Bundesverwaltungsgericht

Entscheidungsdatum: 07.03.2017


BVerwG 07.03.2017 - 2 B 19/16

Entfernung aus dem Dienst bei Gesamtschaden von über 5 000 €; Anforderungen an den Polizeibeamten


Gericht:
Bundesverwaltungsgericht
Spruchkörper:
2. Senat
Entscheidungsdatum:
07.03.2017
Aktenzeichen:
2 B 19/16
ECLI:
ECLI:DE:BVerwG:2017:070317B2B19.16.0
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, 2. Dezember 2015, Az: 3d A 1179/13.O, Urteilvorgehend VG Düsseldorf, 14. März 2013, Az: 35 K 2788/12.O
Zitierte Gesetze
§ 13 Abs 2 DG NW
§ 13 Abs 1 DG NW
§ 13 Abs 3 S 1 DG NW

Gründe

1

1. Die Beklagte ist Polizeimeisterin (Besoldungsgruppe A 7) im Dienst des Klägers. Das Landgericht M. verurteilte die Beklagte im Jahre 2009 wegen Betrugs in 40 Fällen zu 11 Monaten Freiheitsstrafe und setzte die Vollstreckung zur Bewährung aus. Im sachgleichen und um den Vorwurf der Einkommensteuerhinterziehung erweiterten Disziplinarverfahren hat das Verwaltungsgericht auf die im Jahre 2012 erhobene Disziplinarklage hin die Beklagte aus dem Beamtenverhältnis entfernt. Die Berufung der Beklagten beim Oberverwaltungsgericht ist erfolglos geblieben.

2

Nach den vom Oberverwaltungsgericht als bindend zugrunde gelegten Feststellungen des Landgerichts war die Beklagte wegen ihrer Akne über mehrere Jahre in Behandlung. Da die Behandlungskosten zwar zur Hälfte von ihrer Beihilfestelle übernommen wurden, ihre private Krankenversicherung aber keine Behandlungskosten erstattete, ließ sich die Beklagte darauf ein, dass Rechnungen mit dem doppelten Rechnungsbetrag über zum Teil nicht stattgefundene Behandlungen erstellt wurden, deren hälftige Erstattung dann kostendeckend für die tatsächlich durchgeführten Behandlungen war. In den Jahren 2001 bis 2004 reichte sie mit insgesamt 19 Beihilfeanträgen Rechnungen ein und erhielt daraufhin insgesamt rund 19 000 € ausgezahlt, die sie vollständig weiterleitete. Die Beklagte ließ sich außerdem darauf ein, zwei Personen zu benennen, an die fingierte Rechnungen gestellt wurden, nämlich ihre beste Freundin und Kollegin und ihren damaligen Lebensgefährten und heutigen Ehemann und Kollegen. Die Freundin erklärte sich aus freundschaftlicher Verbundenheit dazu bereit und reichte in den Jahren 2002 bis 2004 mit 16 Beihilfeanträgen 51 fingierte Rechnungen bei ihrer Beihilfestelle ein, die zur Erstattung in Höhe von über 11 000 € führten. Der Lebensgefährte und heutige Ehemann der Beklagten kam im Jahre 2004 aufgrund der persönlichen Beziehung zur Beklagten diesem Ansinnen ebenfalls nach und reichte mit 5 Beihilfeanträgen 28 fingierte Rechnungen bei seiner Beihilfestelle ein, die zur Zahlung von über 6 000 € führten.

3

Das Oberverwaltungsgericht wertete dies und die zu Unrecht bewirkte Erstattung von Einkommensteuer wegen eines angeblich gezahlten Eigenanteils bei den Aknebehandlungen als schwerwiegendes einheitliches innerdienstliches Dienstvergehen durch Verletzung der Pflicht zu achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten. Bei einer Gesamtwürdigung sämtlicher zu berücksichtigender Gesichtspunkte habe die Beklagte das Vertrauen des Dienstherrn und der Allgemeinheit endgültig verloren und sei aus dem Beamtenverhältnis zu entfernen.

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2. Die Revision ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen.

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Die von der Beschwerde für grundsätzlich klärungsbedürftig gehaltenen Fragen,

"wie die erforderliche und damit gebotene Disziplinarmaßnahme nach einem Dienstvergehen zu bestimmen ist, insbesondere welche Maßnahme bei einem Betrug des Beamten zu Lasten seines Dienstherrn geboten ist und in welchem Umfange Milderungsgesichtspunkte dem entgegenzustellen sind",

"ob eine 'Wertgrenze' im Falle des Betruges eines Beamten zu Lasten seines Dienstherrn von 5 000 € weiterhin angemessen ist, um ohne Hinzutreten von weiteren Erschwernisgründen eine solche Beeinträchtigung des erforderlichen Vertrauens in den Beamten anzunehmen, dass dieser aus dem Dienst entfernt werden muss",

"ab welcher Zahl von Einzeltaten in solchen Fällen von einem im disziplinarrechtlichen Sinne schwerwiegenden Betrug ausgegangen werden muss, dies unter Beachtung der 'üblichen' Anzahl von Einzeltaten in vergleichbaren Fällen",

"in welchem Maße die Stellung als Polizeivollzugsbeamter ohne weiteres als Erschwernisgrund angenommen werden kann"

und

"ob die - anstandslose und überobligatorische - Schadenswiedergutmachung als 'bloße Erfüllung der Rechtspflicht zum Schadensausgleich' als Milderungsgrund außen vor bleiben kann",

sind - soweit sie in verallgemeinerungsfähiger Form beantwortet werden können und im vorliegenden Fall entscheidungserheblich sind - in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt und bedürfen keiner erneuten Prüfung in einem Revisionsverfahren.

6

Der Revisionszulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO setzt voraus, dass die Rechtssache eine - vom Beschwerdeführer zu bezeichnende - konkrete, in dem zu entscheidenden Fall erhebliche Frage des revisiblen Rechts aufwirft, die bislang höchstrichterlich nicht geklärt ist und im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Rechtsfortbildung der Klärung in einem Revisionsverfahren bedarf (stRspr, vgl. nur BVerwG, Beschlüsse vom 2. Oktober 1961 - 8 B 78.61 - BVerwGE 13, 90 <91> und vom 9. April 2014 - 2 B 107.13 - NVwZ 2014, 1174 Rn. 9).

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a) Die Entscheidung über die Verhängung einer Disziplinarmaßnahme (vgl. § 13 LDG NRW, § 13 BDG) ergeht nach pflichtgemäßem Ermessen. Die Disziplinarmaßnahme ist insbesondere nach der Schwere des Dienstvergehens zu bemessen. Das Persönlichkeitsbild des Beamten ist angemessen zu berücksichtigen. Ferner soll berücksichtigt werden, in welchem Umfang das Vertrauen des Dienstherrn oder der Allgemeinheit beeinträchtigt worden ist. Wer durch ein Dienstvergehen das Vertrauen des Dienstherrn oder der Allgemeinheit endgültig verloren hat, ist aus dem Beamtenverhältnis zu entfernen.

8

Welche Disziplinarmaßnahme im Einzelfall erforderlich ist, richtet sich gemäß § 13 Abs. 1 und 2 LDG NRW, § 13 Abs. 1 BDG nach der Schwere des Dienstvergehens unter angemessener Berücksichtigung der Persönlichkeit des Beamten und des Umfangs der durch das Dienstvergehen herbeigeführten Vertrauensbeeinträchtigung. Danach müssen die sich aus diesen Normen ergebenden Bemessungskriterien mit dem ihnen im Einzelfall zukommenden Gewicht ermittelt und in die Entscheidung eingestellt werden. Die gegen den Beamten ausgesprochene Disziplinarmaßnahme muss unter Berücksichtigung aller be- und entlastenden Umstände des Einzelfalls in einem gerechten Verhältnis zur Schwere des Dienstvergehens und zum Verschulden des Beamten stehen. Dabei ist die Schwere des Dienstvergehens maßgebendes Bemessungskriterium für die Bestimmung der erforderlichen Disziplinarmaßnahme. Dies bedeutet, dass das festgestellte Dienstvergehen nach seiner Schwere einer gesetzlich vorgesehenen Disziplinarmaßnahme zuzuordnen ist. Davon ausgehend kommt es für die Bestimmung der Disziplinarmaßnahme darauf an, ob Erkenntnisse zum Persönlichkeitsbild des Beamten und zum Umfang der Vertrauensbeeinträchtigung im Einzelfall derart ins Gewicht fallen, dass eine andere als die durch die Schwere indizierte Maßnahme geboten ist. Deshalb dürfen die nach der Schwere des Dienstvergehens angezeigten Regeleinstufungen nicht schematisch angewandt werden. Je schwerwiegender das Dienstvergehen oder die mit ihm einhergehende Vertrauensbeeinträchtigung ist, umso gewichtiger müssen die sich aus dem Persönlichkeitsbild ergebenden mildernden Umstände sein, um gleichwohl eine andere Maßnahme zu rechtfertigen. Umgekehrt können Gesichtspunkte des Persönlichkeitsbildes oder eine besondere Vertrauensbeeinträchtigung die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis rechtfertigen, obwohl diese Maßnahme nach der Schwere des Dienstvergehens für sich genommen nicht indiziert ist. Maßstab ist hierbei, in welchem Umfang die Allgemeinheit dem Beamten noch Vertrauen in eine zukünftig pflichtgemäße Amtsausübung entgegenbringen könnte, wenn ihr das Dienstvergehen einschließlich der be- und entlastenden Umstände bekannt würde (stRspr, vgl. nur BVerwG, Urteil vom 25. Juli 2013 - 2 C 63.11 - BVerwGE 147, 229 Rn. 13 ff. m.w.N.).

9

Betrügerisches Verhalten zum Nachteil des Dienstherrn kann in vielfältigen Erscheinungsformen auftreten. Die Variationsbreite, in der Pflichtverletzungen dieser Art denkbar sind, erfordert die Würdigung der jeweiligen besonderen Einzelfallumstände.

10

In Fällen des innerdienstlichen Betrugs zum Nachteil des Dienstherrn ist der Beamte in der Regel aus dem Dienst zu entfernen, wenn im Einzelfall Erschwerungsgründe vorliegen, denen keine Milderungsgründe von solchem Gewicht gegenüberstehen, dass eine Gesamtbetrachtung nicht den Schluss rechtfertigt, der Beamte habe das Vertrauen endgültig verloren. Je gravierender die Erschwerungsgründe in ihrer Gesamtheit zu Buche schlagen, desto gewichtiger müssen die Milderungsgründe sein, um davon ausgehen zu können, dass noch ein Rest an Vertrauen zu dem Beamten vorhanden ist. Erschwerungsgründe können sich z.B. aus Anzahl und Häufigkeit der Betrugshandlungen, der Höhe des Gesamtschadens, der missbräuchlichen Ausnutzung der dienstlichen Stellung oder dienstlich erworbener Kenntnisse sowie daraus ergeben, dass die Betrugshandlung im Zusammenhang mit weiteren Verfehlungen von erheblichem disziplinarischen Eigengewicht, z.B. mit Urkundenfälschungen, stehen (stRspr, vgl. nur BVerwG, Urteile vom 28. November 2000 - 1 D 56.99 - Buchholz 232 § 54 Satz 2 BBG Nr. 23 S. 7, vom 26. September 2001 - 1 D 32.00 - Buchholz 232 § 77 BBG Nr. 18 S. 9 und Beschluss vom 10. September 2010 - 2 B 97.09 - Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 14 Rn. 8). Auch aus der jüngeren Senatsrechtsprechung lässt sich der Grundsatz ableiten, dass bei einem Gesamtschaden von über 5 000 € die Entfernung aus dem Dienst ohne Hinzutreten weiterer Erschwerungsgründe gerechtfertigt sein kann (BVerwG, Beschlüsse vom 10. September 2010 - 2 B 97.09 - Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 14 Rn. 8, vom 20. Dezember 2011 - 2 B 64.11 - juris Rn. 12 und vom 6. Mai 2015 - 2 B 19.14 - Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 31 Rn. 11). Die Höhe des Gesamtschadens ist danach ein Erschwerungsgrund neben anderen.

11

Die in der Rechtsprechung entwickelten "anerkannten" Milderungsgründe führen regelmäßig zu einer Disziplinarmaßnahme, die um eine Stufe niedriger liegt als die durch die Schwere des Dienstvergehens indizierte Maßnahme, es sei denn, es liegen gegenläufige belastende Umstände vor (BVerwG, Urteile vom 28. Juli 2011 - 2 C 16.10 - BVerwGE 140, 185 Rn. 37 ff. und vom 25. Juli 2013 - 2 C 63.11 - BVerwGE 147, 229 Rn. 26 für den Milderungsgrund der tätigen Reue durch Offenbarung des Fehlverhaltens oder durch freiwillige Wiedergutmachung des Schadens vor Entdeckung). Ein Aspekt des Persönlichkeitsbildes ist die tätige Reue, wie sie durch die Offenbarung des Fehlverhaltens oder die freiwillige Wiedergutmachung des Schadens jeweils noch vor der drohenden Entdeckung zum Ausdruck kommt. Eine erst nach Entdeckung erfolgte Schadenswiedergutmachung ist im Rahmen der Bemessungsentscheidung - wie hier geschehen (vgl. das Berufungsurteil, S. 18) - darauf zu überprüfen, ob sie in einer Gesamtschau - d.h. zusammen mit weiteren für den Beamten sprechenden Aspekten - zu einer Milderung der Maßnahme führen kann.

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Bei einem außerdienstlichen Verhalten eines Beamten hängt die Frage, ob das für das Amt erforderliche Vertrauen beeinträchtigt wird, maßgeblich von Art und Intensität der jeweiligen Verfehlung und davon ab, ob der Pflichtenverstoß des Beamten einen Bezug zu seinem (Status-)Amt hat. In diesem Sinne haben außerdienstlich begangene Straftaten einen hinreichenden Bezug zum Amt eines Polizeibeamten. Polizeibeamte haben Straftaten zu verhüten, aufzuklären und zu verfolgen. Sie genießen daher in der Öffentlichkeit - insbesondere auch für schutzbedürftige Personen - eine besondere Vertrauens- und Garantenstellung (vgl. BVerwG, Urteile vom 18. Juni 2015 - 2 C 9.14 - BVerwGE 152, 228 Rn. 22 und vom 10. Dezember 2015 - 2 C 50.13 - Buchholz 235.2 LDisziplinarG Nr. 39 Rn. 35; BVerfG, Kammerbeschluss vom 18. Januar 2008 - 2 BvR 313/07 - BVerfGK 13, 205 <209> für Staatsanwälte). Bei innerdienstlichen Pflichtverletzungen wirkt sich die Stellung als Polizeibeamter erschwerend aus, wenn sie unter Ausnutzung der dienstlichen Stellung begangen werden. Denn Dienstherr, Öffentlichkeit und betroffene Bürger müssen sich auf die Ehrlichkeit und Gesetzestreue von Polizeibeamten im Einsatz unbedingt verlassen können (vgl. BVerwG, Urteile vom 23. Februar 2012 - 2 C 38.10 - NVwZ-RR 2012, 479 Rn. 16, vom 28. Februar 2013 - 2 C 3.12 - BVerwGE 146, 98 Rn. 36 und vom 25. Juli 2013 - 2 C 63.11 - BVerwGE 147, 229 Rn. 20).

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b) Die von der Beschwerde aufgeworfenen Fragen sind - soweit sie in verallgemeinerungsfähiger Form beantwortet werden können und entscheidungserheblich sind - geklärt. Die Beschwerde hat nicht aufgezeigt, inwieweit weiterer Klärungsbedarf zu dieser Rechtsprechung besteht. Mit dem Beschwerdevorbringen wird der Sache nach nur die Bemessungsentscheidung angegriffen, d.h. die Entscheidung, ob angesichts der konkreten Umstände des Einzelfalls ein endgültiger Verlust des Vertrauens des Dienstherrn oder der Allgemeinheit i.S.v. § 13 Abs. 3 Satz 1 LDG NRW gegeben ist. Angriffspunkt ist also die Richtigkeit der Bemessungsentscheidung des Oberverwaltungsgerichts im konkreten Einzelfall. Die Bemessung der Disziplinarmaßnahme nach Maßgabe des § 13 LDG NRW bzw. § 13 BDG unter Berücksichtigung aller im Einzelfall bedeutsamen be- und entlastenden Gesichtspunkte ist einer rechtsgrundsätzlichen Klärung nicht zugänglich und kann deshalb nicht Gegenstand einer Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO sein (stRspr, vgl. zuletzt BVerwG, Beschlüsse vom 15. Juni 2016 - 2 B 49.15 - Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 36 Rn. 13 und vom 28. Dezember 2016 - 2 B 67.16 - juris Rn. 7).

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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 74 Abs. 1 LDG NRW und § 154 Abs. 2 VwGO. Einer Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren bedarf es nicht, weil für das Verfahren streitwertunabhängig Gebühren nach dem Gebührenverzeichnis der Anlage zu § 75 LDG NRW erhoben werden.