Entscheidungsdatum: 25.11.2010
Die Revision des beklagten Landes gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 3. November 2009 - 13 Sa 1497/08 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer vom beklagten Land ausgesprochenen außerordentlichen Kündigung.
Der Kläger trat im Jahre 1978 in die Dienste des beklagten Landes. Er war zuletzt als stellvertretender Leiter des Hochschulrechenzentrums der Universität O beschäftigt und für Haushalt und Finanzen zuständig.
Ab 1986 mussten die Benutzer des Computersaals im Rechenzentrum Codekarten verwenden, für die eine Kaution zu hinterlegen war. Die Kautionsgelder kamen in eine Handkasse, die in einem Tresor verwahrt wurde. Aufzeichnungen über Kassenbewegungen wurden im Wesentlichen nicht geführt.
Als die Ausgabe der Codekarten im Jahre 1998 beendet wurde, stellten zwei Angestellte des Rechenzentrums einen Kassenbestand von 28.430,00 DM fest. Dieser Betrag reichte zur Erstattung der Kautionen für zurückgegebene Codekarten nur bis zum 24. Juli 2000. Die Kautionen für die danach eingereichten Karten im Umfang von etwa 3.500,00 Euro mussten anderweitig aufgebracht werden.
In diesem Zusammenhang entstand der Verdacht, dass die Codekartenkasse einen beträchtlichen Fehlbestand aufweise. Am 26. Juni 2000 stellte die Universität Strafantrag. Bei hausinternen Ermittlungen legte der Kläger am 14. Juli 2000 in einem Gedächtnisprotokoll dar, im Jahre 1996 sei wegen des anwachsenden Bargeldbestands die Möglichkeit erörtert worden, das Geld zugunsten anderer Universitätskassen einzuzahlen und zB im Bereich Hochschulsport zu „parken“. Er habe das mit dem Leiter der Datenverarbeitung besprochen. Noch 1996 habe er zusammen mit einem Angestellten das Geld in der Codekartenhauptkasse gezählt. Dann seien 29.000,00 DM entnommen worden. Der Angestellte habe den Vorgang handschriftlich vermerkt, und er, der Kläger, habe gegengezeichnet. Das entnommene Bargeld sei von einer Mitarbeiterin an den Leiter der Datenverarbeitung zwecks Einzahlung und weiterer Veranlassung gegen Quittung weitergegeben worden. Von dem entnommenen Geld seien letztlich 14.000,00 DM im Etat des Hochschulsports „geparkt“ worden, 15.000,00 DM seien einer Finanzstelle des Rechenzentrums gutgeschrieben worden. Im weiteren Verlauf der internen Nachforschungen bestritten die Mitarbeiterin und der Leiter, Geld zur Weiterleitung bzw. Einzahlung aus der Codekartenkasse erhalten zu haben.
Nach Verurteilung des Klägers wegen Unterschlagung durch das Amtsgericht am 16. Mai 2003 hörte das beklagte Land den Personalrat mit Schreiben vom 19. Mai 2003 - bei Verkürzung der Frist zur Stellungnahme auf drei Tage - zur beabsichtigten außerordentlichen Kündigung an. Am 21. Mai 2003 erklärte der Personalrat, er nehme die außerordentliche Kündigung unter Beachtung der Begründung zur Kenntnis. Mit Schreiben vom 23. Mai 2003, das dem Kläger am selben Tage zuging, kündigte das beklagte Land außerordentlich.
Der Kläger hat die Unwirksamkeit der Kündigung geltend gemacht. Der Personalrat sei nicht ordnungsgemäß beteiligt worden. Das beklagte Land habe die im Gesetz vorgesehene Frist zur Stellungnahme für den Personalrat ohne ausreichende Gründe abgekürzt. Die Stellungnahme sei nicht ordnungsgemäß abgegeben, weil ein Angestelltenvertreter nicht mitunterzeichnet habe. Die Kündigungsvorwürfe hat der Kläger bestritten.
Der Kläger hat, soweit noch von Interesse, beantragt
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festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 23. Mai 2003 nicht aufgelöst wurde, sondern darüber hinaus fortbesteht. |
Das beklagte Land hat beantragt, die Klage abzuweisen. Die Kündigung sei wirksam. Die Beteiligung des Personalrats habe dem Gesetz entsprochen. Es bestehe der dringende Verdacht der Unterschlagung von 29.000,00 DM, zumal die Zeugen die Behauptungen des Klägers zum Zählen und „Parken“ der Gelder nicht bestätigt hätten. Dokumente, die ein solches Unterfangen belegen könnten, seien nicht gefunden worden. Insbesondere seien entsprechende Einzahlungen auf Konten der Universität nicht erfolgt.
Das Arbeitsgericht hatte die Aussetzung des Rechtsstreits für die Dauer des - letztlich am 11. Dezember 2007 gemäß § 153 Abs. 2 StPO eingestellten - Strafverfahrens angeordnet. Im Einstellungsbeschluss des Landgerichts O heißt es ua. ein konkreter Fehlbestand habe durch Beweisaufnahme nicht festgestellt werden können und in Anbetracht der geleisteten Rückzahlungen sei die Schuld gering gewesen.
Das Arbeitsgericht hat die Klage mit Urteil vom 23. Mai 2008 abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat nach Klageantrag erkannt. Mit der Revision verfolgt das beklagte Land seinen Antrag auf Klageabweisung weiter.
Die Revision ist unbegründet. Die Kündigung vom 23. Mai 2003 hat das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht beendet. Ob die Wirksamkeit der Kündigung bereits an einer fehlerhaften Beteiligung des Personalrats scheitert, kann offen bleiben (A). Die Kündigung ist nicht durch einen wichtigen Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB gerechtfertigt (B). Der von dem beklagten Land gehegte Verdacht der Unterschlagung ist nicht hinreichend dringend (B II 1). Der vom Landesarbeitsgericht angenommene dringende Verdacht, der Kläger könne das „Parken“ von Geldern vorgetäuscht haben, stellt keinen wichtigen Grund dar (B II 2).
A. Ob die Beteiligung des Personalrats an einem Fehler leidet, der die Unwirksamkeit der Kündigung zur Folge hätte, bedarf keiner Entscheidung. Im Streitfall hat das beklagte Land die Frist zur Stellungnahme des Personalrats auf drei Tage abgekürzt, weil ein „dringender Fall“ iSd. § 76 Abs. 2 Satz 2 NPersVG vorgelegen habe. Ob die gesetzlichen Voraussetzungen eines dringenden Falles gegeben waren und das beklagte Land die Frist zurecht abgekürzt hat, kann dahin stehen. Zum einen führen Verfahrensfehler des Arbeitgebers bei der Beteiligung des Personalrats nicht zwangsläufig zur Unwirksamkeit der Kündigung. So ist etwa die Einleitung des Anhörungsverfahrens durch eine andere als die im Gesetz dafür vorgesehene Person auf Seiten des Arbeitgebers dann unschädlich, wenn der Personalrat diesen Mangel nicht rügt (Senat 26. Oktober 1995 - 2 AZR 743/94 - AP BPersVG § 79 Nr. 8; 13. Juni 1996 - 2 AZR 402/95 - AP LPVG Sachsen-Anhalt § 67 Nr. 1). In gleicher Weise hat das Bundesverwaltungsgericht eine Rüge des Personalrats für den Fall gefordert, dass er die Fristverkürzung nach § 69 Abs. 2 Satz 4 LPVG BW nicht gelten lassen will (BVerwG 15. November 1995 - 6 P 4/94 - zu II 2 der Gründe, ZfPR 1996, 88). Ob auch eine zu Unrecht erfolgte Abkürzung der Frist nach § 76 Abs. 2 Satz 2 NPersVG gerügt werden müsste, kann im Streitfall auf sich beruhen. Zum Anderen nämlich entbehrt die Kündigung bereits in der Sache der Rechtfertigung.
B. Die außerordentliche Kündigung hat das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht beendet. Sie ist unwirksam, weil sie nicht durch einen wichtigen Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB gerechtfertigt ist.
I. Nach § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund außerordentlich gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht zugemutet werden kann.
1. Auch der Verdacht einer schwerwiegenden Pflichtverletzung kann einen wichtigen Grund bilden. Ein solcher Verdacht stellt gegenüber dem Vorwurf, der Arbeitnehmer habe die Tat begangen, einen eigenständigen Kündigungsgrund dar. Eine Verdachtskündigung kann gerechtfertigt sein, wenn sich starke Verdachtsmomente auf objektive Tatsachen gründen, die Verdachtsmomente geeignet sind, das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen zu zerstören, und der Arbeitgeber alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts unternommen, insbesondere dem Arbeitnehmer Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hat (st. Rspr., vgl. Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 474/07 - Rn. 51, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 47 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 8). Der Verdacht muss auf konkrete Tatsachen gestützt sein. Er muss sich aus Umständen ergeben, die so beschaffen sind, dass sie einen verständigen und gerecht abwägenden Arbeitgeber zum Ausspruch der Kündigung veranlassen können. Der Verdacht muss dringend sein. Es muss eine große Wahrscheinlichkeit dafür bestehen, dass er zutrifft (vgl. Senat 12. Mai 2010 - 2 AZR 587/08 - Rn. 27).
2. Für die kündigungsrechtliche Beurteilung der Pflichtverletzung, auf die sich der Verdacht bezieht, ist ihre strafrechtliche Bewertung nicht maßgebend. Entscheidend ist der Verstoß gegen vertragliche Haupt- oder Nebenpflichten und der mit ihm verbundene Vertrauensbruch (Senat 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 30; 19. April 2007 - 2 AZR 78/06 - Rn. 28, AP BGB § 611 Direktionsrecht Nr. 77 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 8; Preis AuR 2010, 242 f.). Auch der Verdacht einer nicht strafbaren, gleichwohl erheblichen Verletzung der sich aus dem Arbeitsverhältnis ergebenden Pflichten kann ein wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB sein. Deshalb besteht regelmäßig keine Rechtfertigung für die Aussetzung eines Kündigungsschutzprozesses bis zur rechtskräftigen Erledigung eines Strafverfahrens, in dem der Kündigungsvorwurf unter dem Gesichtspunkt des Strafrechts geprüft wird - zumal die Aussetzung, wie im Streitfall, zu einer bedenklichen, für die Parteien mit erheblichen wirtschaftlichen Risiken verbundenen Verzögerung des Kündigungsschutzprozesses führen kann.
II. Gemessen an diesen Grundsätzen ist ein wichtiger Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB nicht gegeben.
1. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, dass ein dringender Verdacht der Veruntreuung von 29.000,00 DM gegen den Kläger nicht besteht. Diese Würdigung ist revisionsrechtlich unbedenklich. Richtig ist, dass der Kläger nach seiner eigenen Einlassung im Jahre 1996 der Kasse 29.000,00 DM entnommen und in anderen Kassen der Universität „geparkt“ haben will, ohne dass der Verbleib des Geldes geklärt wäre. Das Landesarbeitsgericht hat jedoch für den Senat bindend festgestellt, dass nach Ausschöpfung des Barbestands in der Kautionskasse im Juli 2000 noch Codekarten im Wert von 3.576,31 € eingetauscht wurden. In dieser Höhe ist ein Defizit nachweisbar. Das Defizit müsste jedoch, wenn der Kläger den Betrag von 29.000,00 DM unterschlagen hätte, wesentlich höher sein. Der Fehlbetrag deckt sich nicht einmal annähernd mit der Geldsumme, die der Kläger „geparkt“ haben will. Auch von irgendeinem anderen Betrag ist nicht erkennbar, dass und wann der Kläger ihn auf die Seite gebracht haben könnte. Dass der Kläger etwa - wenn auch nur zeitweise - alleinigen Zugang zur Barkasse gehabt hätte und bei dieser Gelegenheit der Kasse Geld in annähernder Höhe des entstandenen Defizits entnommen haben könnte, ist nicht einmal angedeutet. Bei dieser Lage bestehen zwar erhebliche Zweifel daran, dass der Kläger seiner vertraglich übernommenen Verantwortung gerecht geworden ist. Es ist auch nachvollziehbar, dass sich ein Arbeitnehmer, in dessen Verantwortungsbereich Gelder in vierstelliger Höhe auf ungeklärte Weise verschwinden, berechtigtem Argwohn ausgesetzt sieht. Ein solcher Argwohn kann jedoch nicht die objektiven Indizien ersetzen, auf die sich ein dringender Verdacht stützen können müsste, wenn er einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung bilden soll.
2. Die Annahme des Landesarbeitsgerichts, der gegen den Kläger bestehende dringende Verdacht, er habe das „Parken“ des Betrages von 29.000,00 DM vorgetäuscht, rechtfertige als wichtiger Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB die außerordentliche Kündigung, ist nicht berechtigt. Richtig ist, dass die vom Kläger aufgestellte Behauptung, er habe im Jahre 1996 im Zusammenwirken mit zwei Arbeitnehmern der Kasse 29.000,00 DM entnommen und ihre Weiterleitung an andere Kassen veranlasst, von den betreffenden Arbeitnehmern nicht bestätigt worden ist. Es mag ebenfalls zutreffen, dass der Verdacht, der Kläger habe diesen Umgang mit dem in seinem Zuständigkeitsbereich zu verwaltenden Geld nur vorgetäuscht, dringend war. In diesem Vortäuschen läge auch - wenn es denn stattgefunden hat - die Verletzung einer vertraglichen Pflicht. Der Kläger war für Haushalt und Finanzen zuständig. Dass er in dieser Funktion seinem Arbeitgeber über den Verbleib von Geldern in seinem Verantwortungsbereich jederzeit wahrheitsgemäß Rechenschaft abzulegen hat, steht außer Zweifel. Diese Pflicht bestand auch dann, wenn er glaubte, durch eine falsche Erklärung die aus seiner Sicht offenbar naheliegende, gleichwohl falsche Vermutung entkräften zu können, ihm sei nachlässiger Umgang mit Kautionsgeldern vorzuwerfen oder er habe gar Unterschleife zu verantworten. Indes wäre ein Verstoß gegen diese Pflicht - und damit erst recht der Verdacht eines solchen Verstoßes - nicht geeignet, das Vertrauen des beklagten Landes in die zukünftige Vertragstreue derart zu erschüttern, dass es durch den Ausspruch einer Abmahnung nicht hätte wiederhergestellt werden können. Wenn der Kläger seine Vorgesetzten in die Irre führte, dann kann er es nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts nicht getan haben, um einen vorsätzlichen Angriff auf das Vermögen des Arbeitgebers zu verschleiern, sondern um den Peinlichkeiten der Entdeckung unachtsamer Dienstausübung zu entgehen. Deren Bemäntelung kann regelmäßig keine schärfere Reaktion als sie selbst rechtfertigen.
C. Gem. § 97 Abs. 1 ZPO fallen die Kosten des Revisionsverfahrens dem beklagten Land zur Last.
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