Entscheidungsdatum: 25.02.2016
Die auf den Zulassungsgrund des Verfahrensfehlers (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) gestützte Nichtzulassungsbeschwerde hat keinen Erfolg.
Die 1972 geborene Beklagte stand zuletzt als Amtsmeisterin (Besoldungsgruppe A 4) im Dienst des klagenden Landes. Seit 1993 war sie immer wieder länger erkrankt. 2005 wurde bei ihr Multiple Sklerose diagnostiziert. Seit August 2009 war sie dauerhaft dienstunfähig erkrankt und wurde mit Ablauf des Monats April 2010 wegen Dienstunfähigkeit in den Ruhestand versetzt.
Im Juli 2010 wurde die Beklagte durch rechtskräftig gewordenes amtsgerichtliches Urteil wegen Betruges in neun Fällen, davon in zwei Fällen im Versuch, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von elf Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Nach den Feststellungen des Amtsgerichts hatte die Beklagte von August 2006 bis Juni 2008 in neun Fällen zum Teil mehrere Rezepte - jeweils mit einem Bestätigungsvermerk einer Apothekerin - für ein Medikament, das ihr von verschiedenen Ärzten verordnet worden war, ihrer Beihilfestelle und ihrer Krankenversicherung zur Erstattung vorgelegt, obwohl sie jeweils das Medikament nicht erhalten und den Kaufpreis nicht gezahlt hatte. Die Beihilfestelle forderte von der Beklagten den Betrag von 6 668 € zurück und schloss mit ihr eine Ratenzahlungsvereinbarung ab. Eine entsprechende Ratenzahlungsvereinbarung besteht mit der Krankenversicherung.
Auf die Disziplinarklage des Klägers hat das Verwaltungsgericht der Beklagten das Ruhegehalt aberkannt. Die Berufung der Beklagten ist erfolglos geblieben. Das Oberverwaltungsgericht hat die amtsgerichtlichen Feststellungen als bindend zugrunde gelegt, zumal die Beklagte die ihr vorgeworfenen Tathandlungen - zuletzt in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat - ausdrücklich eingeräumt habe. Auch hinsichtlich des Vorsatzes und der Schuld seien die Feststellungen des Strafgerichts bindend. Bei der Maßnahmebemessung sei angesichts der Schwere des Dienstvergehens unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls die Aberkennung des Ruhegehalts erforderlich. Die Schwere des Dienstvergehens ergebe sich hier aus der Höhe des Gesamtschadens sowie Anzahl und Dauer der betrügerischen Handlungen. Hinreichend gewichtige Milderungsgründe gebe es nicht. Es habe weder eine persönlichkeitsfremde Augenblickstat noch eine schockartig ausgelöste psychische Ausnahmesituation noch eine unverschuldet entstandene, ausweglose wirtschaftliche Notlage noch eine negative Lebensphase vorgelegen. Es fehle auch an greifbaren Anhaltspunkten für eine erheblich verminderte Schuldfähigkeit im Zeitraum der Tatbegehung.
Die mit der Beschwerde geltend gemachten Verfahrensfehler liegen nicht vor.
1. Soweit die Beschwerde geltend macht, das Berufungsurteil treffe keine hinreichenden Feststellungen zur Schuld der Beklagten, ziehe sich auf die Bindungswirkung des strafgerichtlichen Urteils zurück, treffe lediglich ergänzend abstrakte Feststellungen und stelle - unzureichende und nicht überzeugende - Plausibilitätsüberlegungen an, ist damit ein Verfahrensfehler nicht aufgezeigt.
Nach § 41 Disziplinargesetz des Landes Berlin (DiszG Be) vom 29. Juni 2004 (GVBl. S. 263) i.V.m. § 57 Abs. 1 Satz 1 BDG sind die tatsächlichen Feststellungen eines rechtskräftigen Urteils im Strafverfahren im Disziplinarverfahren, das denselben Sachverhalt zum Gegenstand hat, für das Verwaltungsgericht bindend. Diese Bindungswirkung soll verhindern, dass zu ein- und demselben Sachverhalt unterschiedliche Tatsachenfeststellungen getroffen werden. Der Gesetzgeber hat sich dafür entschieden, die Aufklärung eines sowohl strafrechtlich als auch disziplinarrechtlich bedeutsamen Sachverhalts sowie die Sachverhalts- und Beweiswürdigung primär den Strafgerichten zu überlassen. Dem liegt die Annahme zugrunde, dass tatsächliche Feststellungen, die ein Gericht auf der Grundlage eines Strafprozesses mit seinen besonderen rechtsstaatlichen Sicherungen trifft, eine erhöhte Gewähr der Richtigkeit bieten. Daher haben die Verwaltungsgerichte die tatsächlichen Feststellungen eines rechtskräftigen Strafurteils ihrer Entscheidung ungeprüft zugrunde zu legen, soweit die Bindungswirkung reicht. Sie sind insoweit weder berechtigt noch verpflichtet, eigene Feststellungen zu treffen. Die Bindungswirkung entfällt nur, wenn die strafgerichtlichen Feststellungen offenkundig unrichtig sind (stRspr, vgl. nur BVerwG, Urteil vom 28. Februar 2013 - 2 C 3.12 - BVerwGE 146, 98 Rn. 13).
Die Reichweite der gesetzlich angeordneten Bindungswirkung ergibt sich aus deren tragendem Grund: Die erhöhte Richtigkeitsgewähr der Ergebnisse des Strafprozesses kann nur für diejenigen tatsächlichen Feststellungen eines rechtskräftigen Strafurteils angenommen werden, die sich auf die Tatbestandsmerkmale der gesetzlichen Strafnorm beziehen. Die Feststellungen müssen entscheidungserheblich für die Beantwortung der Frage sein, ob der objektive und subjektive Straftatbestand erfüllt ist. Im Falle einer Verurteilung müssen sie diese tragen. Dagegen binden Feststellungen nicht, auf die es für die Verurteilung nicht ankommt (BVerwG, Urteile vom 8. April 1986 - 1 D 145.85 - BVerwGE 83, 180 und vom 29. Mai 2008 - 2 C 59.07 - juris Rn. 29; Beschlüsse vom 1. März 2012 - 2 B 120.11 - IÖD 2012, 127 <129> und vom 9. Oktober 2014 - 2 B 60.14 - Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 26 Rn. 11).
Dementsprechend umfasst die Bindungswirkung strafgerichtlicher Urteile auch die Feststellung, dass der Beamte vorsätzlich und schuldhaft gehandelt hat. Dies folgt aus der Tatsache der Verurteilung, die eine strafrechtliche Verantwortlichkeit des Betroffenen voraussetzt (BVerwG, Urteil vom 16. Juni 1992 - 1 D 11.91 - BVerwGE 93, 255, 261 m.w.N.).
Somit ist es rechtsfehlerfrei, dass das Berufungsgericht auch hinsichtlich Vorsatz und Schuld der Betrugshandlungen der Beklagten auf die Feststellungen des Strafurteils abgestellt hat. Es ist auch nicht erkennbar, dass diese Feststellungen als Entscheidungsgrundlage für das Disziplinarklageverfahren unzureichend wären. Dass das Berufungsgericht darüber hinaus eine Prüfung der Glaubhaftigkeit früheren und aktuellen Vortrags der Beklagten zu einer fehlenden Täuschungsabsicht vorgenommen hat, hat seine Ursache darin, dass nach § 41 DiszG Be i.V.m. § 57 Abs. 1 Satz 2 BDG die erneute Prüfung solcher Feststellungen zu beschließen ist, die offenkundig unrichtig sind. Unabhängig davon, ob es überhaupt hinreichende Anhaltspunkte für eine solche Prüfung gab, würde eine Verletzung dieser Pflicht jedenfalls die Beklagte nicht beschweren. Dass das Berufungsgericht im Ergebnis diese Feststellungen nicht als offensichtlich unrichtig, sondern als zutreffend beurteilt hat, obliegt seiner Beweiswürdigung. Die Beschwerde hält das Ergebnis dieser Beweiswürdigung für fehlerhaft, zeigt aber keinen Verfahrensfehler bei der Beweiswürdigung auf.
2. Soweit die Beklagte einen Aufklärungsmangel (§ 86 Abs. 1 VwGO, § 58 Abs. 1 und § 65 Abs. 1 BDG, § 41 DiszG Be) und einen Verstoß gegen den Überzeugungsgrundsatz (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO, § 58 Abs. 1 und § 65 Abs. 1 BDG, § 41 DiszG Be) rügt, kann sie damit nicht durchdringen. Sie hält es für rechtsfehlerhaft, dass das Berufungsgericht - ohne sie, die Beklagte, dazu zu befragen - es als nicht nachvollziehbar angesehen habe, weshalb sie erstmals in der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht vorgebracht habe, dass ihr damaliger Lebensgefährte zweimal zuvor schon Geldbeträge in Höhe von jeweils 1 300 € entwendet habe.
Auch insoweit besteht die vom Berufungsgericht angenommene Bindungswirkung an die Feststellungen des Strafgerichts hinsichtlich der vorsätzlichen Begehung der Dienstpflichtverletzung. Für eine offenkundige Unrichtigkeit dieser Feststellungen und damit für eine Lösung von diesen Feststellungen gibt dieser Vortrag nichts her. Gleiches gilt, soweit die Beklagte als Aufklärungsmangel und als Verstoß gegen den Überzeugungsgrundsatz rügt, das Berufungsgericht qualifiziere den neuen Vortrag als gesteigert, ohne die neuen Umstände zu benennen und ohne den neuen Vortrag hinterfragt zu haben. Auch hier besteht die vom Berufungsgericht angenommene Bindungswirkung an die Feststellungen des Strafgerichts hinsichtlich der vorsätzlichen Begehung der Dienstpflichtverletzung und gibt der Vortrag nichts für eine offenkundige Unrichtigkeit dieser Feststellungen und damit für eine Lösung von diesen Feststellungen her.
3. Schließlich greift auch die Rüge mangelnder Aufklärung und der Verletzung des Überzeugungsgrundsatzes auch insoweit nicht durch, als die Beklagte rügt, dass das Berufungsgericht im Rahmen seiner Bemessungsentscheidung bei der Prüfung des Milderungsgrundes der negativen Lebensphase ohne weitere Aufklärung davon ausgegangen sei, dass der Umstand der nicht erfolgten ärztlichen Behandlung im Zeitraum der Betrugshandlungen ein Indiz für die fehlende Behandlungsbedürftigkeit in diesem Zeitraum sei.
Unabhängig davon, inwieweit die Frage der Behandlungsbedürftigkeit für das Vorliegen des Milderungsgrundes der negativen Lebensphase überhaupt von Bedeutung ist (vgl. zum mildernden Umstand der negativen Lebensphase BVerwG, Urteil vom 28. Februar 2013 - 2 C 3.12 - BVerwGE 146, 98 Rn. 40 f.; Beschluss vom 20. Dezember 2013 - BVerwG 2 B 35.13 - NVwZ-RR 2014, 314 Rn. 29), hätte es hier der anwaltlich vertretenen Beklagten, wenn sie von ihrer Behandlungsbedürftigkeit im Tatzeitraum ausging, oblegen, dies vor dem Berufungsgericht substanziiert vorzutragen und einen dahingehenden Beweisantrag zu stellen. Ausweislich der Niederschrift zur mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht hat die Vorsitzende des Senats darauf hingewiesen, dass bei der Bemessungsentscheidung sämtliche entlastenden Umstände zu würdigen seien, es aber auch Sache der Beklagten sei, entsprechende tatsächliche Umstände vorzutragen. Es ist nicht Aufgabe des Revisionsverfahrens, Gelegenheit für die Korrektur solcher Versäumnisse in der Tatsacheninstanz zu geben (stRspr, vgl. nur BVerwG, Beschluss vom 5. Mai 2015 - 2 B 32.14 - NVwZ-RR 2015, 622 Rn. 19). Angesichts des Fehlens entsprechenden Vortrags und ggf. eines hierauf bezogenen Beweisantrages sowie der fehlenden Bezogenheit der vorgelegten ärztlichen Bescheinigung auf den Tatzeitraum musste sich dem Berufungsgericht eine weitere Sachverhaltsermittlung nicht von sich aus aufdrängen.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 41 DiszG Be, § 77 Abs. 1 BDG i.V.m. § 154 Abs. 2 VwGO.
Ein Streitwert für das Beschwerdeverfahren muss nicht festgesetzt werden, weil sich die Höhe der Gerichtskosten streitwertunabhängig aus dem Gesetz ergibt (vgl. § 41 DiszG Be, § 78 Satz 1 BDG i.V.m. Nr. 11 und 62 des als Anlage zu diesem Gesetz erlassenen Gebührenverzeichnisses).