Entscheidungsdatum: 29.04.2016
In der Beschwerdesache
betreffend die Patentanmeldung 10 2009 005 842.7
…
hat der 15. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts in der Sitzung vom 29. April 2016 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Dr. Feuerlein und der Richter Heimen, Dr. Wismeth und Dr. Freudenreich |
beschlossen:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
I.
Der Anmelder hat am 20. Januar 2009 beim Deutschen Patent- und Markenamt die Patentanmeldung mit der Bezeichnung
„Mittel zur Verbesserung der Kraftstoffmotorenleistung“
eingereicht, welche am 29. Juli 2010 als DE 10 2009 005 842 A1 offengelegt worden ist.
Die ursprünglichen Anmeldungsunterlagen umfassen insgesamt 2 Seiten, auf welchen unter den Überschriften „Patentansprüche“, „Beschreibung“ und „Zusammenfassung der Patentanmeldung“ die Erfindung geschildert wird. Die beiden Patentansprüche lauten:
In einer der Prüfung vorangegangenen Recherche sind die folgenden Druckschriften ermittelt worden. Diese sind im Recherchebericht mit dem Kürzel „Y“ bezeichnet, was bedeuten soll, dass eine oder mehrere solcher Druckschriften die erfinderische Tätigkeit der beanspruchten Erfindung in Frage stellen.
(R1) DE 10 2007 002 233 A1
(R2) DE 699 15 232 T2
(R3) DE 29 34 138 C2
(R4) DE 920 319 B
(R5) EP 1 967 574 A1
(R6) EP 1 967 572 A1.
In ihrem Erstbescheid vom 26. Januar 2010 hat die Prüfungsstelle für Klasse C 10 L zum Stand der Technik auf diese Druckschriften verwiesen, welche der Neuheit nicht entgegenstünden. Sie hat im Übrigen festgestellt, dass der Anmeldungsgegenstand auch den erforderlichen „erfinderischen Schritt“ aufweisen würde. Sie hat für eine Erteilung lediglich klargestellte Patentansprüche 1 bis 3 vorgeschlagen und die Einreichung einer redaktionell überarbeiteten Beschreibung gefordert, welche auch die als Reaktion auf den Recherchebericht vom Anmelder mit Datum vom 10. Januar 2010 eingereichten Ergebnisse der Abgasuntersuchung (Minderung der CO-Konzentration) vor und nach Zugabe des erfindungsgemäßen Kraftstoffadditivs beschreiben solle (Vergleichsversuche). Außerdem sei die Einreichung einer gekürzten Zusammenfassung erforderlich.
Der Anmelder hat daraufhin dem Vorschlag der Prüfungsstelle entsprechende Patentansprüche sowie geänderte Beschreibungsseiten eingereicht, welche als Anlage 3 bezeichnet auch die Vergleichsversuche enthalten, die auf TÜV-Prüfzeugnisse (Abgasuntersuchungen) vom 29. September 2005 und 1. Novem-ber 2007 Bezug nehmen. Die diesbezüglichen Patentansprüche in der Fassung vom 6. März 2010 lauten:
Mit Bescheid vom 3. Februar 2012 hat die Prüfungsstelle für Klasse C 10 L eine weitere Druckschrift in das Verfahren eingeführt:
(D1) DE 478 767 A.
Die Prüfungsstelle hat in dem Bescheid darauf hingewiesen, dass die neu eingereichten Unterlagen gegenüber den ursprünglichen Unterlagen erweitert seien und zur Streichung einzelner Punkte aufgefordert. Die Zweckangabe in Patentanspruch 1 schränke den Gegenstand nicht ein. Ferner seien die Vergleichsversuche nicht geeignet, das Verfahren zu belegen.
Die Gegenstände der Patentansprüche 1 und 3 seien von der Druckschrift D1 jeweils neuheitsschädlich vorweggenommen. Darüber hinaus beruhten die Gegenstände der Patentansprüche 1 bis 3 gegenüber dem gattungsgleichen Verfahren der D1 auch nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Der Anmelder hat daraufhin mit Eingabe vom 25. Mai 2012 neue Patentansprüche 1 bis 3 vorgelegt:
Die Streitanmeldung sei nach Bekunden des Anmelders anders als die D1 wesentlich differenzierter bezüglich Herstellungs- und Anwendungs-Anforderungen, speziell mit der Ausrichtung auf die katalytische Verbrennungsbeschleunigung in Benzinmotoren. Zum Beleg verweist er auf weitere Abgasuntersuchungen an einem älteren VW-Golf vom 21. Oktober 2009, 11. Juli 2007 und 21. Mai 2012 (Anlagen 4 bis 6). Das Fahrzeug sei an der gleichen Tankstelle, jeweils mit dem gleichen Benzinkraftstoff Super 95 vollbetankt worden, der mit unterschiedlichen Wirkstoffmengen versehen worden sei. Zur Erläuterung der Erfindung hat der Anmelder ferner auf zwei Zeitschriftenartikel (Anlagen 1 und 2 zur Eingabe vom 15. Mai 2013) verwiesen.
(A1) SCHUBERT, Frank: Wunderstoff mit Tücken. In: Der Tagesspiegel, 10. April 2013, Nr. 21 655, S. 21
(A2) DEHMER, Dagmar: Merkel soll der Umwelt helfen. In: Der Tagesspiegel, 6. Mai 2013, 1 Seite.
Mit Ladung vom 11. Oktober 2013 hat die Prüfungsstelle den Anmelder mit Einschreiben durch Übergabe zu einer Anhörung am 19. November 2013 geladen. Im Zusatz zur Ladung hat sie erneut auf unzulässige Änderungen in der Beschreibung in der Fassung vom 25. Mai 2012 hingewiesen und vorgeschlagen, die mit den Überschriften „Beschreibung“ und „Zusammenfassung“ bezeichneten Textteile vom Anmeldetag als Beschreibung anzusehen. Auch seien die Gegenstände der Patentansprüche 1 und 3 nicht klar, da die Ausdrücke „herkömmliches Motoröl“ und „intensiv dispergiert“ für den Fachmann, einen Diplom-Chemiker, nicht eindeutig seien. Mit dem Ausdruck „rund 40 Gewichts-Prozent“ in Patentanspruch 2 bleibe zudem der Schutzbereich des Patents unklar. Zudem umfasse der einseitig offene Bereich für Graphit in Patentanspruch 3 auch 100 Gew.-% an Graphit, womit das Verfahren nicht ausführbar sei.
Bezüglich Neuheit und erfinderischer Tätigkeit der Gegenstände der Patentansprüche in der Fassung vom 25. Mai 2012 hat sie erneut auf die Druckschrift D1 verwiesen.
Am 18. November hat der Anmelder um Verlegung des Anhörungstermins gebeten. Dieser wurde für Dienstag, dem 10. Dezember 2013 vereinbart, zu dem der Anmelder mit Umladung vom 18. November 2013 mit einem Einschreiben durch Übergabe geladen wurde.
Mit Schreiben datiert auf Freitag, dem 6. Dezember 2013 hat der Anmelder schriftlich erneut um Terminänderung aus Krankheitsgründen gebeten. Das Schreiben ist am Montag, dem 9. Dezember 2013 im Deutschen Patent- und Markenamt eingegangen, wurde jedoch der Prüfungsstelle nicht mehr vor dem Termin vorgelegt. Zum Anhörungstermin ist der Anmelder nicht erschienen. Die Prüfungsstelle hat erst am 11. Dezember 2013 von dem Terminverlegungsantrag Kenntnis erhalten.
Mit in der Anhörung verkündetem Beschluss (die Begründung des Beschlusses datiert vom 17. Dezember 2013) hat die Prüfungsstelle für Klasse C 10 L des Deutschen Patent- und Markenamts die Patentanmeldung wegen fehlender Patentfähigkeit nach § 48 PatG zurückgewiesen.
Dem Beschluss liegt der Anspruchssatz vom 25. Mai 2012 mit den Patentansprüchen 1 bis 3 zugrunde. Die Zurückweisung erfolgt aufgrund mangelnder Neuheit bzw. erfinderischer Tätigkeit der Gegenstände der Patentansprüche 1 bis 3 gegenüber der D1.
Am 14. Januar 2014 wurde durch den inzwischen anwaltlich vertretenen Anmelder Beschwerde gegen den Zurückweisungsbeschluss eingelegt.
Mit der Beschwerdebegründung vom 14. Mai 2014 wird ein neuer Satz Patentansprüche folgenden Wortlauts vorgelegt:
Als Beschreibung soll die mit der Beschwerdebegründung eingereichte Anlage dienen. Diese entspricht wörtlich den ursprünglich eingereichten Anmeldeunterlagen, nämlich der Seite mit dem Textteil unter der Überschrift „Zusammenfassung der Patentanmeldung“.
Der Begriff „kolloidal“ in Patentanspruch 1 stehe dabei für Teilchen, deren Größe typischerweise im Nanometer- oder Mikrometer-Bereich lägen. Im Sinne der Erfindung würden die Begriffe „kolloidal" und „mikrokristallin" oder „mikrodispergiert" daher synonym verwendet.
Durch die Konzentration von 40 Gew.-% würden die in den Anmeldungsunterlagen genannten Vorteile erreicht, nämlich ein erheblich verringerter Motorölverbrauch, ein verringerter Rußausstoß und insbesondere ein verringerter Kohlenmonoxidausstoß, eine verringerte Zylinder-Kolbengleitringe- und Lagerreibung, was zu einem schwingungsärmeren Motorlauf und zu einer verlängerten Motorennutzdauer führe, sowie eine wesentlich höhere Motorölgebrauchsdauer.
Der Anmelder habe erkannt, dass intensives Dispergieren zum Aufbrechen von Kristallaggregaten und Kristalloberflächen führe. Denn der Begriff „dispergieren" sei nicht, wie von der Prüfungsstelle gemeint, ein Oberbegriff zu „rühren", sondern sei im Sinne der Erfindung so wie im DUDEN ausgeführt zu verstehen, nämlich als „zerstreuen, verbreiten, fein verteilen". Kolloidales Graphit sei demnach erfindungsgemäß „fein verteilt" in dem Motorenöl.
Insbesondere habe der Anmelder die Wirkungen der Graphitierung des Kraftstoffs erkannt und offenbart. Diese beruhten insbesondere auf der flächenhaften Kristallstruktur des Graphits und der Adsorption der graphitischen Mikroteilchen an den Metalloberflächen, wodurch eine homogene Katalyse an den Graphitteilchenoberflächen erreicht werde, die zu einer beschleunigten chemischen Reaktion des Verbrennungsprozesses führe.
In der D1 diene der zehnprozentige Zusatz von kolloidalem Graphit einer Verbesserung der Schmierwirkung, wohingegen streitanmeldungsgemäß und nach Patentanspruch 1 ein ganz anderer Zweck, nämlich die Verringerung des Kohlenmonoxidausstoßes verfolgt werde.
Im Schriftsatz vom 16. Februar 2016 hat der Vertreter des Anmelders die Weiterführung im schriftlichen Verfahren beantragt und um eine vorläufige Stellungnahme des Senats gebeten. Er hat neue Patentansprüche 1 und 2 eingereicht, welche wortidentisch mit denjenigen vom 14. Mai 2014 sind.
Mit Hinweis vom 23. Februar 2016 hat der Senat Bedenken zumindest gegenüber der erfinderischen Tätigkeit der Gegenstände der geltenden Patentansprüche geäußert, insbesondere vor dem Hintergrund der Druckschriften D1 und R4.
Der Vertreter des Patentanmelders stellt mit Schriftsatz vom 16. Februar 2016 sinngemäß den Antrag,
den angefochtenen Beschluss der Prüfungsstelle für Klasse C 10 L des Deutschen Patent- und Markenamts vom 10. Dezember 2013 aufzuheben und das Patent mit den folgenden Unterlagen zu erteilen:
Patentansprüche 1 und 2 vom 16. Februar 2016 und Beschreibung Textteil unter „Zusammenfassung der Patentanmeldung“ vom Anmeldetag.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
II.
1. Die Beschwerde des Anmelders ist frist- und formgerecht eingelegt worden und auch im Übrigen zulässig (§ 73 PatG). Sie hat jedoch keinen Erfolg.
Der Senat konnte im schriftlichen Verfahren entscheiden, nachdem der Anmelder um eine Entscheidung im schriftlichen Verfahren ersucht hat und eine mündliche Verhandlung auch nicht sachdienlich erscheint, § 78 PatG.
2. Die Streitanmeldung betrifft einen Kraftstoffzusatz, welcher bei Benzinmotor-Kraftstoffen unter anderem zu einer Verbesserung der Kraftstoffmotorenleistung, einem geringerem Motorölbedarf und insbesondere zu einer Verringerung des Kohlenmonoxidausstoßes führt (DE 10 2009 005 842 A1, im Folgenden als D0 bezeichnet: Titel, Patentanspruch 1 i. V. m. [0005]; die Offenlegungsschrift stimmt im Übrigen mit den ursprünglich eingereichten Unterlagen überein).
Nach den Ausführungen in der Streitanmeldung D0 führt das Betreiben von Kraftfahrzeugen teilweise zu erhöhten Schadstoffkonzentrationen im Abgas, zu Motorkolbenfressern und Lagerschäden (D0: [0004]). Dem begegnen die Automobilproduzenten durch den Einbau katalytisch schadstoffverringernder Filter in den Abgasstrom und die Mineralölproduzenten durch chemische Zusätze für das Motorschmieröl (D0: [0002]). Eine daraus abgeleitete Aufgabe wird nicht direkt genannt, ist aber ausgehend davon darin zu sehen, die Kraftstoffmotorenleistung sowohl in ökonomischer (Gebrauchsdauer von Teilen) als auch ökologischer Hinsicht (Schadstoffausstoß) zu verbessern.
Diese Aufgabe wird gemäß Patentanspruch 1 vom 16. Februar 2016 gelöst durch die
1 Verwendung eines Kraftstoffadditivs
1.1 für Otto-Motoren
1.2 zur Verringerung des Kohlenmonoxidausstoßes,
2 wobei das Kraftstoffadditiv dispergiert in einem Motoröl vorliegt,
2.1 als synthetisches kolloidales Graphit,
2.2 in einer Konzentration von 40 Gew.-%.
Mit Unteranspruch 2 kommt folgendes Merkmal hinzu:
3 die Dotierung des dispergierten Graphits zum Kraftstoff erfolgt in einer Konzentration von mindestens 0,01 Gew.-%.
3. Der zuständige Fachmann ist ein Diplomchemiker, der über eine mehrjährige Berufserfahrung in der Entwicklung von Treibstoffen für Motoren verfügt.
4. Die Patentansprüche 1 und 2 gehen hervor aus dem ursprünglichen Patentanspruch 1 (Merkmale 1, 1.2), Absatz [0005] der Streitanmeldung D0 (Merkmale 1, 1.1) und Absatz [0006] (Merkmale 2, 2.1, 2.2, 3).
Der Begriff „Kraftstoffadditiv“ kommt in den ursprünglichen Anmeldungsunterlagen zwar nicht vor, er ist aber als synonym zu dem ursprünglich offenbarten Begriff „Kraftstoffzusatz“ zu werten. Gleiches gilt für den Begriff „Otto-Motor“, welcher synonym zu dem ursprünglich offenbarten „Benzinmotor“ verwendet wird.
5. Einige Begriffe und Merkmale der Patentansprüche bedürfen einer erläuternden Auslegung.
a) Die synthetische Herstellung von Graphit erfolgt durch Graphitierung verkokter kohlenstoffhaltiger Materialien und stellt ein fachübliches Verfahren dar. Graphit liegt aufgrund seiner chemischen Struktur kristallin vor. Unterschieden wird auch zwischen makrokristallinem Naturgraphit und mikrokristallinem Graphit. Der von dem Anmelder zur Erläuterung seiner Erfindung herangezogene Artikel A1 handelt dagegen von Graphen, was zwar der Struktur einer monomolekularen Schicht von Graphit entspricht, aber nicht mit (mikro)kristallinem Graphit identisch ist.
Sofern der Anmelder unter einem „synthetischen kolloidalen Graphit“ gemäß Merkmal 2.1 laut eigenem Bekunden einen synthetischen mikrokristallinen Graphit verstehen will, handelt es sich dabei um eine fachübliche, kommerzielle Form des Graphits. Eine über das fachübliche hinausgehende oder eine spezielle einschränkende Bedeutung dieser Begriffe kann der Anmeldung nicht entnommen werden.
b) Eine Dispergierung stellt ein feines Verteilen einer Substanz in einer kontinuierlichen Phase dar, wobei die Substanz mit der kontinuierlichen Phase nicht mischbar ist (= Dispersion). Dies wurde vom Anmelder korrekt festgestellt, wobei für die Auslegung eines Begriffes das Verständnis des Fachmanns zum Anmeldezeitpunkt maßgebend ist (vgl. hierzu auch die Grundsätze in: Schulte, PatG, 9. Aufl., § 34 Rdn. 331; Busse, 7. Aufl., PatG, § 14 Rdn. 13), nicht dagegen ein allgemeines Wörterbuch. Für ein Motoröl ist eine Dispergierung z. B. die Verteilung einer darin nicht mischbaren Flüssigkeit oder eines Feststoffes (= Suspension als Spezialfall der Dispersion). Bei kleiner Teilchengröße entstehen kolloide Dispersionen (vgl. Merkmale 2.1, 3). Auch hier ist eine über den fachlichen Rahmen hinausgehende Verwendung der Begriffe durch den Anmelder nicht gegeben.
An dieser Beurteilung würde auch die Verwendung der Begriffe „intensiv dispergiert“ oder „herkömmliches Motoröl“ nichts ändern. Sie sind im Rahmen der ursprünglichen Offenbarung der Erfindung breit auszulegen. Mangels weiterer Angaben in der Patentanmeldung muss jede Dispersion des Standes der Technik als „intensiv“ – und damit ausreichend – dispergiert gelten. Gleichermaßen ist jedes aus dem Stand der Technik bekannte Motoröl als „herkömmliches“ Motoröl im Sinne der Streitanmeldung zu werten.
c) Die Dotierung des Kraftstoffs mit mindestens 0,01 Gew.-% Graphit gemäß Merkmal 3 erlaubt nicht, wie von der Prüfungsstelle angenommen, die theoretische Zugabe von 100 Gew.-% Graphit, da es sich insoweit nicht mehr um eine Dotierung handeln würde. Das Fehlen einer Obergrenze für die Dotierung steht auch der Ausführbarkeit der Verwendung nicht entgegen (§ 34, Abs. 4 PatG), denn der Fachmann wird durch orientierende Versuche ohne weiteres geeignete Dotierungskonzentrationen ermitteln können. Der Gegenstand wird durch die nach oben offene Grenze lediglich breit, was bei der Beurteilung seiner Neuheit bzw. erfinderischen Tätigkeit zu berücksichtigen ist.
6. Der Gegenstand des geltenden Patentanspruchs 1 ist gegenüber dem vorliegenden Stand der Technik neu (§ 3 PatG), da keine der Druckschriften alle Merkmale des streitanmeldungsgemäßen Patentanspruchs 1 unmittelbar nennt.
Die angemeldete Erfindung erfüllt jedoch nicht die Voraussetzungen des § 4 PatG. Eine Erfindung beruht dann auf erfinderischer Tätigkeit, wenn sie sich für den Fachmann auf dem jeweiligen technischen Gebiet aus dem Stand der Technik nicht in naheliegender Weise ergibt und somit das Können des Durchschnittsfachmanns überragt. Dies ist vorliegend nicht der Fall. Denn ausgehend von der Druckschrift D1 oder R4 kann unter Berücksichtigung des Wissens und Könnens des Fachmanns in der streitanmeldungsgemäßen Verwendung von kolloidalem Graphit entsprechend der Patentansprüche 1 und 2 keine erfinderische Tätigkeit gesehen werden.
a) Die Druckschrift D1 beschreibt den Zusatz von Graphit zu Kraftstoff, um durch eine bessere Schmierung Arbeitsverluste und Störungen bei Brennkraftmaschinen zu vermeiden (D1: S. 1, Z. 1-13). Die Aufgabe der gattungsgemäßen D1 ist damit mit einer Teilaufgabe der Streitanmeldung identisch, so dass die D1 schon aus diesem Grund für den Fachmann beachtlich ist. Um den feinen Verteilungsgrad von Graphit für seine Verwendbarkeit als Schmiermittel zu erhalten (D1: S. 1, Z. 14-20), wird der Graphit in kolloidaler Form eingesetzt (D1: S. 1, Z. 29-32). Im Belieben des Fachmanns stand es dabei, synthetischen Graphit zu verwenden, da es sich hierbei um einen der fachüblichen kommerziell erhältlichen Graphite handelt (Merkmal 2.1).
Gemäß Ausführungsbeispiel der D1 wird ein Öl mit 10 (Gew.-)% kolloidalem Graphit versetzt und dieses wird dem Kraftstoff zu 1 (Gew.-)% zugegeben (D1: S. 2, Z. 6-9 // Merkmal 1). Für den Fachmann ist dieses Öl ein für den Motor zugelassenes und bereits erprobtes Öl, nämlich ein (herkömmliches) Motoröl. Zwangsläufig führt der Zusatz von kolloidalem Graphit zu einer Dispersion desselben im Motoröl (Merkmal 2). Zudem ist gemäß der D1 – wie bei der Streitanmeldung – ein feiner Verteilungsgrad explizit gewünscht (D1: S. 1, Z. 14-20).
Die Zugabe zum Kraftstoff führt schließlich zu einer beispielhaften Konzentration von 0,1 (Gew.-)% Graphit im Kraftstoff (Merkmal 3). Ebenso lediglich beispielhaft wird als Kraftstoff in der D1 Dieselöl genannt (D1: S. 1, Z. 43-46), so dass der Fachmann ohne weiteres ausgehend von der D1 den Zusatz von kolloidalem Graphit zum Kraftstoff auch bei anderen Motorarten, wie Otto-Motoren, in Betracht zieht (Merkmal 1.1), wenn er bei diesen eine bessere Schmierung erreichen will.
Was die streitanmeldungsgemäße Konzentration von 40 Gew.-% Graphit im Motoröl gemäß Merkmal 2.2 anbelangt, so bezieht sich diese Angabe lediglich auf die Art der Bereitstellung des Zusatzmittels (Graphit in Motoröl). Von der Konzentration des Graphits im Motoröl hängt lediglich ab, in welcher Menge das Zusatzmittel dem Kraftstoff zugegeben werden muss, um eine gewünschte Graphitkonzentration im Kraftstoff zu erreichen. Ein besonderer technischer Effekt bei einer Konzentration von 40 Gew.-% ist in der Streitanmeldung weder offenbart noch geltend gemacht, so dass das Merkmal 2.2 im fachüblichen Bereich liegt und eine erfinderische Tätigkeit nicht begründen kann.
Der streitanmeldungsgemäße Graphit wird in einem Motoröl dispergiert und anschließend einem Otto-Kraftstoff zugegeben. Dies entspricht auch der Verwendung des Graphits in der D1. Sofern also der Anmelder mit Merkmal 1.2 in der Verringerung des Kohlenmonoxidausstoßes eine weitere Wirkungsweise des Zusatzes von Graphit neben seiner Wirkung als Schmiermittel erkennt, vermag dieses Merkmal eine erfinderische Tätigkeit nicht zu begründen.
Denn das nachträgliche Auffinden der technischen (physikalisch-chemischen) Zusammenhänge, die der Wirkung eines Kraftstoffzusatzes zugrunde liegen, offenbart keine neue Lehre zum technischen Handeln, wenn der (bekannte) Zusatz in der bereits bekannten Art und Weise eingesetzt wird (vgl. zu Arzneimittelerfindungen: BGH, Urteil vom 24. September 2013, X ZR 40/12 - Fettsäuren). Dies entspricht dann keiner neuen Verwendung eines bekannten Gegenstandes für einen neuen Zweck, sondern der bekannten Verwendung eines bekannten Gegenstandes. Die erstmalige Formulierung einer (weiteren) Wirkung eines bekannten Erzeugnisses, die nicht zugleich eine weitere Brauchbarkeit (Funktion) des Erzeugnisses aufzeigt, sondern gerade die bekannte Brauchbarkeit betrifft, kann nicht unter dem Gesichtspunkt der Funktions- oder Verwendungserfindung schutzfähig sein (vgl. BPatGE 41, 202 – Kaffeefiltertüte; Busse, Patentgesetz, 7. Aufl., § 1, Rdn. 135; vgl. hierzu auch BPatG, Beschluss vom 9. Juli 2015, 15 W (pat) 13/12, insbesondere Abschnitt 21).
Auch die Berücksichtigung der vom Anmelder als Vergleichsversuche vorgelegten Abgasuntersuchungen führt hier zu keinem anderen Ergebnis. Selbst wenn der Senat unterstellt, dass die Wirkung einer Verringerung des Kohlenmonoxidausstoßes damit nachgewiesen wird, wird auch hier der aus dem Stand der Technik bekannte Kraftstoffzusatz in herkömmlicher Weise verwendet.
Damit sind alle gegenständlichen Merkmale der Patentansprüche 1 und 2 aus der D1 in Verbindung mit dem üblichen Handeln des Fachmanns bekannt, so dass der Gegenstand der Patentansprüche 1 und 2 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht.
b) Zum gleichen Ergebnis gelangt der Fachmann ausgehend von der Druckschrift R4. Die R4 beschreibt ein Zylinderschutzöl als Zusatz zum Motoröl oder dem Fahrbenzin (R4: S. 1, Z. 1-10 i. V. m. Z. 24, Patentanspruch 1 // Merkmale 1, 1.1). Dem Zylinderschutzöl auf Maschinenölbasis wird kolloidaler Graphit in einer Menge von bis zu etwa 10 (Gew.-)% zugegeben (R4: S. 3, Z. 9-11 // Merkmale 2, 2.1 [ohne synthetisch]). Entsprechend dem Ausführungsbeispiel 4, welches eine Formulierung des Zylinderschutzöls als Kraftstoffzusatz beschreibt (R4: S. 3, Z. 64-69), wird zwar eine Konzentration an Graphit im Zylinderschutzöl von 2,5 (Gew.-)% genannt. Wird dieses Zylinderschutzöl aber in der empfohlenen Menge von 3 bis 5 cm3 pro Liter Kraftstoff verwendet (R4: S. 3, Z. 61-63), führt dies auch zu einer Konzentration von mindestens 0,01 Gew.-% Graphit im Kraftstoff (Merkmal 3), zumal Öle höhere Dichten als Fahrbenzine aufweisen
Die Formulierung des Zylinderschutzöles mit höheren Konzentrationen an wirksamen Zusätzen und damit höheren Konzentrationen von Graphit lag jedoch im Belieben des Fachmanns und war insbesondere naheliegend, wenn er Konzentrate anbieten möchte (Merkmal 2.2). Bei dem Teilmerkmal des „synthetischen“ Graphits handelt es sich gleichermaßen um eine fachübliche Erscheinungsform. Damit gelangt aber der Fachmann ausgehend von der R4 zu einem entsprechend den streitanmeldungsgemäßen Patentansprüchen 1 und 2 verwendeten Kraftstoffadditiv, da die übliche Verwendung des Kraftstoffadditivs der R4 auch zu der mit Merkmal 1.2 beschriebenen Wirkung führt.
7. Es besteht auch kein Anlass, die Sache zur erneuten Entscheidung zurückzuverweisen, § 79 Abs. 3 PatG. Ein wesentlicher Mangel im Verfahren vor dem Deutschen Patent- und Markenamt liegt nicht vor.
Der Anmelder kann sich insbesondere nicht darauf berufen, dass die im Prüfungsverfahren neu zuständig gewordene Prüferin die Patentfähigkeit anders beurteilt hat und zur Vorbereitung ihrer Entscheidung weitere Recherchen mit einem für den Anmelder ungünstigen Ergebnis durchgeführt hat.
Auch in der Zurückweisung der Patentanmeldung durch die Prüfungsstelle im Anschluss an die Anhörung vermag der Senat keinen Rechtsfehler zu erkennen. Der ordnungsgemäß geladene Anmelder hat zwei Werktage vor dem Anhörungstermin um Verlegung gebeten. Zwar darf sich der Bürger auf die üblichen Postlaufzeiten verlassen, so dass er davon ausgehen darf, dass ein Brief am nächsten oder übernächsten Zustelltag einer Behörde vorliegt (Schulte, PatG, 9. Aufl., § 123 Rdn. 129). Er darf sich jedoch nicht darauf verlassen, dass seine Eingabe so noch rechtzeitig der Prüfungsstelle zur Kenntnis gelangt, da er auch von internen Laufzeiten eines Schreibens innerhalb einer Behörde ausgehen muss. Im Übrigen waren dem Anmelder auch die telefonischen Kontaktdaten der Prüfungsstelle bekannt, so dass eine zusätzliche telefonische Mitteilung spätestens am Anhörungstag nicht unzumutbar war.
Dass die Prüfungsstelle, nachdem sie den Verlegungsantrag zur Kenntnis genommen hatte, der Beschwerde nicht abgeholfen und die Anhörung nicht wiederholt hat, führt ebenfalls nicht zur Zurückverweisung.
Der Grundsatz der Gewährung rechtlichen Gehörs gebietet es, dem Verlegungsantrag eines Anmelders aus erheblichen Gründen zu entsprechen. Derartige Gründe liegen in der Regel vor, wenn ein (patent-) anwaltlich nicht vertretener Anmelder am Tag der Anhörung in seiner Sache verhandlungsunfähig ist und dies durch entsprechende ärztliche Bescheinigungen nachgewiesen hat.
Dies ist vorliegend aber nicht der Fall, da kein erheblicher Grund für eine Terminsverlegung bestand. Wird eine Terminsverlegung erst unmittelbar vor der anberaumten mündlichen Verhandlung beantragt und wie hier mit einer Erkrankung des Anmelders begründet, so muss der Verhinderungsgrund so dargelegt und untermauert sein, dass ohne weitere Nachforschungen beurteilt werden kann, ob Verhandlungs- bzw. Reiseunfähigkeit besteht. Dies erfordert, dass sich aus den Unterlagen Art, Schwere und voraussichtliche Dauer der Erkrankung entnehmen lassen und so die Frage der Verhandlungs- bzw. Reiseunfähigkeit beurteilt werden kann (vgl. BGH, Beschluss vom 12. März 2015 - AnwZ (Brfg) 43/14 – juris). Gerade bei kurzfristig gestellten Anträgen auf Terminsverlegung bestehen hohe Anforderungen an die Glaubhaftmachung der Verhandlungsunfähigkeit.
Gemessen an diesen Vorgaben hat der Anmelder vorliegend nicht ausreichend dargelegt, dass er aus erheblichen Gründen am Erscheinen zur Anhörung gehindert war. Ein ärztliches Attest, welches ihm eine krankheitsbedingte Verhinderung bescheinigt, wurde vom Anmelder nicht vorgelegt. Die von ihm vorgelegte Heilmittelverordnung über „Allgemeine Krankengymnastik“ enthält zwar eine Diagnose, eine daraus resultierende krankheitsbedingte Hinderung an der anberaumten Anhörung teilzunehmen, ergibt sich daraus indes nicht, da sich aus der Verordnung nicht das Maß etwaiger Beeinträchtigungen der Reise- und Verhandlungsfähigkeit erkennen lässt (vgl. dazu BGH a. a. O.). Insbesondere war für die Prüfungsstelle nicht erkennbar, ob und für welchen Zeitraum dem Anmelder von den ihn behandelnden Ärzten davon abgeraten wurde, mit dem Auto zu fahren oder öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen. Weder aus seiner Angabe, er könne „nicht richtig sitzen“ und „schlecht Treppensteigen“ noch auch aus seiner Schilderung des Geschehens, welches ihm widerfahren ist, lässt sich ausreichend sicher entnehmen, ob der Anmelder aufgrund der erlittenen Verletzung aus medizinischer Sicht reiseunfähig war.
8. Eine Rückzahlung der Beschwerdegebühr war nicht anzuordnen, § 80 Abs. 3 PatG. Das Gericht kann die Rückzahlung der Beschwerdegebühr anordnen, wenn es aufgrund besonderer Umstände nicht der Billigkeit entsprechen würde, die Gebühr einzubehalten. Ein schwerwiegender Verfahrensfehler im Prüfungsverfahren liegt nicht vor. Es ist auch nicht ersichtlich, dass die Prüfungsstelle, wenn der Anmelder seinen Vortrag und geänderte Patentansprüche aus dem Beschwerdeverfahren bereits in einer Anhörung vorgebracht hätte, zu einer anderen Entscheidung gekommen wäre. Vielmehr ist anzunehmen, dass die Prüfungsstelle, wie der Senat, auf dieser Grundlage ebenfalls die fehlende Patentfähigkeit festgestellt hätte und die Einlegung der Beschwerde nicht vermieden worden wäre.