Bundesverwaltungsgericht

Entscheidungsdatum: 01.04.2010


BVerwG 01.04.2010 - 2 B 111/09

Dienstvergehen; Beamter einer juristischen Person des Privatrechts; Zugriff durch Computermanipulation


Gericht:
Bundesverwaltungsgericht
Spruchkörper:
2. Senat
Entscheidungsdatum:
01.04.2010
Aktenzeichen:
2 B 111/09
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, 19. August 2009, Az: 3d A 1848/08, Urteil
Zitierte Gesetze
§ 57 BG NW

Gründe

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Die auf die Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung und der Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 und 2 VwGO, § 67 LDG NRW) gestützte Beschwerde bleibt ohne Erfolg.

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1. Der als Beamter der privatrechtlich organisierten, für Aufgaben nach dem SGB II zuständigen Gesellschaft zugewiesene Beklagte hält folgende Fragen für grundsätzlich klärungsbedürftig:

a) Findet die disziplinarrechtliche Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts im Rahmen von § 13 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 bis 3 und Abs. 3 Satz 1 LDG NRW zu den sogenannten Zugriffsdelikten, wonach eine Entfernung aus dem Beamtenverhältnis indiziert ist, wenn der Zugriff des Beamten auf mehr als geringwertige Gelder oder Güter erfolgt, auch dann Anwendung bzw. ein Fehlverhalten des Beamten steht einem Zugriffsdelikt im vorgenannten Sinne gleich, wenn der Beamte gemäß § 123a BRRG als Beamter einer privaten juristischen Person (GmbH) zugewiesen worden ist, der Dienstherr des Beamten Mitbegründer dieser Gesellschaft ist, um mit dem anderen Begründer gemeinsam öffentliche Aufgaben zu erfüllen, und der Beamte sich in diesem Rechtsverhältnis mit der privaten juristischen Person fehlverhält, indem er sich buchmäßig Geld zur eigenen, teilweise vorübergehenden Verfügung verschafft und hierdurch unmittelbar einen Schaden bei der privaten juristischen Person verursacht, wodurch der Dienstherr des Beamten zum Ersatz dieses Schadens gegenüber der juristischen Person verpflichtet wird?

b) Ist die disziplinarrechtliche Maßnahmerechtsprechung zu den Zugriffsdelikten, wonach zur Beurteilung einer disziplinarrechtlichen Erheblichkeit eine eingeschränkte Schuldfähigkeit im Rahmen von § 13 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 bis 3 und Abs. 3 Satz 1 LDG NRW auf die Einsehbarkeit der verletzten Dienstpflicht abzustellen ist, sodass beim Zugriffsdelikt nur in Ausnahmefällen eine Erheblichkeit zu bejahen ist, auch auf Fälle anwendbar, in denen der Beamte einer juristischen Person des Privatrechts gemäß § 123a BRRG zugewiesen worden ist, der Beamte sich im Rahmen seines Rechtsverhältnisses mit der juristischen Person des Privatrechts buchmäßig Geld verschafft, über das er nach Überweisung auf ein ihm zugängliches Konto verfügt bzw. vorübergehend verfügt und der hierdurch entstandene Schaden, der unmittelbar bei der juristischen Person des Privatrechts eintritt, letztlich vom Dienstherrn des Beamten zu tragen ist, wenn der Dienstherr Mitbegründer dieser juristischen Person des Privatrechts ist, um öffentliche Aufgaben durch die juristische Person zu erfüllen?

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Grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO kommt nur bisher ungeklärten abstrakten Rechtsfragen zu, die im Interesse der Wahrung der Rechtseinheit und der Fortentwicklung des Rechts einer Entscheidung durch das Revisionsgericht bedürfen. Eine solche Rechtsfrage wird nicht im Sinne des § 133 Abs. 3 VwGO ordnungsgemäß dargelegt, indem nahezu der gesamte festgestellte Sachverhalt eines Einzelfalles in Frageform vorgetragen wird. Von daher ist es bereits ausgeschlossen, die auf den konkreten Sachverhalt bezogenen Fragen in einem Revisionsverfahren in fallübergreifender Weise zu beantworten.

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Letztlich geht es der Beschwerde wohl um die Fragen,

- ob die für Zugriffsdelikte entwickelte Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts auch anwendbar ist, wenn der Beamte sich das Geld nicht körperlich aneignet, sondern sich die Verfügungsgewalt darüber durch überweisungstechnische Mittel verschafft,

- ob der einer privaten juristischen Person zugewiesene Beamte in gleicher Weise dem Disziplinarrecht unterliegt wie Beamte eines öffentlich-rechtlichen Dienstherrn und

- ob in diesen Fällen dieselben Grundsätze für die Beurteilung einer eingeschränkten Schuldfähigkeit gelten.

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Keine dieser Fragen rechtfertigt die Zulassung der Revision; sie sind in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts hinreichend geklärt.

6

In seinem Beschluss vom 26. Februar 2008 - BVerwG 2 B 122.07 - (NVwZ-RR 2008, 477, Rn. 22 ff. - insoweit in Buchholz 235.1 § 55 BDG Nr. 2 nicht abgedruckt) hat sich der Senat mit der Frage befasst, ob bei einer computermäßigen Manipulation des Beamten, die nur mittelbar die Zahlung eines Geldbetrages zur Folge haben kann, die für Zugriffsdelikte entwickelten Grundsätze anwendbar sind, und hierzu ausgeführt, bei Beachtung der sich aus § 13 Abs. 1 Satz 2 bis 4 BDG ergebenden Bemessungsregelungen könne auch in den Fällen innerdienstlicher Betrugs- oder Untreuehandlungen zum Nachteil des Dienstherrn bei einem Gesamtschaden von über 10 000 DM bzw. 5 000 € die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis geboten sein, und zwar auch dann, wenn keine besonderen Erschwerungsgründe hinzutreten. Davon ausgehend sei im Ergebnis nicht zu beanstanden, ein solches Dienstvergehen hinsichtlich der Schwere einem Zugriffsdelikt gleichzustellen.

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Für die bei der Deutschen Post AG beschäftigten Bundesbeamten ist geklärt, dass sie hinsichtlich ihrer beruflichen Tätigkeit den Regeln über den beamtenrechtlichen Dienst und damit dem Disziplinarrecht unterliegen (Urteile vom 20. August 1996 - BVerwG 1 D 80.95 - BVerwGE 103, 375 <377 f.> = Buchholz 232 § 54 Satz 3 BBG Nr. 7, vom 6. Juli 2006 - BVerwG 1 D 7.05 - juris Rn. 21 und vom 24. Mai 2007 - BVerwG 2 C 25.06 - Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 4 Rn. 10).

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Der Beschwerde ist nichts dafür zu entnehmen, dass für den Beklagten als Kommunalbeamten etwas anderes gelten könnte: Ungeachtet seiner Zuweisung zu einer privatrechtlich organisierten Einrichtung der Arbeitsvermittlung blieb er Beamter der Klägerin mit allen Rechten und Pflichten, die sich aus dem Beamtengesetz ergeben; auch bei der Erfüllung seiner Aufgaben unterlag er der Dienstpflicht, sein Amt uneigennützig nach bestem Wissen zu verwalten (§ 57 Satz 2 LBG NRW) und weder die Gesellschaft, bei der er beschäftigt war, noch seine Dienstherrin zu schädigen.

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Hieraus ergibt sich zugleich, dass in diesen Fällen auch dieselben Grundsätze für die Beurteilung einer eingeschränkten Schuldfähigkeit gelten.

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2. Auch die Divergenzrüge greift nicht durch.

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Die Beschwerde macht geltend, nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts könne es im Rahmen der Bemessungsentscheidung mildernd berücksichtigt werden, wenn Vorgesetzte ihre Aufsichtspflicht vernachlässigten und ihre Fürsorgepflicht gegenüber Beamten verletzten, wenn diese konkrete Anhaltspunkte - etwa eine starke dienstliche Überforderung - angezeigt hätten, sodass Kontrollmaßnahmen unerlässlich gewesen, pflichtwidrig aber unterblieben oder nur unzureichend durchgeführt worden seien. Demgegenüber habe das Berufungsgericht ausgeführt, der Umstand, dass dem Beklagten das Fehlverhalten erleichtert worden sei, rücke das Dienstvergehen nicht in ein entscheidend milderes Licht.

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Mit diesen Ausführungen wird eine Divergenz im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO nicht dargelegt. Das Berufungsgericht hat nicht etwa den entgegenstehenden Rechtssatz aufgestellt, die Vernachlässigung der Aufsichtspflicht könne grundsätzlich nicht mildernd berücksichtigt werden. Es ist vielmehr ersichtlich davon ausgegangen, dass in diesem Falle eine Milderung in Betracht komme, und hat deshalb im Einzelnen dargelegt, weshalb hier unter den konkreten Umständen dieses Falles keine Milderung angebracht sei; hierzu hat es ausgeführt, Anhaltspunkte dafür, dass der Beklagte einer verschärften Dienstaufsicht bedurft hätte, hätten nicht bestanden (UA S. 21). Letztlich greift die Beschwerde die einzelfallbezogene Würdigung des Berufungsgerichts an, zeigt aber keinen entgegenstehenden Rechtssatz auf. In Disziplinarverfahren kann eine Divergenz grundsätzlich nicht damit begründet werden, das Tatsachengericht habe die be- und entlastenden Umstände im Rahmen der Gesamtwürdigung gemäß § 13 Abs. 1 Satz 2 bis 4 BDG fehlerhaft gewichtet (Beschluss vom 3. Juli 2007 - BVerwG 2 B 18.07 - Buchholz 235.1 § 69 BDG Nr. 1).

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Ebenso wenig liegt eine die Zulassung der Revision rechtfertigende Divergenz darin, dass nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts eine schwierige, aber nunmehr vollständig überwundene Lebensphase bei der Bemessung der Disziplinarmaßnahme mildernd berücksichtigt werden könne, während das Berufungsgericht diesen Milderungsgrund nicht geprüft habe. Eine Divergenz liegt nicht schon dann vor, wenn das Berufungsgericht einen vom Bundesverwaltungsgericht aufgestellten abstrakten Rechtssatz unrichtig oder gar nicht anwendet, sondern nur dann, wenn es sich hierzu in Widerspruch setzt. Dafür lässt sich dem Beschwerdevorbringen nichts entnehmen.