Bundesverwaltungsgericht

Entscheidungsdatum: 05.07.2010


BVerwG 05.07.2010 - 2 B 121/09

Disziplinarrecht: Schweres Dienstvergehen im Sinne des § 13 Abs. 2 BDG; endgültiger Vertrauensverlust


Gericht:
Bundesverwaltungsgericht
Spruchkörper:
2. Senat
Entscheidungsdatum:
05.07.2010
Aktenzeichen:
2 B 121/09
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz, 18. September 2009, Az: 11 A 10504/09, Urteil
Zitierte Gesetze

Tenor

Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz vom 18. September 2009 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

1

Die auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache sowie auf einen Verfahrensmangel gestützte Beschwerde (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 und 3 VwGO i.V.m. § 69 BDG) ist unbegründet.

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1. Das Berufungsgericht hat die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts, durch das der Beklagte aus dem Dienst entfernt worden ist, zurückgewiesen. Das Gericht hat festgestellt, dass der Beklagte an einem nicht mehr feststellbaren Zeitpunkt vor dem 24. Juni 2006 mit einem ihm seinerzeit unterstellten Mitarbeiter vereinbart hat, dieser werde beim Betreten der Dienststelle morgens gegen 6:00 Uhr das Arbeitszeiterfassungsgerät in unzulässiger Weise dadurch bedienen, dass er neben seiner eigenen auch die Zeiterfassungskarte des Beklagten vor die Leseeinrichtung des Gerätes halte und anschließend sowohl für sich als auch für den Beklagten die Taste "Kommen" betätige. Tatsächlich sei der Beklagte erst gegen 8:00 Uhr in der Dienststelle erschienen. Durch diese Täuschungshandlungen seien für den Beklagten Anwesenheitszeiten erfasst worden, in denen er in Wirklichkeit seinen Dienst noch nicht verrichtet habe. In gleicher Weise sei der Beklagte für diesen Mitarbeiter verfahren, der sich durch den Beklagten an diesen Tagen zu einem Zeitpunkt habe ausbuchen lassen, an dem er die Dienststelle längst verlassen gehabt habe. Dieses Fehlverhalten des Beklagten im Zeitraum vom 24. Juni 2006 bis zum 1. Juni 2007 stelle ein schwerwiegendes Dienstvergehen dar, durch das er das Vertrauen des Dienstherrn im Sinne von § 13 Abs. 2 Satz 1 BDG endgültig verloren habe.

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2. a) Die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO i.V.m. § 69 BDG) sieht die Beschwerde in der Frage, ob "eine Arbeitszeitmanipulation stets als 'schweres Dienstvergehen' im Sinne des § 13 Abs. 2 BDG anzusehen" ist.

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Eine Rechtssache hat nur dann grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO i.V.m. § 69 BDG, wenn sie eine konkrete, in dem zu entscheidenden Fall erhebliche, noch ungeklärte Frage des revisiblen Rechts mit einer über den Einzelfall hinausgehenden allgemeinen Bedeutung aufwirft, die im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Rechtsfortbildung der Klärung in einem Revisionsverfahren bedarf. Gemäß § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO i.V.m. § 69 BDG obliegt es dem Beschwerdeführer, diese Voraussetzungen darzulegen (Beschluss vom 2. Oktober 1961 - BVerwG 8 B 78.61 - BVerwGE 13, 90 <91> = Buchholz 310 § 132 VwGO Nr. 18 S. 21 f.). Diese Voraussetzungen sind hinsichtlich der vom Beklagten aufgeworfenen Rechtsfrage nicht erfüllt.

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Die Rechtssache hat die ihr von der Beschwerde zugeschriebene grundsätzliche Bedeutung deshalb nicht, weil in der Rechtsprechung geklärt ist, dass die Entscheidung, ob ein Beamter durch ein schweres Dienstvergehen im Sinne von § 13 Abs. 2 Satz 1 BDG das Vertrauen des Dienstherrn oder der Allgemeinheit endgültig verloren hat, von den konkreten Umständen des Einzelfalls abhängt. Der endgültige Verlust des Vertrauens ist anzunehmen, wenn aufgrund der prognostischen Gesamtwürdigung auf der Grundlage aller im Einzelfall bedeutsamen be- und entlastenden Gesichtspunkte der Schluss gezogen werden muss, der Beamte werde auch künftig in erheblicher Weise gegen Dienstpflichten verstoßen oder die durch sein Fehlverhalten herbeigeführte Schädigung des Ansehens des Berufsbeamtentums sei bei einer Fortsetzung des Beamtenverhältnisses nicht wiedergutzumachen (Urteile vom 20. Oktober 2005 - BVerwG 2 C 12.04 - BVerwGE 124, 252 = Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 1 und vom 3. Mai 2007 - BVerwG 2 C 9.06 - Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 3).

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Hieraus folgt unmittelbar, dass die Annahme, ein bestimmtes Fehlverhalten eines Beamten - hier die Manipulation von Geräten zur Erfassung der Arbeitszeit - führe in jedem Fall ("stets") zur Anwendung des § 13 Abs. 2 Satz 1 BDG, ausgeschlossen ist.

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Davon abgesehen ist der in der Beschwerdebegründung zum Ausdruck kommende Vorwurf, das Berufungsgericht sei im Gegensatz zu anderen Oberverwaltungsgerichten davon ausgegangen, eine Manipulation eines Zeiterfassungsgerätes durch einen Beamten führe automatisch zur Annahme eines schweren Dienstvergehens im Sinne von § 13 Abs. 2 Satz 1 BDG, unberechtigt. Vielmehr hat das Berufungsgericht in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Senats die Umstände des konkreten Einzelfalls gewürdigt.

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b) Als Verfahrensmangel im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 69 BDG rügt der Beklagte, dass das Berufungsgericht auch die Aussage der Zeugin K. zu seinen Lasten verwertet habe. Tatsächlich sei diese Aussage der Zeugin über eine von ihm getätigte Äußerung nicht verwertbar, weil nach wie vor nicht eindeutig geklärt sei, ob diese Äußerung vor oder nach der Belehrung über sein Aussageverweigerungsrecht erfolgt sei. Damit wird kein Verfahrensmangel bezeichnet.

9

Der Beklagte hat mit seiner Unterschrift bestätigt, die Niederschrift über seine am 9. Juli 2007 erfolgte Anhörung selbst gelesen und genehmigt zu haben. Gegenstand dieser Anhörung war auch der Themenbereich "Zeiterfassung". Nach dieser Niederschrift ist der Beklagte über seine Rechte im Disziplinarverfahren, insbesondere das Recht zur Aussageverweigerung, belehrt worden. Die vom Beklagten inhaltlich nicht bestrittene Aussage gegenüber der Zeugin K. ist nach den Feststellungen des Berufungsgerichts erst am 10. Januar 2008 erfolgt.

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Ferner rügt der Beklagte unter dem Hinweis auf einen Verstoß gegen den Überzeugungsgrundsatz (§ 108 Abs. 1 VwGO), das Berufungsgericht habe den Umstand, dass er unter einer erheblichen psychischen Belastung leide, verfahrensfehlerhaft nicht in die Abwägung nach § 13 Abs. 1 BDG eingestellt. Auch insoweit ist ein Verfahrensverstoß nicht festzustellen.

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Gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Das Gebot der freien Beweiswürdigung verpflichtet unter anderem dazu, bei Bildung der Überzeugung von einem zutreffend und vollständig ermittelten Sachverhalt auszugehen (vgl. Urteil vom 18. Mai 1990 - BVerwG 7 C 3.90 - BVerwGE 85, 155 <158> = Buchholz 445.4 § 31 WHG Nr. 14 m.w.N.; Beschluss vom 18. Mai 1999 - BVerwG 7 B 11.99 - juris Rn. 4). Somit darf das Tatsachengericht insbesondere nicht wesentliche Umstände übergehen, deren Entscheidungserheblichkeit sich ihm hätte aufdrängen müssen. In einem solchen Fall fehlt es an einer tragfähigen Grundlage für die innere Überzeugungsbildung des Gerichts und zugleich für die Überprüfung seiner Entscheidung darauf, ob die Grenze einer objektiv willkürfreien, die Natur- und Denkgesetze sowie allgemeine Erfahrungssätze beachtenden Würdigung überschritten ist (vgl. Urteil vom 5. Juli 1994 - BVerwG 9 C 158.94 - BVerwGE 96, 200 <208 f.> = Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 174 m.w.N.).

12

In der Beschwerdebegründung wird nicht dargelegt, dass das Berufungsgericht in diesem Sinne gegen § 108 Abs. 1 VwGO verstoßen hat. Dem Berufungsgericht lagen keine Hinweise für die Annahme vor, die mit dem Disziplinarverfahren für den Beklagten verbundene psychische Belastung sei derart hoch, dass sie mit einem über das normale Maß hinausgehenden Gewicht in die nach § 13 BDG gebotene Abwägung der Gesamtumstände einzustellen sei. Das im Berufungsverfahren vom Beklagten vorgelegte Attest des behandelnden Facharztes vom 18. März 2009 behauptet lediglich die dauerhafte Verhandlungsunfähigkeit des Beklagten. Das vom Berufungsgericht zur Frage der Verhandlungsfähigkeit eingeholte amtsärztliche Gutachten vom 30. Juli 2009 lässt ebenfalls keine außerordentlichen psychischen Belastungen erkennen, die auf das anhängige Disziplinarverfahren zurückzuführen sind.

13

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 77 Abs. 1 BDG i.V.m. § 154 Abs. 2 VwGO. Der Festsetzung eines Streitwerts bedarf es nicht, weil das gerichtliche Verfahren kostenfrei ist (§ 78 Satz 1 i.V.m. § 85 Abs. 11 BDG).