Entscheidungsdatum: 29.04.2010
In der Beschwerdesache
betreffend die Patentanmeldung 101 56 215.2-53
…
hat der 17. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 29. April 2010 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Dipl.-Phys. Dr. Fritsch, des Richters Dipl.-Ing. Prasch sowie der Richterin Eder und des Richters Dipl.-Ing. Baumgardt
beschlossen:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
I.
Die vorliegende Patentanmeldung mit der Bezeichnung:
"Verfahren zur Verarbeitung medizinisch relevanter Daten"
ist am 15. November 2001 beim Deutschen Patent- und Markenamt eingereicht worden.
Sie wurde von der Prüfungsstelle für Klasse G 06 F des Deutschen Patent- und Markenamts im Beschluss vom 14. Oktober 2003 mit der Begründung zurückgewiesen, dass der Gegenstand des Patentanspruchs 1 mangels erfinderischer Tätigkeit nicht gewährbar sei.
Die hiergegen gerichtete Beschwerde der Anmelderin hatte der erkennende Senat mit der Begründung zurückgewiesen, dass die Verfahren in den Fassungen nach Hauptantrag und erstem Hilfsantrag Programme für Datenverarbeitungsanlagen als solche i. S. d. § 1 Abs. 3 Nr. 3 i. V. m. Abs. 4 PatG seien und deshalb nicht als patentfähige Erfindung angesehen werden dürften. Hinsichtlich der Verfahren nach dem zweiten und dritten Hilfsantrag führte der Senat aus, dass diese über das Verfahren zur Bearbeitung medizinisch relevanter Daten hinaus auch das Vorsehen von Kommunikationsverbindungen vorschlügen, über die von der Datenverarbeitungseinrichtung ausgewählte Protokolle an die Untersuchungsmodalitäten übertragen und fallweise zur Anzeige oder Ansteuerung verwendet würden. Im Vordergrund dieser Verfahren stehe aber nach wie vor der auf Fachwissen beruhende medizinische Auswahlprozess. Deshalb sei das Verfahren in diesen Fassungen nicht als Erfindung auf technischem Gebiet i. S. d. § 1 Abs. 1 PatG anzuerkennen.
Auf die zugelassene Rechtsbeschwerde hin hat der Bundesgerichtshof dem Gegenstand der Anmeldung die erforderliche Technizität zugebilligt und die Sache unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses an das BPatG zurückverwiesen (BGH X ZB 22/07 - "Steuerungseinrichtung für Untersuchungsmodalitäten", GRUR 2009, 479).
Die Anmelderin verfolgt ihr Patentbegehren weiter und stellt den Antrag,
den angegriffenen Beschluss aufzuheben und das nachgesuchte Patent mit folgenden Unterlagen zu erteilen:
Patentansprüche 1 bis 15 und
Beschreibung Seiten 1 bis 16, jeweils überreicht in der mündlichen Verhandlung vom 17. April 2007,
3 Blatt Zeichnungen mit Figuren 1, 1A, 1B, 2 vom Anmeldetag.
Der Patentanspruch 1 in der geltenden Fassung (bisheriger Hilfsantrag 3) lautet:
"Verfahren zur Verarbeitung medizinisch relevanter Daten im Rahmen einer durchzuführenden Untersuchung eines Patienten,
dadurch gekennzeichnet,
dass ein in einer Datenverarbeitungseinrichtung abgelegtes Programmmittel anhand von eingegebenen symptomspezifischen und/oder diagnosespezifischen Informationen unter Verwendung einer symptom- und/oder diagnosebasierten Datenbank eine oder mehrere zur Untersuchung des Patienten durchzuführende Untersuchungsmodalitäten auswählt, die an einer Wiedergabeeinrichtung ausgegeben werden,
wobei zu einer bestimmten Untersuchungsmodalität ein oder mehrere die Untersuchung definierende Untersuchungs- oder Messprotokolle durch die Datenbank ausgewählt und ausgegeben werden
und wobei die Untersuchungs- oder Messprotokolle von der Datenverarbeitungseinrichtung an eine Datenverarbeitungs- und/oder Steuerungseinrichtung einer ausgewählten Untersuchungsmodalität, die zur Untersuchung des Patienten verwendet wird, übertragen werden, wo sie wiedergegeben und zur Steuerung der Untersuchungsmodalität verwendet werden."
Der nebengeordnete Patentanspruch 13 lautet:
"System zur Verarbeitung medizinisch relevanter Daten im Rahmen einer durchzuführenden Untersuchung eines Patienten,
umfassend eine Datenverarbeitungseinrichtung (1) mit einem abgelegten Programmmittel und einer Wiedergabeeinrichtung, ausgebildet zur Durchführung des Verfahrens nach einem der vorangehenden Ansprüche,
wobei die Datenverarbeitungseinrichtung (1) mit einer Datenverarbeitungs- und/oder Steuerungseinrichtung einer oder mehrerer medizinischer Untersuchungsmodalitäten (4, 5, 6) zur Übertragung von Daten in Kommunikationsverbindung steht."
In Begründung ihrer Beschwerde führt die Anmelderin aus, dass das beanspruchte Verfahren auch auf erfinderischer Tätigkeit beruhe. Dabei sei nicht allein der Umstand in Betracht zu ziehen, dass die Untersuchungsprotokolle an die Untersuchungsmodalitäten übertragen würden und diese ansteuerten, sondern auch die Auswahl der in den Untersuchungsprotokollen enthaltenen Betriebsparameter mit zu berücksichtigen. Denn diese Auswahl trage wesentlich zur Qualität der Untersuchung und der Diagnose bei. Die Auswahl der Untersuchungsprotokolle orientiere sich an den technischen Möglichkeiten der Untersuchungsmodalitäten. Deshalb müsse sie auch bei der Frage der erfinderischen Tätigkeit mit einbezogen werden.
II.
Die in rechter Frist und Form erhobene Beschwerde ist zulässig. Sie ist jedoch nicht begründet, da der Gegenstand der Anmeldung in der verteidigten Fassung nicht auf erfinderischer Tätigkeit beruht (§§ 1, 4 PatG).
1. In der Entscheidung über die Rechtsbeschwerde stellt der Bundesgerichtshof fest, dass es für das Technizitätserfordernis unerheblich sei, ob der Gegenstand einer Anmeldung neben technischen Merkmalen auch nichttechnische aufweise. Ob Kombinationen von technischen und nichttechnischen bzw. vom Patentschutz ausgeschlossenen Merkmalen im Einzelfall patentfähig seien, hänge - abgesehen von den Ausschlusstatbeständen des § 1 Abs. 3 PatG - allein davon ab, ob sie auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhten (vgl. Abs. [0010]). Eine Anmeldung, die ein Computerprogramm oder ein durch Software realisiertes Verfahren zum Gegenstand habe, müsse über die für die Patentfähigkeit unabdingbare Technizität hinaus verfahrensbestimmende Anweisungen enthalten, welche die Lösung eines konkreten technischen Problems mit technischen Mitteln zum Gegenstand hätten. In Hinsicht auf das angemeldete Verfahren stellt der Bundesgerichtshof fest, dass das angemeldete Verfahren ein konkretes technisches Problem löse, weil es "nach Auswahl von Untersuchungsmodalität und Untersuchungs- bzw. Messprotokollen auch den Einsatz der jeweiligen Untersuchungsmodalität" steuere (vgl. Abs. [0012]). Die Schutzfähigkeit der angemeldeten Erfindung sei daher keine Frage der Technizität oder des Patentierungsausschlusses, sondern der erfinderischen Tätigkeit.
2. Das Verfahren zur Verarbeitung medizinisch relevanter Daten nach dem Anspruch 1 beruht nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
2.1 In der Entscheidung über die Rechtsbeschwerde wird in Hinsicht auf die Frage der erfinderischen Tätigkeit von Anmeldungen, die ein Computerprogramm oder ein durch Software realisiertes Verfahren zum Gegenstand haben, ausgeführt, dass bei der Prüfung von Neuheit und erfinderischer Tätigkeit die Lösung (eines konkreten technischen Problems mit technischen Mitteln) in den Blick zu nehmen sei. Außerhalb der Technik liegende Anweisungen genügten in diesem Zusammenhang grundsätzlich nicht; sie seien nur in dem Umfang von Bedeutung, in dem sie auf die Lösung des technischen Problems mit technischen Mitteln Einfluss nähmen (vgl. Abs. [0011]). Diese grundsätzliche Auffassung zur Frage der erfinderischen Tätigkeit hat der BGH bereits in der Entscheidung "Elektronischer Zahlungsverkehr" vertreten (vgl. GRUR 2004, 667, II 3. b) (2)); sie entspricht auch der Auffassung, die in der Entscheidung "Auktionsverfahren/HITACHI" der Beschwerdekammer 3.5.1 des EPA vertreten wird (vgl. GRUR Int. 2005, 332, Abschnitt 5).
Der vorliegende Patentanspruch 1 bezieht sich auf ein Verfahren zur Verarbeitung medizinisch relevanter Daten, die im Rahmen einer bei einem Patienten durchgeführten Untersuchung erhoben werden. Diese Daten bzw. symptom- und/oder diagnosespezifischen Informationen werden durch ein Programm von einer Datenverarbeitungseinrichtung unter Verwendung einer symptom- und/oder diagnosebasierten Datenbank derart ausgewertet, dass eine oder mehrere Untersuchungsmodalitäten (z. B. ein Computertomograf) ausgewählt und an einer Wiedergabeeinrichtung ausgegeben werden. Weiterhin werden unter Benutzung der Datenbank zugehörige Untersuchungs- oder Messprotokolle ausgewählt und ausgegeben.
Insoweit beschreibt der Anspruch 1 ein medizinisches Expertensystem, das den Arzt bei der Auswertung von gesundheitsrelevanten Informationen und der Auswahl der für eine weitere medizinische Diagnose förderlichen Untersuchungsmodalitäten unterstützt (vgl. hierzu die Ausführungen im vorangegangenen Senatsbeschluss 17 W (pat) 6/04 "Expertensystem" abgedruckt in GRUR 2008, 330, 331).
Die Anweisung, aus medizinischen Symptomen und Diagnosen unter Einsatz von medizinischem Expertenwissen eine bestimmte Untersuchungsmodalität und ein Protokoll für diese auszuwählen, liegt nicht auf technischem Gebiet, sondern ist durch medizinische Erwägungen bestimmt. In der Entscheidung über die Rechtsbeschwerde werden diese Vorgänge der Sammlung, Speicherung, Auswertung und Verwendung von Daten als "außertechnische Vorgänge" bezeichnet (vgl. "Steuerungseinrichtung für Untersuchungsmodalitäten" Abs. [0013]). Allein die Anweisung, ein Expertensystem für medizinische Zwecke zu verwenden, vermag daher das Vorliegen von erfinderischer Tätigkeit des Verfahrens nach Anspruch 1 nicht zu stützen.
2.2 Über die Verwendung eines medizinischen Expertensystems hinaus schlägt der Patentanspruch 1 weiter vor, die Untersuchungs- oder Messprotokolle von der Datenverarbeitungseinrichtung an eine Datenverarbeitungs- und/oder Steuerungseinrichtung einer ausgewählten Untersuchungsmodalität zu übertragen, dort wiederzugeben und zur Steuerung zu verwenden. In diesem Umstand erkennt der Bundesgerichtshof die Lösung eines konkreten technischen Problems. Denn "die programmgesteuerte Einstellung solcher Geräteparameter führt, an die Stelle der manuellen Einstellung durch das Bedienungspersonal tretend, einen technischen Erfolg herbei" (vgl. Abs. [0012]).
Sofern man diese Lösung des konkreten technischen Problems nicht dem Bereich des Fachkönnens des zuständigen Fachmanns, eines Datenverarbeitungsingenieurs mit praktischen Erfahrungen auf dem Gebiet der Medizintechnik, zuordnen will, so ist sie jedenfalls durch die Ausführungen in der DE 199 04 090 A1 (D4) nahe gelegt.
Diese vorveröffentlichte Druckschrift beschreibt ein Verfahren zur automatischen Steuerung und Verwaltung medizinischer Geräte, mit dem eine wesentliche Vereinfachung der Systembedienung für den Operationssaal erreicht werden soll, indem alle Geräte automatisch auf die für eine Operation benötigte Geräteeinstellung gebracht werden (vgl. S. 2, Z. 29 - 32). Hierzu schlägt diese Druckschrift in Übereinstimmung mit dem Patentanspruch 1 vor, eine Datenverarbeitungseinrichtung (Leitrechner) vorzusehen, die mit den Untersuchungsmodalitäten (programmgesteuerte medizinische Geräte) durch eine Kommunikationsverbindung (Netzwerk) verbunden ist. Die Geräte bzw. Untersuchungsmodalitäten können von der als Leitrechner bezeichneten zentralen Steuereinheit verwaltet und bedient werden, was voraussetzt, dass sie jeweils mit einer Datenverarbeitungs- und/oder Steuerungseinrichtung ausgestattet sind. Über die Kommunikationsverbindung können auch Texteinblendungen übertragen und wiedergegeben werden (vgl. insb. Anspruch 1 und S. 3, Z. 44 - 50). Die D4 legt folglich dem Fachmann zumindest nahe, zur programmgesteuerten Einstellung von Parametern der Untersuchungsmodalitäten die Datenverarbeitungseinrichtung und die Untersuchungsmodalitäten durch eine Kommunikationsverbindung zu verbinden, über die die Einstellprotokolle übertragen werden.
Das Verfahren zur Verarbeitung medizinisch relevanter Daten nach dem Patentanspruch 1 beruht daher zumindest nicht auf erfinderischer Leistung.
2.3 Die Anmelderin führt hiergegen an, dass es einer über die Übertragung der Untersuchungs- und Messprotokolle an die Untersuchungsmodalitäten und dortige Verwendung zur programmgesteuerten Einstellung hinaus gehenden technischen Leistung bedurfte, um zum Verfahren nach Anspruch 1 zu gelangen. Unter Hinweis auf Sp. 3, Z. 5 - 8 der Offenlegungsschrift macht sie geltend, dass "die Qualität der Untersuchung und der letztendlichen Diagnose stark von der Wahl des richtigen Untersuchungs- oder Messprotokolls abhängig" sei. Sie führt weiter an, dass bei der Wahl der Protokolle zu berücksichtigen sei, welcher Art die Untersuchungsmodalität sei und welche technischen Möglichkeiten sie habe, bspw. über welche technische Auflösung ein bestimmter Computertomograf verfüge.
Die Anmelderin nimmt damit Bezug auf Ausführungen in der Entscheidung über die Rechtsbeschwerde. Dort wird in Absatz [0011] erläutert, dass bei der Prüfung von Neuheit und erfinderischer Tätigkeit außerhalb der Technik liegende Anweisungen "nur in dem Umfang von Bedeutung [sind], in dem sie auf die Lösung des technischen Problems mit technischen Mitteln Einfluss nehmen". In Abs. [0013] wird darauf hingewiesen, dass bei der Erörterung der Frage der erfinderischen Tätigkeit nunmehr auch auf die "bisher nicht behandelte Frage einzugehen sein [könnte], ob die Anmeldung über die außertechnischen Vorgänge der Sammlung, Speicherung, Auswertung und Verwendung von Daten hinaus für deren Umsetzung eine dem Patentschutz zugängliche Lehre offenbart und, falls das der Fall sein sollte, ob deren Auffindung die Entfaltung erfinderischer Tätigkeit erforderte".
Was das Argument der Anmelderin anbelangt, dass bei der Wahl der Protokolle nicht nur medizinische, sondern auch technische Randbedingungen zu berücksichtigen seien, also bspw. bei einem Computertomografen nur eine Auflösung gewählt werden dürfe, die das Gerät auch leisten könne, so fehlt es dem Anspruch 1 an einer Handlungsanweisung, mit der diese (technische) Problemstellung gelöst werden könnte. Der Anspruch spricht nur generell von einer Auswahl der Protokolle. Ob und in welcher Weise technische Randparameter der Untersuchungsmodalitäten berücksichtigt werden, ergibt sich aus dem Anspruch nicht.
Es ist auch nicht erkennbar, dass die im Anspruch enthaltenen, außerhalb der Technik liegenden Anweisungen, insbesondere die Auswahl der Untersuchungs- oder Messprotokolle, in einer Weise in eine technische Anordnung umgesetzt wurde, die von dem üblichen Einsatz von Mitteln zur Datenverarbeitung, wie er in der D4 beschrieben ist, abweicht.
Das "Verfahren zur Verarbeitung medizinisch relevanter Daten im Rahmen einer durchzuführenden Untersuchung eines Patienten" konnte daher nicht als auf erfinderischer Tätigkeit beruhend anerkannt werden.
3. Der Anspruch 13 ist auf ein "System zur Verarbeitung medizinisch relevanter Daten im Rahmen einer durchzuführenden Untersuchung eines Patienten" gerichtet, das zur Durchführung des Verfahrens nach Anspruch 1 ausgebildet sein soll. Über die im Anspruch 1 genannten Merkmale hinaus werden dort eine Wiedergabeeinrichtung und eine Kommunikationsverbindung genannt, mit denen die ausgewählten Protokolle an die Untersuchungsmodalitäten übertragen und angezeigt werden sollen. Eine solche Ausgestaltung des zur Durchführung des Verfahrens verwendeten Systems unterstellte der Fachmann bereits durch die Angaben im Anspruch 1, dass die Protokolle zu den Untersuchungsmodalitäten übertragen bzw. wiedergegeben werden. In soweit ergibt sich kein Anlass für eine andere Bewertung der Patentfähigkeit des Systems nach Anspruch 13 gegenüber dem Verfahren nach Anspruch 1.
Die Beschwerde war daher zurückzuweisen.