Entscheidungsdatum: 14.06.2016
Der beabsichtigten Entscheidung des 3. Strafsenats steht Rechtsprechung des 2. Strafsenats nicht entgegen.
Der 2. Strafsenat schließt sich der Rechtsauffassung des anfragenden Senats an.
Der 2. Strafsenat hat mit Beschluss vom 6. April 2016 in der Sache 2 StR 219/15 die Revisionshauptverhandlung unterbrochen und zur Begründung ausgeführt:
"Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freisprechung im Übrigen wegen versuchter sexueller Nötigung und sexuellen Missbrauchs von Kindern in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt. Hiergegen richtet sich seine auf eine Verfahrensrüge und die Sachbeschwerde gestützte Revision.
Der Senat kann über das Rechtsmittel nicht abschließend entscheiden.
Nach den Feststellungen des Landgerichts missbrauchte der Angeklagte in der Zeit von Sommer 1995 bis Anfang 2010 die Enkelinnen seiner Lebensgefährtin. Eingegrenzt wurden eine Tat zum Nachteil von M. , die zwischen dem 21. August 1995 und dem 1. Dezember 1996 begangen wurde, ferner Taten zum Nachteil der Nebenklägerin, die zwischen dem 17. Januar 1997 und Sommer 1999 (Fall II.2. der Urteilsgründe), zwischen Sommer 2003 und Sommer 2005 (Fall II.3. der Urteilsgründe), im Zeitraum vom 28. September 2000 bis zum 28. Mai 2009 (Fall II.4. der Urteilsgründe) und im Zeitraum zwischen dem 17. Januar 2007 und dem 16. Januar 2010 (Fall II.5. der Urteilsgründe) begangen wurden.
Das Landgericht hat bei der Strafzumessung zugunsten des Angeklagten berücksichtigt, dass die Taten lange zurückliegen. Allerdings komme "dem langen zeitlichen Abstand zwischen Tat und Urteil" bei Fällen sexuellen Kindesmissbrauchs nicht die gleich hohe Bedeutung zu wie in anderen Fällen (vgl. BGH NStZ 2006, 393).
Der Senat neigt zu der Auffassung, dass dem zeitlichen Abstand zwischen Tat und Urteil im Rahmen der Strafzumessung auch bei Taten des sexuellen Missbrauchs eines Kindes im Ansatz die gleiche Bedeutung zukommt, wie bei anderen Straftaten.
Dies entspricht der Auffassung des 3. Strafsenats, der deshalb durch Beschluss vom 29. Oktober 2015 – 3 StR 342/15 (NStZ 2016, 227 f.) bei dem ersten Strafsenat angefragt hat, ob dieser an seiner abweichenden Rechtsauffassung festhält, wie sie im Beschluss vom 8. Februar 2006 – 1 StR 7/06 (NStZ 2006, 393) erläutert wurde. Die Fragestellung ist im vorliegenden Fall ebenso von Bedeutung wie in dem Anfrageverfahren. Daher ist eine Unterbrechung der Revisionshauptverhandlung angezeigt, um das Ergebnis des Anfrageverfahrens berücksichtigen zu können.
Der Senat ist, ebenso wie der 3. Strafsenat, der Auffassung, dass die Strafe eine angemessene staatliche Reaktion auf die Begehung einer Straftat sein soll. Ihre Bemessung erfordert eine am Einzelfall orientierte Abwägung der strafzumessungsrelevanten Umstände. Die Schuld des Täters ist die Grundlage für die Zumessung der Strafe (§ 46 Abs. 1 Satz 1 StGB). Die Wirkungen, die von der Strafe für das künftige Leben des Täters in der Gesellschaft zu erwarten sind, sind zu berücksichtigen (§ 46 Abs. 1 Satz 2 StGB). Der lange Ablauf von Zeit seit der Begehung der Tat mindert zwar nicht die Tatschuld, doch kann er Tat und Täter in einem günstigeren Licht erscheinen lassen, als es bei früherer Ahndung der Fall gewesen wäre (vgl. LK/Theune, StGB, 12. Aufl., § 46 Rn. 240). Das Strafbedürfnis nimmt mit langem Zeitablauf seit der Begehung der Tat ab (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Januar 2008 – GSSt 1/07, BGHSt 52, 124, 142). Das gilt prinzipiell auch für Missbrauchsdelikte (vgl. Senat, Beschluss vom 13. Mai 2015 – 2 StR 535/14, BGHR StGB § 46 Abs. 2 Wertungsfehler 40).
Verjährungsvorschriften regeln dagegen, wie lange eine für strafbar erklärte Tat verfolgt werden soll. Die Verjährung macht eine Tat nicht ungeschehen. Sie lässt das Unrecht der Tat und die Schuld des Täters unberührt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 26. Februar 1969 – 2 BvL 15, 23/68, BVerfGE 25, 269, 294). Die Verjährung der Strafverfolgung soll vielmehr dem Rechtsfrieden dienen und einer Untätigkeit der Behörden vorbeugen (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 1958 – 4 StR 145/58, BGHSt 11, 393, 396; Beschluss vom 23. Januar 1959 – 4 StR 428/58, BGHSt 12, 335, 337 f.). Der Zweck der verjährungsrechtlichen Regelungen besteht hingegen nicht darin, einer Verminderung von Strafzumessungsgründen Rechnung zu tragen.
Dies gilt erst recht für die Regelungen über das Ruhen des Fristablaufs in den Fällen von Missbrauchsdelikten an Kindern, Jugendlichen oder jungen Erwachsenen. Mit der Sonderregelung des § 78b Abs. 1 Nr. 1 StGB, wonach die Verjährung der Strafverfolgung bei Straftaten nach den §§ 174 bis 174c, 176 bis 179, 180 Abs. 3, §§ 182, 225, 226a und 237 bis zur Vollendung des 30. Lebensjahres des Opfers ruht, soll vielmehr der besonderen Situation von Tatopfern Rechnung getragen werden, die als Kinder, Jugendliche oder junge Erwachsene aufgrund familiärer Bindungen oder besonderer Abhängigkeitsverhältnisse gehemmt sind, Übergriffe anzuzeigen. Der Gesetzgeber hat damit nicht bezweckt, Strafzumessungsgesichtspunkte abweichend von den allgemeinen Grundsätzen zu regeln."
In dem Verfahren 2 StR 377/15, dem die gleiche Problematik zugrunde liegt, hat der Senat die weitere Beratung der Sache ebenfalls zurückgestellt.
Fischer Appl Eschelbach
Ott Zeng