Entscheidungsdatum: 16.12.2013
Batterieüberwachungsgerät
1. Der Zurückweisungsgrund des „unklaren Patentanspruchs“ ist im Patentgesetz nicht vorgesehen. Er kann insbesondere nicht aus § 34 Abs. 3 Nr. 3 PatG abgeleitet werden. Der Sinngehalt der Merkmale von Patentansprüchen ist aus der Sicht des angesprochenen Fachmanns auszulegen, um den beanspruchten Gegenstand für die nachfolgende Überprüfung auf Patentfähigkeit festzulegen.
2. Im Prüfungsverfahren sind die vom Anmelder beantragten Patentansprüche nach den gleichen Grundsätzen auszulegen, wie sie für Patentansprüche im Einspruchs-, Nichtigkeits- und Verletzungsverfahren gelten.
In der Beschwerdesache
betreffend die Patentanmeldung 10 2007 004 488.9
…
hat der 15. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts am 16. Dezember 2013 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Dr. Feuerlein, der Richter Dr. Egerer, Dr. Kortbein und Dr. Wismeth
beschlossen:
1. Der Beschluss der Prüfungsstelle für Klasse G 01 R des Deutschen Patent- und Markenamts vom 14. Juli 2008 wird aufgehoben.
2. Die Sache wird zur anderweitigen Entscheidung über die Patentanmeldung 10 2007 004 488.9 an das Deutsche Patent- und Markenamt zurückverwiesen.
I.
Die Anmelderin reichte am 19. Januar 2007 beim Deutschen Patent- und Markenamt die Patentanmeldung mit der Bezeichnung
„Batterieüberwachungsgerät und Verfahren zur Bestimmung einer aktuellen Kenngröße für einen aktuellen Zustand einer elektrochemischen Speicherbatterie“
ein und stellte mit dem Antrag auf Erteilung eines Patentes gleichzeitig Prüfungsantrag.
Mit Beschluss vom 14. Juli 2008 wies die Prüfungsstelle für Klasse G 01 R des Deutschen Patent- und Markenamts die Anmeldung wegen fehlender Patentfähigkeit auf Grund des § 48 PatG nach Anhörung zurück. Die der Anmelderin zugesandte Ausfertigung trägt fälschlicherweise das Datum vom 8. Juli 2008. Die Zustellung des Beschlusses erfolgte am 14. August 2008.
Die Patentanmeldung weist 31 Patentansprüche auf. Die unabhängigen ursprünglichen Patentansprüche 1, 13, 14 und 31 lauten:
Der Unteranspruch 2 lautet:
Die Prüfungsstelle stellte im Prüfungsverfahren in ihrem einzigen Bescheid vom 24. Oktober 2007 fest, dass der Patentanspruch 1 und die Erfindung nicht den Bestimmungen genüge, wonach
i) in den Patentansprüchen anzugeben ist, was als patentfähig unter Schutz gestellt werden soll (§ 34 Abs. 3 Nr. 3 PatG),
ii) im ersten Patentanspruch (Hauptanspruch) die wesentlichen Merkmale der Erfindung anzugeben sind (§ 9 Abs. 4 PatV) und
iii) die Erfindung so deutlich und vollständig offenbart sein muss, dass ein Fachmann sie ausführen kann (§ 34 Abs. 4 PatG).
Die Prüfungsstelle begründet dies damit, dass der ursprüngliche Patentanspruch 1 im Widerspruch zur angegebenen Aufgabenstellung stehe, nämlich dass eine aktuelle Kenngröße einer elektrochemischen Speicherbatterie bestimmt werden soll, auch wenn die Veränderung der Kenngröße selbst, bei ansonsten gleichen Betriebsbedingungen über die Lebensdauer der Speicherbatterie variiert. Dagegen sei im Patentanspruch 1 angegeben, dass die zu bestimmende Kenngröße außer von ihrem eigenen zeitlichen Verlauf noch von „einem weiteren Parameter für eine aktuelle Betriebsbedingung“ (vgl. Wortlaut des Patentanspruchs 1 in seiner ursprünglichen Fassung) abhängig ist. Somit könnten keine „ansonsten gleichen Betriebsbedingungen“ vorliegen.
Zudem sei auch kein funktionaler Zusammenhang zwischen der zu bestimmenden Kenngröße und einem früheren Wert dieser Kenngröße angegeben, so dass Patentanspruch 1 auch aus diesem Grund keine Lösung der Aufgabe darstelle.
Im Hinblick auf die Ausführbarkeit führt die Prüfungsstelle aus, dass die im Ausführungsbeispiel zu bestimmende Kenngröße, die „Wasserverlustrate WVR“, unter anderem vom bisherigen Wasserverlust abhängig sei, für den eine Näherungsformel angegeben sei. Würden jedoch die vorgeschlagenen Parameter in diese Formel eingesetzt, würde das Ergebnis dem in Figur 2 dargestellten Zusammenhang zwischen Wasserverlustrate und bisherigem Wasserverlust nicht entsprechen. Der Fachmann könne somit zumindest nicht mit wenigen, zielgerichteten Versuchen anhand der offenbarten Zusammenhänge zu den von der Anmelderin dargestellten Ergebnissen gelangen.
Zur Patentfähigkeit im Sinne der §§ 1 bis 5 PatG äußerte sich die Prüfungsstelle im Erstbescheid nicht. Ebenso äußerte sich die Prüfungsstelle im Erstbescheid nicht zu den Patentansprüchen 2 bis 31, also auch nicht zu den nebengeordneten Patentansprüchen 13, 14 und 31. Ein ermittelter Stand der Technik wurde der Anmelderin nicht mitgeteilt.
Daraufhin reichte die Anmelderin mit Schriftsatz vom 25. April 2008 einen geänderten Patentanspruch 1 sowie geänderte Beschreibungsseiten 1, 4 und 5 ein. Der neue und derzeit geltende Patentanspruch 1 bezieht sich nun auf ein
Die Anmelderin argumentierte, dass die Schritte gemäß Patentanspruch 1 in sich widerspruchsfrei seien und dass ein eindeutiger Schutzbereich abgegrenzt würde. Bezüglich der angegebenen Aufgabe seien die ansonsten gleichen Betriebsbedingungen nur eine mögliche Situation – es könne nicht angenommen werden, dass die Betriebsbedingungen gleich wären. Somit würde das Verfahren nach Patentanspruch 1 die Voraussetzungen der § 34 Abs. 3 Nr. 3 PatG und § 9 Abs. 4 PatV erfüllen.
Auch sei der Fachmann in der Lage, das Verfahren gemäß Patentanspruch 1 auszuführen ohne selbst erfinderisch tätig zu werden, wie dies beispielsweise auf Seite 5 der Beschreibung hinreichend genau beschrieben sei. So widerspreche das Verfahren auch nicht dem dargestellten mathematischen Zusammenhang bezüglich der Wasserverlustrate.
Zudem beantragte die Anmelderin hilfsweise eine Anhörung, die am 8. Juli 2008 stattfand. Aus der Niederschrift zur Anhörung ergibt sich, dass die Prüfungsstelle zustimmte, dass die Erfindung durch den geltenden Patentanspruch 1 hinreichend definiert sei, jedoch würde es an der Offenbarung eines Ausführungsbeispiels mangeln. So sei in der Anmeldung mit Figur 2 nur der physikalische Zusammenhang und mit den Gleichungen und Figur 1 der Weg zum Ergebnis dargestellt, jedoch fehle ein konkretes Ergebnis als solches. Die Anmelderin wandte ein, dass für diese Forderung eine gesetzliche Grundlage fehle und dass auch die Rechtsprechung darauf abstelle, dass konkrete Konstruktionen nicht angegeben sein müssten.
Mit Beschluss vom 14. Juli 2008 wies daraufhin die Prüfungsstelle die Anmeldung wegen fehlender Patentfähigkeit auf Grund des § 48 PatG zurück.
In der Begründung stellt die Prüfungsstelle bezüglich des geltenden Patentanspruchs 1 zunächst fest, dass die Änderungen zulässig seien. Jedoch mangele es Patentanspruch 1 an Klarheit. So bliebe völlig offen, welcher funktionale Zusammenhang zwischen einer in der Vergangenheit bestimmten integralen Kenngröße und der differenziellen Kenngröße, aus der auf den aktuellen Zustand der Speicherbatterie geschlossen werden soll, bestehen würde. Somit sei in Patentanspruch 1 lediglich das zu erzielende Ergebnis angegeben, aber keine technischen Mittel, durch die das Ergebnis erzielt werden kann. In diesem Zusammenhang bezieht sich die Prüfungsstelle auf § 34 Abs. 3 Nr. 3 PatG und gibt an, dass Patentanspruch 1 nicht geeignet sei, ein klares Schutzrecht zu begründen und damit nicht gewährbar sei. Auch seien in den übrigen Unterlagen keine konkreten technischen Merkmale offenbart, die zur Grundlage einer klaren und damit gewährbaren Anspruchsfassung hätten werden können. So würde an allen entscheidenden Stellen lediglich auf funktionale Abhängigkeiten hingewiesen, ohne diese konkret zu nennen oder dem Fachmann wenigstens die entscheidende Richtung zu weisen, wie er mit wenigen zielgerichteten Versuchen zu konkreten Beziehungen gelangen könnte. Somit sei die Erfindung in der Anmeldung auch nicht so deutlich und vollständig offenbart, dass ein Fachmann sie ausführen könne.
Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde der Anmelderin vom 5. September 2008, eingegangen beim Deutschen Patent- und Markenamt am gleichen Tag.
In der Beschwerdebegründung vom 17. Dezember 2008 erklärt die Anmelderin, dass bezüglich der Patentfähigkeit der vorliegenden Erfindung keine Zweifel zu bestehen scheinen, da hierzu bisher keine Ausführungen gemacht wurden.
Weiterhin führt die Anmelderin aus, dass die Prüfungsstelle in der Anhörung vom 8. Juli 2008 akzeptiert hätte, dass die Erfindung durch den geltenden Patentanspruch 1 hinreichend definiert sei, wie auch aus der Niederschrift hervorgehe. Zudem sei in der Anhörung einvernehmlich festgestellt worden, dass der Prüfungsstelle bei dem auf Seite 3 des Erstbescheids vorgenommenem Einsetzen der Zahlenwerte in die Formel ein Fehler unterlaufen sei.
Insbesondere sei im deutschen Patentrecht ein Erfordernis der Klarheit nicht ausdrücklich kodifiziert. Die hierzu von der Prüfungsstelle in der Begründung des Beschlusses herangezogenen BGH-Entscheidungen beträfen die Technizität (BGH-Wettschein) und die Offenbarung (BGH-Garmachverfahren). Die Erfordernisse nach den zitierten BGH-Entscheidungen würden jedoch von der vorliegenden Patentanmeldung erfüllt.
Der vorliegenden Erfindung liege die Erkenntnis zugrunde, dass eine Kenngröße der Batterie, nämlich die Wasserverlustrate, mit zunehmendem bisherigen Wasserverlust ansteigt. Die Erfindung nach Patentanspruch 1 nutze diese Erkenntnis zur Ausgestaltung des entsprechend beanspruchten Verfahrens, wobei der Erkenntnis Rechnung getragen würde, indem die integrale Kenngröße, wie zum Beispiel der aktuelle Wasserverlust, nicht nur von den Werten der Vergangenheit abhängt, sondern auch von Betriebsbedingungen der Speicherbatterie.
Auch ginge aus Figur 1 sowie der dazugehörigen Beschreibung ein konkretes Beispiel für die praktische Umsetzung der Erfindung nach Art eines Flussdiagramms hervor, wobei beispielsweise auf Seite 7 der ursprünglichen Anmeldungsunterlagen Wege beschrieben seien, wie die Temperaturabhängigkeit und die Spannungsabhängigkeit zu berücksichtigen seien. Somit sei die Erfindung klar und deutlich und für den Fachmann nacharbeitbar offenbart.
Zudem handele es sich bei der Erfindung um ein „indirektes Messverfahren, das an einem technischen Gegenstand (Speicherbatterie) ausgeführt wird, mit dem eine technische Kenngröße (Wasserverlust) bestimmt wird“. Dabei nimmt die Anmelderin Bezug auf die BGH-Entscheidung Logikverifikation und vertritt die Ansicht dass somit hinsichtlich der Technizität keine Zweifel bestünden.
Die Anmelderin stellt mit Schriftsatz vom 17. Dezember 2008 sinngemäß die Anträge,
i) den Zurückweisungsbeschluss vom 14. Juli 2008 aufzuheben und
ii) aufgrund der geltenden Unterlagen ein Patent zu erteilen.
Hilfsweise wird eine mündliche Verhandlung beantragt. Der weiterhin gestellte Antrag auf Rückzahlung der Beschwerdegebühr wurde mit Schriftsatz vom 12. Dezember 2013 zurückgenommen.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
II.
1. Die Beschwerde ist form- und fristgerecht eingereicht worden. Sie ist damit zulässig.
2. Dem Antrag der Anmelderin auf Aufhebung des Zurückweisungsbeschlusses des Deutschen Patent- und Markenamts ist stattzugeben, da die Erfindung ausführbar ist und ausreichend offenbart wurde (§ 34 Abs. 4 PatG) und im Übrigen auch den Anforderungen des § 34 Abs. 3 Nr. 3 PatG genügt. Da die Prüfungsstelle zur Patentfähigkeit der Anmeldung nach den §§ 1 bis 5 PatG, insbesondere zur Neuheit und erfinderischen Tätigkeit bisher nicht Stellung genommen hat, ist die Zurückverweisung an das Deutsche Patent- und Markenamt erforderlich.
III.
1. Für die rechtliche Beurteilung der geltenden Patentansprüche vom 19. Januar 2007 und vom 25. April 2008 sind zunächst Erläuterungen des Gegenstandes der ursprünglichen Patentansprüche 1 und 2 vom 19. Januar 2007 erforderlich.
2. Als Fachmann ist ein Physiker, Physikochemiker oder Diplom-Ingenieur der Elektrotechnik mit Hochschulabschluss zu sehen, der sich mit der Entwicklung von elektrochemischen Speicherbatterien befasst.
3. Der ursprüngliche (U) Patentanspruch 1 vom 19. Januar 2007 gliedert sich in die folgenden Merkmale:
U1 Verfahren zur Bestimmung einer Kenngröße für einen aktuellen Zustand einer elektrochemischen Speicherbatterie mit den Schritten:
U2 Bestimmen einer aktuellen Kenngröße für den aktuellen Zustand der Speicherbatterie;
U2.1 der aktuelle Zustand bezieht sich auf ein aktuelles Zeitintervall;
U2.2 die Bestimmung erfolgt in Abhängigkeit von der/den in der Vergangenheit für dieselbe Speicherbatterie bestimmten Kenngröße(n) derselben Art (Kenngröße für den aktuellen Zustand bzw. aktuelle Kenngröße)
U2.3 und in Abhängigkeit von mindestens einem weiteren Parameter für eine aktuelle Betriebsbedingung;
U3 Bestimmung der Kenngröße für den aktuellen Zustand der elektrochemischen Speicherbatterie
U3.1 in Abhängigkeit von der bestimmten aktuellen Kenngröße für den aktuellen Zustand der Speicherbatterie (Merkmal U2), welcher sich auf das aktuelle Zeitintervall bezieht (Merkmal U2.1).
a) Zu der Merkmalsanalyse sei angemerkt, dass der Fachmann die Begriffe „Bestimmung“ und „Ermitteln“ bzw. „Ermittlung“ im Wortlaut der Patentansprüche synonym versteht, da weder die Patentansprüche selbst noch die Beschreibung eine andere Sichtweise nahe legen. Diese Auslegung wird z. B. von S. 10, Z. 5-14 der ursprünglichen Unterlagen bestätigt, insbesondere im Vergleich von Z. 5-6 („Bestimmung der differenziellen Kenngröße“) und Z. 13-14 („Ermittlung der differenziellen Kenngröße“).
b) Der Patentanspruch unterscheidet zwischen einer „Kenngröße“ (für den aktuellen Zustand der Speicherbatterie) und einer „aktuellen Kenngröße“ (für den aktuellen Zustand der Speicherbatterie). Diese Unterscheidung wird in der Merkmalsanalyse durch Kursivstellung und Unterstreichung hervorgehoben.
c) Es ist zu klären, wie der Begriff „Kenngröße derselben Art“ in Merkmal U2.2 zu verstehen ist. Dazu ist es aus Sicht des Senats hilfreich, die Zeitpunkte der Ermittlung der Kenngröße zu verdeutlichen. Im Folgenden soll die Zeit t 0 die aktuelle Zeit kennzeichnen. Die davorliegende Zeit der Ermittlung wird mit t -1, die wiederum davor liegende Zeit mit t -2 usw. bezeichnet. Die Vergangenheit wird als t -x bezeichnet.
Nach Seite 5 (Z. 1-6 i. V. m. Z. 28-32) der ursprünglichen Beschreibung liegt die Besonderheit des vorliegenden Verfahrens darin, dass die aktuelle Kenngröße für den aktuellen Zustand (zur aktuellen Zeit t 0) („differenzielle Kenngröße für ein Zeitintervall“) von den in der Vergangenheit (t -x) ermittelten Kenngrößen für den aktuellen Zustand („integrale Kenngröße zu diesem Zeitpunkt“) abhängig ist. Da die in der Vergangenheit (t -1) ermittelte Kenngröße für den aktuellen Zustand („integrale Kenngröße zu diesem Zeitpunkt“) aber mittels der in der Vergangenheit (t -2) ermittelten aktuellen Kenngröße ermittelt wurde, welche wiederum von der in der Vergangenheit (t -3) ermittelten aktuellen Kenngröße usw. abhängt, hängt die aktuelle Kenngröße für den aktuellen Zustand von allen in der Vergangenheit (t -x) ermittelten aktuellen Kenngrößen ab (S. 5, Z. 31-32: „Die differenzielle Kenngröße [aktuelle Kenngröße] hängt somit letztlich von allen zeitlich vorher liegenden differenziellen Kenngrößen ab.“).
Die in der Vergangenheit bestimmte Kenngröße derselben Art nach Merkmal U2.2 ist also die zu der Zeit t -1 bestimmte Kenngröße für den aktuellen Zustand, welche letztlich von allen aktuellen Kenngrößen der Vergangenheit t -x abhängig ist.
d) Zur weiteren Konkretisierung des ursprünglichen Patentanspruchs 1 dient der Patentanspruch 2. Die Merkmalsanalyse für die Kombination von Patentanspruch 2 mit Patentanspruch 1 lautet wie folgt. Änderungen gegenüber der Merkmalsanalyse von Patentanspruch 1 sind kursiv gesetzt.
U1 2 Verfahren zur Bestimmung eines Werts einer integralen Kenngröße (WL) für einen aktuellen Zustand einer elektrochemischen Speicherbatterie mit den Schritten:
U2 2 Bestimmung einer differenziellen Kenngröße (ΔWL) f ür den aktuellen Zustand der Speicherbatterie;
U2.1 2 der aktuelle Zustand bezieht sich auf ein aktuelles Zeitintervall (Δt);
U2.2 2 die Bestimmung erfolgt in Abhängigkeit von der/den in der Vergangenheit für dieselbe Speicherbatterie bestimmten integralen Kenngröße(n)
U2.3 2 und in Abhängigkeit von mindestens einem weiteren Parameter für eine aktuelle Betriebsbedingung;
U3 2 Bestimmung der integralen Kenngröße (WL) für den aktuellen Zustand der elektrochemischen Speicherbatterie
U3.1 2 durch Aufsummieren der für die Zeitintervalle ( Δt) (Merkmal U2.1 2 ) über die bisherige Zeit gewichteten differenziellen Kenngrößen (ΔWL) (Merkmal U2 2 );
U4 2 fortlaufendes Wiederholen der Schritte der Merkmalsgruppierungen 2 und 3 während der Lebenszeit der Speicherbatterie.
Wie ersichtlich ist, führt Merkmal U3.1 2 von Patentanspruch 2 lediglich konkreter aus, was unter der „Abhängigkeit von der aktuellen/differenziellen Kenngröße“ entsprechend Merkmal U3.1 nach ursprünglichem Patentanspruch 1 zu verstehen ist.
IV.
1. Der geltende Patentanspruch 1 gliedert sich in die folgenden Merkmale:
1 Verfahren zur Bestimmung einer integralen Kenngröße für einen aktuellen Zustand einer elektrochemischen Speicherbatterie mit den Schritten:
2 Bestimmung einer differenziellen Kenngröße für den aktuellen Zustand der Speicherbatterie;
2.1 der aktuelle Zustand bezieht sich auf ein aktuelles Zeitintervall;
2.2 die Bestimmung erfolgt in Abhängigkeit von der/den in der Vergangenheit für dieselbe Speicherbatterie bestimmten integralen Kenngröße(n) derselben Art (Kenngröße für den aktuellen Zustand bzw. aktuelle Kenngröße)
2.3 und in Abhängigkeit von mindestens einem weiteren Parameter für eine aktuelle Betriebsbedingung;
3 Bestimmung der integralen Kenngröße für den aktuellen Zustand der elektrochemischen Speicherbatterie
3.1 in Abhängigkeit von der bestimmten differenziellen Kenngröße für den aktuellen Zustand der Speicherbatterie (Merkmal 2), welcher sich auf das aktuelle Zeitintervall bezieht (Merkmal 2.1).
2. Bereits aus dem ursprünglichen Patentanspruch 2 und aus S. 5, Z. 1-32 in Verbindung mit S. 6, Z. 11-15 ist ableitbar, dass die aktuelle Kenngröße für den aktuellen Zustand der „differenziellen Kenngröße“ und die Kenngröße für den aktuellen Zustand der „integralen Kenngröße“ entsprechen (vgl. auch Schriftsatz der Anmelderin vom 25. April 2008, S. 2). Der Gegenstand des geltenden Patentanspruchs 1 ist also ursprünglich offenbart, was auch von der Prüfungsstelle anerkannt wurde (vgl. Zurückweisungsbeschluss vom 14. Juli 2008).
3. Ab S. 6, Z. 27 der ursprünglichen Beschreibung wird das erfindungsgemäße Prinzip der Anmeldung am Beispiel des Wasserverlustes erläutert.
Entsprechend S. 6, Z. 27-30 ist die (momentane) Wasserverlustrate WVR definiert durch den Quotienten aus dem momentanen (differenziellen) Wasserverlust ΔWL in einem Zeitintervall (differenzielle Kenngröße), z.B. in der Einheit [mg/h] (vgl. S. 7, Z. 3 i. V. m. S. 12, Z. 4-6) und der der Speicherbatterie entnehmbaren Nennkapazität CNenn in der Einheit [Ah]. Die (momentane) Wasserverlustrate hat entsprechend dieses Beispiels die Einheit [mg / (Ah h)]. Dieser Zusammenhang wird mathematisch gemäß Unteranspruch 7 wie folgt ausgedrückt:
WVR = ΔWL / (CNenn • Δt)
Vorteilhaft sei es, wenn die den momentanen Wasserverlust kennzeichnende differenzielle Kenngröße für ein Zeitintervall weiterhin in Abhängigkeit von einer Grundrate x_H2O (vgl. S. 13, Z. 1) für den Wasserverlust bestimmt wird. Nach S. 7, Z. 5 bis S. 8, Z. 27 werden weitere Abhängigkeiten von einer Temperaturgröße x_T, einer Spannungsgröße x_U, einer Stromgröße x_I und die erfindungsgemäße Abhängigkeit vom bisherigen Wasserverlust x_WL genannt. Ferner wird ab S. 8, Z. 29 die Abhängigkeit der (momentanen) Wasserverlustrate von der Temperatur für ein Zeitintervall als Funktion f(T) angegeben.
Der funktionale Zusammenhang wird schließlich für die (momentane) Wasserverlustrate WVR mathematisch wie folgt angegeben (vgl. S. 12, Z. 21 bis S. 13, Z. 16):
WVR = x_H2O • x_U • x_T • x_SOC • x_I • x_WL + f(T)
Wie in Verbindung mit S. 13, Z. 22 ersichtlich ist, handelt es sich bei x_H2O um den Grundwert der (momentanen) Wasserverlustrate in der Einheit [mg / (Ah h)]. Bei x_U, x_T, x_SOC, x_I und x_WL handelt es sich offensichtlich um dimensionslose Faktoren, die auf diese Grundrate einen Einfluss haben. Die Abhängigkeit von der Temperatur muss offensichtlich wieder die Einheit [mg / (Ah h)] aufweisen.
Mit diesem funktionalen Zusammenhang erfolgt letztlich mittels
ΔWL = WVR • CNenn • Δt
die Bestimmung einer differenziellen Kenngröße, hier des momentanen differenziellen Wasserverlusts ΔWL, was entsprechend der Merkmale 2 und 2.1 beschrieben wird.
Der Zusammenhang mit der in der Vergangenheit bestimmten integralen Kenngröße derselben Art entsprechend Merkmal 2.2 wird in der (momentanen) Wasserverlustrate WVR mittels des Faktors x_WL hergestellt. Hierbei wird der bisherige Wasserverlust WL_old als „integrale Kenngröße derselben Art“ wie folgt berücksichtigt:
x_WL = 1 + a_WL • exp (- b_WL • WL_old)
Für die Parameter a_WL und b_WL sind auf S. 13, Z. 13-15 für Bleiakkumulatoren mögliche Werte angegeben (a_WL = 0,009 und b_WL = - 0,012). Mit zunehmender Lebensdauer der Speicherbatterie ist anzunehmen, dass der Wasserverlust und damit der Parameter WL_old zunehmen. Dieser Zusammenhang ist in Fig. 2 dargestellt. Dementsprechend nimmt der Faktor x_WL höhere Werte als 1 an und bekommt somit einen größeren Einfluss auf die (momentane) Wasserverlustrate.
Als weitere Parameter entsprechend Merkmal 2.3 gehen in die (momentane) Wasserverlustrate WVR die Faktoren x_U, x_T, x_SOC und x_I ein sowie die Temperaturfunktion f(T).
In der konkreten Ausgestaltung ab S. 12, Z. 6 wird zwar nicht ausgeführt, wie die Bestimmung der integralen Kenngröße entsprechend Merkmal 3 erfolgt. Dies soll aber entsprechend Unteranspruch 2, Merkmal U3.1 2 durch Aufsummieren geschehen, also in der nachfolgend beschriebenen Weise.
Nach Unteranspruch 7 berechnet sich die aktuelle differenzielle Kenngröße, der momentane differenzielle Wasserverlust, in einem Zeitintervall Δt nach:
ΔWL [mg] = WVR [mg/(Ah h)] • CNenn [Ah]• Δt [h]
Die integrale Größe WL(t) (integrale Kenngröße für den aktuellen Zustand entsprechend Merkmal 3), welche als WL_old wieder in den Faktor x_WL eingeht, wird dann durch ggf. gewichtete Summation der differenziellen Kenngröße ΔWL erreicht. Mathematisch könnte dieser Zusammenhang von einem Fachmann wie folgt dargestellt werden:
Der Faktor fi soll einen Wichtungsfaktor für die jeweiligen Zeiträume Δti bezeichnen.
Überschreitet dieser Summenparameter dann z. B. einen bestimmten Schwellenwert, wird eine Warnmeldung ausgegeben, die zu einem geänderten Batteriemanagement führt (vgl. S. 14, Z. 23-26).
Im Ergebnis gibt das Verfahren nach Patentanspruch 1 in einer allgemeinen Form an, wie eine integrale Kenngröße für einen aktuellen Zustand ermittelt werden soll, wobei „der Einfluss aus der Vergangenheit […] nicht [nur] durch Aufsummieren der bisherigen Kenngrößen mit einem aktuellen Wert der Kenngröße berücksichtigt [wird], sondern […] auch unmittelbar in die aktuelle Kenngröße mit ein[fließt]“ (vgl. S. 5, Z. 5-8). Dieser Zusammenhang wird anhand des Wasserverlustes beispielhaft ausgeführt und ist für einen Fachmann – wie gezeigt – nachvollziehbar.
V.
1. In der Begründung des Zurückweisungsbeschlusses führt die Prüfungsstelle aus, dass es dem geltenden Patentanspruch 1 an Klarheit mangele und nimmt Bezug auf das Erfordernis nach § 34 Abs. 3 Nr. 3 PatG.
a) Gemäß § 34 Abs. 3 Nr. 3 PatG muss die Anmeldung einen oder mehrere Patentansprüche enthalten, in denen angegeben ist, was unter Schutz gestellt werden soll, wobei nach § 9 Abs. 4 PatV im Hauptanspruch die wesentlichen Merkmale der Erfindung anzugeben sind.
Aus Sicht des Senats stellt § 34 Abs. 3 PatG eine Formvorschrift dar. Der § 34 Abs. 3 Nr. 3 PatG legt die Patentansprüche als denjenigen Teil der Anmeldung fest, welcher den Schutzbereich definiert. Aus dieser Vorschrift kann aber nicht abgeleitet werden, dass Patentansprüche aus sich heraus klar sein müssten. Auch kann darauf nicht eine Zurückweisung gegründet werden, nach der es einem Patentanspruch an der erforderlichen Klarheit mangele. Der Zurückweisungsgrund des „unklaren Patentanspruchs“ ist im Patentgesetz nicht vorgesehen (vgl. BPatG, 20 W (pat) 71/04, Beschluss vom 15. April 2009; BPatG, 20 W Pat 17/05, Beschluss vom 8. Juli 2009; BPatG, 20 W pat 14/07, Beschluss vom 7. Mai 2012 – mit weiteren Nachweisen).
Nach ständiger Rechtsprechung muss für die Prüfung der Patentfähigkeit des Gegenstandes eines Patentanspruchs zunächst dessen Gegenstand ermittelt werden, indem der Sinngehalt des Patentanspruchs unter Heranziehung von Beschreibung und Zeichnungen aus der Sicht des von der Erfindung angesprochenen Fachmanns ausgelegt wird. Bei „Unklarheiten“ ist zu ermitteln, was sich aus der Sicht des angesprochenen Fachmanns aus den Merkmalen des Patentanspruchs im Einzelnen und in ihrer Gesamtheit als unter Schutz gestellte technische Lehre ergibt. Erst wenn eine solche Auslegung erfolgt ist, steht der Gegenstand der nachfolgenden Überprüfung auf Patentfähigkeit fest (vgl. BGH, X ZR 117/11, Urteil vom 17. Juli 2012, GRUR 2012, 1124-1130 – Polymerschaum; BGH, X ZB 9/06, Beschluss vom 17. April 2007, GRUR 2007, 859-862 – Informationsübermittlungsverfahren I; BGH, X ZR 145/98, Urteil vom 7. November 2000, GRUR 2001, 232-235 – Brieflocher; BGH, X ZR 85/96, Urteil vom 2. März 1999, GRUR 1999, 909-914 – Spannschraube).
Diese im Einspruchs-, Nichtigkeits- und Verletzungsverfahren gültigen Grundsätze sind aus Sicht des Senats in gleicher Weise im Prüfungsverfahren anzuwenden. Zwar liegen die Patentansprüche noch nicht fest, solange die Prüfungsstelle und der Anmelder über die konkrete Gestaltung der Patentansprüche diskutieren. In diesem Verfahrensstadium kann es daher sachdienlich sein, wenn die Prüfungsstelle auf aus ihrer Sicht bestehende Auslegungsnotwendigkeiten („Unklarheiten“) hinweist. Hat sich jedoch der Anmelder – wie im vorliegenden Fall – auf eine konkrete Gestaltung der von ihm beantragten Patentansprüche festgelegt, sind diese Patentansprüche mit den gleichen Grundsätzen zu prüfen, wie sie für erteilte Patentansprüche gelten.
b) Wie auch die Prüfungsstelle in der Begründung ihres Beschlusses ausführt, dürfte für den Fachmann zweifelsfrei sein, was mit dem Begriff „Kenngröße“ im Zusammenhang mit einer elektrochemischen Speicherbatterie gemeint ist. Jedoch rügt die Prüfungsstelle, dass es völlig offen bliebe, welcher funktionale Zusammenhang zwischen einer in der Vergangenheit bestimmten integralen Kenngröße und der differenziellen Kenngröße bestünde. Hierzu sei zunächst angemerkt, dass § 34 Abs. 3 Nr. 3 PatG keine Forderung nach einem funktionalen Zusammenhang stellt.
Der bezweifelte funktionale Zusammenhang erschließt sich indes für den Fachmann auch ohne weiteres aus Patentanspruch 1 selbst, da hiernach eine differenzielle Kenngröße „in Abhängigkeit von den in der Vergangenheit für dieselbe Speicherbatterie bestimmten integralen Kenngrößen derselben Art und mindestens eines weiteren Parameters für eine aktuelle Betriebsbedingung“ ermittelt wird. Somit ergibt sich eindeutig aus dem Wortlaut des Patentanspruchs, dass die Ermittlung der differenziellen Kenngröße in Abhängigkeit unter anderem von der genannten integralen Kenngröße erfolgt. Ein funktionaler Zusammenhang ist mithin gegeben.
Zwar mag „in Abhängigkeit“ ein sehr breiter Begriff für einen funktionalen Zusammenhang sein, jedoch ist die Tatsache, dass unter den Patentanspruch eine sehr große Zahl von Gegenständen fällt, für sich allein kein Grund zur Beanstandung. Wenn ein Anspruchsmerkmal allgemein und breit gefasst ist, so dass viele Aspekte und Realisierungen des Standes der Technik darunter fallen, handelt es sich nicht um eine Frage der Klarheit, sondern der Neuheit und der erfinderischen Tätigkeit (vgl. BPatG, 20 W (pat) 305/02, Beschluss vom 30. Juli 2003, BPatGE 47, 163-167 – Frühestmöglicher Auslösezeitpunkt; Schulte PatG, 9. Auflage, § 34 Rdn. 140). Ein ermittelter Stand der Technik kann dann im Einzelfall dazu führen, dass bis dahin vermeintlich „klare“ Begriffe auslegungsbedürftig werden. Die Auslegung wird dann nach Auffassung des Senats bis hin zu einem weitest möglichen sinnvollen Verständnis reichen müssen (in Anlehnung an BGH, X ZR 95/05, Urteil vom 31. März 2009, GRUR 2009, 653-655 – Straßenbaumaschine; BGH, X ZR 7/00, Urteil vom 24. September 2003, GRUR 2004, 47-50 – Blasenfreie Gummibahn I). Daher ist die Prüfungsstelle grundsätzlich nicht davon abgehalten, den Gegenstand des Patentanspruchs breiter auszulegen als hier vom Senat vorgenommen. Auf dieser Grundlage wird dann zu beurteilen sein, ob der beanspruchte Gegenstand gegenüber dem Stand der Technik neu ist und auf erfinderischer Tätigkeit beruht. Sofern die Angaben in den Patentansprüchen hierfür ausreichen, sind alle wesentlichen Merkmale der Erfindung im Patentanspruch (Hauptanspruch) angegeben (§ 9 Abs. 4 PatV).
c) Im Weiteren ist die Prüfungsstelle der Ansicht, dass im Patentanspruch 1 lediglich angegeben ist, welches technische Ergebnis erzielt werden soll, jedoch keine technischen Mittel genannt sind, durch die dieses Ergebnis erzielt werden kann. De facto beschränke sich der Patentanspruch 1 auf die Angabe solcher Mittel, ohne sie jedoch tatsächlich anzugeben.
Grundsätzlich ist es der Anmelderin unbenommen, den Gegenstand ihrer Erfindung durch funktionelle Merkmale (hier funktionale Abhängigkeiten von Kenngrößen) zu beschreiben, wenn die darin liegende Verallgemeinerung dem berechtigten Anliegen Rechnung trägt, die Erfindung in vollem Umfang zu erfassen (vgl. BGH, X ZB 8/12 Beschluss vom 11. September 2013, Rz 20, mit weiteren Nachweisen – Dipeptidyl-Peptidase-Inhibitoren). Dies mag dazu führen, dass eine Vielzahl von konkreten Realisierungen unter den Gegenstand des Patentanspruchs fallen, was aber im Zuge der Prüfung auf Patentfähigkeit nach §§ 1 bis 5 PatG zu berücksichtigen ist. Ein mit § 34 Abs. 3 Nr. 3 PatG begründbarer Mangel liegt hier jedenfalls nicht vor.
Der Patentfähigkeit steht grundsätzlich auch nicht entgegen, wenn unter einen wie im vorliegenden Fall gefassten Patentanspruch Kennzahlen fallen würden, welche erst zukünftig als maßgebende Messgrößen für den Zustand einer Speicherbatterien erkannt werden (in Anlehnung an BGH, X ZB 8/12 Beschluss vom 11. September 2013, Rz 19 – Dipeptidyl-Peptidase-Inhibitoren).
Dieser Beurteilung steht auch nicht die von der Prüfungsstelle zitierte BGH-Entscheidung Wettschein entgegen (BGH, I ZR 160/57 Beschluss vom 21. März 1958, GRUR 1958, 602 – Wettschein). In dieser Entscheidung wurde festgestellt, dass ein Wett- oder Wahlschein, der durch Linien und Schriftzeichen für die Vornahme von Eintragungen aufgeteilt ist, dem Patentschutz nicht zugänglich ist. Sie ist für den vorliegenden Fall nicht einschlägig.
d) Es liegt aus Sicht des Senats aber auch keine mangelnde Technizität in Bezug auf § 1 Abs. 1 PatG vor. Zwar mag es sich bei dem Verfahren nach geltendem Patentanspruch 1 um ein Computerprogramm mit Programmcodemitteln handeln (vgl. auch Patentanspruch 14). Dieses Computerprogramm ist jedoch auf einen technischen Gegenstand (hier Speicherbatterie) gerichtet, bei dem eine technische Kenngröße (z. B. der Wasserverlust) bestimmt wird. Zweifel an der Technizität der Erfindung bestehen daher nicht (vgl. BGH, X ZB 11/98 Beschluss vom 13.12.1999, GRUR 2000, 498-501 – Logikverifikation).
e) Der Verweis der Prüfungsstelle in ihrem einzigen Bescheid vom 24. Oktober 2007, dass ein Widerspruch zwischen der Aufgabenstellung und dem Patentanspruch bestünde, vermag gleichfalls eine „Unklarheit“ nicht zu begründen. Die Aufgabenstellung lautet nach S. 4, Z. 22-27 der ursprünglichen Beschreibung, „ein Verfahren zur Bestimmung einer aktuellen Kenngröße über einen aktuellen Zustand einer elektrochemischen Speicherbatterie zu schaffen, mit dem der Verschleiß der Speicherbatterie ausreichend genau bestimmt werden kann, auch wenn die Rate der Veränderung der Kenngröße selbst bei ansonsten gleichen Betriebsbedingungen über die Lebensdauer der Speicherbatterie variiert“. Da gemäß Patentanspruch 1 die zu bestimmende Kenngröße für den aktuellen Zustand der Speicherbatterie außer von ihrem eigenen Verlauf noch von einem weiteren Parameter für eine aktuelle Betriebsbedingung abhänge, könnten aus Sicht der Prüfungsstelle keine „ansonsten gleichen Betriebsbedingungen“ vorliegen.
Auch dieses Argument hält einer Überprüfung nicht stand. Die genannte Aufgabe gibt lediglich an, dass es zu unterschiedlichen Raten der Veränderung einer Kenngröße kommen kann, obwohl die Betriebsbedingungen „ansonsten gleich“ sind. Auch für diesen Fall soll das vorliegende Verfahren eine Lösung bieten. Ein Widerspruch zwischen Beschreibung und Patentansprüchen ergibt sich daraus aus Sicht des Senats nicht. Im Übrigen sei darauf hingewiesen, dass es auch kein patenthindernder Mangel wäre, wenn der Anspruchsgegenstand die in der ursprünglichen Beschreibung angegebene Aufgabe nicht lösen würde. Ein eventueller Widerspruch in der Beschreibung kann durch deren Anpassung im Rahmen der ursprünglichen Offenbarung an das Beanspruchte beseitigt werden (vgl. BPatG, 20 W (pat) 305/02, Beschluss vom 30. Juli 2003, BPatGE 47, 163-167 – Frühestmöglicher Auslösezeitpunkt). Die objektive Aufgabe wird zudem vor dem noch zu ermittelnden Stand der Technik zu beurteilen sein (vgl. Schulte, PatG, 9. Auflage, § 1 Rdn. 47 mit weiteren Nachweisen).
f) Die zur Grundlage des Zurückweisungsbeschlusses gemachten Unklarheiten liegen – jedenfalls bei den geltenden Patentansprüchen – nicht vor. Ein Fachmann durchschnittlichen Könnens und Wissens versteht die im Anspruch verwendeten Worte aus sich heraus und auch anhand des Gesamtinhalts der Anmeldungsunterlagen. Die Merkmale, insbesondere die Merkmale 2.2, 2.3 und 3.1, welche eine „Abhängigkeit“ angeben, sind in ihrer Formulierung zwar sehr allgemein. Damit wird der unter Schutz zu stellende Gegenstand aber nur sehr breit, nicht unklar. Die Merkmale erfassen nämlich genau den oben beschriebenen zentralen erfinderischen Gedanken, dass ein in der Vergangenheit ermittelter Summenparameter derselben Art (integrale Kenngröße) bei der Ermittlung eines aktuellen Parameters (momentane differenzielle Kenngröße) berücksichtigt wird (neben mindestens einem weiteren Parameter). Dies gilt bereits für die ursprünglichen Patentansprüche.
Der von der Prüfungsstelle geltend gemachte Unklarheitseinwand ist somit insgesamt nicht zutreffend und kann die Zurückweisung nicht begründen.
2. In den Gründen des Zurückweisungsbeschlusses gibt die Prüfungsstelle mit Bezug auf § 34 Abs. 4 PatG zudem an, dass die Erfindung nicht so deutlich und vollständig offenbart sei, dass ein Fachmann sie ausführen könne.
a) Im Ausgangspunkt zutreffend geht die Prüfungsstelle davon aus, dass ein Patent nicht erteilt werden kann, wenn es die Erfindung nicht so deutlich und vollständig offenbart, dass ein Fachmann sie ausführen kann, was nach § 34 Abs. 4 PatG gefordert wird.
b) Gemäß der neueren Rechtsprechung des BGH ist eine Erfindung ausführbar offenbart, wenn die in der Patentanmeldung enthaltenen Angaben dem fachmännischen Leser so viel an technischer Information vermitteln, dass er mit seinem Fachwissen und seinem Fachkönnen in der Lage ist, die Erfindung erfolgreich auszuführen. Es ist nicht zwingend erforderlich, dass mindestens eine praktisch brauchbare Ausführungsform als solche unmittelbar und eindeutig offenbart ist (BGH, Xa ZR 126/07, Urteil vom 13. Juli 2010, GRUR 2010, 916-918 – „Klammernahtgerät“).
Nach diesen Grundsätzen ist die vorliegende Erfindung ausführbar offenbart. Zwar werden keine konkreten (Mess-)Mittel angegeben, mit denen z. B. der Wasserverlust, die Spannungs- bzw. Stromgrößen oder der Ladezustand einer Speicherbatterie gemessen werden. Dabei handelt es sich grundsätzlich jedoch um dem Fachmann bekannte Verfahren, wofür sich folglich konkrete Angaben erübrigen können.
c) Wie in Abschnitt IV dargestellt wurde, trifft es nicht zu, dass an allen entscheidenden Stellen lediglich auf funktionale Abhängigkeiten hingewiesen wird, ohne diese konkret zu nennen oder dem Fachmann wenigstens die entscheidende Richtung zu weisen, wie er mit wenigen zielgerichteten Versuchen zu konkreten Beziehungen gelangen kann. Vielmehr werden ab S. 6, Z. 24 der Beschreibung konkrete mathematische Zusammenhänge angegeben, nach denen der integrale Wasserverlust mittels der momentanen Wasserverlustrate und des bisherigen Wasserverlusts bestimmt werden kann, wobei die momentane Wasserverlustrate von dem bisherigen Wasserverlust und einem weiteren Parameter (z. B. Batteriestrom, Batteriespannung, Ladezustand) abhängt.
d) Sofern die Prüfungsstelle in Bezug auf die Ausführbarkeit bemängelt, dass Parameter frei anpassbar seien, stellt auch dies keine mangelnde Offenbarung gemäß § 34 Abs. 4 PatG dar.
Sofern in den Unteransprüchen 10, 12, 17, 20, 22 und 23 funktionale Zusammenhänge für die Parameter x_T, x_U, x_I, x_WL, f(T) und X_SOC angeben sind, ist es für die Ausführbarkeit unerheblich, ob Parameter frei anpassbar sind. Die Nichtnennung konkreter Werte für die Parameter, kann allenfalls im Rahmen der Beurteilung der Neuheit und erfinderischen Tätigkeit des Gegenstands der unabhängigen Patentansprüche dazu führen, dass dieser nicht weiter vom Stand der Technik abgrenzbar ist, weil die Wahl eines Parameters im Belieben des Fachmanns zu liegen scheint und die Anmelderin damit die erfinderische Tätigkeit möglicherweise nicht begründen kann.
e) Somit bestehen vorliegend für den Senat keine Zweifel an der Ausführbarkeit der Erfindung. Die Prüfungsstelle gibt in ihrer Begründung auch keine konkreten Vermutungen diesbezüglich an, die etwa durch nachgereichte Experimente widerlegbar wären. Lediglich der Niederschrift über die Anhörung ist zu entnehmen, dass es an der Offenbarung eines Ausführungsbeispiels bzw. an einem „konkreten Ergebnis“ mangele. Insoweit ist jedoch den Ausführungen der Anmelderin zu folgen, dass ein solches nach neuerer Rechtsprechung nicht zwingend erforderlich ist, um eine ausreichende Offenbarung zu belegen (BGH Xa ZR 126/07, Urteil vom 13. Juli 2010, GRUR 2010, 916-918 – „Klammernahtgerät“).
An dieser Beurteilung vermag auch die von der Prüfungsstelle zitierte BGH-Entscheidung Garmachverfahren nichts zu ändern (BGH, Ia ZB 14/66, Beschluss vom 21. Dezember 1967, GRUR 1968, 311-314 – Garmachverfahren), welche sich auf Verfahren zum Garmachen von Lebensmitteln in „stark bewegter Luft“ richtet. Schon entsprechend dieser Entscheidung können vielmehr konkrete Zahl- und Maßangaben (dort über die „stark bewegte Luft“) entbehrlich sein, wenn die Patentanmeldung jedenfalls die entscheidende Richtung angibt und es den ohne erfinderisches Bemühen durchzuführenden Versuchen des Fachmanns überlässt, die jeweils günstigsten Werte zu ermitteln.
VI.
Der Senat konnte in der Sache selbst nicht entscheiden. Wie aus der Akte ersichtlich ist, wurde eine Patentrecherche noch nicht durchgeführt. Im nicht öffentlichen Recherchebericht (Bogen zur Druckschriftennennung P 2400) sind lediglich die von der Anmelderin selbst genannten Druckschriften D1 bis D10 aufgelistet sowie eine weitere Druckschrift DE 102 34 032 A1, welche ebenfalls die VB … GmbH & Co. KGaA zur Anmelderin hat. Im Bogen zur Druckschriftennennung sind überdies keine Angaben zu den recherchierten Gebieten erfolgt. Dass die Recherche keinen weitergehenden Stand der Technik zu Tage gefördert hat, führt der Senat darauf zurück, dass die Prüfungsstelle eine Recherche nach Dokumenten zum Stand der Technik – aus ihrer Sicht wegen der geltend gemachten Unklarheitseinwände und der mangelnden Ausführbarkeit konsequent – noch nicht durchgeführt hat. Die Prüfungsstelle hat also weder zu dem von der Anmelderin bereits genannten Stand der Technik Stellung genommen, noch eine eigene vollständige Recherche durchgeführt.
Das Deutsche Patent- und Markenamt hat folglich über die nunmehr beanspruchte Erfindung noch nicht abschließend entschieden. Da eine sachgerechte Entscheidung nur aufgrund einer vollständigen Recherche des relevanten Standes der Technik ergehen kann und eine solche umfassende Recherche auf dem betreffenden technischen Fachgebiet noch nicht stattgefunden hat, kann vom Senat nicht ausgeschlossen werden, dass insbesondere unter dem Gesichtspunkt des § 4 PatG ein einer Patenterteilung möglicherweise entgegenstehender Stand der Technik existiert, zu dessen Ermittlung in erster Linie die Prüfungsstellen des Deutschen Patent- und Markenamts berufen sind. Die Sache war deshalb zur weiteren Prüfung und Entscheidung an das Deutsche Patent- und Markenamt zurückzuverweisen (§ 79 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 PatG). Der Prüfungsstelle obliegt bei der erneuten Prüfung ebenso die Entscheidung darüber, ob die Anmeldung die sonstigen Erfordernisse des § 49 Abs. 1 PatG erfüllt.
Eine mündliche Verhandlung war nicht erforderlich, auch wenn der Senat dem gestellten Antrag auf Erteilung des Patentes mit den geltenden Unterlagen nicht nachkommt. Mit der Aufhebung des Zurückweisungsbeschlusses und der Zurückverweisung wird antragsgemäß im Sinne des Antrags auf Patenterteilung entschieden und die Anmelderin nicht schlechter gestellt als sie beantragt hat, da die Zurückverweisung den Antrag auf Erteilung des Patentes mit den geltenden Unterlagen umfasst.