Bundesverwaltungsgericht

Entscheidungsdatum: 26.07.2016


BVerwG 26.07.2016 - 2 B 35/16

Gericht:
Bundesverwaltungsgericht
Spruchkörper:
2. Senat
Entscheidungsdatum:
26.07.2016
Aktenzeichen:
2 B 35/16
ECLI:
ECLI:DE:BVerwG:2016:260716B2B35.16.0
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, 17. Februar 2016, Az: 3d A 1002/13.O, Urteil

Tenor

Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 17. Februar 2016 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

1

Die auf Verfahrensfehler (§ 67 Satz 1 LDG NW und § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) gestützte Beschwerde des Beklagten ist unbegründet.

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1. Der Beklagte steht als Polizeikommissar im Dienst des Klägers. Wegen des später nicht bewiesenen Verdachts des Erwerbs von Kokain wurden Anfang April 2009 die Wohnräume des Beklagten, sein PKW, sein dienstlicher Umkleideraum bei der Polizeiinspektion sowie sein Waffenfach durchsucht. In der Wohnung wurden u.a. mehrere hundert schwarz gebrannte CDs mit Raubkopien sowie zwei Ecstasy-Tabletten gefunden. Der Beklagte räumte den einmaligen Konsum dieses Betäubungsmittels ein. Auf einer externen Festplatte wurden Fotodateien mit kinderpornographischem Inhalt gefunden, die am 24. März, am 30. März sowie am 7. April 2009 abgespeichert worden waren. Die Staatsanwaltschaft erhob gegen den Beklagten Anklage und legte ihm zur Last, Anfang April 2009 und zuvor in nicht rechtsverjährter Zeit mindestens 110 Bilddateien kinderpornographischen Inhalts, darunter 15 Bildsequenzen, und fünf Bilddateien jugendpornographischen Inhalts auf einem externen Datenspeicher abgespeichert zu haben. Anfang Juli 2009 wurde der Beklagte vorläufig seines Dienstes enthoben und die Einbehaltung von 15 v.H. seiner monatlichen Dienstbezüge angeordnet. Tatsächlich wurde das Gehalt des Beklagten jedoch bis zum 30. April 2015 unvermindert weiter gezahlt. Der Beklagte unterließ es, auf diese Überzahlung in Höhe von insgesamt 46 160,20 € hinzuweisen. Das Strafverfahren wegen unerlaubter Verwertung urheberrechtlich geschützter Werke wurde im Hinblick auf die zu erwartende Strafe in dem Verfahren wegen Besitzes kinder- und jugendpornographischer Schriften gemäß § 154 Abs. 1 StPO eingestellt. Da der Beklagte in der Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht nicht erschienen war, erließ das Amtsgericht gegen den Beklagten nach § 408a StPO einen Strafbefehl, in dem es gegen den Beklagten wegen des Besitzes kinder- und jugendpornographischer Schriften eine Geldstrafe verhängte.

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Im gerichtlichen Disziplinarverfahren hat das Verwaltungsgericht die dem Beklagten vorgeworfenen Handlungen des Konsums von Betäubungsmitteln und der unerlaubten Verwertung urheberrechtlich geschützter Werke ausgeschieden. Das Verwaltungsgericht hat den Beklagten aus dem Beamtenverhältnis entfernt. Im Berufungsverfahren hat der Kläger wegen des Vorwurfs, der Beklagte habe sich durch Unterlassen einer Mitteilung an den Dienstherrn im Zeitraum von April 2009 bis Ende April 2015 durch überhöhte Zahlungen seiner Dienstbezüge ungerechtfertigt bereichert, Nachtragsdisziplinarklage erhoben und beantragt, diese Dienstpflichtverletzung in das Klageverfahren einzubeziehen. Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt:

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Die Nachtragsdisziplinarklage sei nicht statthaft, weil die entsprechende gesetzliche Ermächtigung nicht für das Berufungsverfahren gelte. Durch den Besitz von kinder- und jugendpornographischen Schriften habe der Beklagte vorsätzlich und schuldhaft gegen die ihm nach § 34 Satz 3 BeamtStG obliegende Pflicht verstoßen, wonach sein Verhalten der Achtung und dem Vertrauen gerecht werden müsse, die sein Beruf erfordere. Diese außerdienstlich begangene Pflichtverletzung sei wegen des hinreichenden Bezugs zum Amt eines Polizeibeamten auch i.S.v. § 47 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG disziplinarwürdig. Bei Würdigung sämtlicher zu berücksichtigenden Umstände sei der Beklagte aus dem Beamtenverhältnis zu entfernen, weil er durch sein Dienstvergehen das Vertrauen des Dienstherrn und der Allgemeinheit endgültig verloren habe. Im Hinblick auf den Strafrahmen für den Besitz kinder- und jugendpornographischer Schriften von bis zu zwei Jahren Freiheitsstrafe sei für die Maßnahmebemessung grundsätzlich von einem Orientierungsrahmen bis hin zur Zurückstufung auszugehen. Angesichts des hinreichenden Bezugs zum Statusamt des Beklagten reiche der Orientierungsrahmen für mögliche Disziplinarmaßnahmen im Streitfall jedoch bis zur Entfernung aus dem Beamtenverhältnis. Die disziplinarrechtliche Höchstmaßnahme komme in Betracht, weil das außerdienstliche Dienstvergehen des Beklagten aufgrund der Zahl der kinderpornographischen Bilddateien und ihres konkreten Inhalts, der Darstellung des analen und vaginalen Geschlechtsverkehrs zwischen männlichen Personen und Mädchen unter fünf Jahren, als besonders verwerflich einzustufen sei. Zudem seien im Rahmen des Straf- und Disziplinarverfahrens Persönlichkeitsmängel des Beklagten offenbar geworden, die ihn im Rahmen einer Gesamtbetrachtung vertrauensunwürdig und damit für das Beamtenverhältnis untragbar erscheinen ließen. Im Rahmen der gebotenen Gesamtwürdigung sei auch zu berücksichtigen, dass es der Beklagte unterlassen habe, den Dienstherrn im Zeitraum von April 2009 bis Ende April 2015 auf die überhöhten Zahlungen seiner Dienstbezüge hinzuweisen. Die gezielte Suche nach und das Abspeichern von tierpornographischen Dateien offenbarten ferner tiefgreifende Persönlichkeitsmängel. Zugunsten des Beklagten sei berücksichtigt worden, dass er sowohl im Straf- als auch im Disziplinarverfahren von Anfang an geständig gewesen sei sowie im Hinblick auf seine online-Aktivitäten eine Psychotherapie durchgeführt habe. Anerkannte Milderungsgründe stünden dem Beklagten nicht zu. Es habe auch während des Tatzeitraums keine negative Lebensphase bestanden, die den Beklagten aus der Bahn geworfen habe. Die mildernden Aspekte reichten nicht aus, um von der Entfernung aus dem Beamtenverhältnis abzusehen.

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2. Die vom Beklagten in der Beschwerdebegründung geltend gemachten Verfahrensmängel (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) liegen nicht vor.

6

a) Der Beklagte rügt zunächst, das Oberverwaltungsgericht habe dadurch gegen die ihm obliegende Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts verstoßen, dass es hinsichtlich der Frage, ob die Suche nach tierpornographischen Bilddateien im Internet sowie ihr Besitz auf einen tiefgreifenden Persönlichkeitsmangel schließen lassen, kein Sachverständigengutachten eingeholt habe. Dieser Vorwurf trifft nicht zu.

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Nach § 57 Abs. 1 Satz 1 LDG NW sowie § 3 Abs. 1 LDG NW und § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO obliegt den Tatsachengerichten die Pflicht, jede mögliche Aufklärung des entscheidungserheblichen Sachverhalts bis zur Grenze der Zumutbarkeit zu versuchen, sofern dies nach ihrem materiell-rechtlichen Rechtsstandpunkt für die Entscheidung des Rechtsstreits erforderlich ist (vgl. BVerwG, Urteile vom 6. Februar 1985 - 8 C 15.84 - BVerwGE 71, 38 <41> und vom 6. Oktober 1987 - 9 C 12.87 - Buchholz 310 § 98 VwGO Nr. 31 S. 1 und Beschluss vom 28. Januar 2015 - 2 B 15.14 - Buchholz 235.1 § 58 BDG Nr. 11 Rn. 16 ff.).

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Die Verpflichtung zur Sachaufklärung von Amts wegen bezieht sich auf tatsächliche Umstände, die nach Auffassung des Berufungsgerichts für die vom ihm nach § 59 Abs. 2 Satz 2 und § 65 Abs. 1 Satz 1 LDG NW zu treffende Bemessungsentscheidung nach Maßgabe von § 13 LDG NW von Bedeutung sind. Das Oberverwaltungsgericht ist davon ausgegangen, die Suche nach und das Abspeichern von tierpornographischen Bilddateien offenbarten einen tiefgreifenden Persönlichkeitsmangel des Beklagten. Das Kriterium "Persönlichkeitsbild des Beamten" i.S.v. § 13 Abs. 2 Satz 2 LDG NW erfasst die persönlichen Verhältnisse und das sonstige dienstliche Verhalten vor, bei und nach der Tatbegehung. Das Gericht hat zu prüfen, ob das festgestellte Dienstvergehen mit dem bisher gezeigten Persönlichkeitsbild des Beamten übereinstimmt oder als persönlichkeitsfremdes Verhalten hiervon abweicht (BVerwG, Urteile vom 3. Mai 2007 - 2 C 9.06 - Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 3 Rn. 14 und vom 24. Mai 2007 - 2 C 25.06 - juris Rn. 13; Beschlüsse vom 15. August 2013 - 2 B 19.13 - Rn. 10 und vom 22. Januar 2014 - 2 B 102.13 - DokBer 2014, 211 Rn. 18). Dies erfordert aber eine rechtliche Würdigung der Umstände des Einzelfalls durch das Gericht; das ist eine originär richterliche Aufgabe und keine Frage, die mittels eines Sachverständigengutachtens zu klären ist.

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b) Im Übrigen wird in der Beschwerdebegründung der Sache nach eine Verletzung des Anspruchs des Beklagten auf rechtliches Gehör geltend gemacht. Der Vorwurf einer Art. 103 Abs. 1 GG und § 108 Abs. 2 VwGO verletzenden Überraschungsentscheidung trifft nicht zu.

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Der Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs soll sicherstellen, dass ein Verfahrensbeteiligter Einfluss auf den Gang des gerichtlichen Verfahrens und dessen Ausgang nehmen kann. Zu diesem Zweck muss er Gelegenheit erhalten, sich zu allen tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkten zu äußern, die entscheidungserheblich sein können. Zwar korrespondiert mit diesem Äußerungsrecht keine umfassende Frage-, Aufklärungs- und Hinweispflicht des Gerichts. Vielmehr kann regelmäßig erwartet werden, dass die Beteiligten von sich aus erkennen, welche Gesichtspunkte Bedeutung für den Fortgang des Verfahrens und die abschließende Sachentscheidung des Gerichts erlangen können, und entsprechend vortragen. Jedoch verlangt der Schutz vor einer Überraschungsentscheidung, dass das Gericht nicht ohne vorherigen Hinweis auf einen rechtlichen Gesichtspunkt abstellt, mit dem auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter selbst unter Berücksichtigung der Vielfalt vertretbarer Rechtsauffassungen nicht zu rechnen braucht (stRspr, vgl. BVerfG, Beschluss vom 19. Mai 1992 - 1 BvR 986/91 - BVerfGE 86, 133 <144 f.> sowie Kammerbeschluss vom 15. Februar 2011 - 1 BvR 980/10 - NVwZ-RR 2011, 460 Rn. 13 m.w.N.).

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Diese Voraussetzungen sind hinsichtlich der Würdigung des Persönlichkeitsbildes des Beklagten durch das Oberverwaltungsgericht nicht erfüllt. Denn das Gesetz gibt dem Gericht in § 13 Abs. 2 Satz 2 LDG NW ausdrücklich auf, bei der ihm obliegenden Bemessung der Disziplinarmaßnahme das Persönlichkeitsbild des Beamten angemessen zu berücksichtigen. Wie dargelegt, bedarf es insoweit auch nicht der Einholung eines psychologischen Sachverständigengutachtens, weil es sich um eine rechtliche Bewertung durch das Gericht handelt.

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Auch die Einbeziehung der Überzahlung der Bezüge für den Zeitraum von mehr als fünf Jahren sowie des Unterlassens eines Hinweises seitens des Beklagten in die Bemessungsentscheidung ist nicht im genannten Sinne überraschend. Denn das Oberverwaltungsgericht hat ausweislich der Niederschrift über die Berufungsverhandlung (Seite 2) darauf hingewiesen, dass - ungeachtet der Unzulässigkeit der Nachtragsdisziplinarklage - unter anderem das Dienstvergehen, seine Schwere und die mögliche Disziplinarmaßnahme, auch unter Berücksichtigung des der Nachtragsdisziplinarklage zugrunde liegenden Sachverhalts, in den Blick genommen werde. Dass das Oberverwaltungsgericht diesen Hinweis gegeben hat, wird auf S. 9 der Beschwerdebegründung nicht i.S.v. § 173 VwGO i.V.m. § 418 Abs. 2 ZPO bestritten. Denn der Beklagte macht insoweit lediglich geltend, er sei zu diesem Sachverhalt vom Gericht nicht befragt worden. Jedenfalls bestand für einen umsichtigen Prozessbeteiligten angesichts des genannten Hinweises des Berufungsgerichts in der Berufungsverhandlung und wegen der Vorgabe des § 13 LDG NW an das Gericht, sämtliche be- und entlastenden Umstände bei der Zumessungsentscheidung zu berücksichtigen, Anlass, von sich aus zu dem der Nachtragsdisziplinarklage zugrunde liegenden Sachverhalt Stellung zu nehmen.

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Die Kostenentscheidung beruht auf § 74 Abs. 1 LDG NW und § 154 Abs. 2 VwGO. Einer Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren bedarf es nicht, weil für das Verfahren Gebühren nach dem Gebührenverzeichnis der Anlage zu § 75 LDG NW erhoben werden.