Bundesverwaltungsgericht

Entscheidungsdatum: 30.10.2018


BVerwG 30.10.2018 - 2 A 4/17

Grundsätzliche telefonische Erreichbarkeit für Leitungspersonal beim BND


Gericht:
Bundesverwaltungsgericht
Spruchkörper:
2. Senat
Entscheidungsdatum:
30.10.2018
Aktenzeichen:
2 A 4/17
ECLI:
ECLI:DE:BVerwG:2018:301018U2A4.17.0
Dokumenttyp:
Urteil
Zitierte Gesetze
§ 12 S 2 ArbZV
§ 2 Nr 11 ArbZV

Leitsätze

1. Telefonische Erreichbarkeit, ohne die Verpflichtung, binnen einer bestimmten Zeit für Dienstleistungen zur Verfügung zu stehen, ist keine Rufbereitschaft.

2. Ein Beamter kann die Dienstleistung während der Rufbereitschaft, soweit dies im konkreten Fall möglich und zulässig ist, nicht nur in seiner Dienststelle, sondern von jedem anderen Ort aus verrichten.

Tatbestand

1

Der Kläger ist Oberstleutnant (Besoldungsgruppe A 15 BBesO) und als Dauerverwender beim Bundesnachrichtendienst (BND) beschäftigt. Er macht die Gutschrift von Arbeitsstunden aufgrund von Rufbereitschaft geltend.

2

Erstmals wandte sich der Kläger im September 2015 an seinen Dienstherrn mit der Bitte "um rechtliche Prüfung, ob die Anordnung des AL TW des BND zur Erreichbarkeit zu den geforderten Zeiten Rufbereitschaft" sei. Dabei nahm er auf das Protokoll der Abteilungsleiterkonferenz beim BND vom 15. Mai 2015 Bezug. Darin hieß es wörtlich u.a.:

"AL TW weist an, dass (für) Führungspersonal der Abt. TW (er schließt hierbei die SgL-Ebene ein) eine Erreichbarkeit nach Dienst und vornehmlich am Wochenende sicherzustellen ist. Zwischenzeitlich erging hierzu nachfolgende Weisung von PLSA: Herr Pr bittet die Abteilungen, die grundsätzliche Erreichbarkeit auch am Wochenende sicherzustellen, insbesondere derjenigen Mitarbeiter in Leitungsfunktionen. Soweit Diensthandys zur Verfügung gestellt werden, sollten diese auch zur Sicherstellung der Erreichbarkeit genutzt werden. Eine grundsätzliche Erreichbarkeit muss für diesen Personenkreis auch unabhängig von einer angeordneten Rufbereitschaft erwartbar sein."

3

Nachdem der Kläger auf seine Anfrage in der Sache keine Auskunft erhalten hatte, beantragte er im März 2016 zunächst rückwirkend ab dem Jahr 2015 für die Zeit der geltend gemachten Rufbereitschaft die Gutschrift von 323,49 Arbeitsstunden auf sein Gleitzeitkonto. Den Ablehnungsbescheid vom 7. Juni 2016 begründete der BND unter Hinweis darauf, dass Rufbereitschaft nicht angeordnet worden sei.

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Den dagegen gerichteten Widerspruch wies der BND durch mit am 4. Januar 2017 abgesandtem Widerspruchsbescheid vom 29. Dezember 2016 als unbegründet zurück. Zur Begründung hieß es: Anlass für die "Weisung" sei gewesen, dass die Leitung des BND - außerhalb der regulären Dienstzeiten - ohne Erfolg versucht habe, Führungspersonal der unterschiedlichen Abteilungen zu erreichen. Die Wortwahl "AL TW weist an", sei zwar für sich genommen ein Indiz für die materielle Anordnung von Rufbereitschaft. Dagegen spreche aber der Inhalt der "Weisung", wonach nur "eine Erreichbarkeit ... sicherzustellen ist". Gewünscht sei allein die bloße Erreichbarkeit, nicht aber eine Rufbereitschaft. Auch die weitere Aussage, dass bei Führungspersonal auch ohne förmlich angeordnete Rufbereitschaft eine Erreichbarkeit jenseits der Dienststunden erwartbar sei, deute darauf hin, dass die Schwelle zur Rufbereitschaft nicht habe überschritten werden sollen. Erreichbarkeit sei etwas anderes als das "Bereithalten auf Abruf".

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Am 1. Februar 2017 hat der Kläger Klage erhoben. Er ist der Auffassung, dass es sich bei der Weisung des AL TW vom 15. Mai 2015 um die Anordnung von Rufbereitschaft handele. Der Hinweis auf die nur notwendige grundsätzliche Erreichbarkeit unabhängig von einer angeordneten Rufbereitschaft sei ein Ablenkungsmanöver. Rufbereitschaft leiste, wer jederzeit erreichbar sein müsse, um bei Bedarf innerhalb einer vorgegebenen Abrufzeit zur Dienstleistung herangezogen werden zu können.

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Der Kläger beantragt,

den Bescheid des Präsidenten des Bundesnachrichtendienstes vom 7. Juni 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29. Dezember 2016 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, von ihm ab April 2016 geleistete Stunden der Rufbereitschaft unter Berücksichtigung von § 12 AZV seinem Gleitzeitkonto gutzuschreiben oder in Geld auszugleichen und

die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig zu erklären.

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Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

8

Hinsichtlich der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Gerichtsakte sowie auf den beigezogenen Verwaltungsvorgang der Beklagten.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Verpflichtungsklage, für die das Bundesverwaltungsgericht gemäß § 50 Abs. 1 Nr. 4 VwGO in erster und letzter Instanz zuständig ist, hat in der Sache keinen Erfolg. Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf die Gutschrift oder den Geldausgleich für Zeiten von Rufbereitschaft, weil eine solche nicht angeordnet worden ist (1.) Etwas anderes folgt auch nicht aus Unionsrecht (2.).

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1. Die beamtenrechtliche Rufbereitschaft ist in der Arbeitszeitverordnung vom 23. Februar 2006 (- AZV - BGBl. I S. 427) geregelt. Hat ein Beamter über die Arbeitszeit hinaus mehr als zehn Stunden im Kalenderjahr Rufbereitschaft, wird gemäß § 12 Satz 2 AZV innerhalb von zwölf Monaten ein Achtel der über zehn Stunden hinausgehenden Zeit bei feststehender Arbeitszeit als Freizeitausgleich gewährt und bei gleitender Arbeitszeit dem Gleitzeitkonto gutgeschrieben, soweit nicht zwingende dienstliche Gründe entgegenstehen. Den Begriff der Rufbereitschaft bestimmt § 2 Nr. 11 AZV als die Pflicht, sich außerhalb des Arbeitsplatzes bereitzuhalten, um bei Bedarf sofort zu Dienstleistungen abgerufen werden zu können. Damit sind Zeiten, für die Rufbereitschaft angeordnet ist, - anders als Bereitschaftsdienst - keine Arbeitszeit (vgl. § 12 Satz 1 AZV, siehe dazu BVerwG, Urteil vom 17. November 2016 - 2 C 23.15 - BVerwGE 156, 262 Rn. 23 m.w.N.).

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Im Fall des Klägers fehlt es bereits an der Anordnung von Rufbereitschaft i.S.v. § 2 Nr. 11 AZV. Mit den Worten "AL TW weist an" liegt formell zwar eine Weisung des Dienstherrn vor. Der materielle Gehalt dieser Weisung erschöpft sich aber darin, dem Führungspersonal - zu dem der Kläger als Oberstleutnant gehört - aufzugeben, auch am Wochenende grundsätzlich telefonisch erreichbar zu sein. Damit wird eine Pflicht des angewiesenen Beamten, bei Bedarf sofort zu Dienstleistungen abgerufen werden zu können, gerade nicht begründet. Die in der Weisung ausgedrückte Erwartung grundsätzlicher telefonischer Erreichbarkeit am Wochenende greift in die Freiheit des Beamten, außerhalb seiner regelmäßigen Dienstzeit über seine Zeit zu verfügen, und damit in dessen individuelle Lebensführung allenfalls nur in einem sehr geringen Maße ein.

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Bloße grundsätzliche telefonische Erreichbarkeit im Sinne einer telefonischen Ansprechbarkeit, ohne die Verpflichtung binnen einer bestimmten Zeit für Dienstleistungen zur Verfügung zu stehen, ist deshalb keine Rufbereitschaft. Eine solche grundsätzliche Erreichbarkeit des Klägers erwartet der Dienstherr zudem ausdrücklich "unabhängig von einer angeordneten Rufbereitschaft". Auch dies deutet aus Sicht eines objektiven Beobachters darauf hin, dass mit der Weisung nicht Rufbereitschaft angeordnet worden ist.

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Ohne dass es vorliegend entscheidungserheblich ist, weist der Senat zur weiteren Klärung des Begriffs Rufbereitschaft nach § 2 Nr. 11 AZV auf das Folgende hin: Ordnet der Dienstherr Rufbereitschaft an, ist diese Zeit nach § 12 Satz 2 AZV auszugleichen. Darüber hinaus ist die während der Rufbereitschaft vom Beamten ggf. konkret erbrachte Zeit der Dienstleistung auszugleichen. An einen bestimmten Ort ist die Dienstleistung - vorbehaltlich besonderer sicherheitsrelevanter Einschränkungen - nicht geknüpft (anders noch BVerwG, Urteil vom 22. Januar 2009 - 2 C 90.07 - Buchholz 240.1 BBesO Nr. 31 Rn. 12). Der Beamte kann die Dienstleistung während der Rufbereitschaft, soweit dies im konkreten Fall möglich und zulässig ist, also nicht nur in seiner Dienststelle, sondern von jedem anderen Ort aus verrichten. In Betracht kommt das insbesondere bei digital zu erbringenden Dienstleistungen.

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2. Aus Unionsrecht kann der Kläger keine weitergehenden Rechte herleiten. Gemäß Art. 31 Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRC) vom 12. Dezember 2007 (ABl. EU Nr. C 303, 1) hat jeder Arbeitnehmer das Recht auf gesunde, sichere und würdige Arbeitsbedingungen, insbesondere auf eine Begrenzung der Höchstarbeitszeit und auf tägliche und wöchentliche Ruhezeiten. Die Richtlinie 2003/88/EG (EU-Arbeitszeitrichtlinie), die auch für Beamte gilt, konkretisiert diesen Anspruch für bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung (vgl. zuletzt BVerwG, Urteile vom 20. Juli 2017 - 2 C 31.16 - BVerwGE 159, 245 Rn. 10 ff. und vom 19. April 2018 - 2 C 40.17 - NVwZ 2018, 1314 Rn. 30 ff.).

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Nach der Legaldefinition in Art. 2 Nr. 1 Richtlinie 2003/88/EG ist Arbeitszeit jede Zeitspanne, während der ein Arbeitnehmer gemäß den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder Gepflogenheiten arbeitet, dem Arbeitgeber zur Verfügung steht und seine Tätigkeit ausübt oder Aufgaben wahrnimmt. Danach liegt gemäß der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (vgl. zuletzt EuGH, Urteil vom 21. Februar 2018 - C-518/15 [ECLI:EU:C:2018:82], Matzak - NJW 2018, 1073 Rn. 53) Rufbereitschaftszeit in einem für einen Feuerwehrmann entschiedenen Fall vor, wenn ein Arbeitnehmer Zeit zu Hause oder an einem sonstigen Ort jenseits der Arbeitsstätte verbringt, während der er verpflichtet ist, einem Ruf des Arbeitgebers zum Einsatz innerhalb kurzer Zeit Folge zu leisten. Dadurch ist er in der Möglichkeit, anderen Tätigkeiten nachzugehen, eingeschränkt, muss sich aber nicht am Arbeitsplatz aufhalten. Deshalb ist bei angeordneter Rufbereitschaft unionsrechtlich nur die Zeit, die für die tatsächliche Erbringung von Leistungen aufgewandt wird, als "Arbeitszeit" im Sinne der Richtlinie 2003/88/EG anzusehen (EuGH, Urteile vom 21. Februar 2018 - C-518/15 [ECLI:EU:C:2018:82], Matzak - Rn. 60 und vom 9. September 2003 - C-151/02 [ECLI:EU:C:2003:437], Jaeger - Slg. 2003, I-8389 Rn. 65).

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Damit bleibt das Unionsrecht hinter dem Anspruch eines Beamten aus § 12 Satz 2 AZV zurück, der dem Beamten - wie ausgeführt - für Zeiten der Rufbereitschaft, die mehr als zehn Stunden im Kalendermonat übersteigt, einen Anspruch auf Gutschrift für die jeweilige Rufbereitschaftszeit gewährt, die innerhalb von zwölf Monaten ein Achtel der über zehn Stunden hinausgehenden Zeit ausmacht.

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3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.