Bundesverwaltungsgericht

Entscheidungsdatum: 20.12.2013


BVerwG 20.12.2013 - 2 B 44/12

Strafvollzugsbeamter; Entfernung aus dem Dienst wegen Bestechlichkeit; Maßnahmebemessung; Dauer des Disziplinarverfahrens; Bindung an Strafurteil; Beteiligung des Personalrats


Gericht:
Bundesverwaltungsgericht
Spruchkörper:
2. Senat
Entscheidungsdatum:
20.12.2013
Aktenzeichen:
2 B 44/12
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend Thüringer Oberverwaltungsgericht, 20. Februar 2012, Az: 8 DO 343/09, Urteil
Zitierte Gesetze
Art 6 Abs 1 S 1 MRK
§ 11 S 2 DG TH
§ 16 Abs 1 S 1 DG TH
§ 16 Abs 1 S 2 DG TH
§ 81 Abs 1 S 1 DG TH vom 08.09.1999
§ 57 S 2 DG TH vom 08.09.1999
§ 57 S 3 DG TH vom 08.09.1999
§ 73 S 1 DG TH vom 08.09.1999
§ 51 Abs 1 S 1 DG TH
§ 51 Abs 2 DG TH

Gründe

1

Die sinngemäß auf die Grundsatzrüge und auf Verfahrensmängel (§ 66 Abs. 1 ThürDG i.V.m. § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 3 VwGO) gestützte Beschwerde bleibt ohne Erfolg.

2

1. Der Beklagte steht als Justizvollzugsobersekretär (BesGr A 7) im Dienst des Klägers. Mit rechtskräftigem amtsgerichtlichem Urteil vom 13. Dezember 2005 wurde er wegen Bestechlichkeit zu einer Freiheitsstrafe von 9 Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Nach den Feststellungen des Strafurteils gestattete der Beklagte einem Strafgefangenen zwischen 2001 und 2002 die Überziehung der Ausgänge und das ungenehmigte Verlassen der offenen Vollzugsabteilung, die dieser u.a. für Drogengeschäfte nutzte. Hierfür erhielt der Beklagte 250 €. Im sachgleichen Disziplinarklageverfahren hat ihn das Verwaltungsgericht aus dem Beamtenverhältnis entfernt. Seine hiergegen eingelegte Berufung ist erfolglos geblieben.

3

2. Eine Rechtssache hat nur dann grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, § 66 Abs. 1 ThürDG, wenn sie eine konkrete, in dem zu entscheidenden Fall erhebliche, noch ungeklärte Frage des revisiblen Rechts mit einer über den Einzelfall hinausgehenden allgemeinen Bedeutung aufwirft, die im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Rechtsfortbildung der Klärung in einem Revisionsverfahren bedarf. Gemäß § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO, § 66 Abs. 1 ThürDG obliegt es dem Beschwerdeführer, diese Voraussetzungen darzulegen (Beschluss vom 2. Oktober 1961 - BVerwG 8 B 78.61 - BVerwGE 13, 90 <91> = Buchholz 310 § 132 VwGO Nr. 18 S. 21 f.). Hieran fehlt es bereits. Die Beschwerde formuliert weder konkrete Fragen noch zeigt sie auf, worin deren grundsätzliche Bedeutung liegen könnte. Selbst wenn man ihr sinngemäß Rechtsfragen zur Bedeutung der unangemessen langen Dauer des Disziplinarverfahrens und zur Maßnahmebemessung entnehmen könnte, rechtfertigen diese nicht die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung.

4

a) In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist geklärt, dass die unangemessene Dauer des Disziplinarverfahrens es auch im Hinblick auf Art. 6 Abs. 1 Satz 1 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 in der Fassung der Bekanntmachung vom 17. Mai 2002 (BGBl II S. 1055) - EMRK - nicht rechtfertigt, von der Entfernung aus dem Beamtenverhältnis abzusehen, wenn diese Maßnahme disziplinarrechtlich geboten ist (stRspr; zuletzt Urteile vom 28. Februar 2013 - BVerwG 2 C 3.12 - ZBR 2013, 257 Rn. 44 ff. sowie - BVerwG 2 C 62.11 - DokBer 2013, 183 Rn. 59 ff. und vom 25. Juli 2013 - BVerwG 2 C 63.11 - Rn. 36 ff.).

5

Zur Begründung hat der Senat in seinem Urteil vom 25. Juli 2013 (a.a.O.) ausgeführt:

"Nach Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK hat jede Person ein Recht darauf, dass über Streitigkeiten in Bezug auf ihre zivilrechtlichen Ansprüche und Verpflichtungen oder über eine gegen sie erhobene strafrechtliche Anklage von einem unabhängigen und unparteiischen, auf Gesetz beruhenden Gericht in einem fairen Verfahren, öffentlich und innerhalb angemessener Frist verhandelt wird.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR), dessen Rechtsprechung über den jeweils entschiedenen Fall hinaus Orientierungs- und Leitfunktion für die Auslegung der EMRK hat, entnimmt Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK einen Anspruch auf abschließende gerichtliche Entscheidung innerhalb angemessener Zeit. Die Angemessenheit der Dauer des Verfahrens ist aufgrund einer Gesamtbetrachtung unter Berücksichtigung der Schwierigkeit des Falles, des Verhaltens der Parteien, der Vorgehensweise der Behörden und Gerichte sowie der Bedeutung des Verfahrens für die Parteien zu beantworten. Dies gilt auch für Disziplinarverfahren. Sie müssen innerhalb angemessener Zeit, d.h. ohne schuldhafte Verzögerungen, unanfechtbar abgeschlossen sein. Dabei sind behördliches und gerichtliches Verfahren als Einheit zu betrachten (vgl. nur EGMR, Urteil vom 16. Juli 2009 - 8453/04 - NVwZ 2010, 1015 <1017>).

Für die innerstaatlichen Rechtsfolgen einer unangemessen langen Verfahrensdauer im Sinne von Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK ist zu beachten, dass diese Bestimmung nur Verfahrensrechte einräumt. Diese dienen der Durchsetzung und Sicherung des materiellen Rechts; sie sind aber nicht darauf gerichtet, das materielle Recht zu ändern. Daher kann eine unangemessen lange Verfahrensdauer nicht dazu führen, dass den Verfahrensbeteiligten eine Rechtsstellung zuwächst, die ihnen nach dem innerstaatlichen materiellen Recht nicht zusteht. Vielmehr kann sie für die Sachentscheidung in dem zu lange dauernden Verfahren nur berücksichtigt werden, wenn das materielle Recht dies vorschreibt oder zulässt. Ob diese Möglichkeit besteht, ist durch die Auslegung der entscheidungserheblichen materiellrechtlichen Normen und Rechtsgrundsätze zu ermitteln. Bei dieser Auslegung ist das Gebot der konventionskonformen Auslegung im Rahmen des methodisch Vertretbaren zu berücksichtigen (Urteil vom 28. Februar 2013 - BVerwG 2 C 3.12 - a.a.O. Rn. 50; Beschluss vom 16. Mai 2012 - BVerwG 2 B 3.12 - NVwZ-RR 2012, 609 Rn. 12).

Daraus folgt für die Bestimmung der Disziplinarmaßnahme nach einem unangemessen lange dauernden Disziplinarverfahren:

Ergibt die Gesamtwürdigung aller be- und entlastenden Umstände nach Maßgabe des § 13 Abs. 1 Satz 2 bis 4 BDG, dass wegen eines schwerwiegenden Dienstvergehens die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis geboten ist, so lässt sich der Verbleib im Beamtenverhältnis allein aufgrund einer unangemessen langen Verfahrensdauer nicht mit dem Zweck der Disziplinarbefugnis, nämlich dem Schutz der Integrität des Berufsbeamtentums und der Funktionsfähigkeit der öffentlichen Verwaltung, vereinbaren. Diese Schutzgüter und der Grundsatz der Gleichbehandlung schließen es aus, dass ein Beamter, der durch gravierendes Fehlverhalten im öffentlichen Dienst untragbar geworden ist, weiterhin Dienst leisten und als Repräsentant des Dienstherrn hoheitliche Befugnisse ausüben kann, weil das gegen ihn geführte Disziplinarverfahren unangemessen lange gedauert hat. Das von dem Beamten zerstörte Vertrauen kann nicht durch Zeitablauf und damit auch nicht durch eine verzögerte disziplinarrechtliche Sanktionierung schwerwiegender Pflichtenverstöße wiederhergestellt werden.

Ergibt die Gesamtwürdigung dagegen, dass eine pflichtenmahnende Disziplinarmaßnahme ausreichend ist, steht fest, dass der Beamte im öffentlichen Dienst verbleiben kann. Hier kann das disziplinarrechtliche Sanktionsbedürfnis gemindert sein, weil die mit dem Disziplinarverfahren verbundenen beruflichen und wirtschaftlichen Nachteile positiv auf den Beamten eingewirkt haben. Unter dieser Voraussetzung kann eine unangemessen lange Verfahrensdauer bei der Bestimmung der Disziplinarmaßnahme aus Gründen der Verhältnismäßigkeit mildernd berücksichtigt werden (zum Ganzen: BVerfG, Beschluss vom 4. Oktober 1977 - 2 BvR 80/77 - BVerfGE 46, 17 <28 f.>; Kammerbeschluss vom 9. August 2006 - 2 BvR 1003/05 - DVBl 2006, 1372 <1373>; BVerwG, Urteile vom 22. Februar 2005 - BVerwG 1 D 30.03 - juris Rn. 80, vom 8. Juni 2005 - BVerwG 1 D 3.04 - juris Rn. 27, vom 29. März 2012 - BVerwG 2 A 11.10 - juris Rn. 84 f. und vom 28. Februar 2013 - BVerwG 2 C 3.12 - a.a.O. Rn. 53 f.; Beschlüsse vom 13. Oktober 2005 - BVerwG 2 B 19.05 - Buchholz 235.1 § 15 BDG Nr. 2 Rn. 8, vom 26. August 2009 - BVerwG 2 B 66.09 - juris Rn. 11 und vom 16. Mai 2012 a.a.O. Rn. 9 f.)."

6

Aus neuen Entscheidungen der für Beamtenrecht zuständigen Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts ergibt sich nichts anderes. Die unangemessen lange Dauer des Disziplinarverfahrens steht selbst einer Aberkennung des Ruhegehalts nicht entgegen, wenn der Beamte während seiner Dienstzeit die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis verwirkt hat (BVerfG, Kammerbeschluss vom 28. Januar 2013 - 2 BvR 1912/12 - juris).

7

Einen darüber hinausgehenden Klärungsbedarf legt die Beschwerde nicht dar.

8

b) Soweit der Beklagte sinngemäß die Frage aufwirft, ob die Maßnahme der Entfernung aus dem Beamtenverhältnis unverhältnismäßig sei, weil hierdurch ein lebenslanges Berufsverbot bei einem einmaligen Vorfall ausgesprochen werde, ist diese Frage schon deshalb nicht entscheidungserheblich, weil sie am gemäß § 137 Abs. 2 VwGO, § 66 Abs. 1 ThürDG bindend festgestellten Sachverhalt vorbeigeht und sich daher nicht in einem Revisionsverfahren stellen würde. Durchgreifende Verfahrensrügen sind hierzu nicht erhoben (dazu sogleich unter 3). Danach handelt es sich nicht um einen einmaligen Vorfall, der Beklagte hat vielmehr dem Strafgefangenen mehrfach Begünstigungen zukommen lassen und hierfür 250 € erhalten.

9

Unabhängig davon gilt:

Für die Bestimmung der Schwere des Dienstvergehens, die auch gemäß § 11 Satz 2 ThürDG (vgl. § 13 Abs. 1 Satz 1 BDG) maßgebend für die Maßnahmebemessung ist, hat die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts generelle Maßstäbe für einzelne Fallgruppen entwickelt. Bestimmte innerdienstliche Pflichtenverstöße werden als so gewichtig eingestuft, dass grundsätzlich die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis indiziert ist. Derartige Regeleinstufungen dürfen aber nicht schematisch angewandt werden. Aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und dem Schuldprinzip folgt, dass es im Einzelfall stets möglich sein muss, die von einer Regeleinstufung ausgehende Indizwirkung zu entkräften. Hierfür können insbesondere Erkenntnisse zum Persönlichkeitsbild des Beamten Anlass geben. Das Gewicht der mildernden Umstände muss umso höher sein, je schwerer der Pflichtenverstoß nach den dafür bedeutsamen Merkmalen wiegt (stRspr; vgl. etwa Urteil vom 28. Februar 2013 - BVerwG 2 C 3.12 - NVwZ 2013, 1087 ff. Rn. 27 m.w.N.).

10

Ein Beamter, der sich wegen Bestechlichkeit (§ 332 Abs. 1 StGB) strafbar macht, ist im Regelfall aus dem Beamtenverhältnis zu entfernen. Gleiches gilt für die Strafbarkeit wegen Vorteilsannahme (§ 331 Abs. 1 StGB), wenn ein Beamter, der ein hervorgehobenes Amt oder eine besondere Vertrauensstellung innehat, für die Dienstausübung einen mehr als unerheblichen Vorteil fordert oder annimmt (Urteil vom 28. Februar 2013 a.a.O. Rn. 28 ff., 34, LS 3).

11

Dem Verbot der Vorteilsannahme in Bezug auf das Amt kommt als Bestandteil der Dienstpflicht zur uneigennützigen Amtsführung herausragende Bedeutung zu. Ein Beamter, der hiergegen verstößt, zerstört regelmäßig das Vertrauen, das für eine weitere Tätigkeit als Beamter, d.h. als Organ des Staates, erforderlich ist. Eine rechtsstaatliche Verwaltung ist auf die berufliche Integrität des Berufsbeamtentums zwingend angewiesen. Jeder Eindruck, ein Beamter sei für Gefälligkeiten offen oder käuflich, beschädigt das unverzichtbare Vertrauen in die strikte Bindung des Verwaltungshandelns an Recht und Gesetz und damit die Funktionsfähigkeit der öffentlichen Verwaltung. Diese kann ihre Aufgaben nur erfüllen, wenn kein Zweifel daran aufkommt, dass es bei der Aufgabenwahrnehmung mit rechten Dingen zugeht (Urteil vom 28. Februar 2013 Rn. 28 m.w.N.)

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Aus der herausragenden Bedeutung des Verbots der Vorteilsannahme folgt, dass die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis jedenfalls dann indiziert ist, wenn sich der Beamte wegen Bestechlichkeit nach § 332 Abs. 1 StGB strafbar gemacht hat. Im Falle der Bestechlichkeit wird das Verbot der Vorteilsannahme in besonders schwerer Weise missachtet. Der Beamte erklärt sich bereit, als Gegenleistung für einen Vorteil eine rechtswidrige Diensthandlung vorzunehmen. Der Straftatbestand des § 332 Abs. 1 StGB ist bereits dann vollendet, wenn die sogenannte Unrechtsvereinbarung (rechtswidrige Diensthandlung gegen Vorteil) zustande gekommen ist. Die Vereinbarung muss nicht "erfüllt" worden sein. Weder müssen der Beamte oder der von ihm bestimmte Dritte den vereinbarten Vorteil erhalten noch muss der Beamte rechtswidrig gehandelt haben (Urteil vom 28. Februar 2013 a.a.O. Rn. 29).

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Soweit der Beklagte schließlich darauf verweist, dass ihm seine Dienstvorgesetzten das Vertrauen ausgesprochen hätten, wird auch hiermit keine Frage von grundsätzlicher Bedeutung formuliert. In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist geklärt, dass es für die vom Gericht eigenverantwortlich zu treffende Zumessungsentscheidung nicht auf die Verhältnisse bei der Dienststelle des betroffenen Beamten ankommt (Beschluss vom 2. März 2012 - BVerwG 2 B 8.11 - juris Rn. 13 m.w.N.). Maßstab ist vielmehr, in welchem Umfang die Allgemeinheit dem Beamten noch Vertrauen in eine zukünftig pflichtgemäße Amtsausübung entgegenbringen kann, wenn ihr das Dienstvergehen einschließlich der belastenden und entlastenden Umstände bekannt würde (vgl. Urteil vom 25. Juli 2013 - BVerwG 2 C 63.11 - juris Rn. 19 m.w.N.). Daher sind auf die Dienststelle des Beklagten bezogene Umstände, etwa Vertrauensbekundungen von Mitarbeitern oder des Dienstvorgesetzten, für die Bemessensentscheidung ohne Bedeutung.

14

3. Auch die Verfahrensrügen (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO, § 66 Abs. 1 ThürDG) haben keinen Erfolg.

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a) Die Beschwerde macht sinngemäß geltend, der Beklagte habe lediglich eingeräumt, geringere Verzögerungen beim Ausgang des Strafgefangenen nicht eingetragen und diesem den Besuch durch seine Freundin gestattet zu haben, nicht jedoch, dass er dafür Geld erhalten habe. Auch alle weiteren Verfehlungen habe er stets bestritten. Daher meint die Beschwerde, der Beklagte hätte hierzu noch einmal vernommen werden müssen und es hätten die Dienstpläne eingesehen werden müssen. Das Gericht habe sich zudem unzureichend mit den Kriterien des offenen Vollzuges auseinander gesetzt.

16

Gemäß § 53 Abs. 1 ThürDG erhebt das Gericht die erforderlichen Beweise. Demnach hat es grundsätzlich selbst diejenigen Tatsachen festzustellen, die für den Nachweis des Dienstvergehens und die Bemessung der Disziplinarmaßnahme von Bedeutung sind (vgl. auch BTDrucks 14/4659, S. 49 zu § 58 BDG). Entsprechend § 86 Abs. 1 VwGO folgt daraus die Verpflichtung, diejenigen Maßnahmen der Sachaufklärung zu ergreifen, die sich nach Lage der Dinge aufdrängen. Dies gilt gemäß § 60 Abs. 2 Satz 1 ThürDG auch für die Berufungsinstanz.

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Diese Aufklärungspflicht wird durch § 16 Abs. 1 Satz 1 ThürDG eingeschränkt. Danach sind die tatsächlichen Feststellungen eines rechtskräftigen Urteils im Strafverfahren im Disziplinarverfahren, das denselben Sachverhalt zum Gegenstand hat, für das Gericht bindend. Nach Satz 2 hat das Gericht jedoch die nochmalige Prüfung solcher Feststellungen zu beschließen, deren Richtigkeit seine Mitglieder mit Stimmenmehrheit bezweifeln. Die gesetzliche Bindungswirkung dient der Rechtssicherheit. Sie soll verhindern, dass zu ein- und demselben Geschehensablauf unterschiedliche Tatsachenfeststellungen getroffen werden. Daher sind die Verwaltungsgerichte nur dann berechtigt und verpflichtet, sich von den Tatsachenfeststellungen eines rechtskräftigen Strafurteils zu lösen und den disziplinarrechtlich bedeutsamen Sachverhalt eigenverantwortlich zu ermitteln, wenn sie ansonsten "sehenden Auges" auf der Grundlage eines unrichtigen oder aus rechtsstaatlichen Gründen unverwertbaren Sachverhalts entscheiden müssten. Dies ist etwa der Fall, wenn die Feststellungen in einem entscheidungserheblichen Punkt unter offenkundiger Verletzung wesentlicher Verfahrensvorschriften zustande gekommen sind. Hierunter fällt auch, dass das Strafurteil auf einer Urteilsabsprache beruht, die den rechtlichen Anforderungen nicht genügt. Darüber hinaus entfällt die Bindungswirkung, wenn Beweismittel eingeführt werden, die dem Strafgericht nicht zur Verfügung standen und nach denen seine Tatsachenfeststellungen zumindest auf erhebliche Zweifel stoßen (vgl. Urteile vom 29. November 2000 - BVerwG 1 D 13.99 - BVerwGE 112, 243 <245> = Buchholz 235 § 18 BDO Nr. 2 S. 5 f. und vom 16. März 2004 - BVerwG 1 D 15.03 - Buchholz 232 § 54 Satz 3 BBG Nr. 36 S. 81 f.; Beschlüsse vom 24. Juli 2007 - BVerwG 2 B 65.07 - Buchholz 235.2 LDisziplinarG Nr. 4 Rn. 11, vom 26. August 2010 - BVerwG 2 B 43.10 - Buchholz 235.1 § 57 BDG Nr. 3 Rn. 5 und vom 15. März 2013 - BVerwG 2 B 22.12 - NVwZ-RR 2013, 557 ff. Rn. 6 ff.).

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Wird dies geltend gemacht, so sind die Verwaltungsgerichte erst dann befugt, dem Vorbringen weiter nachzugehen und schließlich über eine Lösung nach der entsprechenden Norm zu entscheiden, wenn das Vorbringen hinreichend substanziiert ist. Pauschale Behauptungen oder bloßes Bestreiten genügen nicht. Es müssen tatsächliche Umstände dargetan werden, aus denen sich die offenkundige Unrichtigkeit ergeben kann (Beschlüsse vom 26. August 2010 a.a.O. Rn. 6, vom 28. Dezember 2011 - BVerwG 2 B 74.11 - juris Rn. 13 und vom 14. März 2012 - BVerwG 2 B 5.12 - juris Rn. 5).

19

Ausgehend von diesen Grundsätzen hat das Oberverwaltungsgericht die Feststellungen der Strafurteile nach § 16 Abs. 1 ThürDG als im Disziplinarverfahren bindend angesehen und unter ausführlicher Würdigung der vorgebrachten Einwände die Möglichkeit einer Lösung von der Bindungswirkung nach § 16 Abs. 1 Satz 2 ThürDG zu Recht verneint. Der Beklagte hat keine Anhaltspunkte dafür aufgezeigt, dass die Feststellungen der Strafgerichte offenbar unrichtig waren oder unter offenkundiger Verletzung wesentlicher Verfahrensvorschriften zustande gekommen sind.

20

Soweit die Beschwerde in diesem Zusammenhang geltend macht, dass die strafgerichtliche Wertung unzutreffend sei, weil nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs erst ab 750 € eine strafbare Handlung anzunehmen sei, ist darauf hinzuweisen, dass die Verwaltungsgerichte nur an die tatsächlichen Feststellungen der Strafgerichte, nicht aber an deren strafgerichtliche Wertung gebunden sind. Die Verwaltungsgerichte haben den durch die Strafgerichte festgestellten Sachverhalt einer eigenen disziplinarischen Würdigung im Hinblick auf die sich aus ihm ergebenden Verstöße gegen beamtenrechtliche Pflichten zu unterziehen. Dies hat das Berufungsgericht getan und dabei zu Recht festgestellt, dass der Beklagte ein schwerwiegendes (innerdienstliches) Dienstvergehen im Sinne von § 81 Abs. 1 Satz 1 ThürBG (in der hier noch anzuwendenden Fassung des Gesetzes vom 8. September 1999, GVBI S. 525) begangen hat. Er hat vorsätzlich gegen seine Pflicht zur uneigennützigen Amtsführung (§ 57 Satz 2 ThürBG a.F.) und gegen die Pflicht zu achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten sowie gegen seine Wohlverhaltenspflicht innerhalb des Dienstes verstoßen (§ 57 Satz 3 ThürBG a.F.). Insbesondere hat der Beklagte gegen das Verbot verstoßen, Belohnungen oder Geschenke in Bezug auf sein Amt anzunehmen (§ 73 Satz 1 ThürBG a.F.).

21

Eine irgendwie geartete Wertgrenze enthalten die genannten beamtenrechtlichen Vorschriften nicht. Hierfür besteht auch im Verhältnis zwischen Strafgefangenen und Justizvollzugsbediensteten kein Raum.

22

In anderen Verwaltungsbereichen gilt grundsätzlich Folgendes: Kann davon ausgegangen werden, dass seitens eines Gebers nur ein sogenanntes Höflichkeitsanerbieten vorliegt, von dem er nicht annimmt, dass es den Beamten zu pflichtwidrigem Handeln veranlassen könnte, liegt deshalb gleichwohl ein Verstoß gegen das Verbot vor, Belohnungen oder Geschenke in Bezug auf das Amt anzunehmen. Allerdings ist der Verstoß in einem solchen Fall nicht mehr so schwergewichtig, dass Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis wäre (vgl. Urteil vom 6. Mai 1987 - BVerwG 1 D 64.86 - RiA 1987, 262 <263>, dort geringe Pfennigbeträge über mehrere Jahre für die Kaffeekasse für nicht pflichtwidrige Diensthandlungen). Entscheidend sind die Umstände des Einzelfalls. Die Wertgrenze für derartige geringwertige Aufmerksamkeiten haben die Dienstherren zumeist in Erlassen geregelt (vgl. Urteil vom 7. Dezember 1988 - BVerwG 1 D 42.88 - juris Rn. 15: überschritten bei Geschenken im Wert von 35 - 40 DM); sie ist bei einem Betrag von 250 € deutlich überschritten (vgl. etwa Urteil vom 28. Februar 2013 a.a.O.).

23

Unabhängig davon sind auch nach der strafgerichtlichen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nur sozialadäquate Vorteile, d.h. allenfalls gewohnheitsmäßig anerkannte, relativ geringwertige Aufmerksamkeiten aus gegebenen Anlässen von der Strafbarkeit wegen Bestechlichkeit oder Vorteilsannahme ausgenommen (stRspr; vgl. BGH, Urteil vom 2. Februar 2005 - 5 StR 168/04 - NStZ 2005, 334, 335 Rn. 10 m.w.N.). In der strafgerichtlichen Rechtsprechung der Oberlandesgerichte wird vielfach von einer Wertgrenze von 50 € ausgegangen (vgl. OLG Hamburg, Beschluss vom 14. Januar 2000 - 2 Ws 243/99 - StV 2001, 277 - 284 = juris Rn. 57 m.w.N.).

24

b) Die Beschwerde macht weiter geltend, dass das Disziplinarverfahren mit mehreren Fehlern behaftet gewesen sei und verweist insofern auf die Berufungsbegründung. So sei dem Beklagten entgegen § 36 Satz 1 und Satz 6 ThürDG weder das wesentliche Ergebnis der behördlichen Ermittlungen mitgeteilt noch Gelegenheit gegeben worden, weitere Ermittlungen zu beantragen.

25

Hierzu hat das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt, dass diese Bestimmung im Falle der Erhebung der Disziplinarklage keine Anwendung findet (vgl. § 27 Abs. 3 Satz 3 ThürDG). Für den Fall der unverzüglichen Klageerhebung schreibt § 27 Abs. 3 Satz 2 ThürDG jedoch vor, dass dem Beklagten vor Erhebung der Disziplinarklage gemäß § 26 ThürDG Gelegenheit zur Äußerung gegeben werden muss. Dies ist hier geschehen.

26

c) Zudem sei - so die Beschwerde weiter - der Hauptpersonalrat lediglich über die Absicht der Disziplinarklage informiert worden. Hierzu hat das Berufungsgericht ebenfalls zutreffend darauf verwiesen, dass sich die Mitwirkung des Personalrats bei Erhebung der Disziplinarklage nur auf die grundlegende Entscheidung bezieht, Disziplinarklage zu erheben. Der Inhalt der Klageschrift, insbesondere die Antragstellung, unterliegt nicht seiner Mitwirkung (vgl. Urteil vom 20. Oktober 2005 - BVerwG 2 C 12.04 - BVerwGE 124, 252 <255> = Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 1 Rn. 14 ff.).

27

Die hier zunächst unterbliebene Beteiligung des Personalrats ist im Gerichtsverfahren nachgeholt worden. Bei einer unterbliebenen Beteiligung des Personalrates handelt es sich dann um einen wesentlichen Mangel im Sinne des § 51 Abs. 1 Satz 1 ThürDG (inhaltsgleich mit § 55 Abs. 1 BDG), wenn sich nicht mit hinreichender Sicherheit ausschließen lässt, dass sie sich auf das Urteil ausgewirkt haben kann. Liegt danach ein wesentlicher Mangel vor, sind die Verwaltungsgerichte im Disziplinarklageverfahren verpflichtet, auf dessen Beseitigung nach § 51 Abs. 2 ThürDG hinzuwirken, wenn der Mangel noch heilbar ist (Urteil vom 24. Juni 2010 - BVerwG 2 C 15.09 - BVerwGE 137, 192 = Buchholz 235.1 § 55 BDG Nr. 6 ). Der Mangel der ordnungsgemäßen Beteiligung der Personalvertretung kann regelmäßig durch eine nachträgliche Durchführung des Mitwirkungsverfahrens geheilt werden (vgl. Beschluss vom 22. März 1989 - BVerwG 1 DB 30.88 - BVerwGE 86, 140 <143 f.>). Das ist hier geschehen.

28

d) Soweit der Beklagte schließlich rügt, ihm sei keine Frist nach § 51 Abs. 2 (gemeint ist Abs. 1) Satz 1 ThürDG gesetzt worden, widerspricht dies dem Akteninhalt.