Bundesverwaltungsgericht

Entscheidungsdatum: 30.06.2015


BVerwG 30.06.2015 - 2 B 31/14

Rüge unterlassener Sachaufklärung bei Verwendung tatsächlicher Feststellungen aus einem Strafbefehl


Gericht:
Bundesverwaltungsgericht
Spruchkörper:
2. Senat
Entscheidungsdatum:
30.06.2015
Aktenzeichen:
2 B 31/14
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend Thüringer Oberverwaltungsgericht, 12. November 2013, Az: 8 DO 537/13, Urteil
Zitierte Gesetze
§ 16 Abs 2 DG TH
§ 53 Abs 1 S 1 DG TH
§ 60 Abs 2 S 1 DG TH

Tenor

Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Thüringer Oberverwaltungsgerichts vom 12. November 2013 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

1

Die auf einen Verfahrensmangel gestützte Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO und § 66 Abs. 1 des Thüringer Disziplinargesetzes - ThürDG -) ist unbegründet.

2

1. Der 1953 geborene Beklagte stand bis zu seinem Eintritt in den Ruhestand zum 1. Februar 2014 als Polizeihauptmeister im Dienst des Klägers. Mitte 2010 verurteilte das Amtsgericht den Beklagten durch Strafbefehl wegen Verfolgung Unschuldiger, Betruges, Körperverletzung im Amt und Bedrohung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Monaten. Das Amtsgericht legte den folgenden Sachverhalt zugrunde: Der Beklagte habe im Juli 2009 außerhalb des Dienstes bei einer Fahrt auf der Autobahn mit seinem privaten Pkw einen polnischen Staatsangehörigen angehalten und habe gegen diesen eine Verwarnung von 100 € mit der unwahren Begründung ausgesprochen, der Fahrzeugführer sei nicht angeschnallt gewesen und sei zu schnell gefahren. Anschließend habe er gegenüber dem Vater des Fahrzeugführers vorgetäuscht, dass dieser einen Verkehrsverstoß begangen habe, sodass der Vater dem Beklagten irrtümlicherweise 80 € und 100 Zloty ausgehändigt habe. Zudem habe der Beklagte den Vater des Fahrzeugführers durch einen Biss in den Unterarm verletzt, als dieser Fahrzeugpapiere und Ausweisdokumente sowie die Geldscheine zurückverlangt habe, und habe anschließend mit seiner Dienstwaffe aus einer Entfernung von 30 cm auf dem Kopf des Vaters des Fahrzeugführers gezielt.

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Im sachgleichen Disziplinarverfahren hat das Verwaltungsgericht den Beklagten aus dem Dienst entfernt. Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt:

4

Der Beklagte habe vorsätzlich ein schwerwiegendes, aus vier innerdienstlichen Dienstpflichtverletzungen bestehendes Dienstvergehen begangen, das zur endgültigen Zerrüttung des Vertrauensverhältnisses zum Dienstherrn geführt habe. Zwar entfalte ein rechtskräftiger Strafbefehl für das Disziplinarverfahren keine Bindungswirkung. Die tatbestandlichen Feststellungen des Strafbefehls könnten aber der disziplinarrechtlichen Würdigung ohne nochmalige Prüfung durch das Gericht zugrunde gelegt werden. Die Feststellungen beruhten auf dem dem Strafbefehl zugrunde liegenden strafrechtlichen Ermittlungsverfahren und damit einem anderen gesetzlich geordneten Verfahren. Der Beklagte habe gegen diese Feststellungen keine substanziierten Einwendungen erhoben. Zudem komme dem Strafbefehl, den der Beklagte habe rechtskräftig werden lassen, Indizwirkung zu.

5

2. Der Beklagte rügt zu Unrecht, dass das Oberverwaltungsgericht dem Disziplinarverfahren die im Strafbefehl zusammengefassten Feststellungen ohne nochmalige eigene Prüfung zugrunde gelegt und von einer Beweisaufnahme, insbesondere durch die Vernehmung des Fahrers und des Beifahrers zum Verhalten des Beklagten anlässlich des Vorfalls vom Juli 2009, abgesehen hat.

6

Nach § 16 Abs. 1 Satz 1 ThürDG sind die tatsächlichen Feststellungen eines rechtskräftigen Urteils im Strafverfahren im Disziplinarverfahren, das denselben Sachverhalt zum Gegenstand hat, für die Disziplinarorgane bindend. Diese Regelung ist hier nicht anwendbar, weil ein rechtskräftiger Strafbefehl insoweit einem rechtskräftigen Urteil im Strafverfahren nicht gleichgestellt ist (BVerwG, Urteil vom 29. März 2012 - 2 A 11.10 - juris Rn. 37). Nach § 16 Abs. 2 ThürDG sind die in einem anderen gesetzlich geordneten Verfahren getroffenen tatsächlichen Feststellungen nicht bindend, können aber der Entscheidung im Disziplinarverfahren ohne nochmalige Prüfung zugrunde gelegt werden. Hiermit wird dem Anliegen, divergierende Entscheidungen von Straf- und Disziplinargerichten über dieselbe Tatsachengrundlage nach Möglichkeit zu vermeiden, Rechnung getragen (BVerwG, Beschluss vom 15. März 2013 - 2 B 22.12 - NVwZ-RR 2013, 557 Rn. 14).

7

Wegen des im Wortlaut angelegten Regel-Ausnahme-Verhältnisses und des systematischen Zusammenhangs mit der gerichtlichen Aufklärungspflicht nach § 53 Abs. 1 Satz 1 und § 60 Abs. 2 Satz 1 ThürDG ist für die Anwendung des § 16 Abs. 2 ThürDG nur Raum, wenn die Richtigkeit der anderweitig festgestellten Tatsachen vom Beamten im gerichtlichen Disziplinarverfahren nicht substanziiert angezweifelt wird (BVerwG, Urteil vom 29. März 2012 - 2 A 11.10 - juris Rn. 39 und Beschlüsse vom 4. September 2008 - 2 B 61.07 - Buchholz 235.1 § 58 BDG Nr. 4 Rn. 8, vom 27. Oktober 2008 - 2 B 48.08 - Rn. 3 und zuletzt vom 26. September 2014 - 2 B 14.14 - Rn. 10 m.w.N.). Das pauschale Vorbringen des Beamten, der festgestellte Sachverhalt entspreche nicht dem tatsächlichen Geschehensablauf, reicht nicht aus. Erforderlich ist eine von den gerichtlich getroffenen Feststellungen abweichende Schilderung des Lebenssachverhalts, die plausibel und nicht von vornherein von der Hand zu weisen ist.

8

In der Beschwerdebegründung wird nicht dargelegt, dass das Oberverwaltungsgericht aufgrund des Vorbringens des Beklagten im Disziplinarverfahren nach den dargestellten Grundsätzen zu § 16 Abs. 2 ThürDG gehindert war, im Disziplinarverfahren von dem Sachverhalt auszugehen, der in dem dem Strafbefehl zugrunde liegenden strafrechtlichen Ermittlungsverfahren festgestellt worden ist. Aus der Beschwerdebegründung ergibt sich nicht, dass der Beklagte diese Feststellungen substanziiert angezweifelt hat.

9

Mit der Nichtzulassungsbeschwerde rügt der Beklagte zentral, dass das Berufungsurteil ergangen sei, ohne dass zuvor eine nach seiner Ansicht erforderliche Beweisaufnahme durchgeführt worden sei. Insbesondere seien die Zeugen A. Z., R. Z. und D. S. zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen vom Oberverwaltungsgericht nicht vernommen worden. Diese Verfahrensrüge geht ins Leere, weil der Beklagte vor dem Oberverwaltungsgericht keine entsprechenden förmlichen Beweisanträge gestellt hat. Von Amts wegen hat sich dem Oberverwaltungsgericht eine Beweiserhebung durch Zeugenvernehmung nicht aufdrängen müssen, weil mangels substanziierter Angriffe und ebensolcher Darstellung eines abweichenden Geschehensablaufs seitens des Beklagten keine hinreichenden objektiven Anknüpfungspunkte für die vom Beklagten nunmehr vermisste Beweisaufnahme erkennbar waren. Die vom Beklagten nunmehr verlangte Beweiserhebung wäre deshalb ins Blaue hinein gerichtet und daher unzulässig gewesen.

10

Vor dem Oberverwaltungsgericht hat der Beklagte zwar zur Sache ausgesagt. Auch hat er dort eingeräumt, dass der von ihm geforderte Verwarngeldbetrag von 100 € überhöht war. Gegen die Richtigkeit seiner Darstellung, er habe die Verwarngelder für seinen Dienstherrn vereinnahmen wollen, spricht der Umstand, dass der Beklagte nicht den für das Verwarngeld vorgesehenen Vordruck ausgefüllt und Zug um Zug gegen Entgegennahme des Geldes ausgehändigt hat. Ferner spricht gegen die Glaubhaftigkeit der Darstellung der Geschehnisse das Verhalten des Beklagten auf der Autobahnraststätte im Anschluss an die Auseinandersetzung auf dem Seitenstreifen der Autobahn. Denn dort hat der Beklagte gegenüber einem Kollegen wahrheitswidrig behauptet, nicht über die Autobahn gefahren zu sein und von dem Vorfall nichts mitbekommen zu haben.

11

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 73 Satz 1 ThürDG. Nach § 77 Abs. 5 ThürDG sind die Verfahren nach diesem Gesetz gebührenfrei.