Bundespatentgericht

Entscheidungsdatum: 21.02.2018


BPatG 21.02.2018 - 19 W (pat) 38/17

Patenteinspruchsbeschwerdeverfahren – "Kontaktierungseinheit zur Kontaktierung von Anschlusskontakten elektronischer Bauelement" – zur Offenbarung eines auf einer Messe ausgestellten und vorgeführten Kontaktsockels


Gericht:
Bundespatentgericht
Spruchkörper:
19. Senat
Entscheidungsdatum:
21.02.2018
Aktenzeichen:
19 W (pat) 38/17
ECLI:
ECLI:DE:BPatG:2018:210218B25Wpat43.17.0
Dokumenttyp:
Beschluss
Zitierte Gesetze

Tenor

In der Beschwerdesache

betreffend das Patent 10 2007 058 365

hat der 19. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 4. Dezember 2017 und 21. Februar 2018 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Dipl.-Ing. Kleinschmidt, der Richterin Kirschneck sowie der Richter Dipl.-Phys. Dipl.-Wirtsch.-Phys. Arnoldi und Dipl.-Phys. Dr. Haupt

beschlossen:

Die Beschwerden der Patentinhaberin und der Einsprechenden werden zurückgewiesen.

Gründe

I.

1

Auf die am 3. Dezember 2007 eingereichte Anmeldung ist mit Beschluss vom 18. Januar 2010 das Patent 10 2007 058 365 mit der Bezeichnung „Kontaktierungseinheit zur Kontaktierung von Anschlusskontakten elektronischer Bauelemente“ erteilt worden. Die Veröffentlichung der Patenterteilung ist am 2. September 2010 erfolgt.

2

Gegen das Patent hat die Einsprechende mit Schriftsatz vom 2. Dezember 2010, eingegangen beim Deutschen Patent- und Markenamt am selben Tag, Einspruch eingelegt und beantragt, das Patent in vollem Umfang zu widerrufen. Die Einsprechende hat sinngemäß geltend gemacht, der Gegenstand des Patents sei nach den §§ 1 bis 5 PatG nicht patentfähig.

3

Hinsichtlich des geltend gemachten Einspruchsgrunds der mangelnden Patentfähigkeit hat die Einsprechende neben den beiden bereits im Prüfungsverfahren in Betracht gezogenen Druckschriften

4

E4: US 6 756 798 B2 und

5

E6: US 2005/0130504 A1

6

sowie deren Familienmitgliedern

7

E1: US 7 005 869 B2,

8

E3: WO 2004/003575 A2 und

9

E7: DE 102 29 541 A1

10

die folgende Patentschrift genannt:

11

E5: US 6 794 890 B1.

12

Weiterhin hat die Einsprechende die offenkundige Vorbenutzung eines als „Waffle Kelvin“ bezeichneten Kontaktsockels geltend gemacht. Der Kontaktsockel sei auf der Messe „Semicon Europe 2006“ in München ausgestellt gewesen und zudem an einen Kunden, die Firma A… Inc., geliefert worden.

13

Zur geltend gemachten Ausstellung des Kontaktsockels „Waffle Kelvin“ auf der Messe hat die Einsprechende Zeugenbeweis angeboten und verschiedene Dokumente eingereicht:

14

E2: Präsentationsfolien mit dem Titel „Contactors January 2007“ der Firma Multitest elektronische Systeme GmbH, Rosenheim, 11/19/2010.

15

E13 bis E16: Eidesstattliche Versicherungen.

16

E17: Präsentationsfolien mit dem Titel „Contactors from Kelvin to Blue Ceramic …“ der Firma Multitest elektronische Systeme GmbH, ohne Datum (Anlage zu E16).

17

E18: Plan des Messestands der Firma Multitest elektronische Systeme GmbH auf der Semicon Europe 2006 (Anlage zu E16).

18

E19: Fotografie des Messestands der Firma Multitest elektronische Systeme GmbH auf der Semicon Europe 2006 (Anlage zu E16).

19

E23: ISCOFF, Ron: Test & Burn-in Socket Update: Gauging the Impact of the EU's RoHS Pb-Free Mandate. In: Chip Scale Review, May - June 2006 issue.

20

Zur geltend gemachten Lieferung des Kontaktsockels „Waffle Kelvin“ an die Firma A… Inc. hat die Einsprechende ebenfalls Zeugenbeweis ange- boten und verschiedene Dokumente eingereicht:

21

E8 bis E11: Technische Zeichnungen.

22

E12: Delivery note no.: 10007999, Date 30.06.2004.

23

E20: Eidesstattliche Versicherung.

24

E21, E22: Technische Zeichnungen (Anlagen zu E20).

25

Die Patentinhaberin ist dem Vorbringen der Einsprechenden entgegengetreten, insbesondere hat sie die geltend gemachten Vorbenutzungen bestritten und als Beweismittel eine Zeugeneinvernahme angeboten.

26

Die Patentinhaberin hat im Einspruchsverfahren beantragt, das Patent in vollem Umfang, hilfsweise in der Fassung gemäß Hilfsantrag 1 vom 9. Juli 2014 in beschränktem Umfang aufrechtzuerhalten.

27

Hinsichtlich der hilfsweise verteidigten Fassung des Patents nach dem Hilfsantrag 1 hat die Einsprechende neben fehlender Patentfähigkeit (§§ 1 bis 5 PatG) auch unzulässige Erweiterung (§ 21 Absatz 1 Nummer 4 PatG) und mangelnde Offenbarung (§ 21 Absatz 1 Nummer 2 PatG) geltend gemacht.

28

Mit Beweisbeschluss vom 11. April 2014 hat die Patentabteilung 1.35 beschlossen, dass über mehrere Fragen der geltend gemachten offenkundigen Vorbenutzung durch Vernehmung mehrerer Zeugen Beweis zu erheben sei.

29

In der Anhörung am 9. Juli 2014 haben die Zeugen der Einsprechenden weitere Dokumente zu der geltend gemachten Ausstellung und Lieferung des Kontaktsockels

30

E24: Delivery note no.: 10007999, Date 30.06.2004.

31

E25: Bildschirmabzug aus dem ERP-System der Einsprechenden.

32

E26: 5 Fotografien des Messestandes der der Multitest elektronische Systeme GmbH auf der Semicon Europe 2006.

33

und ein

34

 Modell des Kontaktsockels „Waffle Kelvin“

35

vorgelegt, welcher unter der Modell-ID M141562760248403439399 in der Modellverwaltung des Patentamts archiviert ist. Das Dokument E24 ist die Kopie des Lieferscheins vom 30. Juni 2004 aus dem Archiv der Einsprechenden, das Dokument E12 hingegen ein am 26. November 2010 erstellter Nachdruck aus der Datenbank der Einsprechenden.

36

Die Patentabteilung hat in der Anhörung am 9. Juli 2014 Beweis erhoben durch Inaugenscheinnahme des vorgelegten Modells des Kontaktsockels „Waffle Kelvin“; zu der Inaugenscheinnahme wurde ein Berichterstattervermerk vom 6. August 2014 gefertigt.

37

Mit am Ende der Anhörung vom 9. Juli 2014 verkündeten Beschluss hat die Patentabteilung 1.35 des Deutschen Patent- und Markenamts das Patent im Umfang der Patentansprüche 1 bis 13 gemäß Hilfsantrag 1 beschränkt aufrechterhalten.

38

Gegen diesen Beschluss richten sich die Beschwerde der Patentinhaberin vom 18. November 2014, eingegangen beim Deutschen Patent- und Markenamt per Fax am selben Tag, und die Beschwerde der Einsprechenden vom 5. Dezember 2014, eingegangen beim Deutschen Patent- und Markenamt am selben Tag.

39

Der in der Modellverwaltung des Patentamts archivierte Kontaktsockel wurde vom Senat für das Beschwerdeverfahren beigezogen.

40

Der Senat hat in der mündlichen Verhandlung am 4. Dezember 2017 beschlossen, dass insbesondere über die Fragen, ob, wann und unter welchen Umständen der Kontaktsockel „Waffle Kelvin“ auf der Messe „Semicon Europe 2006“ für die Öffentlichkeit zugänglich war, durch Vernehmung des Zeugen Herrn  G… Beweis erhoben wird. Die mündliche Verhandlung wurde am 21. Februar 2018 mit der Beweisaufnahme fortgesetzt.

41

Die Patentinhaberin reicht im Beschwerdeverfahren Ablichtungen von Geschäftsbedingungen der Einsprechenden bzw. verbundener Unternehmen mit farblichen Hervorhebungen durch die Patentinhaberin ein, die der Senat als P1 bis P3 bezeichnet:

42

P1: Multitest elektronische Systeme GmbH, Multitest Electronic Systems (Asia) Pte Ltd, Multitest Electronic Systems, Inc., Multitest Electronic Systems (Penang) Sdn. Bhd. (513668-H). Geschäftsbedingungen, geltend ab 22. Oktober 2008 (vgl. letzte Seite, drittletzter Satz),

43

P2: MULTITEST ELEKTRONISCHE SYSTEME GMBH. Allgemeine Geschäftsbedingungen, geltend ab 1. März 2012 (vgl. letzte Seite, drittletzter Satz),

44

P3: EVERETT CHARLES TECHNOLOGIES, Inc., AND/OR MULTITEST ELEKTRONIC SYSTEMS, INC. TERMS AND CONDITIONS OF SALE, geltend ab 1. November 2011 (vgl. letzte Seite, Abschnitt 26, erster Satz).

45

Weiterhin reicht die Patentinhaberin technische Zeichnungen und die Seite 3 des Berichterstattervermerks vom 6. August 2014 jeweils mit farblichen Ergänzungen durch die Pateninhaberin ein, die der Senat als P4 bis P6 bezeichnet:

46

P4: Technische Zeichnung E9 mit farblichen Ergänzungen der Patentinhaberin,

47

P5: Ausschnitt der technischen Zeichnung E21 mit farblichen Ergänzungen der Patentinhaberin,

48

P6: Seite 3 des Berichterstattervermerks vom 6. August 2014 mit farblichen Ergänzungen der Patentinhaberin.

49

Die Einsprechende legt zur geltend gemachten Lieferung des Kontaktsockels „Waffle Kelvin“ an die A… Inc. die teilgeschwärzte Ablichtung einer Rechnung vor:

50

E27: Invoice No.: 04156667, Date 30.06.2004.

51

Die Patentinhaberin beantragt,

52

den Beschluss der Patentabteilung 1.35 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 9. Juli 2014 aufzuheben und das Patent 10 2007 058 365 im erteilten Umfang aufrechtzuerhalten

53

sowie die Beschwerde der Einsprechenden zurückzuweisen.

54

Die Einsprechende beantragt,

55

den angefochtenen Beschluss aufzuheben und das angegriffene Patent vollständig zu widerrufen

56

sowie die Beschwerde der Patentinhaberin zurückzuweisen.

57

In der erteilten Fassung lauten die nebengeordneten Ansprüche 1, 13 und 14:

58

1. Kontaktierungseinheit (1) zur Kontaktierung von Anschlusskontakten (5) elektronischer Bauelemente (3) mit mindestens einer Kontaktfeder (7a, 7b), die einen Kontaktbereich (8) aufweist und die so federnd ausgebildet und/oder gelagert ist, dass in einer Testposition eines Bauelements (3) relativ zur Kontaktierungseinheit (1) der Kontaktbereich (8) der Kontaktfeder (7a, 7b) gegen einen Anschlusskontakt (5) des Bauelements (3) gedrückt wird, dadurch gekennzeichnet, dass die Kontaktfeder (7a, 7b) mehrere separat federnde Kontaktfederteile (19a, 19b) aufweist, die unter Bildung eines Leiterverbunds so eng aneinander liegen, dass sie elektrisch miteinander verbunden sind.

59

13. Testvorrichtung (11) zum Testen von elektronischen Bauelementen (3) mit einer Anzahl von Kontaktierungseinheiten (1) nach einem der vorhergehenden Ansprüche, gekennzeichnet durch einen Träger (27), auf dem die Anzahl der Kontaktierungseinheiten (1) entsprechend der Anordnung der Anschlusskontakte (5) der zu testenden Bauelemente (3) fixiert ist.

60

14. Verfahren zur Kontaktierung von Anschlusskontakten (5) elektronischer Bauelemente (3) mit einer Kontaktierungseinheit (1), die eine Anzahl Kontaktfedern (7a, 7b) aufweist, bei dem das elektronische Bauelement (3) relativ zur Kontaktierungseinheit (1) zum Testen in eine Testposition bewegt wird, in der jeweils ein Anschlusskontakt (5) auf federnd ausgebildete und/oder gelagerte Kontaktbereiche (8) der Kontaktfedern (7a, 7b) gedrückt wird, dadurch gekennzeichnet, dass hierzu eine Kontaktierungseinheit (7a, 7b) gemäß einem der Ansprüche 1 bis 12 verwendet wird.

61

In der von der Patentabteilung 1.35 als bestandsfähig erachteten Fassung lauten die nebengeordneten Ansprüche 1, 12 und 13:

62

1. Kontaktierungseinheit (1) zur Kontaktierung von Anschlusskontakten (5) elektronischer Bauelemente (3), welche eine Anzahl von Kontaktfederpaaren mit jeweils einer ersten und einer davon getrennten zweiten Kontaktfeder (7a, 7b) mit einem Kontaktbereich (8) aufweist, wobei die Kontaktfedern (7a, 7b) so federnd ausgebildet und/oder gelagert sind, dass in einer Testposition eines Bauelements (3) relativ zur Kontaktierungseinheit (1) der Kontaktbereich (8) der Kontaktfeder (7a, 7b) gegen einen Anschlusskontakt (5) des Bauelements (3) gedrückt wird, wobei die Kontaktfedern (7a, 7b) eines Kontaktfederpaares so angeordnet sind, dass sie für eine Kelvin-Kontaktierung beide jeweils gegen denselben Anschlusskontakt (5) des Bauelements (3) gedrückt werden,

63

und wobei die Kontaktfedern (7a, 7b) jeweils mehrere separat federnde Kontaktfederteile (19a, 19b) aufweisen, die unter Bildung eines Leiterverbunds so eng aneinander liegen, dass sie elektrisch miteinander verbunden sind.

64

12. Testvorrichtung (11) zum Testen von elektronischen Bauelementen (3) mit einer Anzahl von Kontaktierungseinheiten (1) nach einem der vorhergehenden Ansprüche, gekennzeichnet durch einen Träger (27), auf dem die Anzahl der Kontaktierungseinheiten (1) entsprechend der Anordnung der Anschlusskontakte (5) der zu testenden Bauelemente (3) fixiert ist.

65

13. Verfahren zur Kontaktierung von Anschlusskontakten (5) elektronischer Bauelemente (3) mit einer Kontaktierungseinheit (1), die eine Anzahl Kontaktfedern (7a, 7b) aufweist, bei dem das elektronische Bauelement (3) relativ zur Kontaktierungseinheit (1) zum Testen in eine Testposition bewegt wird, in der jeweils ein Anschlusskontakt (5) auf federnd ausgebildete und/oder gelagerte Kontaktbereiche (8) der Kontaktfedern (7a, 7b) gedrückt wird, dadurch gekennzeichnet, dass hierzu eine Kontaktierungseinheit (7a, 7b) gemäß einem der Ansprüche 1 bis 11 verwendet wird.

66

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Akte verwiesen.

II.

67

1. Die statthaften und auch sonst zulässigen Beschwerden der Patentinhaberin und der Einsprechenden haben keinen Erfolg.

68

2. Der Einspruch ist zulässig (§ 59 Abs. 1 PatG), insbesondere ist er fristgerecht am 2. Dezember 2010 eingegangen sowie ausreichend substantiiert.

69

3. Die Erfindung betrifft eine Kontaktierungseinheit zur Kontaktierung von Anschlusskontakten elektronischer Bauelemente, z. B. integrierter Schaltkreise (ICs), eine Testvorrichtung mit einer Anzahl der Kontaktierungseinheiten zum Testen der elektronischen Bauelemente und ein Verfahren zur Kontaktierung von Anschlusskontakten elektronischer Bauelemente mit der Kontaktierungseinheit (vgl. Streitpatentschrift, Absatz 0001).

70

In der Beschreibungseinleitung des Streitpatents ist ausgeführt, dass Kontaktierungseinheiten für die Qualitätsprüfung und zum Testen integrierter Schaltkreise bekannt seien, um die Schaltkreise auf definierte Weise kurzfristig mit einer Testschaltung zu verbinden. Bei integrierten Schaltkreisen handele es sich um relativ kleine Bauelemente mit in der Regel sehr vielen Kontaktanschlüssen, die oft auch als „Beinchen” bezeichnet würden. Ungeachtet der unterschiedlichen möglichen Formen der Beinchen müsse jeder einzelne Anschlusskontakt jedes zu testenden Schaltkreises beim Test von Kontaktfedern mit einer bestimmten Kontaktkraft kontaktiert werden, damit der für den Test erforderliche Strom fließen könne (vgl. Streitpatentschrift, Absatz 0002).

71

Beim Testen von integrierten Schaltkreisen mittels Kontaktierungseinheiten spiele die Größe des Kontaktbereichs der Kontaktfeder zu den Beinchen eine entscheidende Rolle. Speziell bei Testanwendungen, bei denen Spitzenströme von mehr als 100 A, bevorzugt in einem Zeitfenster von 5 ms bis 10 ms, fließen würden (sogenannte Hochstrom- oder Poweranwendungen), sei es von entscheidender Bedeutung, dass der Kontaktbereich möglichst groß sei, um lokal auftretende Stromspitzen möglichst zu vermeiden. Wenn derartige Stromspitzen auftreten würden, bestünde die Tendenz, dass der Kontaktbereich aufschmelze und somit sowohl das Bauelement als auch die Kontaktfeder unbrauchbar würden. Normalerweise müssten die Kontaktfedern erst ausgetauscht werden, wenn der Kontaktbereich der Kontaktfedern seine Verschleißgrenze erreicht habe. Das sei üblicherweise nach ca. 1 bis 2 Millionen Testzyklen der Fall. Würden die Kontaktfedern jedoch im Rahmen von Hochstromanwendungen überbeansprucht, sinke die Lebensdauer der Kontaktfedern dramatisch. Die Gefahr, dass Kontaktfedern noch vor dem eigentlich geplanten routinemäßigen Austausch ausgewechselt werden müssten, steige dadurch erheblich an. Das bedeute zusätzlichen Wartungsaufwand und damit kürzere Wartungsintervalle. Die damit verbundenen zusätzlichen Stillstandzeiten der Kontaktierungseinheit sowie der Mehrverbrauch an Kontaktfedern stellten gerade unter Kostengesichtspunkten einen erheblichen Nachteil dar (vgl. Streitpatentschrift, Absätze 0005 und 0006).

72

Es sei daher Aufgabe der Erfindung, eine Kontaktierungseinheit bereitzustellen, die insbesondere für Hochstromanwendungen geeignet sei und insbesondere bessere Verschleißwerte der Kontaktfedern bei Hochstromanwendungen aufweise. Weiterhin sei es Aufgabe der Erfindung, ein entsprechendes Verfahren zur Kontaktierung von Anschlusskontakten elektronischer Bauelemente bereitzustellen (vgl. Streitpatentschrift, Absatz 0007).

73

Zur Lösung dieser Aufgabe schlägt der Anspruch 1 in der erteilten Fassung eine Kontaktierungseinheit mit folgenden Merkmalen vor:

74

M1 Kontaktierungseinheit (1)

75

M1.1 zur Kontaktierung von Anschlusskontakten (5) elektronischer Bauelemente (3)

76

M2 mit mindestens einer Kontaktfeder (7a, 7b),

77

M2.1 die einen Kontaktbereich (8) aufweist und

78

M2.2 die so federnd ausgebildet und/oder gelagert ist,

79

M2.2.1 dass in einer Testposition eines Bauelements (3) relativ zur Kontaktierungseinheit (1) der Kontaktbereich (8) der Kontaktfeder (7a, 7b) gegen einen Anschlusskontakt (5) des Bauelements (3) gedrückt wird,

80

dadurch gekennzeichnet, dass

81

M3 die Kontaktfeder (7a, 7b) mehrere separat federnde Kontaktfederteile (19a, 19b) aufweist,

82

M3.1 die unter Bildung eines Leiterverbunds so eng aneinander liegen,

83

M3.2 dass sie elektrisch miteinander verbunden sind.

84

In der beschränkt aufrechterhaltenen Fassung lässt sich der Anspruch 1 wie folgt gliedern:

85

M1 Kontaktierungseinheit (1)

86

M1.1 zur Kontaktierung von Anschlusskontakten (5) elektronischer Bauelemente (3),

87

M2a welche eine Anzahl von Kontaktfederpaaren mit jeweils einer ersten und einer davon getrennten zweiten Kontaktfeder (7a, 7b)

88

M2.1 mit einem Kontaktbereich (8) aufweist,

89

M2.2 wobei die Kontaktfedern (7a, 7b) so federnd ausgebildet und/oder gelagert sind,

90

M2.2.1 dass in einer Testposition eines Bauelements (3) relativ zur Kontaktierungseinheit (1) der Kontaktbereich (8) der Kontaktfeder (7a, 7b) gegen einen Anschlusskontakt (5) des Bauelements (3) gedrückt wird,

91

M2.2.2a wobei die Kontaktfedern (7a, 7b) eines Kontaktfederpaares so angeordnet sind, dass sie für eine Kelvin-Kontaktierung beide jeweils gegen denselben Anschlusskontakt (5) des Bauelements (3) gedrückt werden, und wobei

92

M3 die Kontaktfedern (7a, 7b) jeweils mehrere separat federnde Kontaktfederteile (19a, 19b) aufweisen,

93

M3.1 die unter Bildung eines Leiterverbunds so eng aneinander liegen,

94

M3.2 dass sie elektrisch miteinander verbunden sind.

95

4. Vor diesem Hintergrund legt der Senat seiner Entscheidung als Fachmann einen in der Prüf- und Messtechnik tätigen Elektrotechnikingenieur mit Fachhochschulabschluss zu Grunde, der sich schwerpunktmäßig mit der Entwicklung von Test- und Kontaktvorrichtungen für den Test elektronischer Bauelemente beschäftigt.

96

5. Der Fachmann versteht die erläuterungsbedürftigen Angaben in der erteilten bzw. der beschränkt aufrechterhaltenen Fassung wie folgt:

97

Unter der Bildung eines Leiterverbunds (vgl. Merkmale M3.1, M3.2) versteht das Streitpatent, dass die Kontaktfederteile einer Kontaktfeder so ausgebildet und zueinander angeordnet sind, dass sie einen guten elektrischen Kontakt zueinander haben, wobei die Kontaktfederteile analog zu einzelnen Drähten in einem Litzenkabel wirken (vgl. Streitpatentschrift, Absatz 0012). Eine Litze bezeichnet in der Elektrotechnik üblicherweise einen aus dünnen voneinander isolierten oder unisolierten Einzeldrähten bestehenden und daher leicht zu biegenden elektrischen Leiter. Was ein guter elektrischer Kontakt zwischen Kontaktfederteilen ist, bestimmt sich für den Fachmann insbesondere aus dem mit der Kontaktierungseinheit konkret durchzuführenden Test des Bauelements (vgl. Merkmal M2.2.1), zu welchem der erteilte Anspruch 1 keine Vorgaben enthält. Der Fachmann stellt etwa beim Test von Schaltkreisen für Hochstrom- oder Poweranwendungen (vgl. Streitpatentschrift, Absatz 0005) andere Anforderungen an die Übergangswiderstände zwischen den Kontaktfederteilen als beim Test mit niedrigen Strömen. Das Streitpatent enthält auch keinerlei Angaben dazu, welche Maßnahmen der Fachmann zu ergreifen hat, damit zwischen eng aneinander liegenden Kontaktfederteilen ein guter elektrischer Kontakt sichergestellt ist. Dafür in Frage kommende Maßnahmen, etwa geeignete Wahl des Materials der Kontaktfederteile, Erhöhung der Kontaktnormalkraft zwischen den Kontaktfederteilen oder zusätzliche Oberflächenbeschichtung bzw. -bearbeitung rechnet das Streitpatent vielmehr dem allgemeinen Fachwissen des Fachmanns zu.

98

Eine Anzahl von Kontaktfederpaaren (vgl. Merkmal M2a) versteht der Fachmann als ein Paar, zwei Paare oder mehr Paare von Kontaktfedern.

99

Unter einer ersten und einer davon getrennten zweiten Kontaktfeder eines Kontaktfederpaars (vgl. Merkmal M2a) versteht der Fachmann zwei separate Bauteile, die jeweils für sich eine Kontaktfeder darstellen. Nach dem nicht patentbeschränkenden Ausführungsbeispiel sind die Kontaktfedern 7a, 7b voneinander elektrisch (vgl. Patentschrift, Absatz 0043) und räumlich getrennt und berühren sich nicht (vgl. Patentschrift, Absatz 0045).

100

Als Kelvin-Kontaktierung (vgl. Merkmal M2.2.2a) definiert das Patent eine Kontaktierung zur Messung des Übergangswiderstands zwischen den Kontaktfedern und den zu kontaktierenden Anschlusskontakten des zu prüfenden Bauelements (vgl. Absatz 0003). Für eine Kelvin-Kontaktierung sind die Kontaktfedern 7a, 7b eines Kontaktfederpaares so angeordnet, dass sie beide jeweils gegen denselben Anschlusskontakt 5 des Bauelements 3 gedrückt werden (vgl. Merkmal M2.2.a). Das Patent spricht in diesem Zusammenhang auch von „Zwei-Draht-Kelvin-Kontaktierungssystemen” (vgl. Patentschrift, Absatz 0020). Damit versteht das Patent den Begriff der „Kelvin-Kontaktierung“ abweichend von seiner üblichen Bedeutung nicht als Vierleitermessung, bei welcher über zwei Leitungen (force) ein bekannter elektrischer Strom einem Bauelement aufgeprägt wird und die am Bauelement abfallende Spannung hochohmig über zwei weitere Leitungen (sense) abgegriffen wird, sondern als dieser vorgelagerte Messung, bei der vor der (Vierleiter-)Testung an jedem Anschlusskontakt in einer Schleife über die beiden Kontaktfedern der Kelvin-Kontaktierung der Übergangswiderstand der Kontaktierung zu den Kontaktfedern eines Kontaktfederpaares bestimmt wird (vgl. Patentschrift, Absatz 0020).

101

6. Die Beschwerde der Pateninhaberin hat keinen Erfolg, da die Gegenstände der erteilten nebengeordneten Ansprüche 1, 13 und 14 nicht als neu gelten (§ 3 PatG).

102

6.1 Der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 gilt gegenüber dem Stand der Technik nach dem Kontaktsockel „Waffle Kelvin“ nicht als neu.

103

6.1.1 Nach der Zeugeneinvernahme in der mündlichen Verhandlung sieht es der Senat als erwiesen an, dass ein baugleiches Exemplar des in der Modellverwaltung des Patentamts archivierten und vom Senat beigezogenen Modells des Kontaktsockels „Waffle Kelvin“ auf der Messe „Semicon Europe 2006“ vom 3. bis 6. April 2006 in München ausgestellt und der Öffentlichkeit vorgeführt wurde.

104

a) Der glaubwürdige Zeuge G… hat in der Vernehmung seine Beteiligung an der Ausstellung und Vorführung des Kontaktsockels auf der Messe detailliert geschildert. Der Zeuge gab an, dass er an wenigstens zwei Tagen auf der Messe am Messestand anwesend und dort als Produktexperte zur Unterstützung der Vertriebsexperten tätig war. Der Kontaktsockel „Waffle Kelvin“ wurde seiner Aussage nach in einem zentralen Bereich einer abgeschlossenen Vitrine gezeigt, hinter einer Lupe in der Frontscheibe. Der Zeuge war sich in der mündlichen Verhandlung sicher, dass das auf der Messe befindliche Exemplar des Kontaktsockels baugleich mit dem vom Senat beigezogenen und in der mündlichen Verhandlung gezeigten Exemplar gewesen sei.

105

Der Zeuge gab an, dass Messebesucher den ausgestellten Kontaktsockel visuell in der verschlossenen Vitrine wahrnehmen konnten. Auf Nachfragen sei der Sockel auch zum Kundengespräch aus der Vitrine entnommen und vorgezeigt worden. Den Messebesuchern sei im Gespräch der Aufbau der Kontaktfeder aus einzelnen Lamellen beschrieben und vorgeführt und dabei erläutert worden, dass die Lamellen die Eigenschaft haben, sich an unterschiedlich geformte Oberflächen anzupassen. Es sei insbesondere erläutert worden, dass die Lamellen elektrisch untereinander in Kontakt stehen. Der Zeuge sagte aus, er persönlich habe den Kontaktsockel einzelnen Messebesuchern erläutert. Er habe die Technik bekannten und potentiellen Kunden erläutert, er erinnere sich nicht, einen Interessenten abgewiesen zu haben, er könne allerdings auch nicht mit Sicherheit einzelne Personen benennen, denen er die Technik erläutert habe. Mögliche Geheimhaltungsverpflichtungen seien ihm nicht bekannt und seien auch nicht angesprochen worden.

106

Der Zeuge gab weiterhin an, sich deshalb sehr genau an die Ereignisse im Jahr 2006 zu erinnern, weil für diese Messe erstmals eine neue Ausstellungstechnik, ein Messeterminal zur Präsentation von Power-Point-Folien und ein Produktfilm eingesetzt worden seien. Außerdem sei das Exponat des Kontaktierungssockels besonders geeignet für Präsentationen und Erläuterungen, was bei früheren Produkten eher nicht der Fall gewesen sei.

107

Der Senat verkennt nicht, dass einzelne Aussagen des Zeugen nicht widerspruchsfrei waren, so musste der Zeuge im Verlauf der Zeugeneinvernahme etwa seine Aussage zur überwiegenden Anwesenheit am Messestand revidieren, vielmehr sei es jeweils nur etwa ein halber Tag gewesen. Auch die Aussage, der dem Senat als Modell vorliegende Kontaktsockel „Waffle Kelvin“ sei nach den von der Einsprechenden vorgelegten Zeichnung E21 gefertigt worden, hat der Zeuge auf Vorhaltungen der Patentinhaberin revidiert und angegeben, er wisse nicht, wie die Unterschiede zwischen den Zeichnungen E9/E21 und dem ausgestellten Kontaktsockel erklärbar wären.

108

Diese Widersprüche haben jedoch nicht die Glaubhaftigkeit der Aussagen des Zeugen zur Ausstellung und Vorführung des Modells des Kontaktsockels auf der Messe „Semicon Europe 2006“ erschüttert. Für den Senat ist es ohne Belang, ob der Zeuge an wenigstens zwei Tagen oder nur zwei halbe Tage am Messestand anwesend war, und ob die Zeichnung E9 abweichend zu dem vom Senat beigezogenen Modell mit 16 separat federnden Kontaktfederteilen einen Kontaktsockel mit 18 separat federnden Kontaktfederteile zeigt.

Abbildung

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109

Denn diese und die weiteren von der Patentinhaberin in den Anlagen P4 bis P6 aufgezeigten Abweichungen zwischen den Zeichnungen E9/E21 und dem beigezogenen Modell des Kontaktsockels sind geringfügig, es kann regelmäßig nicht erwartet werden, dass sich ein Zeuge nach mehr als 10 Jahren an derartige Unterschiede erinnert. Im Übrigen wurden nicht die Zeichnungen E21 bzw. E9, sondern ein Modell des Kontaktsockels auf der Messe ausgestellt.

110

b) Die in den Geschäftsbedingungen P1 bis P3 der Einsprechenden enthaltenen Geheimhaltungsverpflichtungen können dahingestellt bleiben. Zum einen gelten diese Geschäftsbedingungen lediglich für den Verkauf aller Produkte und damit zusammenhängenden Dienstleistungen der Einsprechenden (vgl. Anlagen P1 bis P3, jeweils Seite 1, erster Absatz) und somit offensichtlich nicht für Messebesuche. Zum anderen werden Messebesucher sicher nicht erwarten, dass ein auf einer Messe in einer Glasvitrine ausgestellter Gegenstand geheim zu halten ist.

111

6.1.2 Das auf der Messe „Semicon Europe 2006“ vom 3. bis 6. April 2006 in München ausgestellte und vorgeführte Modell des Kontaktsockels „Waffle Kelvin“ offenbart alle Merkmale des erteilten Anspruchs 1.

112

Durch Betrachtung des Kontaktsockels „Waffle Kelvin“ erkennt der Fachmann eine Kontaktierungseinheit (im Bild 1 des angegriffenen Beschlusses mit dem Bezugszeichen A bezeichnet) zur Kontaktierung von Anschlusskontakten elektronischer Bauelemente mit mindestens einer Kontaktfeder (vgl. Bild 1 des angegriffenen Beschlusses, Bezugszeichen B), die einen Kontaktbereich aufweist (= Merkmale M1 bis M2.1).

113

Abbildung Foto des Kontaktsockels „Waffle Kelvin“ im Bild 1 des angegriffenen Beschlusses mit Ergänzungen von Bezugszeichen durch die Patentabteilung 1.35

114

Nach dem Ergebnis der Zeugeneinvernahme in der mündlichen Verhandlung wurde den Messebesuchern im Gespräch der Aufbau der Kontaktfeder B aus einzelnen Lamellen beschrieben und vorgeführt und dabei erläutert, dass die Lamellen die Eigenschaft haben, sich an unterschiedlich geformte Oberflächen anzupassen (vgl. Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 21. Februar 2018, Seite 5, siebter Absatz). Es wurde auch erläutert, dass die Lamellen elektrisch untereinander in Kontakt stehen (vgl. Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 21. Februar 2018, Seite 7, vorletzter Absatz). Durch diese Erläuterung bzw. Vorführung wurde dem Fachmann somit offenbar, dass die Kontaktfeder B so federnd ausgebildet und/oder gelagert ist, dass in einer Testposition eines Bauelements relativ zur Kontaktierungseinheit der Kontaktbereich der Kontaktfeder B gegen einen Anschlusskontakt des Bauelements gedrückt wird, wobei die Kontaktfeder mehrere separat federnde Kontaktfederteile aufweist („Lamellen“), die unter Bildung eines Leiterverbunds so eng aneinander liegen, dass sie elektrisch miteinander verbunden sind (= Merkmale M2.2 bis M3.2).

115

Der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 gilt somit gegenüber dem Stand der Technik nach dem Kontaktsockel „Waffle Kelvin“ nicht als neu.

116

6.2. Aus den vorstehend genannten Gründen gelten auch die Gegenstände der erteilten nebengeordneten Ansprüche 13 und 14 gegenüber dem Stand der Technik nach dem Kontaktsockel „Waffle Kelvin“ nicht als neu.

117

6.3. Die Beschwerde der Patentinhaberin war daher zurückzuweisen.

118

7. Die Beschwerde der Einsprechenden hat keinen Erfolg, da sich die Ansprüche 1 bis 13 in der beschränkt aufrechterhaltenen Fassung des Patents als rechtsbeständig erweisen.

119

7.1. Die Gegenstände der beschränkt aufrechterhaltenen Ansprüche 1 bis 13 gehen in zulässiger Weise auf die ursprüngliche Anmeldung und auf die erteilte Fassung des Patents zurück.

120

7.1.1 Der Gegenstand des beschränkt aufrechterhaltenen Anspruchs 1 geht nicht über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinaus (§ 21 Abs. 1 Nummer 4 PatG).

121

Die Anweisungen in den Merkmalen M1, M1.1, M2.1, M2.2, M2.2.1 und M3 des beschränkt aufrechterhaltenen Anspruchs 1 sind im ursprünglichen Anspruch 1 offenbart.

122

Die Anweisung im Merkmal M2a ist im ursprünglichen Anspruch 11 i. V. m. der ursprünglichen Beschreibung, Seite 11, zweiter Absatz und Seite 12, erster Absatz offenbart. Das Weglassen der näheren Kennzeichnung der Trennung als räumlich und elektrisch erweitert nicht den Gegenstand der Anmeldung, denn eine räumliche und elektrische Trennung der Kontaktfedern des Kontaktfederpaars liest der Fachmann als notwendig für eine Kelvin-Kontaktierung mit (vgl. Merkmal M2.2.2a).

123

Die Anweisungen im Merkmal M2.2.2a sind im ursprünglichen Anspruch 11 i. V. m. der ursprünglichen Beschreibung, Seite 6, zweiter Absatz offenbart. Die Nichtaufnahme der Bezeichnung als „Zwei-Draht-Kelvin-Kontaktierungssystem“ erweitert auf Grund der vorstehend zum Verständnis des Begriffes „Kelvin-Kontaktierung“ genannten Gründe den Gegenstand der Anmeldung nicht, im Übrigen ist auch der im Anspruch 1 verwendete Begriff der „Kelvin-Kontaktierung“ ursprungsoffenbart (vgl. ursprüngliche Beschreibung, Seite 6, zweiter Absatz, Zeile 8).

124

Die Anweisungen in den Merkmalen M3.1 und M3.2 sind in der ursprünglichen Beschreibung, Seite 3, letzter Satz und Seite 9, dritter Absatz, vorletzter Satz offenbart. Die Nichtaufnahme der übrigen Anweisungen an diesen Textstellen erweitert den Gegenstand der Anmeldung nicht. Denn mit der Vorgabe einer „analogen“ Wirkung wird der Grad der übereinstimmenden Wirkung zwischen Kontaktfederteilen und Litzenkabel dem Fachmann überlassen. Separat federnde Kontaktfederteile (vgl. Merkmal M3) sind notwendigerweise unabhängig voneinander beweglich. Das Weglassen der Angabe, dass die Kontaktfederteile in jeder Federstellung elektrisch miteinander verbunden sind, erweitert den Gegenstand der Anmeldung nicht, denn dem Fachmann ist klar, dass es nur in einer Testposition des Bauelements (vgl. Merkmal M2.2.1) auf die elektrische Verbindung der Kontaktfederteile ankommt.

125

7.1.2 Der Gegenstand des beschränkt aufrechterhaltenen Anspruchs 1 erweitert den Schutzbereich des Patents nicht (§ 22 Abs. 1 zweite Alternative PatG).

126

Denn der beschränkt aufrechterhaltene Anspruch 1 betrifft eine Teilmenge der mit dem erteilten Anspruch 1 beanspruchten Gegenstände.

127

7.1.3 Auch die beschränkt aufrechterhaltenen Ansprüche 2 bis 13 sind zulässig.

128

7.2. Das Patent offenbart in der beschränkt aufrechterhaltenen Fassung die Erfindung so deutlich und vollständig, dass ein Fachmann sie ausführen kann (§ 21 Abs. 1 Nummer 2 PatG).

129

Der beschränkt aufrechterhaltene Anspruch 1 enthält die Anweisung, die Kontaktierungseinheit so auszubilden, dass in einer Testposition eines Bauelements (3) relativ zur Kontaktierungseinheit (1) der Kontaktbereich (8) der Kontaktfeder (7a, 7b) gegen einen Anschlusskontakt (5) des Bauelements (3) gedrückt wird (vgl. Merkmal M2.2.1).

130

Der Fachmann versteht diese Anweisung selbstverständlich nicht in dem Sinn, dass eine einzige Kontaktierungseinheit geeignet sein soll, beliebige Bauelemente zu kontaktieren, vielmehr muss die Kontaktierungseinheit geeignet sein, ein          – nicht näher bestimmtes – Bauelement zu kontaktieren. Damit bleibt zwar die Anordnung der Kontaktfeder bzw. ihres Kontaktbereichs unbestimmt, denn das elektronische Bauelement bzw. seine Anschlusskontakte sind Gegenstände außerhalb der mit dem Anspruch 1 beanspruchten Kontaktierungseinheit. Die unbestimmte Anordnung der Kontaktfeder stellt jedoch nicht die Ausführbarkeit des Gegenstands des Anspruchs 1 in Frage, sondern betrifft lediglich die Breite des Anspruchs 1. Es ist dem Fachmann zuzurechnen, für ein konkret vorliegendes elektronisches Bauelement mit Anschlusskontakten die Lage der Kontaktfeder der Kontaktierungseinheit, den Kontaktbereich bzw. eine Testposition des Bauelements festzulegen.

131

7.3 Der Gegenstand des beschränkt aufrechterhaltenen Anspruchs 1 gilt gegenüber dem Stand der Technik als neu (§ 3 PatG).

132

7.3.1 Der Gegenstand des beschränkt aufrechterhaltenen Anspruchs 1 gilt gegenüber dem Stand der Technik nach dem als offenkundig vorbenutzt nachgewiesenen Kontaktsockel „Waffle Kelvin“ als neu.

133

Durch Betrachtung des Kontaktsockels „Waffle Kelvin“ erkennt der Fachmann verschiedene Kontaktfedern, etwa die beiden im Bild 1 des angegriffenen Beschlusses mit B bezeichneten Kontaktfedern und die beiden mit C bezeichneten Kontaktfedern. Der Fachmann erkennt weiterhin, dass jede der beiden Kontaktfedern B aus zwei Reihen von Federn besteht, die im Bild 1 des angegriffenen Beschlusses mit Z bezeichnet sind.

Abbildung

134

Foto des Kontaktsockels „Waffle Kelvin“ im Bild 1 des angegriffenen Beschlusses mit Ergänzungen von Bezugszeichen durch die Patentabteilung 1.35

135

Von allen möglichen Paaren dieser Kontaktfedern B, C, Z bilden nur die beiden voneinander beabstandeten Kontaktfedern B ein Kontaktfederpaar mit jeweils einer ersten und einer davon getrennten zweiten Kontaktfeder (= Merkmal M2a), wobei die Kontaktfedern jeweils mehrere separat federnde Kontaktfederteile aufweisen, die unter Bildung eines Leiterverbunds so eng aneinander liegen, dass sie elektrisch miteinander verbunden sind (= Merkmale M3 bis M3.2). Denn die Kontaktfedern C sind ersichtlich nicht lamelliert und hinsichtlich der zweireihigen Ausbildung Z der Kontaktfedern B ist nicht ersichtlich, dass diese durch ein Kontaktfederpaar mit jeweils einer ersten und einer davon getrennten zweiten Kontaktfeder realisiert wird.

136

Die beiden als Kontaktfederpaar verstandenen Kontaktfedern B erfüllen zwar jeweils auch die Anweisungen in den Merkmalen M2.1, M2.2, M2.2.1, M3.1 und M3.2, vgl. die vorstehend zur erteilten Fassung genannten Gründe. Die Anweisung, wonach die Kontaktfedern B eines Kontaktfederpaares so angeordnet sind, dass sie für eine Kelvin-Kontaktierung beide jeweils gegen denselben Anschlusskontakt des Bauelements gedrückt werden (= Merkmal M2.2.2a), ist dem Fachmann jedoch durch Betrachtung des Kontaktsockels nicht erkennbar. Diese Anweisung ist auch nicht durch Vorführung oder Erläuterung des Kontaktsockels auf dem Messestandoffenkundig geworden, solches hat die Einsprechende auch nicht behauptet.

137

Keines der möglichen Paare von Kontaktfedern B, C, Z des Kontaktsockels „Waffle Kelvin“ erfüllt daher alle Anweisungen im beschränkt aufrechterhaltenen Anspruch 1.

138

7.3.2 Der Gegenstand des beschränkt aufrecht erhaltenen Anspruchs 1 gilt gegenüber dem Stand der Technik nach der Schrift WO 2004/003575 A2 (= E3) als neu.

139

Die Schrift E3 offenbart in der Figuren 9 bis 14 eine vierte Ausführungsform einer Kontaktierungseinheit 3 (= Merkmal M1) zur Kontaktierung von Anschlusskontakten 6, 7 elektronischer Bauelemente 2 (= Merkmal M1.1), vgl. E3, Seite 24, Zeile 31 bis Seite 25, Zeile 3, Seite 26, Zeilen 11, 12 und Seite 14, Zeilen 25 bis 33.

Abbildung

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140

Figur 11 aus der Schrift E3 mit Hervorhebungen des Senats

141

Die Kontaktierungseinheit weist eine Anzahl von Kontaktfederpaaren mit jeweils einer ersten und einer davon getrennten zweiten Kontaktfeder mit einem Kontaktbereich 5 auf (= Merkmale M2a, M2.1), vgl. die in der vorstehenden Figur rot hervorgehobenen beiden Kontaktfedern. Die Schrift E3 offenbart dem Fachmann, dass die Kontaktfedern so federnd ausgebildet und/oder gelagert sind, dass in einer Testposition eines Bauelements 2 relativ zur Kontaktierungseinheit 3 der Kontaktbereich 5 der Kontaktfeder gegen einen Anschlusskontakt 6, 7 des Bauelements gedrückt wird (= Merkmale M2.2, M2.2.1), wobei die Kontaktfedern eines Kontaktfederpaares so angeordnet sind, dass sie beide jeweils gegen denselben Anschlusskontakt 6, 7 des Bauelements 2 gedrückt werden (= Teil des Merkmals M2.2.2a), vgl. den Text auf Seite 4, Zeilen 4 bis 20, der insoweit auch für die vierte Ausführungsform in den Figuren 9 und 11 gilt. Weiterhin weisen die Kontaktfedern jeweils mehrere separat federnde Kontaktfederteile auf (= Merkmal M3), denn senkrecht zu der Zeichenebene in Figur 11 besteht die Kontaktierungseinheit aus einem Stapel 31 aus Modulbausteinen, vgl. Seite 25, Zeilen 5 bis 7 und Figur 9, Bezugszeichen 31, welcher in der Schrift E3 als dichte Packung von Federkontakten 5 bezeichnet ist, vgl. Seite 24, Zeilen 13, 14.

142

Eine Verschaltung der Kontaktfedern für eine Kelvin-Kontaktierung (= Rest des Merkmals M2.2.2a) zur Messung des Übergangswiderstands zwischen den Kontaktfedern und den zu kontaktierenden Anschlusskontakten des zu prüfenden Bauelements ist in der Schrift E3 hingegen nicht angesprochen. Die Schrift E3 offenbart auch nicht, dass die mehreren separat federnden Kontaktfederteile unter Bildung eines Leiterverbunds so eng aneinander liegen, dass sie elektrisch miteinander verbunden sind (= Merkmale M3.1 und M3.2). Denn senkrecht zu der Zeichenebene in Figur 11 bilden die Federkontakte 5 und damit die Kontaktfedern zwar eine dichte Packung, die gestapelten Kontaktfedern sind jedoch jeweils durch eine isolierende Trägerplatte 10 voneinander getrennt, vgl. E3, Figur 11, Bezugszeichen 10 und den Text auf Seite 24, Zeilen 13 bis 19, der insoweit auch für die vierte Ausführungsform gilt.

143

7.3.3 Der Gegenstand des beschränkt aufrechterhaltenen Anspruchs 1 ist gegenüber dem übrigen von der Einsprechenden genannten Stand der Technik neu, was der Senat überprüft hat.

144

7.4 Der Gegenstand des beschränkt aufrechterhaltenen Anspruchs 1 beruht auch auf einer erfinderischen Tätigkeit (§ 4 PatG).

145

7.4.1 Ausgehend vom Stand der Technik nach dem als vorbenutzt nachgewiesenen Kontaktsockel „Waffle Kelvin“ beruht der Gegenstand des beschränkt aufrechterhaltenen Anspruchs 1 auf einer erfinderischen Tätigkeit.

146

Die Einsprechende vertritt sinngemäß die Auffassung, der Fachmann habe zur Reduzierung von Übergangswiderständen Veranlassung, die in Bild 1 des angegriffenen Beschlusses mit C bezeichneten Kontaktfedern so zu verändern, dass diese mehrere separat federnde Kontaktfederteile aufweisen, die unter Bildung eines Leiterverbunds so eng aneinander liegen, dass sie elektrisch miteinander verbunden sind. Dadurch könnten größere Ströme ohne die Gefahr eines Aufschmelzens der Kontaktfeder C durch die Kontaktstelle fließen. Die so veränderten Kontaktfedern C und die Kontaktfedern B stellten dann zwei Kontaktfederpaare dar, welche jeweils alle Anweisungen im beschränkt aufrechterhaltenen Anspruch 1 erfüllten. Denn die erste Kontaktfeder B und die zweite Kontaktfeder C des in Bild 1 links angeordneten Kontaktfederpaars würden in der Testposition des Bauelements gegen den ersten Hochstromanschluss des Bauelements gedrückt und die zweite Kontaktfeder B und die zweite Kontaktfeder C des in Bild 1 rechts angeordneten Kontaktfederpaars würden gegen den zweiten Hochstromanschluss des Bauelements gedrückt, so dass eine Vierleitermessung möglich werde, vgl. Schriftsatz vom 20. September 2017, Seite 13 erster und vierter Absatz.

147

Dieses Argument greift zur Überzeugung des Senats nicht durch. Bei einer Vierleitermessung fließen allenfalls durch zwei der vier Leitungen (force) hohe Ströme, die beiden anderen Leitungen (sense) dienen zur Messung des Spannungsabfalls, die der Fachmann möglichst hochohmig durchführt. Der Fachmann hat daher keine Veranlassung, auch die Kontaktfedern C des Kontaktsockels „Waffle Kelvin“ entsprechend der Anweisungen in den Merkmalen M3 bis M3.2 für eine hohe Stromtragfähigkeit auszubilden.

148

Es kann dahinstehen, ob es fachüblich ist, vor der (Vierleiter-)Testung an jedem Anschlusskontakt des Bauelements in einer Schleife über die beiden Kontaktfedern der Kelvin-Kontaktierung den Übergangswiderstand der Kontaktierung zu den Kontaktfedern eines Kontaktfederpaares zu bestimmen und später zur Korrektur der Messergebnisse zu verwenden, vgl. Patentschrift, Absatz 0020, denn der Senat kann auch im Zusammenhang mit einer derartigen Messung des Übergangswiderstands keine Veranlassung des Fachmanns erkennen, die Kontaktfedern C entsprechend der Anweisungen in den Merkmalen M3 bis M3.2 lamelliert für eine hohe Stromtragfähigkeit auszubilden.

149

7.4.2 Ausgehend vom Stand der Technik nach der Schrift E3 beruht der Gegenstand des beschränkt aufrechterhaltenen Anspruchs 1 auf einer erfinderischen Tätigkeit.

150

Der Fachmann mag erkannt haben, dass beim Test von elektronischen Bauelementen unter Einsatz hoher Stromstärken die Kontaktfläche zwischen Federkontakt 5 der Kontaktierungseinheit 3 und dem Anschlusskontakt 6, 7 des Bauelements vergrößert werden muss. Der Fachmann mag auch in Betracht gezogen haben, diese Kontaktfläche durch Erhöhung der Anzahl von Kontaktfedern, die ein und denselben Anschlusskontakt des Bauelements kontaktieren, zu vergrößern, zumal in der Schrift E3 bereits vorgeschlagen wird, eine beliebig hohe Anzahl von Bausteinen der Kontaktierungseinheit zu stapeln, vgl. E3, Seite 2, Zeilen 26 bis 29.

151

Bei einer derartigen Stapelung wird der Fachmann jedoch die gesamte in der Schrift E3 vorgeschlagene Grundstruktur des Modulbausteins mit Kontaktfedern, die jeweils durch eine isolierende Trägerplatte 10 voneinander getrennt sind, wiederholen, denn der Halteabschnitt 14 der Kontaktfedern ist in einer Aussparung der Trägerplatte passgenau angeordnet und auf Grund einer für den Federabschnitt 13 vorgesehenen Spielpassung in der Aussparung der Trägerplatte 10 kann der Federkontakt zwischen 0,2 mm und 0,3 mm federnd nachgeben (vgl. E3, Seite 19, Zeilen 20 bis 24). Die Platte 10 erfüllt mit ihren Passungen daher auch Halte- und Führungsfunktionen für die jeweilige Kontaktfeder.

152

Die Schrift E3 legt es daher dem Fachmann nicht nahe, die Maßnahmen in den Merkmalen M3.1 und M3.2 des beschränkt aufrechterhaltenen Anspruchs 1 vorzusehen und auf die isolierende Trägerplatte zwischen den Kontaktfedern zu verzichten.

153

7.4.3 Auch gegenüber dem Stand der Technik bei einer Zusammenschau des Kontaktsockels „Waffle Kelvin“ und der Schrift E3 beruht der Gegenstand des beschränkt aufrechterhaltenen Anspruchs 1 auf einer erfinderischen Tätigkeit.

154

Da weder die nachgewiesene offenkundige Vorbenutzung des Kontaktsockels „Waffle Kelvin“ noch die Schrift E3 jeweils für sich allein betrachtet, für die beiden Kontaktfedern eines Kontaktfederpaars sowohl die Anweisungen in den Merkmalen M2a und M2.2.2a als auch die in der Merkmalsgruppe M3 bis M3.2 nahe legen, kann auch eine Zusammenschau dieses Standes der Technik dies nicht leisten.

155

7.4.4 Auch gegenüber einer Zusammenschau des gesamten im Verfahren genannten Standes der Technik beruht der Gegenstand des beschränkt aufrechterhaltenen Anspruchs 1 auf einer erfinderischen Tätigkeit.

156

Insbesondere geht der Offenbarungsgehalt der von der Einsprechenden behaupteten Lieferung des Kontaktsockels „Waffle Kelvin“ an die Firma … Inc. und die geltend gemachte Präsentation eines Foliensatzes auf der Messe „Semicon Europe 2006“ in Bezug auf das Streitpatent nicht über den Offenbarungsgehalt der nachgewiesenen offenkundigen Vorbenutzung durch Ausstellung und Vorführung des Kontaktsockels „Waffle Kelvin“ auf der Messe hinaus.

157

Über die behauptete offenkundige Vorbenutzung durch Lieferung des Kontaktsockels bzw. Präsentation des Foliensatzes musste daher nicht entschieden werden.

158

7.4.5 Die nebengeordneten Ansprüche 12 und 13 sowie die untergeordneten Ansprüche und die übrigen Unterlagen in der beschränkt aufrechterhaltenen Fassung erfüllen ebenso die an sie zu stellenden Anforderungen.

159

7.5. Die Beschwerde der Einsprechenden war daher zurückzuweisen.