Bundesverwaltungsgericht

Entscheidungsdatum: 28.03.2011


BVerwG 28.03.2011 - 2 B 59/10

Disziplinarrecht; Anforderung an Klageschrift (hier: § 52 Abs. 2 Satz 1 DG NW 2004)


Gericht:
Bundesverwaltungsgericht
Spruchkörper:
2. Senat
Entscheidungsdatum:
28.03.2011
Aktenzeichen:
2 B 59/10
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, 19. April 2010, Az: 3d A 1500/08.O, Urteil
Zitierte Gesetze
§ 52 Abs 2 S 1 DG NW 2004

Tenor

Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 19. April 2010 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

1

Die allein auf die Grundsatzrüge (§ 67 Satz 1, § 3 Abs. 1 LDG NRW i.V.m. § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) gestützte Beschwerde bleibt ohne Erfolg.

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1. Der Beklagte, ein städtischer Oberverwaltungsrat, war dienstlich u.a. für sicherheitsrelevante Maßnahmen um den Betrieb der Stadien auf dem Berger Feld tätig. Für insgesamt 72 000 € entwarf er für den Fußballverein … eine Sicherheitskonzeption. Wegen dieses Verhaltens wurde er mit Strafbefehl vom 29. Dezember 2005 wegen Vorteilsannahme in 36 Fällen und Steuerverkürzung in neun Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Im sachgleichen Disziplinarklageverfahren, das außerdem den Vorwurf der fehlenden Nebentätigkeitsgenehmigung mitumfasste, ist auf Entfernung aus dem Dienst erkannt worden.

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2. Die Beschwerde wirft als grundsätzlich bedeutsam die Fragen auf,

- ob die wörtliche Wiedergabe eines Strafbefehls in der Klageschrift, ohne dass der Dienstherr erklärt, welche dort aufgeführten Straftaten er zum Gegenstand des Disziplinarverfahrens machen will, den Anforderungen des § 52 LDG NRW an eine ordnungsgemäße Klageschrift genügt,

- ob § 52 Abs. 2 LDG NRW im Hinblick auf eine ordnungsgemäße Klageschrift voraussetzt, dass der Kläger die in der Disziplinarklage eingeführten Vorwürfe gegenüber dem Beamten insoweit rechtlich würdigt, als er sie unter konkrete disziplinarrechtliche Tatbestände subsumiert und

- ob für eine ordnungsgemäße Klageschrift gemäß § 52 Abs. 2 LDG NRW Voraussetzung ist, dass der Kläger in der Klageschrift deutlich macht, welche Vorwürfe er als innerdienstliches "Vergehen" und welche er als außerdienstliches "Vergehen" anschuldigen will.

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Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), wenn sie eine abstrakte, in dem zu entscheidenden Fall erhebliche Frage des revisiblen Rechts mit einer über den Einzelfall hinausgehenden allgemeinen Bedeutung aufwirft, die im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder im Interesse der Rechtsfortbildung in einem Revisionsverfahren geklärt werden muss (stRspr, vgl. Beschluss vom 2. Oktober 1961 - BVerwG 8 B 78.61 - BVerwGE 13, 90 <91> = Buchholz 310 § 132 VwGO Nr. 18). Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt, wenn die von der Beschwerde aufgeworfenen Rechtsfragen bereits geklärt sind oder sich anhand der bisherigen Rechtsprechung unter Zuhilfenahme des Gesetzestextes ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens eindeutig beantworten lassen. Sie sind aber auch dann nicht erfüllt, wenn es auf die Fragen nicht entscheidungserheblich ankäme. So verhält es sich hier.

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a) Nach § 52 Abs. 2 Satz 1 LDG NRW muss die Klageschrift die Tatsachen, in denen ein Dienstvergehen gesehen wird, und die anderen Tatsachen und Beweismittel, die für die Entscheidung bedeutsam sind, geordnet darstellen. Die Sachverhalte, aus denen das Dienstvergehen hergeleitet wird, müssen aus sich heraus verständlich geschildert werden. Ort und Zeit der einzelnen Handlungen müssen möglichst genau angegeben, die Geschehensabläufe nachvollziehbar beschrieben werden. (Urteile vom 23. November 2006 - BVerwG 1 D 1.06 - juris Rn. 14 § 70 BBG Nr. 12 nicht abgedruckt> und vom 25. Januar 2007 - BVerwG 2 A 3.05 - Buchholz 235.1 § 52 BDG Nr. 4 Rn. 27; Beschlüsse vom 13. März 2006 - BVerwG 1 D 3.06 - Buchholz 235 § 67 BDO Nr. 1 Rn. 13, vom 18. November 2008 - BVerwG 2 B 63.08 - juris insoweit nicht veröffentlicht in Buchholz 235.1 § 17 BDG Nr. 1 und vom 21. April 2010 - BVerwG 2 B 101.09 - juris Rn. 6; jeweils zur inhaltsgleichen Vorschrift des § 52 Abs. 1 Satz 2 BDG bzw. zu deren Vorgängernorm § 65 Halbs. 2 BDO). Dadurch soll sichergestellt werden, dass sich der Beamte gegen die disziplinarischen Vorwürfe sachgerecht verteidigen kann (Urteile vom 23. November 2006 - BVerwG 1 D 1.06 - insoweit nicht veröffentlicht in Buchholz 232 § 70 BBG Nr. 12 = juris Rn. 14 und 15 und vom 25. Januar 2007 a.a.O.; Beschlüsse vom 8. März 1985 - BVerwG 1 DB 16.85 - BVerwGE 76, 347 <349> und vom 13. März 2006 a.a.O. Rn. 13). Auch tragen die gesetzlichen Anforderungen an die Klageschrift dem Umstand Rechnung, dass sie Umfang und Grenzen der gerichtlichen Disziplinarbefugnis festlegt. Denn gemäß § 59 Abs. 2 Satz 1 LDG NRW dürfen nur Handlungen zum Gegenstand der Urteilsfindung gemacht werden, die dem Beamten in der Klage als Dienstvergehen zur Last gelegt werden (Urteil vom 25. Januar 2007 a.a.O. Rn. 28). Nach alledem muss aus der Klageschrift unmissverständlich hervorgehen, welche Sachverhalte angeschuldigt werden. Es genügt, wenn sich bei verständiger Lektüre aus der Klageschrift ohne vernünftigen Zweifel erkennen lässt, welche konkreten Handlungen dem Beamten als Dienstvergehen zur Last gelegt werden.

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Dagegen fordert § 52 Abs. 2 Satz 1 LDG NRW nicht, dass die Klageschrift die angeschuldigten Sachverhalte disziplinarrechtlich zutreffend würdigt (Beschluss vom 18. November 2008 - BVerwG 2 B 63.08 - jurisRn. 22, 23 zur inhaltsgleichen Vorschrift des § 52 Abs. 1 Satz 2 BDG). Dies bedeutet aber nicht, dass die Klageschrift keine disziplinarrechtliche Würdigung enthalten muss. Aufgrund des doppelten - rechtsstaatlich unverzichtbaren - Zwecks der Disziplinarklageschrift, einerseits Umfang und Grenzen des Prozessstoffes festzulegen und andererseits dem Beamten die hinreichende Vorbereitung seiner Verteidigung zu ermöglichen, muss der Dienstherr in der Klageschrift erkennen lassen, gegen welche Dienstpflichten das angeschuldigte Verhalten des Beamten verstoßen soll und ob ihm Vorsatz oder Fahrlässigkeit zur Last gelegt wird (vgl. für das Wehrdisziplinarrecht: BVerwG, Beschluss vom 11. Februar 2009 - BVerwG 2 WD 4.08 - BVerwGE 133, 129 ff. = Buchholz 450.2 § 99 WDO 2002 Nr. 2 m.w.N.).

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Will das Gericht von der rechtlichen Würdigung in der Klageschrift abweichen, so hat es die Beteiligten darauf hinzuweisen, damit diese sich dazu äußern können und der betroffene Beamte seine sachgerechte Verteidigung darauf einstellen kann. Dies erfordert das Gebot, rechtliches Gehör zu gewähren (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO).

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Darüber hinausgehende verallgemeinerungsfähige Fragen wirft die Revision nicht auf. Die Frage, ob eine Wiedergabe eines Strafbefehls in einer Klageschrift stets den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Klageschrift im Sinne des § 52 Abs. 2 Satz 1 LDG NRW genügt, ist nicht rechtsgrundsätzlich bedeutsam, weil sie nicht verallgemeinerungsfähig ist. Eine solche Wiedergabe ohne Einschränkungen im nachfolgenden Text wird zumeist eine Einbeziehung aller dort genannten Handlungen meinen. Letztlich ist die Würdigung aber der Auslegung im Einzelfall vorbehalten. Auch die weitergehende Frage, ob die Klageschrift eine Subsumtion unter die Dienstpflichtverletzungen enthalten muss und ob verdeutlicht werden muss, welche Vorwürfe als innerdienstliche Pflichtverletzungen und welche als außerdienstliche Pflichtverletzungen angeschuldigt werden sollen, muss nicht weiter geklärt werden. Da das Gericht an die tatsächlichen Feststellungen und rechtlichen Wertungen des klagenden Dienstherrn nicht gebunden ist (stRspr., vgl. Urteile vom 25. März 2010 - BVerwG 2 C 83.08 - BVerwGE 136, 173 = Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 11, jeweils Rn. 9, vom 19. August 2010 - BVerwG 2 C 13.10 - NVwZ 2011, 299 juris Rn. 21 und BVerwG 2 C 5.10 - NVwZ 2011, 303 juris Rn. 19), die disziplinare Würdigung in der Klageschrift auch nicht zutreffend sein muss, ist weder eine eingehende Subsumtion noch eine detaillierte Unterscheidung von innerdienstlichem und außerdienstlichem Verhalten erforderlich. Je eindeutiger sich die Handlungen bestimmten Dienstpflichtverletzungen zuordnen lassen, umso geringer können an dieser Stelle die Anforderungen an die Ausführungen in der Klageschrift sein.

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b) Im Übrigen würden sich die von der Beschwerde aufgeworfenen Fragen nicht stellen; es fehlt an der Entscheidungserheblichkeit.

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Der Klageschrift ist eindeutig zu entnehmen, dass gerade die dem Strafbefehl zugrundeliegenden Handlungen disziplinarrechtlich verfolgt werden sollen. Dies ergibt sich hinsichtlich der strafrechtlich relevanten Handlungen insbesondere aus der Eingangspassage zu III, wo es heißt:

"Dem Beklagten werden ausweislich des Strafbefehls folgende Dienstpflichtverletzungen zur Last gelegt: ..."

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Es finden sich auch an mehreren Stellen Ausführungen zur unerlaubten Nebentätigkeit, insbesondere zusammenfassend unter III am Ende. Dort heißt es:

"Durch sein Verhalten hat der Beklagte ein Dienstvergehen i.S.d. § 83 Abs. 1 LBG in Verbindung mit den §§ 57 S. 2, 3 und 68 Abs. 1 Nr. 3 LBG begangen. Mit den allgemeinen beamtenrechtlichen Geboten zur uneigennützigen Dienstausübung sowie zur Achtung und vertrauenswürdigen Verhalten innerhalb und außerhalb des Dienstes sind die Annahme von Geldern und die Steuerhinterziehung unvereinbar. Außerdem handelte es sich bei der Tätigkeit für … um eine genehmigungspflichtige Tätigkeit. Eine Genehmigung wurde für den fraglichen Zeitraum jedoch nicht eingeholt."

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Damit wurden sowohl die vorgeworfenen Dienstpflichtverletzungen als auch deren Rechtsgrundlagen bereits in der Klageschrift genannt.

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Dementsprechend hält das Berufungsgericht die Klageschrift zutreffend für hinreichend bestimmt. Unter Bezugnahme auf die Ausführungen des Verwaltungsgerichts, die es sich zu eigen macht, stellt es dabei insbesondere darauf ab, dass die Klägerin die Tatvorwürfe durch Wiedergabe der im Strafbefehl bezeichneten Handlungen hinreichend bezeichnet habe. Auf diese Weise könne der Beklagte der Klageschrift unmissverständlich entnehmen, welche konkreten Verhaltensweisen ihm vorgeworfen würden. Es könne dahinstehen, ob in einer Klageschrift ausdrücklich klargestellt werden müsse, ob außer- oder innerdienstliche Verhaltensweisen vorgeworfen werden, denn im vorliegenden Fall sei die Unterscheidung jedenfalls offensichtlich. Eine Steuerhinterziehung eines Beamten sei immer außerdienstlich, wenn er nicht selbst mit der Steuerveranlagung dienstlich betraut sei. Eine Vorteilsannahme bzw. verbotene Geschenkannahme für dienstliche Tätigkeiten wiederum sei stets ein innerdienstliches Dienstvergehen, da der dienstliche Bezug tatbestandliche Voraussetzung für die Straftat bzw. die Regelung des § 76 LBG sei. Auch hinsichtlich des Vorwurfs der Ausübung einer nicht genehmigten Nebentätigkeit sei die Klageschrift hinreichend konkretisiert, da sowohl der Vorwurf als auch der diesem zugrundeliegenden Sachverhalt in ausreichender Weise dargestellt worden seien. Der Beklagte habe daher auch insoweit der Klageschrift eindeutig entnehmen können, welches Fehlverhalten ihm vorgeworfen worden sei. Diese Ausführungen sind nicht zu beanstanden.

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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 74 Abs. 1 LDG NRW. Einer Festsetzung des Streitwerts bedarf es nicht. Für das nach dem 31. Dezember 2009 eingeleitete Beschwerdeverfahren werden Gebühren nach dem Gebührenverzeichnis der Anlage zu § 75 LDG NRW erhoben (§ 82 Abs. 11 Satz 2 LDG NRW).