Entscheidungsdatum: 30.06.2016
Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts vom 26. Januar 2015 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Die auf Verfahrensmängel und Divergenz gestützte Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 und 3 VwGO und § 69 BDG) ist unbegründet.
1. Der 1964 geborene Beklagte steht als Posthauptschaffner (Besoldungsgruppe A 4 BBesO) in Diensten der Klägerin und wurde bis zuletzt als Postzusteller eingesetzt. Nachdem es bei Zustellungen des Beklagten mehrfach zu Unregelmäßigkeiten gekommen war, wurden von Seiten der Klägerin zwei sogenannte Fangbriefe mit präparierten Banknoten in den Direktbehälter für den Beklagten eingelegt. Die Fangbriefe wurden danach nicht wieder aufgefunden.
Die Klägerin leitete daraufhin ein Disziplinarverfahren gegen den Beklagten ein. Im sachgleichen Strafverfahren wurde der Beklagte vom Amtsgericht wegen Unterschlagung in Tateinheit mit versuchter Verletzung des Postgeheimnisses zu einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen verurteilt. In der Berufungsinstanz wurde das Verfahren nach Erfüllung einer Zahlungsauflage gemäß § 153a StPO eingestellt.
Nach Beteiligung des Betriebsrats und der Bundesanstalt für Post und Telekommunikation (im Folgenden: Bundesanstalt) hat die Klägerin Disziplinarklage mit dem Ziel der Entfernung des Beklagten aus dem Beamtenverhältnis erhoben. Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberverwaltungsgericht hat das Urteil des Verwaltungsgerichts aufgehoben und den Beklagten aus dem Dienst entfernt.
Zur Begründung hat das Oberverwaltungsgericht im Wesentlichen ausgeführt: Die Berufung sei zunächst formwirksam eingelegt worden. Insbesondere sei das Erfordernis eines im Sinne des § 64 Abs. 1 Satz 4 BDG bestimmten Antrags erfüllt, weil sich aus der Berufungsbegründung unmissverständlich ergebe, dass die Klägerin weiterhin die Entfernung des Beklagten aus dem Dienst anstrebe. Die Mitwirkungsbefugnisse des Betriebsrates seien von dem örtlich zuständigen Betriebsrat (hier: der Niederlassung BRIEF ...) wahrgenommen worden. Der Umstand, dass in dem Schriftwechsel zwischen dem Niederlassungsleiter und dem Betriebsrat eine Ziffer des Aktenzeichens fehlerhaft gewesen sei, führe nicht zu einem Mangel des Beteiligungsverfahrens. Maßgeblich sei die korrekte Angabe von Namen und Dienstbezeichnung in der Betreffzeile. Das gelte auch für das Prüfverfahren durch die Bundesanstalt. Im Übrigen bestünden keine Anhaltspunkte, dass die Prüfung bei der Bundesanstalt nicht den gesetzlichen Vorschriften entsprechend erfolgt sei. Unschädlich sei insbesondere, dass das Prüfverfahren womöglich nicht länger als einen Tag gedauert habe; weder sei der Sachverhalt so unüberschaubar noch der Akteninhalt so umfangreich gewesen, dass notwendig mehrere Tage für eine sachgerechte Prüfung erforderlich gewesen seien. Aufgrund der Beweisaufnahme stehe zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Beklagte die in den Fangbriefen enthaltenen Geldscheine in einem Gesamtwert von 195 € an sich genommen habe. Dieses innerdienstliche Dienstvergehen erfordere seiner Art und Schwere nach die Entfernung des Beklagten aus dem Dienst.
2. Die vom Beklagten geltend gemachten Verfahrensfehler liegen nicht vor.
a) Das Berufungsgericht ist zu Recht von einem hinreichend bestimmten Berufungsantrag ausgegangen. Gemäß § 64 Abs. 1 Satz 4 BDG muss die Begründung der Berufung einen bestimmten Antrag sowie die im Einzelnen auszuführenden Gründe der Anfechtung (Berufungsgründe) enthalten. Der Antrag ist nicht zwingend gesondert und ausdrücklich zu formulieren, sondern es genügt, wenn sich der Inhalt des Berufungsantrags aus dem fristgerechten Berufungsvorbringen ergibt (BVerwG, Beschluss vom 10. März 2011 - 2 B 37.10 - USK 2011-76 Rn. 11, zu der § 64 Abs. 1 Satz 4 BDG entsprechend formulierten Vorschrift des § 124a Abs. 3 Satz 4 VwGO).
Die Klägerin hat die Berufung fristgerecht am 30. März 2012 begründet. Im letzten Satz des Begründungsschriftsatzes hat sie mit der Formulierung "Wer diese Vertrauensgrundlage gleichwohl durch eigennütziges, pflichtwidriges Handeln zerstört, ist deshalb aus dem Dienst zu entfernen." eindeutig ihr Rechtsschutzziel zu erkennen gegeben. Soweit der Beklagte meint, aus einzelnen in der Berufungsbegründung enthaltenen Formulierungen herleiten zu können, dass die Klägerin selbst noch Zweifel am konkreten Sachverhalt gehabt habe, kann das die Eindeutigkeit der Antragsformulierung nicht in Zweifel ziehen. Denn ungeachtet der Einzelheiten des Sachverhalts ist die Klägerin in der Berufungsbegründung in einer vorangehenden Passage zu der Einschätzung gelangt, dass der Beklagte jedenfalls ein schwerwiegendes Dienstvergehen begangen habe, wodurch er das Vertrauensverhältnis zu seinen Vorgesetzten und zu seiner Verwaltung endgültig zerstört habe. Dieser Feststellung folgt die Forderung nach der Entfernung vom Dienst, an deren Eindeutigkeit im Sachzusammenhang nicht zu zweifeln ist.
b) Ein Verfahrensfehler besteht auch nicht darin, dass das Berufungsgericht von der ordnungsgemäßen Beteiligung des Betriebsrats und der Bundesanstalt ausgegangen ist.
aa) Der Begriff des Verfahrensmangels im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO erfasst nur Verstöße des Verwaltungsgerichts gegen (verwaltungs-)prozessrechtliche Vorschriften und Rechtsgrundsätze; dazu zählen auch solche prozessualen Pflichten, die im Fachrecht normiert sind. Ein davon prinzipiell zu unterscheidender wesentlicher Mangel des behördlichen Disziplinarverfahrens oder der Disziplinarklageschrift zieht einen Verfahrensmangel im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO in der hier gegebenen Konstellation daher nur nach sich, wenn das Verwaltungsgericht die sich aus § 55 Abs. 3 Satz 1 BDG ergebende Verpflichtung verletzt hat, auf die Beseitigung eines wesentlichen Mangels durch den Dienstherrn hinzuwirken. Diese Verpflichtung gilt nach § 65 Abs. 1 Satz 1 BDG auch für das Berufungsgericht. Verfahrensmangel im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO kann nur der gerichtliche Verstoß gegen § 55 Abs. 3 Satz 1 BDG sein, nicht aber der Mangel des behördlichen Disziplinarverfahrens oder der Disziplinarklageschrift selbst (BVerwG, Urteil vom 24. Juni 2010 - 2 C 15.09 - BVerwGE 137, 192 Rn. 18 f.; Beschlüsse vom 26. Februar 2008 - BVerwG 2 B 122.07 - Buchholz 235.1 § 55 BDG Nr. 2 Rn. 3 und vom 23. September 2013 - 2 B 51.13 - Rn. 5).
bb) Hiernach besteht ein Verfahrensfehler nicht darin, dass das Berufungsgericht der Klägerin keine Frist im Sinne des § 55 Abs. 3 BDG zur Beseitigung von Verfahrensmängeln gesetzt hat. Denn das setzte nach der genannten Vorschrift voraus, dass ein wesentlicher Verfahrensmangel im Disziplinarverfahren vorgelegen hätte. Nach der Überzeugung des Berufungsgerichts war ein solcher wesentlicher Mangel gerade nicht gegeben, sodass das Unterlassen einer Fristsetzung zur Beseitigung dieses - nach Auffassung des Berufungsgerichts nicht existenten - Mangels folgerichtig, nicht aber verfahrensfehlerhaft gewesen ist. Die Beschwerdebegründung hat einen solchen Verfahrensfehler im Übrigen selbst nicht dargelegt. Die Ausführungen des Beklagten beschränken sich diesbezüglich auf Spekulationen über mögliche Verfahrensabläufe innerhalb der Bundesanstalt, für die jedoch keine greifbaren tatsächlichen Anhaltspunkte vorgebracht werden.
c) Es liegt auch kein Verstoß gegen die gerichtliche Aufklärungspflicht (§ 58 Abs. 1 BDG und § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO) vor. Der Beklagte meint, das Berufungsgericht hätte dem Umstand näher nachgehen müssen, dass im Beteiligungsvorgang sowohl betreffend den Betriebsrat als auch betreffend die Bundesanstalt im Aktenzeichen des Beteiligungsschreibens eine Ziffer fehlerhaft gewesen sei. Das Berufungsgericht hätte nach seiner Auffassung nicht ohne weitere Ermittlungen auf den Umstand abstellen dürfen, dass in der jeweiligen Betreffzeile der Schreiben der Beteiligungsgegenstand mit "Disziplinarverfahren gegen den PHSch ... ..." hinreichend klar bezeichnet gewesen sei.
Nach § 58 Abs. 1 BDG und § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO erforscht das Tatsachengericht den Sachverhalt von Amts wegen. Es ist verpflichtet, alle vernünftigerweise zu Gebote stehenden Aufklärungsmöglichkeiten bis zur Grenze der Zumutbarkeit zu nutzen. Das Gericht muss daher auch alle Aufklärungsbemühungen unternehmen, die sich unabhängig vom Vortrag, insbesondere von den Beweisangeboten der Verfahrensbeteiligten nach Lage der Dinge aufdrängen. Dies ist der Fall, wenn das Gericht auf der Grundlage seiner materiell-rechtlichen Auffassung auch ohne Beweisantrag Anlass zu weiterer Aufklärung sehen muss. Hierfür muss nach Lage der Dinge deutlich erkennbar sein, dass die tatsächlichen Feststellungen eine Entscheidung nicht sicher tragen. Hinzukommen muss, dass auf der Hand liegt, welche zumutbare Aufklärungsmaßnahme in Betracht kommt (stRspr, vgl. nur BVerwG, Urteil vom 28. Juli 2011 - 2 C 28.10 - BVerwGE 140, 199 Rn. 24 f.).
Nach diesen Grundsätzen hat es das Berufungsgericht nicht pflichtwidrig unterlassen, weitere Nachforschungen mit Blick auf die fehlerhafte Ziffer im Aktenzeichen der Beteiligungsvorgänge vorzunehmen. Zunächst hat es der Beklagte unterlassen, in der mündlichen Verhandlung einen entsprechenden Beweisantrag zu stellen. Sodann ist nicht erkennbar, warum sich dem Berufungsgericht eine weitere Beweiserhebung diesbezüglich hätte aufdrängen sollen. Selbst der Vortrag des Beklagten in der Beschwerdebegründung bleibt insoweit vage. Die ins Blaue hinein geäußerte Vermutung, die Beteiligungstatbestände könnten ein anderes Dienstvergehen des Beklagten betroffen haben, ist fernliegend. Sie ist vom Beklagten auch nicht konkretisiert worden, obwohl er über nähere Kenntnisse verfügen müsste, wenn es ein solches weiteres Dienstvergehen gegeben hätte. Angesichts der klaren Bezeichnung in der Betreffzeile konnte das Berufungsgericht vielmehr ohne Weiteres davon ausgehen, dass es sich bei der unzweifelhaft stattgefundenen Beteiligung auch um eine Beteiligung im streitgegenständlichen Disziplinarverfahren gehandelt hat.
d) Schließlich ist auch kein Fall der Aktenwidrigkeit aus dem geschilderten Umstand herzuleiten. Die Rüge der Aktenwidrigkeit setzt voraus, dass ein zweifelsfreier, ohne weitere Beweiserhebung offensichtlicher Widerspruch zwischen den Feststellungen der Vorinstanz und dem Akteninhalt vorliegt (BVerwG, Beschluss vom 10. Oktober 2001 - 9 BN 2.01 - NVwZ-RR 2002, 140 <141>). Das ist nur der Fall, wenn die tatsächliche Feststellung außerhalb des dem Tatrichter eröffneten Wertungsrahmens liegt (Kraft, in: Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014 § 132 Rn. 49). Sind diese Voraussetzungen nicht erfüllt, steht dem Tatsachengericht ein in § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO wurzelnder Spielraum tatrichterlicher Sachverhalts- und Beweiswürdigung zu (BVerwG, Beschluss vom 10. Mai 2016 - 2 B 32.15 - Rn. 6
3. Die Beschwerde legt auch keine Abweichung von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgericht im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO dar. Sie beschränkt sich darauf zu behaupten, das Berufungsgericht habe insbesondere gegen den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 21. September 2011 - 3 B 56.11 - verstoßen, indem es entgegen dieser Entscheidung nicht die wesentlichen Umstände des Einzelfalls beachtet habe. Damit wird aber schon kein Abweichen von einem Rechtssatz des Bundesverwaltungsgerichts geltend gemacht. Denn das Berufungsgericht hat an keiner Stelle seiner Entscheidung die Rechtsüberzeugung zum Ausdruck gebracht, es komme nicht auf die Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls an. Entsprechendes hat auch der Beklagte nicht dargelegt. Soweit er eine unzureichende Berücksichtigung seines Einzelfalls in der angegriffenen Entscheidung sieht, kann dies unabhängig davon allenfalls einen materiellen Fehler der Entscheidung, nicht aber eine für den Zulassungsgrund des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO erforderliche Rechtssatzabweichung begründen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 77 Abs. 1 BDG und § 154 Abs. 2 VwGO. Ein Streitwert für das Beschwerdeverfahren muss nicht festgesetzt werden, weil sich die Höhe der Gerichtsgebühren streitwertunabhängig aus dem Gesetz ergibt (§ 78 Satz 1 BDG i.V.m. Nr. 10 und 62 der Anlage zu § 78 BDG).