 L 353/06 - juris Rn. 31 f. jeweils zur wortgleichen Regelung des § 64 Abs. 1 Satz 3 BDG; Hummel/Köhler/Mayer, Kommentar zum BDG, § 64 Rn. 3; Gansen, Disziplinarrecht in Bund und Ländern, § 64 BDG Rn. 5).
Davon ausgehend brauchte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin auch keine Zweifel daran zu haben, dass die Berufungsbegründung innerhalb der vom Vorsitzenden des Berufungsgerichts verlängerten Frist auch dort fristwahrend eingereicht werden konnte. Dieser Schluss musste sich aufgrund der Entscheidung dieses Vorsitzenden über den Antrag auf Fristverlängerung und aufgrund der Hinweise des Oberverwaltungsgerichts in dem Schreiben vom 27. Oktober 2008 aufdrängen. Darin heißt es, die Berufung sei eingegangen und dem Oberverwaltungsgericht vorgelegt worden. Zugleich wurde das Aktenzeichen mitgeteilt, unter dem das Berufungsverfahren beim Oberverwaltungsgericht geführt wurde. Hinzu kommt, dass die Auffassung, die Berufungsbegründung könne jedenfalls nach Fristverlängerung durch den Vorsitzenden des Berufungsgerichts auch dort fristwahrend eingereicht werden, bei Einreichung im November 2008 und seitdem unverändert in der Rechtsprechung der Obergerichte vertreten wird (OVG Münster, a.a.O., und OVG Greifswald, a.a.O.). Entscheidungen, die die Rechtsauffassung des Beklagten teilen, finden sich nicht. Auch im Schrifttum zum wortgleichen § 64 Abs. 1 BDG wird nur angenommen, die Berufung müsse zwingend beim Verwaltungsgericht eingelegt werden. Für die gesonderte Berufungsbegründung wird dies nicht vertreten (Hummel/Köhler/Mayer, a.a.O. Rn. 2; Gansen, a.a.O. Rn. 3).
Ergänzend sei darauf hingewiesen, dass sich das vom Beklagten vertretene wortgetreue Verständnis des § 63 Abs. 1 Satz 2 BremDG schwerlich mit der durch § 63 Abs. 1 Satz 3 BremDG begründeten Zuständigkeit des Vorsitzenden des Berufungsgerichts für die Entscheidung über die Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist vereinbaren lässt. Dass mit dem Begriff des Vorsitzenden im Sinne des Satzes 3 der Vorsitzende des Berufungsgerichts gemeint ist, folgt aus dem Zweck dieser Regelung und der gesetzlichen Systematik. Denn das Verwaltungsgericht hat nach Abschluss des erstinstanzlichen Disziplinarklageverfahrens keine Entscheidungszuständigkeiten mehr. Es hat lediglich die bei ihm eingehenden Schriftsätze über die Einlegung und Begründung der Berufung an das Oberverwaltungsgericht weiterzuleiten. Das Berufungsverfahren wird vollständig beim Oberverwaltungsgericht geführt.
Erscheint die Regelung des § 63 Abs. 1 Satz 2 BremDG allenfalls bei einer auf diesen Satz beschränkten Lektüre, nicht aber bei der aus systematischen Gründen gebotenen Berücksichtigung des Satzes 3 dieser Vorschrift eindeutig, so besteht Raum für die vom Oberverwaltungsgericht angestellten, an Systematik und Normzweck der Regelungen orientierten prozessökonomischen Erwägungen. Diese sprechen für die Möglichkeit der fristwahrenden Einreichung der Berufungsbegründung auch beim Oberverwaltungsgericht, wenn der Vorsitzende des für die Berufung zuständigen Senats die Berufungsbegründungsfrist verlängert hat.
Nach alledem können die vom Beklagten aufgeworfenen Fragen auch nicht zu der Revisionszulassung des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO, § 68 Satz 2 BremDG führen, weil das Berufungsurteil nicht auf der vom Beklagten angegriffenen Auslegung des § 63 Abs. 1 Satz 2 und Satz 3 BremDG durch das Oberverwaltungsgericht beruhen kann. Hätte das Oberverwaltungsgericht die abweichende Auslegung des Beklagten geteilt, so hätte es der Klägerin Wiedereinsetzung in die Berufungsbegründungsfrist gewähren müssen.