Bundesverwaltungsgericht

Entscheidungsdatum: 21.06.2017


BVerwG 21.06.2017 - 2 B 50/16

Keine indizielle Bedeutung des ausgesprochenen Strafmaßes für die disziplinare Ahndung eines innerdienstlichen Dienstvergehens


Gericht:
Bundesverwaltungsgericht
Spruchkörper:
2. Senat
Entscheidungsdatum:
21.06.2017
Aktenzeichen:
2 B 50/16
ECLI:
ECLI:DE:BVerwG:2017:210617B2B50.16.0
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend Sächsisches Oberverwaltungsgericht, 12. Februar 2016, Az: 6 A 392/15.D, Urteilvorgehend VG Dresden, 26. Mai 2015, Az: 10 K 2477/14, Urteil
Zitierte Gesetze
§ 13 Abs 1 DO SN

Gründe

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1. Der 1967 geborene Beklagte steht als Obersekretär (Besoldungsgruppe A 7) im Justizvollzugsdienst des Klägers. Während seiner Tätigkeit in der Justizvollzugsanstalt C. ging er im Dezember 2012 mit einer Gefangenen eine einvernehmliche Liebesbeziehung ein. Im Januar 2013 kam es zu wechselseitigem Oralverkehr; außerdem schenkte der Beklagte der Gefangenen ohne Erlaubnis der Anstaltsleiterin ein Stück Räucherfisch und einen Cheeseburger. Im Februar 2013 beendete der Beklagte die Liebesbeziehung zu der Gefangenen und offenbarte sich im März 2013 der Anstaltsleiterin. Diese leitete ein Disziplinarverfahren ein und erstattete Strafanzeige wegen des Verdachts des sexuellen Missbrauchs von Gefangenen gemäß § 174a Abs. 1 StGB. Die Staatsanwaltschaft C. stellte das daraufhin eingeleitete Ermittlungsverfahren im Oktober 2013 nach Zahlung von 3 000 € gemäß § 153a Abs. 1 StPO ein.

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Im gerichtlichen Disziplinarverfahren ist erstinstanzlich auf Entfernung aus dem Dienst erkannt worden. Im Berufungsverfahren hat das Oberverwaltungsgericht das Urteil des Verwaltungsgerichts geändert und die Dienstbezüge des Beklagten für die Dauer von drei Jahren um ein Zwanzigstel gekürzt. Es hat zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt:

3

Das Eingehen einer Liebesbeziehung zu und sexuelle Kontakte mit einer Gefangenen sowie die Geschenke an die Gefangene ohne Erlaubnis der Anstaltsleitung stellten ein einheitliches innerdienstliches Dienstvergehen dar. Hinsichtlich der für die Bestimmung der erforderlichen Disziplinarmaßnahme richtungsweisenden Schwere des Dienstvergehens gebe es keine Regeleinstufung für die disziplinarrechtliche Beurteilung der Verletzung des Zurückhaltungsgebots gegenüber Gefangenen durch Justizbedienstete. Eine Orientierung anhand des gesetzlichen Strafrahmens des § 174a Abs. 1 StGB scheide aus, weil sich der Beklagte einer solchen Straftat nicht schuldig gemacht habe. Für die vom Disziplinargericht eigenständig vorzunehmende strafrechtliche Würdigung sei es nicht entscheidend, dass das Strafverfahren nach § 153a StPO eingestellt worden sei. Eine solche Einstellung des sachgleichen Strafverfahrens spreche ungeachtet der unterschiedlichen Zwecke von Straf- und Disziplinarrecht aber indiziell gegen eine besondere Schwere der Verfehlung des jeweiligen Beamten. Es sei davon auszugehen, dass bei einer Verletzung des Zurückhaltungsgebots durch eine mehrmonatige, nicht strafbare Liebesbeziehung eines Strafvollzugsbeamten mit einer Gefangenen jedenfalls eine Degradierung ernstlich in Betracht zu ziehen sei. Da der Beklagte sich noch im Eingangsamt seiner Laufbahn befinde, sei dies aus Rechtsgründen ausgeschlossen. Deshalb werde auf die nächstmildere Maßnahme der Kürzung der Dienstbezüge erkannt.

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2. Die Revision ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 70 SächsDG i.V.m. § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zuzulassen.

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Der Revisionszulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO setzt voraus, dass die Rechtssache eine - vom Beschwerdeführer zu bezeichnende - konkrete, in dem zu entscheidenden Fall erhebliche Frage des revisiblen Rechts aufwirft, die bislang höchstrichterlich nicht geklärt ist und im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Rechtsfortbildung der Klärung in einem Revisionsverfahren bedarf (stRspr, vgl. nur BVerwG, Beschlüsse vom 2. Oktober 1961 - 8 B 78.61 - BVerwGE 13, 90 <91> und vom 9. April 2014 - 2 B 107.13 - NVwZ 2014, 1174 Rn. 9).

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Die vom klagenden Land mit der Beschwerde für grundsätzlich klärungsbedürftig gehaltene Frage

"Kann das Absehen von der strafrechtlichen Verfolgung unter Auflagen und Weisungen gemäß § 153a StPO hinsichtlich eines sachgleichen Strafverfahrens, das sich auf die Verletzung besonders gewichtiger innerdienstlicher Pflichten - wie dem Gebot der Zurückhaltung gegenüber Strafgefangenen durch Justizvollzugsbeamte - bezieht, bei der Verletzung auch dieser besonders gewichtigen innerdienstlichen Pflichten die Schwere des Dienstvergehens mildern?"

ist im vorliegenden Fall nicht entscheidungserheblich (a) und im Übrigen in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt (b).

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a) Die aufgeworfene Frage ist nicht entscheidungserheblich, denn das Berufungsgericht hat nicht angenommen, dass die Einstellung des staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahrens gemäß § 153a StPO die Schwere des Dienstvergehens gemildert hat. Im Berufungsurteil (Rn. 54) ist zwar - abstrakt - ausgeführt, dass die Einstellung eines sachgleichen Strafverfahrens indiziell gegen eine besondere Schwere der Verfehlung des jeweiligen Beamten sprechen könne. Damit hat das Berufungsgericht möglicherweise der in Bezug genommenen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts einen Sinn beigemessen, der ihr für innerdienstliche Dienstvergehen nicht zukommt (vgl. b). Es hat seiner Bemessungsentscheidung tatsächlich jedoch eine solche indizielle Wirkung nicht zugrunde gelegt und ist nicht von einer geringeren Schwere des Dienstvergehens wegen der Einstellung des Strafverfahrens nach § 153a StPO ausgegangen, sondern hat - ungeachtet der Erwähnung der Einstellung des Strafverfahrens nach § 153a StPO im Rahmen der Kriterien für die Bestimmung der Schwere des Dienstvergehens (Rn. 57 des Berufungsurteils) - unabhängig hiervon eine eigenständige Bemessungsentscheidung getroffen.

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Für ein anderes Verständnis bestand für das Berufungsgericht auch kein Raum, weil es in eigenständiger strafrechtlicher Würdigung eine Straftat nach § 174a Abs. 1 StGB im Hinblick auf das Bestehen einer "echten Liebesbeziehung" verneint hat. Der disziplinarrechtliche Anknüpfungspunkt - Verletzung des Zurückhaltungsgebots - war mithin ein anderer als der strafrechtliche - Missbrauch einer Amtsstellung - und setzte im vorliegenden Fall auch eine andere Tathandlung voraus. In einem Revisionsverfahren würde sich damit die als grundsätzlich bedeutsam aufgeworfene Frage nicht stellen (vgl. zum disziplinaren Überhang bei einem freisprechenden Strafurteil: BVerwG, Beschluss vom 5. Mai 2015 - 2 B 32.14 - Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 30 Rn. 7 m.w.N.).

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b) Die von der Beschwerde aufgeworfene Frage nach der Bedeutung der konkreten strafrechtlichen Sanktion für die Bemessungsentscheidung bei innerdienstlichen Dienstvergehen ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt.

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Außerhalb seines Dienstes wird vom Beamten kein wesentlich anderes Verhalten als von jedem anderen Bürger erwartet (BVerwG, Urteil vom 18. Juni 2015 - 2 C 9.14 - BVerwGE 152, 228 Rn. 14 m.w.N.). Angesichts der übereinstimmenden Pflichtenlage kann zur Bestimmung der Schwere eines Dienstvergehens im Falle einer außerdienstlich begangenen Straftat daher indiziell auf die von Strafgerichten ausgesprochene Sanktion zurückgegriffen werden. Innerhalb seines Dienstes unterliegt der Beamte aber anderen und zusätzlichen Bindungen. Aus dem Umstand, dass seine Pflichtverletzung in strafrechtlicher Hinsicht - also ungeachtet seiner besonderen dienstrechtlichen Verpflichtungen - keine schwerwiegende Sanktion erfahren hat, folgt daher nicht, dass dies auch für das Disziplinarverfahren gelten muss. Denn hier ist Anknüpfungspunkt des Vorwurfes nicht die allgemeine Rechtsstellung als gesetzesunterworfener Bürger, sondern die aus dem Dienstverhältnis stammende Pflichtenlage. Dem von Strafgerichten ausgesprochenen Strafmaß kommt hier deshalb keine entsprechende Indizwirkung für das Disziplinarverfahren zu.

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Im Beschluss vom 5. Juli 2016 - 2 B 24.16 - (Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 38 Rn. 13 ff.) hat der Senat hierzu ausgeführt:

"Insbesondere geht der Senat unverändert im Grundsatz davon aus, dass Straf- und Disziplinarrecht unterschiedliche Zwecke verfolgen (BVerwG, Urteil vom 18. Juni 2015 - 2 C 9.14 - BVerwGE 152, 228 Rn. 37). Das Strafrecht ist vom Vergeltungsprinzip mit dem Ziel der individuellen Sühne durch ein Unwerturteil über gemeinschaftswidriges Verhalten und strafrechtliche Sanktionen geprägt. Demgegenüber ist es ausschließlich Zweck des Disziplinarverfahrens, das Vertrauen in die Ehrlichkeit und Zuverlässigkeit der Beamten und damit die Funktionsfähigkeit des öffentlichen Dienstes sicherzustellen. Bei einer außerdienstlich begangenen Straftat kann zur Festlegung der Schwere des begangenen Dienstvergehens, die gemäß § 13 Abs. 2 Satz 1 LDG NW richtungweisend für die Bestimmung der erforderlichen Disziplinarmaßnahme ist, indiziell auf die vom Strafgericht konkret ausgesprochene Sanktion zurückgegriffen werden (BVerwG, Urteile vom 25. März 2010 - 2 C 83.08 - BVerwGE 136, 173 Rn. 21 und 26 und vom 18. Juni 2015 - 2 C 9.14 - BVerwGE 152, 228 Rn. 37). Ist von den Strafgerichten bei einem außerdienstlich begangenen Dienstvergehen lediglich auf eine Geldstrafe erkannt worden, kommt die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis nur ausnahmsweise und bei Vorliegen disziplinarrechtlich bedeutsamer Umstände in Betracht (BVerwG, Urteil vom 18. Juni 2015 - 2 C 9.14 - BVerwGE 152, 228 Rn. 38).

Dies gilt aber nur für außerdienstlich begangene Dienstvergehen, nicht aber für ein innerdienstliches Dienstvergehen, bei dem - wie hier - das pflichtwidrige Verhalten in das Amt des Beamten und in die damit verbundene dienstliche Tätigkeit eingebunden war. Bei diesem hat sich die grundsätzliche Zuordnung des Dienstvergehens zu einer der Disziplinarmaßnahmen im Sinne von § 5 Abs. 1 LDG NW zunächst ebenfalls am gesetzlich bestimmten Strafrahmen auszurichten, um durch die Orientierung des Umfangs des Vertrauensverlustes an dieser Vorgabe des Gesetzgebers eine nachvollziehbare und gleichmäßige disziplinarische Ahndung der Dienstvergehen zu gewährleisten (BVerwG, Urteil vom 10. Dezember 2015 - 2 C 6.14 - NVwZ 2016, 772 Rn. 19). Ein über die bisherige Rechtsprechung des Senats hinausgehender Klärungsbedarf wird in der Beschwerdebegründung nicht entsprechend § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO dargelegt.

Bei einem innerdienstlichen Dienstvergehen, bei dem der Beamte gerade nicht wie jeder andere Bürger, sondern in seiner dienstlichen Pflichtenstellung und damit als Garant einer unparteilichen und gesetzestreuen Verwaltung betroffen ist, kommt dem ausgeurteilten Strafmaß bei der Bestimmung der konkreten Disziplinarmaßnahme dagegen keine 'indizielle' oder 'präjudizielle' Bedeutung zu (stRspr, BVerwG, Urteil vom 8. März 2005 - 1 D 15.04 - Buchholz 232 § 77 BBG Nr. 24 S. 16).

Zu Recht weist die Beschwerde darauf hin, dass bei Straftaten im Amt das Strafgericht das sachnähere Gericht ist, um umfassende Erwägungen zur Strafzumessung zu treffen. Wie dargelegt, dient aber die disziplinarrechtliche Ahndung insbesondere eines innerdienstlichen Dienstvergehens nicht der strafrechtlichen Sanktionierung des Pflichtenverstoßes, sondern der Sicherstellung der Funktionsfähigkeit des öffentlichen Dienstes. Für diese muss sich das Disziplinargericht nicht an der - im Streitfall ohnehin nicht unerheblichen - Geldstrafe orientieren, sondern hat in der originär dienstrechtlichen Bemessungsentscheidung in Ausübung der ihm übertragenen Disziplinarbefugnis eigenständig und ohne präjudizielle Bindung an strafrechtliche Bemessungserwägungen zu entscheiden, ob der betroffene Beamte durch das innerdienstlich begangene Dienstvergehen das Vertrauen des Dienstherrn und der Allgemeinheit endgültig verloren hat und deshalb aus dem Beamtenverhältnis zu entfernen ist."

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Neuen oder zusätzlichen Klärungsbedarf hierzu zeigt die Beschwerde nicht auf.

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3. Auch die geltend gemachte Abweichung von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (§ 70 SächsDG i.V.m. § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) liegt nicht vor.

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Eine Divergenz im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO, § 127 Nr. 1 BRRG setzt voraus, dass die Entscheidung des Berufungsgerichts auf einem abstrakten Rechtssatz beruht, der im Widerspruch zu einem Rechtssatz steht, den das Bundesverwaltungsgericht, das Bundesverfassungsgericht oder bei Klagen aus dem Beamtenverhältnis ein anderes Oberverwaltungsgericht in Anwendung derselben Rechtsvorschrift aufgestellt hat. Zwischen den Gerichten muss ein prinzipieller Auffassungsunterschied über den Bedeutungsgehalt einer bestimmten Rechtsvorschrift oder eines Rechtsgrundsatzes bestehen (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 19. August 1997 - 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 VwGO Nr. 26 S. 14 und vom 25. Mai 2012 - 2 B 133.11 - NVwZ-RR 2012, 607 Rn. 5). Die Behauptung einer fehlerhaften oder unterbliebenen Anwendung von Rechtssätzen, die das Bundesverwaltungsgericht oder ein anderes divergenzfähiges Gericht aufgestellt hat, genügt den Zulässigkeitsanforderungen einer Divergenzrüge dagegen nicht. Die Entscheidungen müssen dasselbe Gesetz und dieselbe Fassung des Gesetzes zum Gegenstand haben (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 17. Januar 1995 - 6 B 39.94 - Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 342 S. 55 und vom 9. April 2014 - 2 B 107.13 - NVwZ 2014, 1174 Rn. 3 ff. m.w.N.).

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Das Beschwerdevorbringen genügt diesen Anforderungen nicht. Es bezeichnet weder einen Rechtssatz des Berufungsurteils noch einen - hiervon abweichenden - Rechtssatz eines Bundesgerichts oder eines anderen Oberverwaltungsgerichts. Mit dem Vorbringen, das Berufungsgericht habe die Prüfung des Ausmaßes der durch die Dienstpflichtverletzung des Beklagten bewirkten Vertrauensbeeinträchtigung falsch verortet und sei deshalb zu einem für den Beklagten zu günstigen Ergebnis gekommen, rügt die Beschwerde der Sache nach lediglich die vermeintlich unrichtige Rechtsanwendung im Einzelfall.

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4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 78 Abs. 4 SächsDG i.V.m. § 154 Abs. 2 VwGO. Einer Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren bedarf es nicht, weil für das Verfahren streitwertunabhängig Gebühren nach dem Gebührenverzeichnis der Anlage zu § 79 Abs. 1 SächsDG erhoben werden.