Entscheidungsdatum: 20.12.2016
Die allein auf Verfahrensmängel (§ 67 Satz 1 LDG NW und § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) gestützte Beschwerde des Beklagten ist unbegründet.
1. Der 1957 geborene Beklagte steht als Stadthauptsekretär im Dienst der Klägerin. Der seit 2010 schwerbehinderte Beklagte erlitt 2009 einen Schlaganfall. In der Zeit von März 2002 bis Dezember 2010 nahm er im Rahmen seiner Verwaltungstätigkeit im Sprengstoffwesen in 180 Fällen Gebühren in Höhe von insgesamt 12 859,90 € entgegen. Die Gelder leitete er nicht an die Barkasse der Klägerin weiter, sondern verwendete sie für eigene Zwecke.
Im strafgerichtlichen Verfahren verwarnte das Amtsgericht den Beklagten im Mai 2011 mit rechtskräftig gewordenem Strafbefehl wegen Untreue in 110 Fällen im Zeitraum von Februar 2006 bis Februar 2010 und behielt sich die Verurteilung zu einer Gesamtgeldstrafe vor. Im August 2011 erhob die Klägerin nach Beteiligung von Personalrat und Schwerbehindertenvertretung Disziplinarklage mit dem Antrag, den Beklagten wegen Zugriffsdelikts und der Verletzung elementarer Grundsätze des Kassen-, Rechnungs- und Haushaltswesens aus dem Beamtenverhältnis zu entfernen. Das Verwaltungsgericht hat den Beklagten aus dem Beamtenverhältnis entfernt. Die dagegen erhobene Berufung hat das Oberverwaltungsgericht - nach Einholung eines schriftlichen psychiatrischen Gutachtens und ergänzender Anhörung der Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung - zurückgewiesen. Zur Begründung hat das Berufungsgericht im Wesentlichen ausgeführt:
Der Beklagte habe schuldhaft gegen die Pflicht zur uneigennützigen Amtswahrnehmung sowie die Pflicht zu achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten verstoßen, indem er die entgegengenommenen Gebühren nicht an die Barkasse der Klägerin weitergeleitet, sondern für eigene Zwecke behalten habe. Bei einer Gesamtwürdigung sämtlicher zu berücksichtigenden Umstände sei der Beklagte aus dem Beamtenverhältnis zu entfernen, weil er durch das Dienstvergehen das Vertrauen des Dienstherrn und der Allgemeinheit endgültig verloren habe. Milderungsgründe, die regelmäßig zu einem Absehen von den Höchstmaßnahmen führten, lägen nicht vor. Dem Ausspruch der Höchstmaßnahme stehe insbesondere keine erheblich verminderte Schuldfähigkeit entgegen. Die von der psychiatrischen Sachverständigen diagnostizierte mittelgradige bis schwere Depression bestehe erst seit dem Jahr 2011 und sei daher für die Beurteilung der Schuldfähigkeit des Beklagten zur Zeit des Dienstvergehens unerheblich. Auch hinsichtlich der bei ihm mindestens seit den späten 1990er Jahren bestehenden Alkoholabhängigkeit und der Bewertung des vom Beklagten im Jahr 2009 erlittenen bihemisphärischen Kleinhirninfarkts sei den Feststellungen der Sachverständigen zu folgen. Die Steuerungsfähigkeit des Beklagten sei nicht erheblich vermindert gewesen.
Auch sonstige anerkannte Milderungsgründe, die nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts regelmäßig zur Herabsetzung der indizierten Maßnahme führten, seien nicht gegeben. Die Klägerin habe ihre Aufsichtspflicht nicht verletzt. Beim Umgang mit dienstlich anvertrauten Geldern sei eine ständige und lückenlose Kontrolle jedes Mitarbeiters nicht möglich. Die Diensttätigkeit des Beklagten sei unbeanstandet geblieben, Hinweise auf Unregelmäßigkeiten im Zusammenhang mit Gebührenerhebungen seien nicht erkennbar gewesen. Die Dienstausübung des Beklagten sei in jeder Hinsicht unauffällig geblieben. Der Dienstherr habe der Pflichterfüllung durch den Beklagten zwar augenscheinlich vorbehaltlos vertraut; darin sei aber noch keine für die Maßnahmebemessung erhebliche Aufsichtspflichtverletzung zu sehen.
2. Der vom Beklagten mit der Beschwerde geltend gemachte Verfahrensmangel (§ 67 Satz 1 LDG NW und § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) liegt nicht vor.
a) Es besteht kein Verfahrensfehler in Form einer Verletzung des Überzeugungsgrundsatzes. Das Berufungsgericht ist hinsichtlich der Alkoholabhängigkeit des Beklagten nicht von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen, weil es in tatsächlicher Hinsicht keinen Schluss gezogen hat, der schlechterdings nicht gezogen werden kann.
Gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Die Sachverhalts- und Beweiswürdigung einer Tatsacheninstanz ist der Beurteilung des Revisionsgerichts nur insoweit unterstellt, als es um Verfahrensfehler im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO geht. Rügefähig ist damit nicht das Ergebnis der Beweiswürdigung, sondern nur ein Verfahrensvorgang auf dem Weg dorthin. Derartige Mängel liegen insbesondere vor, wenn das angegriffene Urteil von einem falschen oder unvollständigen Sachverhalt ausgeht, also etwa entscheidungserheblichen Akteninhalt übergeht oder auf einer aktenwidrigen Tatsachengrundlage basiert (BVerwG, Beschlüsse vom 13. Februar 2012 - 9 B 77.11 - Buchholz 310 § 108 Abs. 1 VwGO Nr. 73 Rn. 7, vom 21. Mai 2013 - 2 B 67.12 - juris Rn. 18 und vom 23. Dezember 2015 - 2 B 40.14 - juris Rn. 53 m.w.N.). Das Gericht darf nicht in der Weise verfahren, dass es einzelne erhebliche Tatsachenfeststellungen oder Beweisergebnisse nicht in die rechtliche Würdigung einbezieht, insbesondere Umstände übergeht, deren Entscheidungserheblichkeit sich ihm hätte aufdrängen müssen. In solchen Fällen fehlt es an einer tragfähigen Tatsachengrundlage für die innere Überzeugungsbildung des Gerichts, auch wenn die darauf basierende rechtliche Würdigung als solche nicht zu beanstanden ist (BVerwG, Urteile vom 2. Februar 1984 - 6 C 134.81 - BVerwGE 68, 338 <339> und vom 5. Juli 1994 - 9 C 158.94 - BVerwGE 96, 200 <208 f.>; Beschlüsse vom 18. November 2008 - 2 B 63.08 - Buchholz 235.1 § 17 BDG Nr. 1 Rn. 27, vom 31. Oktober 2012 - 2 B 33.12 - NVwZ-RR 2013, 115 Rn. 12 und vom 20. Dezember 2013 - 2 B 35.13 - Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 21 Rn. 19).
Das Ergebnis der gerichtlichen Beweiswürdigung selbst ist vom Revisionsgericht nur daraufhin nachzuprüfen, ob es gegen Logik (Denkgesetze) und Naturgesetze verstößt oder gedankliche Brüche und Widersprüche enthält (stRspr, vgl. BVerwG, Urteil vom 3. Mai 2007 - 2 C 30.05 - Buchholz 310 § 108 Abs. 1 VwGO Nr. 50 Rn. 16 sowie Beschluss vom 23. September 2013 - 2 B 51.13 - juris Rn. 19).
Einen derartigen Verfahrensmangel zeigt die Beschwerde nicht auf. Soweit die Beschwerde geltend macht, es widerspreche "allgemeinen Erfahrungssätzen, das dem Dienstherrn ein regelmäßiger durchgehender jahrelanger Konsum von acht Flaschen Bier während der Arbeitszeit verborgen" bleibe, genügt dieses Vorbringen bereits nicht den Anforderungen für die Darlegung eines Verstoßes gegen die Pflicht des Berufungsgerichts zur verfahrensfehlerfreien Überzeugungsbildung (§ 133 Abs. 3 Satz 1 und Satz 3 VwGO). Die Beschwerde begnügt sich vielmehr damit, zu behaupten, das Berufungsgericht habe einen allgemeinen Erfahrungssatz verletzt. An der erforderlichen am konkreten Verfahrensgang orientierten Auseinandersetzung mit der in den Urteilsgründen anschaulich auf der Grundlage sachverständiger Beweiserhebung diskutierten Folgen der seit den 1990er Jahren bestehenden Alkoholabhängigkeit des Beklagten - keine bemerkbaren Auswirkungen im Beruf, bis 2009 keine wesentlichen gesundheitlichen Probleme, Einschätzung des Beklagten, er sei am Ende seines täglichen Dienstes nicht volltrunken gewesen, keine Offenbarung der Alkoholabhängigkeit gegenüber dem Dienstherrn - fehlt es indes.
Des Weiteren und vor allem aber ist zu beachten, dass selbst dem Dienstherrn bekannt gewordene Anzeichen für eine Alkoholabhängigkeit eines Beamten nicht den Verdacht künftiger Dienstpflichtverletzungen durch die Veruntreuung oder Unterschlagung dienstlich anvertrauter Gelder nach sich zieht. Nur ein solcher Verdacht könnte aber ein Anhaltspunkt für die Annahme sein, es sei schuldmildernd zu berücksichtigen, dass der Dienstherr seine Dienstaufsicht nur unzureichend wahrgenommen habe. Dadurch unterscheidet sich der vorliegende Fall erheblich von dem in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts anerkannten Fall, wonach eine Vernachlässigung der Aufsichtspflicht unter dem Gesichtspunkt der Verletzung der Fürsorgepflicht oder des "Mitverschuldens" als Mitursache einer dienstlichen Verfehlung bei der Bemessung der Disziplinarmaßnahme berücksichtigt werden kann, wenn konkrete Anhaltspunkte für besondere Umstände vorliegen, die ausreichende Kontrollmaßnahmen unerlässlich machten, solche aber pflichtwidrig unterblieben (BVerwG, Urteil vom 10. Januar 2007 - 1 D 15.05 - Buchholz 235.1 § 85 BDG Nr. 14 Rn. 17, 22 und Beschluss vom 11. Juli 2014 - 2 B 70.13 - Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 25 Rn. 9). Denn Anhaltspunkte für eine Alkoholabhängigkeit des Beklagten waren angesichts der nicht beanstandeten Dienstausübung keinesfalls so schwerwiegend, dass sich entsprechende Kontrollmaßnahmen aufdrängten.
Im Übrigen setzt die Beschwerde mit ihrem Vortrag zur Erkennbarkeit der langjährigen Alkoholabhängigkeit des Beklagten nur ihre eigene Beweiswürdigung gegen diejenige des Berufungsgerichts. Das Berufungsgericht stützt sein im Rahmen freier Beweiswürdigung nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO gefundenes Ergebnis auf die gutachtlichen Feststellungen der von ihm bestellten psychiatrischen Sachverständigen und deren ergänzende Ausführungen in der mündlichen Verhandlung (Bl. 17 Urteilsumdruck). Darin führt die Sachverständige unter anderem aus, dass es gerade bei chronisch Alkoholabhängigen - wie dem Beklagten - verbreitet zu beobachten ist, dass die Funktionsfähigkeit über Jahre hinweg erhalten bleibt und die Betroffenen auch differenzierten Aufgabenstellungen über Jahre hinweg gerecht werden können (S. 12 des Protokolls der Berufungsverhandlung). Auf der Grundlage dieser von der Beschwerde nicht erschütterten tatrichterlichen Würdigung des Berufungsgerichts kann ein vom Beamten nicht offenbartes Alkoholleiden weder aufgrund der Dienstaufsicht noch infolge der Fürsorge weitergehende Pflichten des Dienstherrn - etwa zu besonderen Kontrollmaßnahmen oder zur Beratung zu einer Alkoholentziehungstherapie - begründen.
b) Soweit der Beklagte vorträgt, im Rahmen der Würdigung aller Gesamtumstände für die Bemessung der Disziplinarmaßnahme habe das Berufungsgericht den Gesichtspunkt unzureichender Dienstaufsicht als zu seinen Gunsten durchgreifenden Entlastungsgrund nicht hinreichend gewürdigt, wendet er sich gegen die Richtigkeit der Bemessungsentscheidung nach § 13 Abs. 2 und Abs. 3 LDG NW im konkreten Einzelfall. Etwaige Fehler in der Sachverhalts- und Beweiswürdigung sind aber revisionsrechtlich regelmäßig nicht dem Verfahrensrecht, sondern dem materiellen Recht zuzuordnen und können deswegen einen Verfahrensmangel im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO nicht begründen (vgl. z.B. BVerwG, Beschlüsse vom 2. November 1995 - 9 B 710.94 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 266 S. 19, vom 26. Januar 2006 - 9 B 22.05 - juris Rn. 7 und vom 27. März 2013 - 6 B 50.12 - NVwZ-RR 2013, 491 Rn. 5). Eine Fallgestaltung, die eine abweichende Beurteilung zulassen würde (vgl. dazu etwa BVerwG, Urteil vom 5. Juli 1994 - 9 C 158.94 - BVerwGE 96, 200 <209>), wird von der Beschwerde nicht dargelegt. Die Kritik an der Sachverhalts- und Beweiswürdigung des Berufungsgerichts lässt nicht erkennen, dass diejenigen Tatsachenfeststellungen, die für das angefochtene Urteil tragend geworden sind, die Grenzen einer objektiv willkürfreien, die Natur- und Denkgesetze sowie allgemeine Erfahrungssätze beachtenden Würdigung überschreiten.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 74 Abs. 1 LDG NW und § 154 Abs. 2 VwGO. Einer Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren bedarf es nicht, weil für das Verfahren Gebühren nach dem Gebührenverzeichnis der Anlage zu § 75 LDG NW erhoben werden.