Entscheidungsdatum: 21.03.2013
Ist vor Ausspruch einer Kündigung ein nach § 17 Abs. 2 KSchG erforderliches Konsultationsverfahren nicht durchgeführt worden, ist die Kündigung wegen Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot iSv. § 134 BGB rechtsunwirksam.
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 8. November 2011 - 17 Sa 512/11 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen, betriebsbedingten Kündigung.
Der 1956 geborene Kläger war bei der Beklagten und deren Rechtsvorgängerinnen seit Juli 1976 beschäftigt, zuletzt als Teilezurichter für ein Bruttomonatsentgelt in Höhe von 2.400,00 Euro.
Am 2. August 2010 unterrichtete die Beklagte den für ihren Betrieb gebildeten Betriebsrat darüber, dass das Unternehmen liquidiert und allen verbliebenen 36 Arbeitnehmern gekündigt werden solle. Sie übergab dem Betriebsrat die schriftliche Kündigung ihres einzigen Auftraggebers vom 29. Juli 2010, ein Informationsschreiben vom 2. August 2010 sowie Anhörungsschreiben zu den beabsichtigten Kündigungen - ua. des Arbeitsverhältnisses mit dem Kläger - vom 3. August 2010. Der Betriebsrat widersprach den Kündigungen.
Mit Schreiben vom 20. August 2010 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien zum 31. März 2011.
Dagegen hat der Kläger rechtzeitig die vorliegende Klage erhoben. Er hat die Auffassung vertreten, der Betriebsrat sei vor Ausspruch der Kündigung nicht ordnungsgemäß angehört worden. Die Beklagte habe das erforderliche Konsultationsverfahren nicht eingeleitet. Außerdem sei keine ordnungsgemäße Massenentlassungsanzeige erstattet worden. Dies habe die Unwirksamkeit der Kündigung zur Folge. Im Übrigen verstoße die Kündigung gegen eine Betriebsvereinbarung von März 2010. Nach dieser seien betriebsbedingte Kündigungen bis zum Ablauf der Kurzarbeit ausgeschlossen. Der Kläger hat behauptet, der Betrieb sei nicht stillgelegt, sondern entweder als gemeinsamer Betrieb mit einem Unternehmen in H fortgeführt worden oder sei auf dieses übergegangen. In jedem Fall habe eine Sozialauswahl durchgeführt werden müssen.
Der Kläger hat beantragt
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festzustellen, dass die Kündigung der Beklagten vom 20. August 2010 das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht beendet hat; |
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die Beklagte zu verurteilen, ihn bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzprozesses zu unveränderten Arbeitsbedingungen weiter zu beschäftigen. |
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat behauptet, es sei zunächst beabsichtigt gewesen, den Betrieb nach H zu verlagern. Dazu sei es nicht gekommen, weil sie sämtliche Aufträge verloren habe. Sie habe allen Arbeitnehmern gekündigt. Eine Sozialauswahl habe sie nicht durchführen müssen. Die Produktion sei eingestellt, alle Mitarbeiter seien entlassen, das Anlagevermögen sei veräußert worden. Mit einem am 11. August 2010 bei der Agentur für Arbeit eingegangenen Schreiben habe sie die Entlassung von 36 Arbeitnehmern angezeigt. Der Anzeige seien die Widersprüche des Betriebsrats gegen sämtliche beabsichtigten Kündigungen beigefügt gewesen. Die Agentur für Arbeit habe die Anzeige mit dem Vermerk „Anzeige vollständig und somit wirksam erstattet am 12. August 2010“ versehen und mit Schreiben vom 12. August 2010 die Entlassungen innerhalb der genannten Fristen genehmigt. Das notwendige Konsultationsverfahren sei eingehalten. Zudem führten Mängel in diesem Verfahren nicht zur Unwirksamkeit der Kündigung, jedenfalls dann nicht, wenn die Agentur für Arbeit die Massenentlassungsanzeige als ausreichend angesehen habe.
Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihr Begehren weiter, die Klage abzuweisen.
Die Revision ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Kündigung der Beklagten vom 20. August 2010 zu Recht als unwirksam angesehen.
I. Die Kündigung ist gem. § 17 Abs. 2 und Abs. 3 Satz 2, Satz 3 KSchG iVm. § 134 BGB rechtsunwirksam und hat das Arbeitsverhältnis der Parteien daher nicht beendet. Die Beklagte hat weder das nach § 17 Abs. 2 KSchG erforderliche Konsultationsverfahren mit dem Betriebsrat durchgeführt, noch gem. § 17 Abs. 3 Satz 2 und Satz 3 KSchG eine ordnungsgemäße Massenentlassungsanzeige erstattet. Beides führt zur Rechtsunwirksamkeit der Kündigung gem. § 134 BGB. Ob weitere Unwirksamkeitsgründe vorliegen, bedarf keiner Entscheidung.
1. Die Beklagte hat vor Ausspruch der Kündigung nicht das nach § 17 Abs. 2 KSchG erforderliche Konsultationsverfahren durchgeführt.
a) Beabsichtigt der Arbeitgeber, nach § 17 Abs. 1 KSchG anzeigepflichtige Entlassungen vorzunehmen, hat er dem Betriebsrat gem. § 17 Abs. 2 Satz 1 KSchG rechtzeitig die zweckdienlichen Auskünfte zu erteilen und ihn schriftlich über die im Gesetz näher bestimmten Umstände zu unterrichten. Nach § 17 Abs. 2 Satz 2 KSchG haben Arbeitgeber und Betriebsrat insbesondere die Möglichkeiten zu beraten, Entlassungen zu vermeiden oder einzuschränken und ihre Folgen abzumildern.
b) Die von der Beklagten beabsichtigten Entlassungen waren nach § 17 Abs. 1 Nr. 1 KSchG anzeigepflichtig. Es sollte allen 36 Arbeitnehmern innerhalb von 30 Kalendertagen betriebsbedingt gekündigt werden. Unter „Entlassung“ iSv. § 17 Abs. 1 Satz 1 KSchG ist der Ausspruch der Kündigung des Arbeitsverhältnisses zu verstehen (BAG 23. März 2006 - 2 AZR 343/05 - Rn. 18, BAGE 117, 281 im Anschluss an EuGH 27. Januar 2005 - C-188/03 - [Junk] Slg. 2005, I-885).
c) Im Streitfall muss nicht entschieden werden, ob der Betriebsrat dem Schreiben der Beklagten vom 2. August 2010 die nach § 17 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 - 6 KSchG erforderlichen Angaben entnehmen konnte. Die Beklagte hat mit ihm entgegen § 17 Abs. 2 Satz 2 KSchG jedenfalls nicht die Möglichkeiten beraten, die Entlassungen zu vermeiden oder einzuschränken und ihre Folgen zu mildern, oder ihm zumindest Gelegenheit hierzu gegeben.
aa) Der Arbeitgeber, der beabsichtigt, nach § 17 Abs. 1 KSchG anzeigepflichtige Entlassungen vorzunehmen, hat den Betriebsrat gem. § 17 Abs. 2 Satz 1 KSchG schriftlich insbesondere zu unterrichten über die Gründe für die geplanten Entlassungen, die Zahl und die Berufsgruppen der zu entlassenden Arbeitnehmer, die Zahl und die Berufsgruppen der in der Regel beschäftigten Arbeitnehmer, den Zeitraum, in dem die Entlassungen vorgenommen werden sollen, und die vorgesehenen Kriterien für die Auswahl der zu entlassenden Arbeitnehmer sowie für die Berechnung etwaiger Abfindungen. Soweit die ihm gegenüber dem Betriebsrat gem. § 17 Abs. 2 Satz 1 KSchG obliegenden Pflichten mit denen aus § 102 Abs. 1 BetrVG und § 111 BetrVG übereinstimmen, kann er sie gleichzeitig erfüllen (BAG 20. September 2012 - 6 AZR 155/11 - Rn. 47; 21. März 2012 - 6 AZR 596/10 - Rn. 23). Er muss in diesem Fall hinreichend klarstellen, dass und welchen Pflichten er gleichzeitig nachkommen will (BAG 20. September 2012 - 6 AZR 155/11 - aaO; 18. Januar 2012 - 6 AZR 407/10 - Rn. 34 mwN ; APS/Moll 4. Aufl. Vor § 17 KSchG Rn. 20 ). Die Pflicht zur Beratung gem. § 17 Abs. 2 Satz 2 KSchG geht dabei über eine bloße Anhörung deutlich hinaus (APS/Moll aaO Rn. 74). Der Arbeitgeber muss mit dem Betriebsrat über die Entlassungen bzw. die Möglichkeiten ihrer Vermeidung verhandeln, ihm dies zumindest anbieten (vgl. BAG 28. Mai 2009 - 8 AZR 273/08 - Rn. 58).
bb) Es bedarf keiner Entscheidung, inwiefern eine gleichzeitige Erfüllung der Pflichten aus § 17 Abs. 2 Satz 1 KSchG und aus § 102 Abs. 1 BetrVG praktisch durchführbar ist (kritisch APS/Moll 4. Aufl. Vor § 17 KSchG Rn. 20; ErfK/Kiel 13. Aufl. § 17 KSchG Rn. 26). Im Streitfall war dem Schreiben an den Betriebsrat vom 2. August 2010 nach der nicht zu beanstandenden Würdigung des Landesarbeitsgerichts schon nicht zu entnehmen, dass die Beklagte mit seiner Übermittlung zugleich ihre Pflichten nach § 17 Abs. 2 Satz 1 KSchG erfüllen und dem Betriebsrat Gelegenheit zur Beratung gem. § 17 Abs. 2 Satz 2 KSchG geben wollte. Die Beklagte hat auch nicht behauptet, mit dem Betriebsrat tatsächlich über die geplante Massenentlassung und deren Folgen beraten zu haben.
(1) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, aus den dem Betriebsrat übergebenen Informationen habe sich nicht ergeben, dass mit den Anhörungen zu den beabsichtigten Kündigungen nach § 102 BetrVG das Konsultationsverfahren nach § 17 Abs. 2 KSchG habe verbunden werden sollen. Die gleichzeitige Übergabe sämtlicher Anhörungsbögen habe der Betriebsrat mangels näherer Erläuterung nur als Einleitung des Verfahrens nach § 102 BetrVG und nicht auch des Verfahrens nach § 17 Abs. 2 KSchG verstehen können.
(2) Die Revision zeigt diesbezüglich keinen Rechtsfehler auf. Das Schreiben an den Betriebsrat vom 2. August 2010 informiert nach Darstellung der wirtschaftlichen Hintergründe über die Entscheidung des Gesellschafters der Beklagten, das Unternehmen zu liquidieren. Vorsorglich werde die Liste aller Mitarbeiter überreicht, deren Arbeitsverhältnisse zu kündigen seien. Einen Hinweis darauf, der Betriebsrat erhalte Gelegenheit, die geplanten Entlassungen mit der Beklagten zwecks möglicher Vermeidung zu beraten, enthält das Schreiben nicht. Ein solcher Hinweis lässt sich nicht der dortigen Bemerkung entnehmen, die Beklagte werde in den kommenden Tagen die notwendigen Schritte mit dem Betriebsrat abstimmen und hoffe dabei auf eine kooperative Zusammenarbeit und Unterstützung. Dies lässt keine Bereitschaft erkennen, über die Entlassungen bzw. die Möglichkeiten ihrer Vermeidung noch zu verhandeln. Nach dem gesamten Inhalt des Schreibens musste der Betriebsrat die Kündigungen vielmehr als bereits beschlossene Sache verstehen, die es nurmehr abzuwickeln gelte.
2. Wurde zuvor kein Konsultationsverfahren nach § 17 Abs. 2 KSchG durchgeführt, ist eine im Rahmen einer Massenentlassung ausgesprochene Kündigung - unabhängig von dem Erfordernis einer ordnungsgemäßen Anzeige bei der Agentur für Arbeit nach § 17 Abs. 1 iVm. Abs. 3 KSchG - wegen Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot iSv. § 134 BGB rechtsunwirksam. Die Durchführung des Konsultationsverfahrens ist ein eigenständiges Wirksamkeitserfordernis für die Kündigung (KR/Weigand 10. Aufl. § 17 KSchG Rn. 63; Appel DB 2005, 1002, 1004/1006; Reinhard RdA 2007, 207, 211; Clemenz FS Bauer 2010, 229, 238; Krieger/Ludwig NZA 2010, 919, 921; Schramm/Kuhnke NZA 2011, 1071, 1074; ErfK/Kiel 13. Aufl. § 17 KSchG Rn. 24: Wirksamkeitsvoraussetzung „für die Massenentlassung“; aA APS/Moll 4. Aufl. § 17 KSchG Rn. 81b). Dies ergibt eine unionsrechtskonforme Auslegung von § 17 Abs. 2 KSchG.
a) Gemäß § 134 BGB ist ein Rechtsgeschäft, das gegen ein gesetzliches Verbot verstößt, nichtig, wenn sich nicht aus dem Gesetz ein anderes ergibt. Das Verbot muss dabei nicht unmittelbar im Gesetzeswortlaut Ausdruck gefunden haben. Es kann sich auch aus Sinn und Zweck der betreffenden Vorschrift ergeben. Maßgebend ist insoweit die Reichweite von deren Schutzzweck (BAG 22. November 2012 - 2 AZR 371/11 - Rn. 38; 19. März 2009 - 8 AZR 722/07 - Rn. 25, BAGE 130, 90).
b) § 17 Abs. 2 KSchG ist ein Verbotsgesetz iSv. § 134 BGB.
aa) § 17 KSchG dient der Umsetzung der Richtlinie 98/59/EG vom 20. Juli 1998 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen (MERL). Diese bezweckt den Schutz der Arbeitnehmer im Falle von Massenentlassungen (EuGH 17. Dezember 1998 - C-250/97 - [Lauge ua.] Rn. 19, Slg. 1998, I-8737; vgl. auch MERL Erwägungsgründe Nr. 2). Kündigungen im Rahmen einer Massenentlassung dürfen vom Arbeitgeber erst ausgesprochen werden, wenn das nach Art. 2 MERL erforderliche Konsultationsverfahren mit dem Betriebsrat durchgeführt ist (EuGH 10. September 2009 - C-44/08 - [Keskuslitto] Rn. 70, Slg. 2009, I-8163; 27. Januar 2005 - C-188/03 - [Junk] Rn. 45, Slg. 2005, I-885; APS/Moll 4. Aufl. § 17 KSchG Rn. 81). Art. 2 Abs. 2 MERL bestimmt, dass sich die Konsultationen zumindest auf die Möglichkeit, Massenentlassungen zu vermeiden oder zu beschränken, und die Möglichkeit erstrecken müssen, ihre Folgen durch soziale Begleitmaßnahmen zu mildern. Dem entspricht § 17 Abs. 2 KSchG. Die Vorschrift dient damit ihrerseits - zumindest auch - dem Arbeitnehmerschutz (ebenso APS/Moll 4. Aufl. Vor § 17 KSchG Rn. 12). Sie zielt primär auf Maßnahmen, die die von einer geplanten Massenentlassung betroffenen Arbeitnehmer vor Arbeitslosigkeit bewahren sollen. Arbeitgeber und Betriebsrat haben darüber zu beraten, ob und ggf. wie die Entlassungen vermieden werden können (BAG 7. Juli 2011 - 6 AZR 248/10 - Rn. 27, BAGE 138, 301; 22. April 2010 - 6 AZR 948/08 - Rn. 20, BAGE 134, 176).
bb) Mit Blick auf diesen Gesetzeszweck ist § 17 Abs. 2 KSchG als gesetzliches Verbot zu verstehen, Kündigungen vor Durchführung des Konsultationsverfahrens auszusprechen.
(1) § 17 KSchG regelt nicht ausdrücklich, welche Rechtsfolge ein Verstoß gegen die Pflicht zur Durchführung des Konsultationsverfahrens mit dem Betriebsrat gem. Abs. 2 der Bestimmung hat. Ebenso wenig lässt sich dies aus § 18 KSchG entnehmen.
(2) Auch die Richtlinie 98/59/EG bestimmt nicht selbst die Rechtsfolgen eines Unterbleibens des nach Art. 2 MERL vorgesehenen Konsultationsverfahrens. Gemäß Art. 6 MERL müssen die Mitgliedstaaten jedoch Verfahren einrichten, mit denen die Einhaltung der von der Richtlinie vorgesehenen Verpflichtungen gewährleistet werden kann. Sie haben dabei darauf zu achten, dass die Verstöße gegen das Unionsrecht nach sachlichen und verfahrensrechtlichen Regeln geahndet werden, die denjenigen entsprechen, die für nach Art und Schwere gleichartige Verstöße gegen nationales Recht gelten. Die Sanktion muss wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein (EuGH 8. Juni 1994 - C-383/92 - Slg. 1994, I-2479). Die den Mitgliedstaaten überlassene Umsetzung dieser Maßgabe darf der Richtlinie nicht ihre praktische Wirksamkeit nehmen (vgl. EuGH 16. Juli 2009 - C-12/08 - [Mono Car Styling] Rn. 34, 36, Slg. 2009, I-6653).
(3) Praktische Wirksamkeit erlangen die mit Art. 2 MERL und § 17 Abs. 2 KSchG verfolgten Ziele des Arbeitnehmerschutzes allein dadurch, dass die Regelungen in § 17 Abs. 2 KSchG als gesetzliches Verbot iSv. § 134 BGB verstanden werden, eine Kündigung vor Abschluss des Konsultationsverfahrens mit dem Betriebsrat zu erklären. Nur auf diese Weise wird verhindert, dass der Arbeitgeber durch den Ausspruch von Kündigungen unumkehrbare Fakten schafft, bevor das Konsultationsverfahren durchgeführt ist. Für die Arbeitnehmervertreter wäre es erheblich schwieriger, die „Rücknahme“ einer bereits ausgesprochenen Kündigung zu erreichen als den Verzicht auf eine nur beabsichtigte Entlassung (EuGH 27. Januar 2005 - C-188/03 - [Junk] Rn. 38 und 44, Slg. 2005, I-885). Wann das Konsultationsverfahren als ausreichend durchgeführt und damit abgeschlossen anzusehen ist, bedarf im vorliegenden Zusammenhang keiner Entscheidung. Insbesondere kann offenbleiben, wie es zu bewerten wäre, wenn sich der Betriebsrat der Beratung verweigert oder sie verzögert.
(a) Andere denkbare Sanktionen könnten den Eintritt vollendeter Tatsachen durch den Ausspruch von Kündigungen vor Abschluss des Konsultationsverfahrens nicht effektiv verhindern (aA APS/Moll 4. Aufl. § 17 KSchG Rn. 81b). Dies gilt sowohl für einen möglichen Nachteilsausgleichsanspruch nach § 113 BetrVG als auch für mögliche Sanktionen nach § 121 Abs. 1 BetrVG oder § 119 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG. Es bliebe trotz ihrer bei einer Beendigung der Arbeitsverhältnisse. Dem von der Richtlinie 98/59/EG intendierten Arbeitnehmerschutz ist auch nicht dadurch hinreichend Rechnung getragen, dass die von einer Massenentlassung betroffenen Arbeitnehmer den Betriebsrat dazu drängen können, sein Beteiligungsrecht durchzusetzen. Ob umgekehrt der Betriebsrat die Möglichkeit haben muss, sein Beteiligungsrecht unabhängig davon einzufordern, ob die betroffenen Arbeitnehmer die Unwirksamkeit ihrer Kündigungen geltend machen (vgl. dazu Wißmann RdA 1998, 221, 226), bedarf in diesem Zusammenhang ebenfalls keiner Entscheidung.
(b) Die Unwirksamkeit der Kündigungen bei einer gegen § 17 Abs. 3 Satz 2 und Satz 3 KSchG verstoßenden Massenentlassungsanzeige (BAG 22. November 2012 - 2 AZR 371/11 - Rn. 37 ff.) macht eine effektive Sanktion für den Fall, dass das Konsultationsverfahren nach § 17 Abs. 2 KSchG vor Ausspruch der Kündigung nicht in ausreichender Weise durchgeführt wurde, nicht entbehrlich (aA APS/Moll 4. Aufl. § 17 KSchG Rn. 81b). Zwar wirken die Unterrichtungs- und Beratungspflichten nach § 17 Abs. 2 KSchG gem. § 17 Abs. 3 Satz 2 und Satz 3 KSchG in das Anzeigeverfahren hinein. Massenentlassungsanzeige und nachfolgende Kündigungen sind unwirksam, wenn nicht der Anzeige gem. § 17 Abs. 3 Satz 2 KSchG eine Stellungnahme des Betriebsrats beigefügt oder den Erfordernissen des § 17 Abs. 3 Satz 3 KSchG genügt war (BAG 13. Dezember 2012 - 6 AZR 5/12 - Rn. 75; im Einzelnen 22. November 2012 - 2 AZR 371/11 - Rn. 31, 37). Das Konsultationsverfahren nach § 17 Abs. 2 KSchG steht aber selbständig neben dem Anzeigeverfahren nach § 17 Abs. 1 iVm. Abs. 3 KSchG (ebenso BAG 13. Dezember 2012 - 6 AZR 5/12 - Rn. 65; APS/Moll 4. Aufl. § 17 KSchG Rn. 56). Dies entspricht den Vorgaben der Richtlinie 98/59/EG. Auf die Frage, ob die Richtlinie einen bestimmten zeitlichen Ablauf von Beteiligung des Betriebsrats und Anzeigeerstattung verlangt, kommt es insofern nicht an (zu einer daraus resultierenden Vorlagepflicht vgl. BVerfG 25. Februar 2010 - 1 BvR 230/09 - Rn. 23 ff., BVerfGK 17, 108). Der Arbeitgeber darf Massenentlassungen jedenfalls erst nach dem Ende des Konsultationsverfahrens und der Erstattung der Anzeige vornehmen (EuGH 27. Januar 2005 - C-188/03 - [Junk] Rn. 54, Slg. 2005, I-885). Auch wenn beide Verfahren dem Arbeitnehmerschutz dienen, tun sie dies auf unterschiedliche Weise. Die Konsultation des Betriebsrats zielt in erster Linie auf Maßnahmen, aufgrund derer die geplanten Entlassungen vermieden werden können. Durch die korrekte Erfüllung der Anzeigepflicht soll die Agentur für Arbeit in die Lage versetzt werden, die Folgen der Entlassungen für die Betroffenen möglichst zu mildern.
Es erscheint zudem nicht ausgeschlossen, dass ein Arbeitgeber die Massenentlassungsanzeige nach § 17 Abs. 3 Satz 2 und Satz 3 KSchG wirksam erstatten kann, ohne zuvor oder zumindest vor Ausspruch der Kündigung das Konsultationsverfahren nach § 17 Abs. 2 KSchG durchgeführt zu haben. So kann die Darlegung des Stands der Beratungen mit dem Betriebsrat nach § 17 Abs. 3 Satz 3 KSchG ergeben, dass das Konsultationsverfahren noch nicht abgeschlossen ist (vgl. APS/Moll 4. Aufl. § 17 KSchG Rn. 81b).
cc) Hat die Agentur für Arbeit die Massenentlassungsanzeige als ausreichend angesehen, steht dies entgegen der Auffassung der Beklagten einer Unwirksamkeit der Kündigung nach § 17 Abs. 2 KSchG iVm. § 134 BGB nicht entgegen. Die Durchführung des Konsultationsverfahrens nach § 17 Abs. 2 KSchG stellt neben dem Anzeigeerfordernis nach § 17 Abs. 1 iVm. Abs. 3 KSchG eine eigenständige Wirksamkeitsvoraussetzung für die Kündigung dar. Wird selbst eine fehlerhafte Anzeige durch einen solchen Bescheid der Agentur nicht geheilt (BAG 20. September 2012 - 6 AZR 155/11 - Rn. 28; 28. Juni 2012 - 6 AZR 780/10 - Rn. 70 ff.), so erstreckt sich der Bescheid schon inhaltlich nicht auf einen korrekten Ablauf des Konsultationsverfahrens.
3. Die Beklagte hat überdies keine den Anforderungen gem. § 17 Abs. 3 Satz 2 und Satz 3 KSchG genügende Massenentlassungsanzeige erstattet. Ihrer Anzeige war weder eine Stellungnahme des Betriebsrats beigefügt, noch waren die Anforderungen des § 17 Abs. 3 Satz 3 KSchG erfüllt. Auch dies führt zur Unwirksamkeit der Kündigung gem. § 134 BGB.
a) Nach § 17 Abs. 3 Satz 2 KSchG hat der Arbeitgeber, der nach § 17 Abs. 1 Satz 1 KSchG verpflichtet ist, der Agentur für Arbeit Entlassungen anzuzeigen, seiner schriftlichen Anzeige die Stellungnahme des Betriebsrats „zu den Entlassungen“ beizufügen. Ist ein Interessenausgleich mit Namensliste gem. § 1 Abs. 5 Satz 1 KSchG vereinbart worden, sieht § 1 Abs. 5 Satz 4 KSchG vor, dass dieser die Stellungnahme des Betriebsrats nach § 17 Abs. 3 Satz 2 KSchG ersetzt.
b) Gemäß § 17 Abs. 3 Satz 3 KSchG ist die Massenentlassungsanzeige auch dann wirksam, wenn zwar eine Stellungnahme des Betriebsrats nicht vorliegt, der Arbeitgeber aber glaubhaft macht, dass er diesen mindestens zwei Wochen vor Erstattung der Anzeige nach Abs. 2 Satz 1 der Vorschrift unterrichtet hat, und er gleichzeitig den Stand der Beratungen darlegt.
c) Die Beifügung der Stellungnahme des Betriebsrats bzw. das Vorbringen des Arbeitgebers nach § 17 Abs. 3 Satz 3 KSchG ist Wirksamkeitsvoraussetzung für die Massenentlassungsanzeige (BAG 13. Dezember 2012 - 6 AZR 5/12 - Rn. 67; 28. Juni 2012 - 6 AZR 780/10 - Rn. 52 mwN; v. Hoyningen-Huene/Linck KSchG 15. Aufl. § 17 Rn. 97).
d) Im Streitfall lag keine wirksame Massenentlassungsanzeige vor. Der nach dem Vorbringen der Beklagten am 11. August 2010 bei der Agentur für Arbeit eingegangenen Massenentlassungsanzeige war keine Stellungnahme des Betriebsrats nach § 17 Abs. 3 Satz 2 KSchG beigefügt. Dessen Widersprüche gegen die beabsichtigten Kündigungen stellen eine solche Stellungnahme nicht dar. Ein Interessenausgleich mit Namensliste war nicht abgeschlossen. Die Voraussetzungen für eine Entbehrlichkeit der Stellungnahme nach § 17 Abs. 3 Satz 3 KSchG lagen nicht vor.
aa) Die nach § 17 Abs. 3 Satz 2 KSchG beizufügende Stellungnahme des Betriebsrats muss sich auf das Ergebnis der nach § 17 Abs. 2 Satz 2 KSchG erforderlichen Beratung beziehen. Die Stellungnahme soll Auskunft darüber geben, ob und welche Möglichkeiten der Betriebsrat sieht, die angezeigten Kündigungen zu vermeiden, und belegen, dass soziale Maßnahmen mit ihm beraten und ggf. getroffen worden sind (BAG 21. März 2012 - 6 AZR 596/10 - Rn. 22; 18. Januar 2012 - 6 AZR 407/10 - Rn. 45).
bb) Die im Rahmen der Anhörung nach § 102 BetrVG vom Betriebsrat erklärten Widersprüche gegen die beabsichtigten Kündigungen erfüllen diese Voraussetzungen nicht. Ihnen war zwar möglicherweise zu entnehmen, dass der Betriebsrat für alle betroffenen Arbeitnehmer anderweitige Beschäftigungsmöglichkeiten sah und er die beabsichtigten Kündigungen daher für vermeidbar hielt. Aus den Widerspruchsschreiben ergibt sich aber nicht, dass sie das Ergebnis von Beratungen nach § 17 Abs. 2 Satz 2 KSchG gewesen wären. Anders als das Konsultationsverfahren erfordern Anhörungen nach § 102 BetrVG keine Beratung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat.
cc) Die Beklagte hat nicht dargelegt, dass die Voraussetzungen des § 17 Abs. 3 Satz 3 KSchG erfüllt gewesen seien. Sie hat vorgetragen, sie habe die Agentur für Arbeit auf die dem Betriebsrat am 2. August 2010 erteilten Informationen hingewiesen. Unbeschadet der Frage, ob sie damit die Unterrichtung nach § 17 Abs. 2 Satz 1 KSchG glaubhaft gemacht hat, ist diese jedenfalls nicht mindestens zwei Wochen vor Erstattung der Massenentlassungsanzeige erfolgt. Die Beklagte hat die Anzeige nach ihrem eigenen Vorbringen bereits am 11. August 2010 und damit vor Ablauf von zwei Wochen nach Übergabe der Unterlagen an den Betriebsrat erstattet. Es kann dahinstehen, ob es außerdem an einer Darlegung des Stands der Beratungen mit dem Betriebsrat fehlte.
e) Die Prüfung, ob vor Ausspruch der Kündigung vom 20. August 2010 eine wirksame Massenentlassungsanzeige erstattet wurde, ist der gerichtlichen Kontrolle auch dann nicht entzogen, wenn die Agentur für Arbeit - wie die Beklagte behauptet hat - am 12. August 2010 die Vollständigkeit der Anzeige bestätigt und mit Schreiben vom selben Tag mitgeteilt hat, die Entlassungen könnten wie angezeigt vorgenommen werden.
aa) Eine nach § 20 KSchG auf der Grundlage von § 18 Abs. 1 oder Abs. 2 KSchG getroffene Entscheidung der Agentur für Arbeit über eine Abkürzung oder Verlängerung der Sperrfrist steht einer Überprüfung der Wirksamkeit der Massenentlassungsanzeige durch die Gerichte für Arbeitssachen nicht entgegen. Dies gilt selbst dann, wenn die Entscheidung bestandskräftig geworden ist. Die Bindungswirkung eines solchen Bescheids umfasst nur seinen eigentlichen Inhalt, dh. die Festsetzung der Dauer der Sperrfrist, nicht aber die Wirksamkeit der Massenentlassungsanzeige (BAG 20. September 2012 - 6 AZR 155/11 - Rn. 28). Er vermag deshalb mögliche Fehler der Massenentlassungsanzeige nicht zu heilen (BAG 28. Juni 2012 - 6 AZR 780/10 - Rn. 70 ff.). Für die frühere abweichende Rechtsprechung (BAG 11. März 1998 - 2 AZR 414/97 - zu II 2 der Gründe; 24. Oktober 1996 - 2 AZR 895/95 - zu B II 3 c der Gründe, BAGE 84, 267; vgl. auch 28. Mai 2009 - 8 AZR 273/08 -), die auf der Annahme beruhte, die Vorschriften der §§ 17 ff. KSchG verfolgten einen ausschließlich arbeitsmarktpolitischen Zweck, ist spätestens seit der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 27. Januar 2005 (- C-188/03 - [Junk] Slg. 2005, I-885) die Grundlage entfallen (BAG 28. Juni 2012 - 6 AZR 780/10 - Rn. 81 f.). Auch für die Gewährung von Vertrauensschutz in einen Fortbestand dieser Rechtsprechung besteht seither keine Veranlassung mehr.
bb) Die Beklagte hat sich auf einen Bescheid nach § 20 KSchG iVm. § 18 Abs. 1 oder Abs. 2 KSchG nicht einmal berufen. Sie hat geltend gemacht, die Agentur für Arbeit habe die Vollständigkeit der Anzeige bestätigt und mit Schreiben vom 12. August 2010 die geplanten Entlassungen bei Einhaltung der Sperrfrist genehmigt. Tatsächlich enthält das Schreiben lediglich den Hinweis, die Entlassungen könnten wie angezeigt vorgenommen werden. Bei solchen Erklärungen handelt es sich nicht um Entscheidungen, die einer materiellen Bindungswirkung fähig wären (vgl. BAG 28. Juni 2012 - 6 AZR 780/10 - Rn. 69). Die Agentur für Arbeit erteilt insofern eine bloße Auskunft über ihre Bewertung der Massenentlassungsanzeige und deren gesetzliche Rechtsfolgen, ohne selbst eine Regelung zu treffen.
f) Das Fehlen einer wirksamen Massenentlassungsanzeige hat ebenfalls die Unwirksamkeit der Kündigung zur Folge. In der Erklärung der Kündigung ohne wirksame Massenentlassungsanzeige liegt ein Verstoß gegen ein gesetzliches Verbot iSv. § 134 BGB (BAG 22. November 2012 - 2 AZR 371/11 - Rn. 31, 37).
aa) Auch das Anzeigeerfordernis gem. Art. 3 MERL bezweckt den Schutz der Arbeitnehmer im Falle von Massenentlassungen (EuGH 17. Dezember 1998 - C-250/97 - [Lauge ua.] Rn. 19, Slg. 1998, I-8737; vgl. auch Nr. 2 der Erwägungsgründe zur MERL). Nach Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 3 MERL muss die Anzeige „alle zweckdienlichen Angaben über … die Konsultationen der Arbeitnehmervertreter“ enthalten. „Entlassungen“ im Sinne der MERL sind die Kündigungserklärungen des Arbeitgebers. Dieser darf sie erst nach Erstattung der Anzeige abgeben (EuGH 27. Januar 2005 - C-188/03 - [Junk] Rn. 54, Slg. 2005, I-885).
bb) Der Umsetzung dieser Vorgaben der Richtlinie 98/59/EG dient § 17 Abs. 1 iVm. Abs. 3 Satz 2 ff. KSchG. Durch die Anzeige soll der Agentur für Arbeit die Möglichkeit verschafft werden, rechtzeitig Maßnahmen zur Vermeidung oder doch zum Aufschub von Belastungen des Arbeitsmarkts einzuleiten und für anderweitige Beschäftigungen der Betroffenen zu sorgen (BAG 7. Juli 2011 - 6 AZR 248/10 - Rn. 27, BAGE 138, 301; 22. April 2010 - 6 AZR 948/08 - Rn. 20, BAGE 134, 176). Hierfür ist der Massenentlassungsanzeige nach § 17 Abs. 3 Satz 2 KSchG - auch wenn Art. 3 MERL dies nicht ausdrücklich fordert - die Stellungnahme des Betriebsrats beizufügen oder - ersatzweise - die Rechtzeitigkeit der Konsultationen nach § 17 Abs. 3 Satz 3 KSchG glaubhaft zu machen. Dies dient der Dokumentation der Durchführung und ggf. des Ergebnisses der Konsultationen (BAG 28. Juni 2012 - 6 AZR 780/10 - Rn. 53; 21. März 2012 - 6 AZR 596/10 - Rn. 22; 18. Januar 2012 - 6 AZR 407/10 - Rn. 45). Die Agentur für Arbeit soll dadurch Kenntnis auch von der Sichtweise des Betriebsrats erlangen.
cc) Praktische Wirksamkeit erlangen diese mit dem Anzeigeerfordernis verfolgten Ziele erst dadurch, dass die Regelungen in § 17 Abs. 3 Satz 2 und Satz 3 KSchG als gesetzliches Verbot iSv. § 134 BGB verstanden werden, eine Kündigung ohne die erforderliche Massenentlassungsanzeige zu erklären (im Einzelnen BAG 22. November 2012 - 2 AZR 371/11 - Rn. 39 ff.).
II. Der Antrag auf Weiterbeschäftigung fällt dem Senat nicht zur Entscheidung an. Er ist auf eine Beschäftigung für die Dauer des Rechtsstreits gerichtet. Dieser ist rechtskräftig abgeschlossen.
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Kreft |
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B. Schipp |
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Wolf |