Entscheidungsdatum: 01.09.2011
Der Kläger beansprucht die Gewährung von Beihilfe für die Kosten einer unfallbedingten Beförderung mit einem Rettungshubschrauber zum Behandlungsort in Österreich. Während eines Skiurlaubs hatte er sich infolge eines Sturzes in unwegsamem Gelände einen Oberschenkelknochen gebrochen. Der Leiter der Abteilung für Unfallchirurgie und Sporttraumatologie des Bezirkskrankenhauses in Hall/Tirol hatte den Transport mit dem Rettungshubschrauber als medizinisch indiziert und erforderlich bescheinigt. Der Beklagte lehnte die Gewährung von Beihilfe für die Transportkosten ab, weil die Kosten für die Beförderung zum Behandlungsort bei einer Behandlung im Ausland nicht beihilfefähig seien. Die Klage war in den Vorinstanzen erfolgreich. Das Oberverwaltungsgericht hat die Regelung über den generellen Ausschluss der Beihilfefähigkeit solcher Kosten (§ 10 Abs. 1 Satz 3 BVO NRW vom 27. März 1975
Die Beschwerde ist nicht wegen der allein geltend gemachten grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zuzulassen. Die vom Beklagten aufgeworfene Frage, "ob der Ausschluss der Beförderungskosten im Mitgliedstaat und Ausland gegen höherrangiges Recht verstößt", lässt sich anhand der anerkannten Regeln der Normauslegung und der höchstrichterlichen Rechtsprechung beantworten, ohne dass hierzu ein Revisionsverfahren durchgeführt werden muss. Da die angegriffene Entscheidung auf zwei jeweils selbstständig tragenden Gründen beruht, setzt die Zulassung der Revision voraus, dass die Beschwerde in Bezug auf beide Begründungen zulässig und begründet ist (stRspr, s. Beschluss vom 8. August 2008 - BVerwG 9 B 31.08 - Buchholz 310 § 137 Abs. 1 VwGO Nr. 33 m.w.N.). Da dies in Bezug auf den vom Beklagten geltend gemachten ersten Zulassungsgrund nicht der Fall ist, kommt es nicht mehr entscheidungserheblich auf die vom Oberverwaltungsgericht angenommene Gemeinschaftsrechtswidrigkeit des § 10 Abs. 1 Satz 3 BVO NRW an. Daher könnte in einem Revisionsverfahren nicht geklärt werden, ob und unter welchen Voraussetzungen in Fällen einer "unerwarteten", erst im Ausland notwendig gewordenen Behandlung eine Beeinträchtigung der Dienstleistungsfreiheit aus den im Urteil des Gerichtshofs vom 15. Juni 2010 - Rs. C-211/08, Kommission/Spanien - EuZW 2010, 671 (Rn. 64 ff., 72 ff.) dargelegten Gründen zu verneinen ist.
Mit seiner ersten Frage möchte der Beklagte sinngemäß geklärt wissen, ob der Ausschluss der Beihilfefähigkeit von Beförderungskosten bei einer Behandlung im Ausland, die nicht nur außerhalb der Bundesrepublik Deutschland möglich ist, den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) verletzt. Während nach nordrhein-westfälischem Beihilferecht die Beförderungskosten bei Behandlung in Deutschland zu den beihilfefähigen Aufwendungen gehören (§ 4 Abs. 1 Nr. 11 BVO), ist ihre Beihilfefähigkeit bei Behandlung im Ausland ausgeschlossen (§ 10 Abs. 1 Satz 3 BVO), es sei denn, eine Behandlung ist nur außerhalb der Bundesrepublik Deutschland möglich (§ 10 Abs. 1 Satz 4 BVO). Es bedarf keiner Klärung erst in einem Revisionsverfahren, dass eine solche Differenzierung sachwidrig und deshalb mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar ist.
Nach der Rechtsprechung des Senats ist, solange der Gesetzgeber an dem gegenwärtig praktizierten "Mischsystem" aus privat finanzierter Vorsorge und ergänzender Beihilfe festhält, der allgemeine Gleichheitssatz dann verletzt, wenn eine bestimmte Regelung beihilferechtlich notwendige und angemessene Aufwendungen von der Beihilfe ausschließt und dabei die im Beihilfesystem angelegte Sachgesetzlichkeit ohne zureichenden Grund verlässt (Urteil vom 19. Februar 2009 - BVerwG 2 CN 1.07 - Buchholz 271 LBeihilfeR Nr. 34 Rn. 20 m.w.N.). Der Senat hat das Vorliegen dieser Voraussetzungen angenommen für eine Regelung, nach der Aufwendungen für Behandlungen in der Schweiz nicht beihilfefähig sind, wenn sie nicht vor Behandlungsbeginn von der zuständigen Behörde anerkannt worden sind. Er hat diese Regelung für sachwidrig gehalten, weil der Fürsorgeanspruch der Beihilfeberechtigten prinzipiell nicht davon abhängt, ob er sich im Inland oder im Ausland aktualisiert (a.a.O., Rn. 22).
Diese Erwägung ist ohne Weiteres auf die hier gegebene Konstellation übertragbar, wonach der Normgeber die medizinisch notwendigen und wirtschaftlich angemessenen Aufwendungen der Beförderung des Beihilfeberechtigten zum Behandlungsort nur im Inland, nicht aber - abgesehen von hier nicht vorliegenden besonderen Voraussetzungen - im Ausland für beihilfefähig erklärt. Die Ausschlussregelung des § 10 Abs. 1 Satz 3 BVO NRW verletzt den im Beihilfesystem normativ verankerten Grundsatz, dass Beihilfe zu gewähren ist, soweit die Aufwendungen in Krankheitsfällen notwendig und angemessen sind (§ 88 Satz 2 LBG i.d.F. der Bekanntmachung vom 1. Mai 1981
Ein diesen Systembruch rechtfertigender Grund ist nicht ersichtlich. Wie das Oberverwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, sind Beförderungskosten der in Rede stehen Art - anders als die Kosten eines Rücktransports aus dem Ausland nach Deutschland - keine durch den Auslandsaufenthalt bedingten Mehrkosten, sondern unfall- oder erkrankungsbedingte Folgen, die in gleicher Weise im Inland entstehen können. Der Einwand des Beklagten, dem zur Eigenvorsorge angehaltenen Beihilfeberechtigten sei der Abschluss einer Auslandsreisekrankenversicherung zuzumuten, ist deshalb nicht geeignet, die systemwidrige Ungleichbehandlung der Beihilfefähigkeit von Aufwendungen für Beförderungskosten zur Behandlung im Inland und im Ausland zu rechtfertigen.