Entscheidungsdatum: 26.03.2015
1. Im Fall einer Schwangerschaft aufgrund einer Befruchtung außerhalb des Körpers (In-vitro-Fertilisation) greift das Kündigungsverbot des § 9 Abs. 1 Satz 1 MuSchG ab dem Zeitpunkt der Einsetzung einer befruchteten Eizelle in die Gebärmutter (Embryonentransfer).
Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Sächsischen Landesarbeitsgerichts vom 7. März 2014 - 3 Sa 502/13 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung.
Die 1975 geborene Klägerin war bei dem Beklagten, der mit insgesamt zwei Arbeitnehmern eine Versicherungsvertretung betreibt, seit Februar 2012 als Büroleiterin beschäftigt. Der Beklagte äußerte sich regelmäßig positiv über die Arbeitsleistung der Klägerin. Verwarnungen oder Abmahnungen erteilte er ihr nicht.
Am 14. oder 15. Januar 2013 eröffnete die Klägerin dem Beklagten in einem persönlichen Gespräch, dass sie seit mehreren Jahren einen bisher unerfüllten Kinderwunsch hege und ein erneuter Versuch einer künstlichen Befruchtung anstehe.
Mit Schreiben vom 31. Januar 2013, der Klägerin am selben Tag zugegangen, kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien zum 1. März 2013 und stellte die Klägerin von der Arbeitsleistung frei. In der Folge besetzte er ihre Stelle mit einer älteren Arbeitnehmerin.
Am 7. Februar 2013 wurde bei der Klägerin eine Frühschwangerschaft festgestellt. Unter dem 13. Februar 2013 teilte sie dies dem Beklagten mit. Der Mutterpass der Klägerin und ein ärztliches Schreiben vom 16. Mai 2013 benennen als Datum des sog. Embryonentransfers im Rahmen einer künstlichen Befruchtung den 24. Januar 2013. Am 1. Oktober 2013 wurde die Tochter der Klägerin geboren.
Mit der vorliegenden Klage hat die Klägerin sich rechtzeitig gegen die Kündigung gewandt. Sie hat vorgebracht, bei deren Zugang sei sie bereits schwanger gewesen. Zudem stelle die Kündigung eine Diskriminierung wegen ihres Geschlechts dar. Sie sei wegen ihrer Ankündigung, sich künstlich befruchten zu lassen, erklärt worden.
Die Klägerin hat beantragt
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festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung des Beklagten vom 31. Januar 2013 nicht aufgelöst worden ist. |
Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er hat gemeint, die Klägerin habe nicht nachgewiesen, dass sie bei Zugang der Kündigung bereits schwanger gewesen sei. Die von ihr vorgelegten Bescheinigungen seien widersprüchlich. Ihnen könne nicht entnommen werden, dass der Embryonentransfer am 24. Januar 2013 stattgefunden habe. Im Übrigen komme es für den Beginn der Schwangerschaft auf den Zeitpunkt der Einnistung an. Die Kündigung habe er allein deshalb erklärt, weil er mit der Arbeitsleistung der Klägerin nicht zufrieden gewesen sei.
Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Mit seiner Revision begehrt der Beklagte weiterhin deren Abweisung.
Die Revision ist unbegründet. Die Kündigung ist gemäß § 134 BGB unwirksam. Sie verstößt sowohl gegen § 9 Abs. 1 Satz 1 MuSchG (A.) als auch gegen § 7 Abs. 1, §§ 1, 3 AGG (B.).
A. Die Klägerin genoss bei Zugang der Kündigung den besonderen Schutz aus § 9 Abs. 1 Satz 1 MuSchG.
I. Nach dieser Vorschrift ist eine ohne behördliche Zustimmung (dazu § 9 Abs. 3 MuSchG) ausgesprochene Kündigung gegenüber einer Frau während der Schwangerschaft unzulässig, wenn dem Arbeitgeber zur Zeit der Kündigung die Schwangerschaft bekannt war oder sie ihm innerhalb zweier Wochen nach Zugang der Kündigung mitgeteilt wird.
II. Zwischen den Parteien bestand ein Arbeitsverhältnis gemäß § 1 Nr. 1 MuSchG. Die Klägerin hat dem Beklagten die Schwangerschaft jedenfalls binnen zweier Wochen nach Zugang der Kündigung mitgeteilt. Eine behördliche Zustimmung lag nicht vor.
III. Die Klägerin war bei Zugang der Kündigung schwanger. Im Fall einer Schwangerschaft aufgrund einer Befruchtung außerhalb des Körpers (In-vitro-Fertilisation) beginnt der besondere Kündigungsschutz mit der Einsetzung der befruchteten Eizelle in die Gebärmutter (Embryonentransfer) und nicht erst mit ihrer Einnistung (Nidation).
1. In der Humanmedizin bezeichnet Schwangerschaft den Zustand der Frau von der Konzeption (dh. von dem zur Befruchtung führenden Verkehr) bis zur Geburt (vgl. Pschyrembel Klinisches Wörterbuch 265. Aufl. „Konzeption“ und „Schwangerschaft“). Die Schwangerschaftsdauer wird entweder post menstruationem (dh. vom ersten Tag der letzten Menstruation bis zum Tag der Geburt) mit durchschnittlich 280 Tagen oder post conceptionem (dh. von der Konzeption bis zum Tag der Geburt) mit durchschnittlich 263 bis 273 Tagen berechnet (Pschyrembel Klinisches Wörterbuch 265. Aufl. „Schwangerschaftsdauer“). Die Berechnung hängt unter anderem davon ab, ob auf den körperlichen Zustand der Frau oder auf den Beginn des Lebens abgestellt wird (Reiner EuZA 2009, 79).
2. Bei natürlicher Empfängnis wird der Beginn des Kündigungsverbots aus § 9 Abs. 1 Satz 1 MuSchG in entsprechender Anwendung von § 5 Abs. 2 Satz 1 MuSchG in der Weise bestimmt, dass von dem ärztlich festgestellten mutmaßlichen Tag der Entbindung um 280 Tage zurückgerechnet wird (st. Rspr., vgl. BAG 12. Mai 2011 - 2 AZR 384/10 - Rn. 33; 7. Mai 1998 - 2 AZR 417/97 - zu II 1 der Gründe, BAGE 88, 357). Dieser Zeitraum umfasst die mittlere Schwangerschaftsdauer, die bei einem durchschnittlichen Menstruationszyklus zehn Lunarmonate zu je 28 Tagen - gerechnet vom ersten Tag der letzten Regelblutung an - beträgt. Er markiert die äußerste zeitliche Grenze, innerhalb derer bei normalem Zyklus eine Schwangerschaft vorliegen kann. Damit werden auch Tage einbezogen, in denen das Vorliegen einer Schwangerschaft eher unwahrscheinlich ist.
Entgegen kritischen Stimmen in der Literatur (vgl. KR/Bader/Gallner 10. Aufl. § 9 MuSchG Rn. 64b mwN) lässt der Senat dabei nicht einen Anscheinsbeweis zugunsten der Arbeitnehmerin eingreifen. Vielmehr verzichtet er bewusst auf eine Wahrscheinlichkeitsrechnung, um zu gewährleisten, dass jede tatsächlich Schwangere den Schutz des § 9 Abs. 1 Satz 1 MuSchG in Anspruch nehmen kann. Da sich - sofern nicht ausnahmsweise der Tag der Konzeption zweifelsfrei feststeht - Fehler und Ungenauigkeiten nicht vermeiden lassen, ist es gerechtfertigt, zunächst von der der Arbeitnehmerin günstigsten Berechnungsmethode auszugehen. Der Arbeitgeber kann den Beweiswert einer ärztlichen Bescheinigung über den mutmaßlichen Entbindungstermin erschüttern, indem er Umstände darlegt und beweist, aufgrund derer es wissenschaftlich gesicherter Erkenntnis widerspräche, vom Beginn der Schwangerschaft vor Kündigungszugang auszugehen. Die Arbeitnehmerin muss dann weiteren Beweis führen und ist gegebenenfalls gehalten, ihre Ärzte von der Schweigepflicht zu entbinden (BAG 7. Mai 1998 - 2 AZR 417/97 - zu II 3 c der Gründe, BAGE 88, 357). Werden im Verlauf der Schwangerschaft genauere Erkenntnisse über den Zeitpunkt ihres Beginns gewonnen, kann zudem eine korrigierte Bescheinigung erstellt werden (BAG 27. Oktober 1983 - 2 AZR 566/82 - zu A II 2 c dd der Gründe).
3. Bei einer Schwangerschaft aufgrund einer In-vitro-Fertilisation beginnt der besondere Kündigungsschutz mit dem Embryonentransfer. Es kann weder die 280-Tages-Regel zur Anwendung gelangen, noch entscheidet der Zeitpunkt der Nidation.
a) Die In-vitro-Fertilisation ist eine Methode der künstlichen Befruchtung, bei der entnommene Eizellen mit präparierten Spermien befruchtet und die Embryos anschließend in den Uterus der Frau transferiert werden (Pschyrembel Klinisches Wörterbuch 265. Aufl. „In-vitro-Fertilisation“). Der Vorgang läuft in mehreren Schritten ab, darunter die hormonelle Stimulation der Eierstöcke mit dem Ziel, mehrere Eizellen gleichzeitig zur Reifung zu bringen, die Follikelpunktion, die Entnahme der Eizellen, die Befruchtung einer oder mehrerer Eizellen mit aufbereiteten Spermien, die Einsetzung der befruchteten Eizelle oder Eizellen in die Gebärmutter und die Einnistung (vgl. EuGH 26. Februar 2008 - C-506/06 - [Mayr] Rn. 30, Slg. 2008, I-1017).
b) Aus Gründen der Rechtssicherheit kann eine Schwangerschaft bei Durchführung einer In-vitro-Fertilisation frühestens im Zeitpunkt des Embryonentransfers und nicht bereits mit Befruchtung der Eizelle außerhalb des Körpers der Frau beginnen (EuGH 26. Februar 2008 - C-506/06 - [Mayr] Rn. 41, Slg. 2008, I-1017). Da das „Einfrieren“ befruchteter Eizellen (sog. Kryokonservierung) durch das Gesetz zum Schutz von Embryonen (Embryonenschutzgesetz vom 13. Dezember 1990 (BGBl. I S. 2746), zuletzt geändert am 21. November 2011 (BGBl. I S. 2228)) zeitlich nicht begrenzt wird (§ 9 Nr. 4 des Gesetzes; vgl. Spickhoff/Müller-Terpitz Medizinrecht 2. Aufl. § 9 ESchG Rn. 2), könnte sich eine Arbeitnehmerin andernfalls unter Umständen mehrere Jahre auf den besonderen Kündigungsschutz gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 MuSchG berufen (aA Reiner EuZA 2009, 79).
c) Da eine Schwangerschaft aufgrund einer In-vitro-Fertilisation keinesfalls vor dem Embryonentransfer beginnen kann, verbietet sich eine Rückrechnung um 280 Tage vom mutmaßlichen Geburtstermin. Damit würden - weil der erste Tag der letzten Menstruation notwendig früher liegen muss - auch Zeiten vor dem Transfer einbezogen, ohne dass es nötig wäre, auf diese Weise der Gefahr vorzubeugen, eine tatsächlich schon schwangere Frau vom besonderen Kündigungsschutz auszuschließen.
d) Richtigerweise beginnt eine Schwangerschaft aufgrund einer In-vitro-Fertilisation auch nicht später als mit dem Embryonentransfer (ebenso Däubler/Hjort/Schubert/Wolmerath 3. Aufl. § 9 MuSchG Rn. 10; ErfK/Schlachter 15. Aufl. § 3 AGG Rn. 6; Göhle-Sander jurisPR-ArbR 40/2014 Anm. 3; HaKo-Fiebig/Böhm 4. Aufl. § 9 MuSchG Rn. 7; Küttner/Poeche Personalbuch 2014 Mutterschutz Rn. 5; Töns/Dalheimer MuSchG 2. Aufl. § 195 RVO Rn. 41; Zmarzlik/Zipperer MuSchG 9. Aufl. § 3 Rn. 2). Sie beginnt nicht erst mit der Nidation (so aber AR-Vossen 7. Aufl. § 9 MuSchG Rn. 6; KR/Bader/Gallner 10. Aufl. § 9 MuSchG Rn. 29; etwas missverständlich Buchner/Becker MuSchG 8. Aufl. § 1 Rn. 141a; Rancke/Pepping Mutterschutz 3. Aufl. § 3 MuSchG Rn. 5; Roos/Bieresborn MuSchG § 3 Rn. 118: sie sprechen jeweils von „erfolgreicher Implantation“).
aa) Der Mutterschutz genießt einen hohen Rang. Mit ihm verwirklicht der nationale Gesetzgeber seinen Schutzauftrag aus Art. 6 Abs. 4 GG (vgl. BVerfG 18. November 2003 - 1 BvR 302/96 - zu C 2 b aa der Gründe, BVerfGE 109, 64). Zugleich kommt er den Verpflichtungen aus der Richtlinie 92/85/EWG des Rates vom 19. Oktober 1992 über die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes von schwangeren Arbeitnehmerinnen, Wöchnerinnen und stillenden Arbeitnehmerinnen am Arbeitsplatz (MutterschutzRL) nach. Zweck des Mutterschutzes ist es, die im Arbeitsverhältnis stehende Mutter vor arbeitsplatzbedingten Gefahren, Überforderungen und Gesundheitsschädigungen zu bewahren. Das Kündigungsverbot in § 9 Abs. 1 Satz 1 MuSchG soll die schwangere Arbeitnehmerin vor der Gefahr schützen, die die Möglichkeit einer Entlassung für ihre psychische und physische Verfassung darstellt (vgl. EuGH 26. Februar 2008 - C-506/06 - [Mayr] Rn. 34, Slg. 2008, I-1017 zu Art. 10 Nr. 1 der MutterschutzRL). Um die Sicherheit und den Schutz jeder schwangeren Arbeitnehmerin zu gewährleisten, ist nach den unionsrechtlichen Vorgaben von dem frühestmöglichen Zeitpunkt des Vorliegens einer Schwangerschaft auszugehen (EuGH 26. Februar 2008 - C-506/06 - [Mayr] Rn. 37, 40, aaO zu Art. 10 Nr. 1 der MutterschutzRL). Das ist der Zeitpunkt der Verbindung einer befruchteten Eizelle mit dem Organismus der werdenden Mutter durch den Embryonentransfer. Spätestens damit ist ein Zustand erreicht, der demjenigen nach der natürlichen Befruchtung entspricht. Auch bei der natürlichen Empfängnis beginnt die Schwangerschaft mit der Konzeption, nicht erst mit der Nidation.
bb) Das Abstellen auf den Embryonentransfer bedeutet zudem Rechtssicherheit. Der Zeitpunkt des Transfers lässt sich problemlos feststellen. Für den Zeitpunkt der Nidation gilt dies nicht. Bei der Nidation handelt es sich um einen Prozess, der mit Anheftung der Blastozyste (bzw. des Embryos) am fünften und sechsten Entwicklungstag beginnt und am elften bis zwölften Tag abgeschlossen wird (Pschyrembel Klinisches Wörterbuch 265. Aufl. „Nidation“). Wann genau dieser Prozess bei der betreffenden Frau beginnt und endet, wird in der Regel nicht festgestellt. Damit ist der frühestmögliche Termin der Nidation nur schwer zu bestimmen. Es verbliebe eine erhebliche Unsicherheit über den Beginn des Kündigungsschutzes.
cc) Das Abstellen auf den Embryonentransfer steht nicht in Widerspruch zu § 218 Abs. 1 Satz 2 StGB. Zwar kann danach ein - strafbewehrter - Schwangerschaftsabbruch erst vorliegen, wenn die Einnistung des befruchteten Eis in der Gebärmutter abgeschlossen ist. Schutzobjekt des § 218 StGB ist jedoch nicht (auch) die werdende Mutter, sondern ausschließlich die Leibesfrucht. Der strafrechtliche Schutz setzt deshalb erst nach dem biologisch-medizinischen Beginn einer Schwangerschaft ein (vgl. Schönke/Schröder/Eser StGB 29. Aufl. § 218 Rn. 6). Er stellt auf den Zeitpunkt der Nidation ab, weil vorher kaum zwischen einem Abbruch und einem ungewollten Frühstabgang der Leibesfrucht unterschieden werden kann (vgl. BT-Drs. 12/2605 S. 22; Schönke/Schröder/Eser StGB 29. Aufl. vor §§ 218 bis 219b Rn. 35). Die andere Zielrichtung des § 218 Abs. 1 Satz 2 StGB als die des § 9 Abs. 1 Satz 1 MuSchG rechtfertigt es, für den Beginn des jeweiligen Schutzes unterschiedliche Zeitpunkte festzulegen. So liegt es im Übrigen nicht nur bei der Schwangerschaft aufgrund einer In-vitro-Fertilisation, sondern auch bei der natürlichen Schwangerschaft.
dd) Der Hinweis des Beklagten auf geringe Erfolgsaussichten von In-vitro-Fertilisationen spielt für den Streitfall keine Rolle. Die Klägerin hat zwischenzeitlich ein Kind entbunden. Es bedarf deshalb keiner Entscheidung, ob durch den Embryonentransfer der Beginn des besonderen Kündigungsschutzes lediglich für den Fall bestimmt wird, dass es in der Folge zu einer Nidation kommt, oder ob der besondere Kündigungsschutz mit der Einsetzung einer befruchteten Eizelle in die Gebärmutter „unbedingt“, also in jedem Fall, einsetzt und - ohne Nachwirkung - wieder endet, wenn eine Einnistung ausbleibt. Die letztgenannte Sichtweise könnte durch Art. 10 Nr. 1 MutterschutzRL geboten sein, entspricht der Rechtslage bei natürlicher Schwangerschaft (bei der die nicht zur Nidation führende Konzeption freilich oft unbemerkt bleiben wird) und verwirklicht den Grundsatz, dass die Wirksamkeit eines Rechtsgeschäfts zum Zeitpunkt seiner Vornahme feststehen soll (vgl. KR/Bader/Gallner 10. Aufl. § 9 MuSchG Rn. 64b zur Rechtsprechung des Senats zum Beginn der Schwangerschaft bei natürlicher Empfängnis). Dieser Grundsatz gilt allerdings nicht uneingeschränkt. In § 9 Abs. 1 Satz 1 MuSchG (vgl. auch Art. 2 Buchst. a der MutterschutzRL) wird er durchbrochen, indem eine ohne Kenntnis von der Schwangerschaft erklärte Kündigung unwirksam wird, wenn die Arbeitnehmerin dem Arbeitgeber fristgerecht entsprechende Mitteilung macht. Insofern wird dem Arbeitgeber ohnehin ein mindestens zweiwöchiger - bei fehlendem Verschulden der Arbeitnehmerin sogar längerer - „Schwebezustand“ zugemutet. Solches ist dem Arbeits- und allgemeinen Zivilrecht auch in anderen Zusammenhängen nicht fremd (vgl. für das Arbeitsrecht nur § 85 SGB IX, §§ 174, 180 BGB und zB für das Mietrecht § 543 Abs. 2 Satz 3, § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB).
4. Danach war die Klägerin bei Zugang der Kündigung schwanger. Das Landesarbeitsgericht hat festgestellt, dass der Embryonentransfer am 24. Januar 2013 erfolgt ist. Diese Feststellung bindet den Senat. Gegen sie ist ein zulässiger und begründeter Revisionsangriff nicht geführt worden (§ 559 Abs. 2 ZPO).
a) Der Zeitpunkt des Embryonentransfers ist Gegenstand tatrichterlicher Würdigung iSd. § 286 Abs. 1 ZPO. Eine solche ist revisionsrechtlich nur daraufhin überprüfbar, ob das Berufungsgericht den gesamten Inhalt der Verhandlung berücksichtigt und alle erhobenen Beweise gewürdigt hat, ob eine Beweiswürdigung in sich widerspruchsfrei, ohne Verletzung von Denkgesetzen sowie allgemeinen Erfahrungssätzen erfolgt und ob sie rechtlich möglich ist (BAG 21. August 2014 - 8 AZR 655/13 - Rn. 40; 20. Juni 2013 - 2 AZR 546/12 - Rn. 16, BAGE 145, 278).
b) Das Landesarbeitsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass die Arbeitnehmerin ihrer Darlegungslast für das Bestehen einer Schwangerschaft im Kündigungszeitpunkt zunächst durch Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung genügt (BAG 7. Mai 1998 - 2 AZR 417/97 - zu II 3 c der Gründe, BAGE 88, 357), und die Klägerin mit ihrem Mutterpass und dem Schreiben vom 16. Mai 2013 zwei Bescheinigungen vorgelegt hat, die als Tag des Embryonentransfers den 24. Januar 2013 ausweisen. Der Beklagte geht selbst davon aus, dass die Klägerin an diesem Tag aufgrund einer „Operation“ ausgefallen sei.
c) Die von der Revision gerügten Widersprüche in den ärztlichen Bescheinigungen bestehen nicht. Zwar wurde laut Mutterpass am 27. Februar 2013 eine Schwangerschaft in der siebten/achten Woche festgestellt. Diese Angabe beruhte jedoch ersichtlich auf einer Berechnung anhand der letzten Menstruation, die im Mutterpass mit Datum vom 8. Januar 2013 angegeben ist. Dem entspricht die Feststellung einer Frühschwangerschaft in der fünften Woche in der ärztlichen Bescheinigung vom 11. Februar 2013.
B. Die Kündigung verstieß außerdem gegen § 7 Abs. 1 iVm. §§ 1, 3 AGG. Sie diskriminierte die Klägerin wegen ihres Geschlechts.
I. Eine ordentliche Kündigung, die einen Arbeitnehmer, auf den das Kündigungsschutzgesetz - noch - keine Anwendung findet, aus einem der in § 1 AGG genannten Gründe diskriminiert, ist gemäß § 134 BGB iVm. § 7 Abs. 1 AGG unwirksam. Zwar regelt das AGG nicht selbst, welche Rechtsfolge eine nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 AGG unzulässige Benachteiligung hat. Jedoch ergibt sich die Rechtsfolge aus § 134 BGB. Seit Inkrafttreten des AGG sind deshalb diskriminierende Kündigungen nicht mehr am Maßstab des § 242 BGB zu messen. § 2 Abs. 4 AGG steht dem nicht entgegen (BAG 19. Dezember 2013 - 6 AZR 190/12 - Rn. 14, 18, 22).
II. Das Landesarbeitsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, der Beklagte habe die Klägerin durch die Kündigung wegen ihres Geschlechts diskriminiert.
1. Gemäß § 7 Abs. 1 Halbs. 1 AGG dürfen Beschäftigte nicht wegen eines der in § 1 AGG genannten Merkmale benachteiligt werden. Eine unmittelbare Benachteiligung iSv. § 3 Abs. 1 AGG liegt vor, wenn eine Person wegen eines der verpönten Merkmale eine weniger günstige Behandlung erfährt als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde.
2. Die Kündigung als solche knüpft als gestaltende Willenserklärung nicht an die Diskriminierungsmerkmale des § 1 AGG an. Erst die dem Kündigungsentschluss zugrunde liegenden Erwägungen können Anhaltspunkt für einen Zusammenhang zwischen der Kündigungserklärung und einem Merkmal nach § 1 AGG sein. Dieser kann sich aus der Kündigungsbegründung oder anderen Umständen ergeben. Dabei bedarf es keiner subjektiven Komponente im Sinne einer Benachteiligungsabsicht. Es genügt, dass eine Anknüpfung der Kündigung an ein Diskriminierungsmerkmal zumindest in Betracht kommt (BAG 22. Oktober 2009 - 8 AZR 642/08 - Rn. 29).
3. Die Kündigung wegen einer Schwangerschaft der Arbeitnehmerin oder aus einem im Wesentlichen auf der Schwangerschaft beruhenden Grund kommt nur bei Frauen in Betracht. Sie stellt eine unmittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts dar (vgl. EuGH 26. Februar 2008 - C-506/06 - [Mayr] Rn. 46, Slg. 2008, I-1017; 8. September 2005 - C-191/03 - [McKenna] Rn. 47, Slg. 2005, I-7631; jeweils zur MutterschutzRL). Da die Maßnahmen zur Vorbereitung und Durchführung einer In-vitro-Fertilisation ausschließlich Frauen betreffen, führt die Kündigung einer Arbeitnehmerin, die hauptsächlich aus dem Grund erfolgt, dass sie beabsichtigt, sich dieser Behandlung zu unterziehen, ebenfalls zu einer unmittelbaren Geschlechtsdiskriminierung (vgl. EuGH 26. Februar 2008 - C-506/06 - [Mayr] Rn. 50, Slg. 2008, I-1017 zur MutterschutzRL; siehe auch LAG Köln 3. Juni 2014 - 12 Sa 911/13 - zur Nichtverlängerung eines Arbeitsverhältnisses).
4. Das Landesarbeitsgericht hat rechtsfehlerfrei festgestellt, dass maßgeblicher Grund für die Kündigung die - geplante - Durchführung einer In-vitro-Fertilisation und die damit verbundene Möglichkeit einer Schwangerschaft waren.
a) Die zugunsten der Klägerin eingreifende Beweislastregel des § 22 AGG für eine Benachteiligung wegen eines der in § 1 AGG genannten Merkmale wirkt sich auf die Verteilung der Darlegungslast aus. Es genügt, dass die Beschäftigte Indizien vorträgt und gegebenenfalls beweist, die ihre Benachteiligung wegen eines verpönten Merkmals vermuten lassen. Hierzu ist nicht erforderlich, dass die Tatsachen einen zwingenden Schluss auf eine Verknüpfung der Benachteiligung mit einem Diskriminierungsmerkmal erlauben. Vielmehr reicht es, wenn dafür nach allgemeiner Lebenserfahrung eine überwiegende Wahrscheinlichkeit besteht. Ist dies der Fall, trägt der Arbeitgeber die Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligung vorgelegen hat (BAG 7. Juli 2011 - 2 AZR 396/10 - Rn. 34; 22. Juli 2010 - 8 AZR 1012/08 - Rn. 65).
b) Die Würdigung, ob die Arbeitnehmerin Tatsachen vorgetragen hat, die ihre Benachteiligung wegen eines verpönten Merkmals vermuten lassen, obliegt den Tatsachengerichten. Gemäß § 286 Abs. 1 ZPO haben sie unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme nach ihrer freien Überzeugung zu entscheiden, ob sie eine tatsächliche Behauptung für wahr oder für nicht wahr erachten. Diese Grundsätze gelten auch, wenn nicht darüber zu entscheiden ist, ob eine Behauptung „wahr“ ist, sondern darüber, ob vorgetragene und gegebenenfalls bewiesene Tatsachen eine Behauptung der Arbeitnehmerin als „wahr“ vermuten lassen (BAG 22. Juli 2010 - 8 AZR 1012/08 - Rn. 66; 17. Dezember 2009 - 8 AZR 670/08 - Rn. 20).
c) Die gewonnene Überzeugung von einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit für die Kausalität zwischen dem verpönten Merkmal - hier dem Geschlecht der Klägerin - und einem Nachteil kann vom Revisionsgericht nur darauf überprüft werden, ob sie möglich und in sich widerspruchsfrei ist und nicht gegen Rechtssätze, Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt (BAG 18. September 2014 - 8 AZR 753/13 - Rn. 24; 27. März 2014 - 6 AZR 989/12 - Rn. 37).
d) Diesem eingeschränkten Prüfungsmaßstab hält die Annahme des Landesarbeitsgerichts, maßgeblicher Grund für den Ausspruch der Kündigung seien die - beabsichtigte - Durchführung einer In-vitro-Fertilisation und die damit einhergehende Möglichkeit einer Schwangerschaft der Klägerin gewesen, allemal stand.
aa) Das Landesarbeitsgericht hat, wenn auch ohne Bezug auf § 22 AGG, hinreichende Indizien für seine Annahme darin gesehen, dass der Beklagte, der sich bis dahin regelmäßig positiv über ihre Arbeitsleistung geäußert hatte, das Arbeitsverhältnis der Klägerin kurze Zeit nach ihrer Mitteilung vom 14. oder 15. Januar 2013 von einer erneut „anstehenden“ künstlichen Befruchtung - nämlich am 31. Januar 2013 - gekündigt und ihre Stelle mit einer „älteren“ Arbeitnehmerin besetzt hat. Ferner hat es gemeint, der Beklagte habe die aus diesen Umständen resultierende Vermutung nicht durch substantiierten Sachvortrag entkräftet.
bb) Diese Würdigung ist in sich widerspruchsfrei und verstößt nicht gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze. Insbesondere der zeitliche Zusammenhang trägt den Schluss, die Kündigung sei aufgrund der Ankündigung der Klägerin erfolgt (vgl. dazu BAG 23. April 2009 - 6 AZR 189/08 - Rn. 15, BAGE 130, 347 zu § 612a BGB). Soweit der Beklagte die unstreitigen Tatsachen - die Mitteilung der Klägerin und das Fehlen von Verwarnungen und Abmahnungen - anders beurteilt sehen will, setzt er lediglich seine eigene Würdigung an die Stelle derer des Landesarbeitsgerichts. Rechtsfehler zeigt er damit nicht auf.
cc) Die vom Beklagten erstmals in der Revisionsinstanz vorgebrachten Tatsachen können gemäß § 559 Abs. 1 Satz 1 ZPO keine Berücksichtigung mehr finden. Verfahrensrügen iSv. § 559 Abs. 1 Satz 2 iVm. § 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b ZPO hat er nicht erhoben.
C. Der Beklagte hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten seiner erfolglosen Revision zu tragen.
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Kreft |
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Niemann |
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Söller |
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B. Schipp |