Entscheidungsdatum: 21.07.2016
Die auf einen Verfahrensfehler (§ 67 Satz 1 LDG NW und § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) gestützte Beschwerde des Beklagten ist unbegründet.
1. Der 1970 geborene Beklagte stand bis zu seiner Versetzung in den Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit mit Ablauf des 31. Oktober 2008 als Stadtoberinspektor im Dienst der Klägerin. Als Krankheiten sind in dem der Zurruhesetzung zugrunde liegenden Gutachten u.a. genannt: schwere depressive Episode mit psychotischen Symptomen, narzisstische Persönlichkeitsstörung. Der Beklagte ist mit einem Grad von 50 schwerbehindert. Ende Oktober 2007 beliefen sich die Schulden des Beklagten auf über 1,1 Mio. €. Das damals eingeleitete Insolvenzverfahren über das Vermögen des Beklagten ist nach der Restschuldbefreiung inzwischen beendet. Im Mai 2010 erließ das Amtsgericht gegen den Beklagten wegen Urkundenfälschung in Tateinheit mit Steuerhinterziehung in zehn Fällen einen Strafbefehl, in dem es eine Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Monaten festsetzte. Im Zeitraum von April bis November 2005 hatte der Beklagte als Mitgesellschafter einer offenen Handelsgesellschaft in bewusstem und gewollten Zusammenwirken mit einem Dritten Rechnungen gefälscht, die dem Finanzamt vorgelegt wurden. Aufgrund dieser Rechnungen wurden unberechtigt Vorsteuern in Ansatz gebracht, wodurch insgesamt Steuern in Höhe von 157 654,12 € verkürzt wurden.
Im sachgleichen Disziplinarverfahren beteiligte die Klägerin den Schwerbehindertenvertreter und holte im Hinblick auf das Vorbringen des Beklagten, seine Schuldfähigkeit sei im Tatzeitraum aufgrund der bei ihm bestehenden narzisstischen Persönlichkeitsstörung vermindert gewesen, ein forensisch-psychiatrisches Gutachten zur Frage der Schuldfähigkeit des Beklagten ein. Auf die Disziplinarklage der Klägerin hat das Verwaltungsgericht dem Beklagten das Ruhegehalt aberkannt. Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt:
Durch die Straftaten, die der Beklagte eingeräumt habe, habe er gegen die Pflicht verstoßen, durch sein Verhalten außerhalb des Dienstes der Achtung und dem Vertrauen gerecht zu werden, die sein Beruf erfordere. Das außerdienstliche Fehlverhalten sei auch disziplinarwürdig, weil es nach den Umständen des Einzelfalls in besonderem Maße geeignet sei, Achtung und Vertrauen in einer für das Amt des Beklagten oder das Ansehen des öffentlichen Dienstes bedeutsamen Weise zu beeinträchtigen. Bei Würdigung sämtlicher zu berücksichtigenden Umstände sei dem Beklagten das Ruhegehalt abzuerkennen. Das vom Beklagten begangene Dienstvergehen wiege so schwer, dass seine Entfernung aus dem Beamtenverhältnis indiziert sei. Angesichts des Strafrahmens von bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe sei die disziplinarrechtliche Ahndung bis hin zur Höchstmaßnahme eröffnet. Die Schwere des Dienstvergehens des Beklagten zeige sich auch daran, dass das Strafgericht mit einer Freiheitsstrafe von zehn Monaten das Strafmaß, das nach § 24 Abs. 1 Satz 1 BeamtStG bereits kraft Gesetzes zur Beendigung des Beamtenverhältnisses führe, nur geringfügig unterschritten habe. Erkenntnisse zum Persönlichkeitsbild des Beklagten sowie zum Umfang der Vertrauensbeeinträchtigung fielen nicht derart ins Gewicht, dass eine andere als die durch die Schwere indizierte Disziplinarmaßnahme geboten sei. Eine im Sinne des § 21 StGB erheblich verminderte Schuldfähigkeit des Beklagten zur Tatzeit, die regelmäßig die Verhängung der Höchstmaßnahme ausschließe, sei nicht gegeben gewesen. Auf der Grundlage des von der Klägerin im Disziplinarverfahren eingeholten Gutachtens sei davon auszugehen, dass die Steuerungsfähigkeit des Beklagten während der Begehung der disziplinarrechtlich bedeutsamen Handlungen nicht vermindert, geschweige denn erheblich vermindert gewesen sei.
2. Der vom Beklagten in der Beschwerdebegründung geltend gemachte Verfahrensmangel (§ 67 Satz 1 LDG NW und § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) liegt nicht vor.
Die Beschwerde bringt vor, das Oberverwaltungsgericht habe dadurch gegen die ihm obliegende Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts verstoßen, dass es zur Frage, ob der Beklagte bei Begehung der Tat i.S.v. § 21 StGB erheblich vermindert schuldfähig gewesen sei, weder den behandelnden Arzt als Zeugen vernommen noch ein medizinisches Sachverständigengutachten eingeholt habe. Dieser Vorwurf trifft nicht zu.
Nach § 57 Abs. 1 Satz 1 LDG NW und § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO obliegt den Tatsachengerichten die Pflicht, jede mögliche Aufklärung des entscheidungserheblichen Sachverhalts bis zur Grenze der Zumutbarkeit zu versuchen, sofern dies nach ihrem materiell-rechtlichen Rechtsstandpunkt für die Entscheidung des Rechtsstreits erforderlich ist (vgl. BVerwG, Urteile vom 6. Februar 1985 - 8 C 15.84 - BVerwGE 71, 38 <41> und vom 6. Oktober 1987 - 9 C 12.87 - Buchholz 310 § 98 VwGO Nr. 31 S. 1; Beschluss vom 28. Januar 2015 - 2 B 15.14 - Buchholz 235.1 § 58 BDG Nr. 11 Rn. 16 ff.).
Bestehen tatsächliche Anhaltspunkte dafür, dass die Schuldfähigkeit des Beamten bei Begehung der Tat gemindert war, so darf das Verwaltungsgericht im Rahmen seiner Bemessungsentscheidung diesen Aspekt nicht offen lassen oder zu Gunsten des Betroffenen unterstellen und sogleich auf die Einsehbarkeit der betreffenden Pflicht abstellen. Vielmehr muss es die Frage einer Minderung der Schuldfähigkeit des Beamten aufklären (BVerwG, Beschlüsse vom 20. Oktober 2011 - 2 B 61.10 - USK 2011, 165 Rn. 9 und vom 28. Januar 2015 - 2 B 15.14 - Buchholz 235.1 § 58 BDG Nr. 11 Rn. 18 f.). Hat der Beamte zum Tatzeitpunkt an einer krankhaften seelischen Störung i.S.v. § 20 StGB gelitten oder sollte eine solche Störung nach dem Grundsatz "in dubio pro reo" nicht ausgeschlossen werden können und ist die Verminderung der Schuldfähigkeit des Beamten erheblich, so ist dieser Umstand bei der Bemessung der Disziplinarmaßnahme mit dem ihm zukommenden Gewicht heranzuziehen. Bei einer erheblich verminderten Schuldfähigkeit wird die Höchstmaßnahme regelmäßig nicht mehr ausgesprochen werden können (BVerwG, Urteil vom 25. März 2010 - 2 C 83.08 - BVerwGE 136, 173 LS 1 und Rn. 29 ff.).
Daran gemessen muss geklärt werden, ob der Beamte im Tatzeitraum an einer seelischen Störung i.S.v. § 20 StGB gelitten hat, die seine Fähigkeit, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, vermindert hat. Hierfür bedarf es in der Regel besonderer medizinischer Sachkunde. Erst wenn die seelische Störung und ihr Schweregrad feststehen oder nach dem Grundsatz "in dubio pro reo" nicht ausgeschlossen werden können, kann beurteilt werden, ob die Voraussetzungen für eine erheblich verminderte Schuldfähigkeit vorliegen. Denn von den Auswirkungen der krankhaften seelischen Störung auf die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit in Bezug auf das Verhalten des Beamten hängt im Disziplinarrecht die Beurteilung der Erheblichkeit einer verminderten Schuldfähigkeit i.S.v. § 21 StGB ab. Die Frage, ob die Verminderung der Steuerungsfähigkeit aufgrund einer krankhaften seelischen Störung "erheblich" war, ist eine Rechtsfrage, die die Verwaltungsgerichte in eigener Verantwortung zu beantworten haben. Hierzu bedarf es einer Gesamtschau der Persönlichkeitsstruktur des Betroffenen, seines Erscheinungsbildes vor, während und nach der Tat und der Berücksichtigung der Tatumstände, insbesondere der Vorgehensweise (stRspr, vgl. BVerwG, Urteil vom 29. Mai 2008 - 2 C 59.07 - Rn. 30
Das Oberverwaltungsgericht hat hinsichtlich der entscheidungserheblichen Frage der erheblich verminderten Schuldfähigkeit des Beklagten zum Tatzeitpunkt für sich keine medizinische Sachkunde in Anspruch genommen, sondern hat sich auf das im Disziplinarverfahren von der Klägerin eingeholte forensisch-psychiatrische Gutachten gestützt. Auch im Disziplinarverfahren darf das Gericht im Grundsatz auf ein im vorangegangenen Verwaltungsverfahren eingeholtes Sachverständigengutachten zurückgreifen (BVerwG, Urteil vom 21. Februar 1984 - 1 D 58.83 - BVerwGE 76, 135 <137>). Dies erscheint schon deshalb gerechtfertigt, weil das im Verwaltungsverfahren erstellte Gutachten zeitlich näher am Tatzeitraum liegt als ein erst im gerichtlichen Verfahren eingeholtes Gutachten.
Hinsichtlich der Art und Anzahl eines (ggf. zusätzlich) einzuholenden Sachverständigengutachtens ist den Tatsachengerichten nach § 98 VwGO i.V.m. §§ 404 und 412 ZPO Ermessen eröffnet. Die unterlassene Einholung eines zusätzlichen Gutachtens ist nur dann verfahrensfehlerhaft, wenn das vorliegende Gutachten seinen Zweck nicht zu erfüllen vermag, dem Gericht die zur Feststellung des entscheidungserheblichen Sachverhalts erforderliche Sachkunde zu vermitteln und ihm dadurch die Bildung der für die Entscheidung notwendigen Überzeugung zu ermöglichen. Liegt dem Gericht bereits eine sachverständige Äußerung zu einem Beweisthema vor, muss es ein weiteres Gutachten nur einholen, wenn die vorhandene Stellungnahme von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgeht, inhaltliche Widersprüche oder fachliche Mängel aufweist oder Anlass zu Zweifeln an der Sachkunde oder Unparteilichkeit des Gutachters besteht (BVerwG, Urteil vom 6. Februar 1985 - 8 C 15.84 - BVerwGE 71, 38 <45>; Beschlüsse vom 29. Mai 2009 - 2 B 3.09 - Buchholz 235.1 § 58 BDG Nr. 5 Rn. 7 und vom 26. September 2014 - 2 B 14.14 - Buchholz 235.1 § 57 BDG Nr. 5 Rn. 18 f. m.w.N.). Die Verpflichtung zur Einholung eines weiteren Gutachtens folgt nicht schon daraus, dass ein Beteiligter das vorliegende Gutachten als Erkenntnisquelle für unzureichend hält (BVerwG, Urteile vom 15. Oktober 1985 - 9 C 3.85 - Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 38 S. 122, vom 6. Oktober 1987 - 9 C 12.87 - Buchholz 310 § 98 VwGO Nr. 31 S. 2 und vom 22. Oktober 2015 - 7 C 15.13 - NVwZ 2016, 308 Rn. 47; Beschluss vom 27. März 2013 - 10 B 34.12 - Buchholz 310 § 98 VwGO Nr. 109 Rn. 4).
Gemessen an diesen Grundsätzen zeigt die Beschwerdebegründung nicht auf, dass das Berufungsgericht bei der Klärung der Frage der erheblich verminderten Schuldfähigkeit des Beklagten die Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts nach § 57 Abs. 1 Satz 1 LDG NW und § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO verletzt hat.
Die Sachverständige, eine Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie, die den Beklagten in einem mehrstündigen Gespräch untersucht hat, hat ausdrücklich festgestellt, dass trotz des Vorliegens einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung eine Verminderung der Steuerungsfähigkeit des Beklagten bei Begehung der Taten aus psychiatrischer Sicht nicht begründet werden könne; zudem habe die Einsichtsfähigkeit bestanden. Für eine depressive Erkrankung des Beklagten mit oder ohne psychotische Symptome im Zeitraum der Tatbegehung im Jahr 2005 bestünden keinerlei Anhaltspunkte.
Aus der Beschwerdebegründung ergibt sich nicht, dass der Beklagte vor Erlass des Berufungsurteils solche Bedenken gegen das Sachverständigengutachten vorgebracht hat, die das Oberverwaltungsgericht nach den dargestellten Maßstäben zur Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens hätten veranlassen müssen.
Bereits nach der Begründung der Beschwerde hat der Beklagte in der Berufungsverhandlung selbst nichts Entsprechendes vorgetragen. Denn in der Beschwerdebegründung verweist der Beklagte insoweit lediglich auf die Klageerwiderung sowie die Berufungsbegründung. Das knappe Vorbringen in der Berufungsbegründung vom 29. Oktober 2013 hat dem Oberverwaltungsgericht aber ebenfalls keinen Anlass zu einer weiteren Aufklärung des Sachverhalts durch Einholung eines weiteren Gutachtens gegeben. Weder wird eine schriftliche Stellungnahme des behandelnden Arztes vorgelegt, aus der sich ein Widerspruch zum ausführlichen Gutachten der Sachverständigen substanziiert entnehmen ließe, noch wird dargelegt, welcher Fachrichtung der behandelnde Arzt zuzuordnen ist, noch wird ausgeführt, seit wann der benannte Arzt den Beklagten behandelt. Insbesondere wird nicht aufgezeigt, weshalb ausgehend von der festgestellten ausgeprägten narzisstischen Persönlichkeitsstörung entgegen dem vorliegenden schriftlichen Gutachten von einer erheblichen Minderung der Schuldfähigkeit zum Tatzeitpunkt auszugehen ist. Die pauschale Behauptung, der behandelnde Arzt schätze die Schuldfähigkeit anders ein als die Sachverständige, reicht hierfür nicht aus.
Das Entsprechende gilt für die Anregung, den behandelnden Arzt als "Zeugen" zu vernehmen. Insoweit kam wegen der Natur der vergangenen Tatsachen oder Zustände, zu denen der Arzt gehört werden sollte, nur eine Vernehmung als sachverständiger Zeuge (§ 85 StPO) in Betracht. Im Hinblick auf das Vorbringen des Beklagten im Vorfeld der Berufungsverhandlung, das die Erkenntnisse des Gutachtens nicht substanziiert in Frage gestellt hatte, hatte das Oberverwaltungsgericht aber keine Veranlassung, den Arzt zu vernehmen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 74 Abs. 1 LDG NW und § 154 Abs. 2 VwGO. Einer Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren bedarf es nicht, weil für das Verfahren Gebühren nach dem Gebührenverzeichnis der Anlage zu § 75 LDG NW erhoben werden.