Entscheidungsdatum: 30.06.2016
Ein Beamter, der Mitglied einer Gewerkschaft ist, hat keinen Anspruch auf Dienstbefreiung unter Fortzahlung der Dienstbezüge für einen Einsatz als Ordner bei einer Demonstration, die der Unterstützung eines Warnstreiks seiner Gewerkschaft anlässlich von Tarifverhandlungen gegen seinen Dienstherrn dient. Dem steht das geltende beamtenrechtliche Streikverbot entgegen.
Die allein auf eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) gestützte Beschwerde ist unbegründet.
1. Die Klägerin ist Verwaltungsbeamtin im Dienst des beklagten Landes. Sie ist zugleich Mitglied einer Gewerkschaft. Einen Antrag der Klägerin auf Gewährung von Dienstbefreiung für den Einsatz als Ordnerin bei einem im Februar 2009 von ihrer Gewerkschaft durchgeführten Demonstrationszug lehnte der Beklagte ab. Der Demonstrationszug fand statt im Zusammenhang mit einer Warnstreikaktion aus Anlass laufender Tarifverhandlungen mit dem Beklagten. Die daraufhin erhobene Klage ist in beiden Vorinstanzen erfolglos geblieben.
Zur Begründung seines Urteils hat das Berufungsgericht ausgeführt: Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Dienstbefreiung unter Belassung der Bezüge für ihre Tätigkeit als Ordnerin bei der von ihrer Gewerkschaft durchgeführten Demonstration. Dieser Einsatz erfülle zwar das Merkmal einer ehrenamtlichen gewerkschaftlichen Tätigkeit i.S.v. § 106 Abs. 4 HBG a.F. (entspricht § 69 Abs. 3 HBG n.F.). Auch sei der Dienstbetrieb durch die Ordnertätigkeit nicht erheblich beeinträchtigt worden. Ob eine gewerkschaftliche Tätigkeit im Widerspruch zu beamtenrechtlichen Pflichten stehe, sei aber unter wertender Betrachtung der Rechte und Pflichten eines Beamten vor dem Hintergrund der hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums zu entscheiden. Ausschlaggebend sei hier, dass die Demonstration, zu deren Unterstützung die Klägerin als Ordnerin eingesetzt worden sei, Teil eines Warnstreiks gewesen sei, der sich anlässlich der laufenden Tarifverhandlungen gegen den Dienstherrn der Klägerin gerichtet habe; die Demonstration habe mit diesem Warnstreik in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang gestanden und dessen Unterstützung gedient. Nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. Februar 2014 - 2 C 1.13 - (BVerwGE 149, 117) dürften sich Beamte jedoch nicht an Streiks gegen ihren Dienstherrn beteiligen.
2. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), die ihr die Beschwerde beimisst.
Grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine - vom Beschwerdeführer zu bezeichnende - grundsätzliche, bisher höchstrichterlich nicht beantwortete Rechtsfrage aufwirft, die im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder einer Weiterentwicklung des Rechts revisionsgerichtlicher Klärung bedarf und die für die Entscheidung des Revisionsgerichts erheblich sein wird (stRspr, BVerwG, Beschluss vom 2. Oktober 1961 - 8 B 78.61 - BVerwGE 13, 90 <91 f.>). Das ist hier nicht der Fall.
Die Beschwerde sieht die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache in den Fragen:
- Steht die gewerkschaftliche Tätigkeit eines Beamten im Widerspruch zu seinen beamtenrechtlichen Pflichten, wenn sie sich gegen den eigenen Dienstherrn richtet?
- Dient die Betätigung als Ordner anlässlich einer Demonstration der Unterstützung der Ziele dieser Demonstration?
Diese Fragen rechtfertigen die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache nicht: Sie würden sich in einem Revisionsverfahren so nicht stellen und sind deshalb nicht entscheidungserheblich.
Das Bundesverwaltungsgericht hat in seinem Urteil vom 27. Februar 2014 - 2 C 1.13 - (BVerwGE 149, 117) ausgeführt, dass einerseits das umfassende Streikverbot für Beamte als hergebrachter Grundsatz nach Art. 33 Abs. 5 GG Geltung beansprucht (Rn. 23 ff.), andererseits dieses Streikverbot für außerhalb des genuin hoheitlichen Bereichs tätige Beamte mit der Koalitionsfreiheit des Art. 11 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) unvereinbar ist (Rn. 34 ff.), ferner dass der Gesetzgeber verpflichtet ist, einen konventionskonformen Zustand herzustellen (Rn. 52 ff.), und dass bis zu einer Auflösung der Kollisionslage durch den dazu allein berufenen Gesetzgeber das statusbezogene beamtenrechtliche Streikverbot nach wie vor geltendes Recht ist (Rn. 56 ff.).
In dem erwähnten Urteil ist im Einzelnen dargelegt, dass Art. 33 Abs. 5 GG als hergebrachter Grundsatz des Berufsbeamtentums ein umfassendes Streikverbot für alle Beamten enthält, das aufgrund seiner inhaltlichen Bestimmtheit unmittelbar gilt und deshalb auch ohne ausdrückliche einfach-gesetzliche Verbotsregelungen beachtet werden muss. Die verfassungs- und völkerrechtliche Verpflichtung, die Vorgaben des Art. 11 EMRK zur Koalitionsfreiheit der Angehörigen des öffentlichen Dienstes in die deutsche Rechtsordnung zu integrieren, kann nicht durch eine konventionskonforme Auslegung des Art. 33 Abs. 5 GG oder im Wege richterlicher Rechtsfortbildung erfüllt werden; denn die hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums gelten mit demjenigen Inhalt, der sich im traditionsbildenden Zeitraum herausgebildet hat. Dieser Traditionsbestand darf nicht im Wege der Auslegung geändert werden. Vielmehr kann allein der Gesetzgeber den Geltungsanspruch eines hergebrachten Grundsatzes in Wahrnehmung seines Auftrags zur Regelung und Fortentwicklung des Beamtenrechts in Grenzen einschränken. Es ist Aufgabe des Bundesgesetzgebers, einen Ausgleich zwischen den inhaltlich unvereinbaren Anforderungen des Art. 33 Abs. 5 GG und des Art. 11 EMRK herzustellen. Solange dies nicht geschehen ist, beansprucht das beamtenrechtliche Streikverbot nach Art. 33 Abs. 5 GG weiterhin Geltung (Rn. 23, 32, 57).
Hiernach sind Beamte nicht berechtigt, sich an kollektiven Kampfmaßnahmen zu beteiligen oder diese zu unterstützen. Das Beamtenverhältnis wird durch gegenseitige Zusagen geprägt: Der Zusage des Beamten, unter den Bedingungen des Dienstherrn Dienst zu leisten, steht die Zusage des Dienstherrn gegenüber, sich rechtstreu zu verhalten und auf die Belange des Beamten gebührend Rücksicht zu nehmen. Beide Zusagen stehen in einem Gegenseitigkeitsverhältnis; keine Seite kann sich einseitig davon lösen. Die Institution des Berufsbeamtentums würde tiefgreifend verändert, wenn die Fragen der Besoldung, der Arbeitszeiten oder der Altersgrenzen für die Einstellung und den Eintritt in den Ruhestand durch Tarifverträge geregelt würden und die Gewerkschaften ihren Forderungen während der Tarifverhandlungen durch kollektive Kampfmaßnahmen Nachdruck verleihen könnten (BVerwG, Urteil vom 27. Februar 2014 - 2 C 1.13 - BVerwGE 149, 117 Rn. 30). Deshalb enthält Art. 33 Abs. 5 GG ein umfassendes Streikverbot für alle Beamten, das deren Koalitionsfreiheit nach Art. 9 Abs. 3 GG beschränkt und auch ohne besondere einfachgesetzliche Verbotsregelungen beachtet werden muss. Dass die Übernahme von ehrenamtlichen Ordnerdiensten anlässlich einer kollektiven Kampfmaßnahme als Teilnahme-, zumindest aber als Unterstützungshandlung zu qualifizieren ist, liegt auf der Hand.
Das Berufungsgericht hat bindend (§ 137 Abs. 2 VwGO) - weil nicht mit durchgreifenden Verfahrensrügen angegriffen - festgestellt, dass die Demonstration, bei der die Klägerin als Ordnerin tätig war, zur Unterstützung des Warnstreiks diente. Mit der Beteiligung an und der Unterstützung einer solchen Demonstration - in welcher Rolle auch immer - wird zugleich der Warnstreik unterstützt. Dies ist einem Beamten aufgrund der ihm obliegenden Treuepflicht jedenfalls dann verwehrt, wenn er dies in der Form des Fernbleibens vom Dienst bei gleichzeitiger Fortzahlung der Dienstbezüge tun möchte. Deshalb ist wegen des beamtenverfassungsrechtlichen Streikverbots die vom Berufungsgericht auch unter Rückgriff auf das Senatsurteil vom 27. Februar 2014 (a.a.O.) vorgenommene Auslegung der Norm zur Dienstbefreiung wegen gewerkschaftlicher Betätigung rechtlich geboten; die gegenteilige Auffassung würde auf eine Umgehung des Streikverbots und eine Alimentierung von Unterstützungshandlungen für einen gegen den Dienstherrn selbst gerichteten Warnstreik hinauslaufen.
Damit rechtfertigt die von der Beschwerde aufgeworfene Frage nach der Zulässigkeit gewerkschaftlicher Betätigung, die sie sich gegen den Dienstherrn richtet, nicht die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung: Sie ist in ihrer Allgemeinheit nicht entscheidungserheblich. Im Übrigen läge auf der Hand, dass sie nicht generell verneint werden könnte: Gewerkschaftliche Tätigkeit von Beamten kann sich - selbstverständlich - etwa in der Weise gegen den Dienstherrn richten, dass von ihm eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen, insbesondere des Entgelts, gefordert wird. Soweit die Frage entscheidungserheblich ist, nämlich bezogen auf einen Anspruch auf bezahltes Fernbleiben vom Dienst wegen einer Tätigkeit als Ordner bei einer Demonstration zur Unterstützung eines Warnstreiks gegen den Dienstherrn, ist sie auf der Grundlage der Rechtsprechung des Senats zu verneinen.
Auch die zweite von der Beschwerde aufgeworfene Frage rechtfertigt die Zulassung der Revision nicht. Ob die Betätigung als Ordner anlässlich einer Demonstration der Unterstützung der Ziele dieser Demonstration dient, ist - wie dargelegt - nicht entscheidungserheblich und im Übrigen - wie im Berufungsurteil ausgeführt - eine Frage des Einzelfalls. Außerdem dürften bei versammlungsrechtlicher Betrachtung ehrenamtlich tätige Ordner sowohl den Versammlungsleiter unterstützende Hilfskräfte als auch gleichzeitig selbst Teilnehmer der Versammlung sein (vgl. nur Dürig-Friedl/Enders/Enders, VersammlG, Kommentar, 2016, § 9 Rn. 2).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 sowie § 52 Abs. 1 GKG.