Entscheidungsdatum: 09.12.2013
In der Beschwerdesache
betreffend das Patent 10 2005 060 193
…
hat der 15. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatengerichts auf die mündliche Verhandlung vom 9. Dezember 2013 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Dr. Feuerlein und der Richter Dr. Egerer, Dr. Kortbein und Dr. Wismeth
beschlossen:
1. Der Beschluss der Patentabteilung 1.52 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 5. Juni 2012 wird aufgehoben.
2. Die Sache wird zur anderweitigen Entscheidung über den Einspruch gegen das Patent 10 2005 060 193 auf Grundlage der erteilten Ansprüche 1 bis 20, Beschreibung Seiten 2 bis 7 gemäß Patentschrift, Zeichnungen Figuren 1 bis 3 gemäß Patentschrift,
hilfsweise auf Grundlage des Hilfsantrags 1 mit den Ansprüchen 1 bis 18, Beschreibung Seiten 2 bis 7 gemäß Patentschrift, Zeichnungen Figuren 1 bis 3 gemäß Patentschrift,
an das Deutsche Patent- und Markenamt zurückverwiesen.
I.
Auf die am 14. Dezember 2005 eingereichte Patentanmeldung hat das Deutsche Patent- und Markenamt das Patent 10 2005 060 193 mit der Bezeichnung
„Verfahren und Vorrichtung zur kontinuierlichen Reduzierung der Geruchsbelastung von Abwasser in der Kanalisation, sowie Verfahren und Vorrichtung zur Ermittlung der Belastung einer Wasserprobe mit Geruchsstoffen“
erteilt. Der Veröffentlichungstag der Patenterteilung ist der 17. Januar 2008.
Nach Prüfung des dagegen eingelegten Einspruchs hat die Patentabteilung 1.52 mit Beschluss vom 5. Juni 2012 das Patent wegen mangelnder Ausführbarkeit des beanspruchten Verfahrens widerrufen.
Ihren Einspruch hatte die Einsprechende auf folgende Druckschriften gestützt:
(1) Köster, W.: Die Bedeutung von Geruchsemissionen und Geruchsimmissionen für die Planung und den Betrieb von Abwasser- und Abfallentsorgungsanlagen, Gewässerschutz Wasser Abwasser Bd. 154, D82 (Diss. TH Aachen), Aachen 1996.
(2) Frechen, F.-B., Köster, W.: Odour Emission Capacity of Wasterwaters – Standardization of Measurement Method and Application, Wat. Sci. Tech. 38 (3) (1998) 61-69.
(3) Petersen, O.: Geruchsemissionen aus dem Kanalnetz, Vortrag gehalten auf dem 3. Treffen der ATV-DVWK Kanalnachbarschaft 2003 (Kap. 5.3).
(4) Frechen, F.-B., Frey, M.: KA-Abwasser, Abfall 52 (4) (2005) 372-374.
(5) Frechen, F.-B.: Geruchsemissionen – Grundlagen und Messtechnik, 10. Kasseler Siedlungswasserwirtschaftliches Symposium, Kassel 4. – 5. 10. 2005.
(6a) Frechen, F.-B.: Geruchsemissionen – Grundlagen der Messtechnik, in: Wasser, Abwasser, Umwelt – Schriftenreihe des Fachgebietes Siedlungswasserwirtschaft der Universität Kassel, 27, Kassel University Press 2005, 9-11 bis 9-13.
(6b) Frey, M.: Minderung der Geruchsemissionen am Beispiel des Projektes Kanal Köln/Mönchengladbach, in: Wasser, Abwasser, Umwelt – Schriftenreihe des Fachgebietes Siedlungswasserwirtschaft der Universität Kassel, 27, Kassel University Press 7.10.2005, 10-7 und 10-9.
(7) Firmenmagazin „Der Laubfrosch“, VTA Engineering und Umwelttechnik GmbH, Ausgabe 28, März 2005, S. 3.
(8) Boeker et. al.: Methodik und Technik der Online-Geruchsmessung, Gefahrstoffe – Reinhaltung der Luft Nr. 7/8, 63 (2003) 283-289.
Dem Widerrufsbeschluss lagen die insgesamt zwanzig Patentansprüche in der erteilten Fassung mit folgendem Wortlaut zugrunde:
In ihrer Begründung stützt sich die Patentabteilung auf die Absätze [0004] und [0010] der Beschreibung des Streitpatents und dabei insbesondere darauf, dass gemäß Streitpatent – im Gegensatz zur Ermittlung der Geruchsbelastung des Abwassers gemäß Stand der Technik anhand der alleinigen Bestimmung des Schwefelwasserstoffgehalts – die Geruchsbelastung anhand der tatsächlich im Abwasser befindlichen Geruchsstoffe (vgl. Merkmal 2.1) bestimmt werden soll. Ein Summenparameter mit der Bezeichnung „Geruchsstoffe“ sei allerdings nicht bekannt. Zur Ausführung der Erfindung hätte der Parameter „Geruchsstoffe“ einer Definition in der Anmeldung bedurft.
Gegen die Entscheidung der Patentabteilung 1.52 über den Widerruf des Patents hat die Patentinhaberin mit Schriftsatz vom 2. Juli 2012 Beschwerde eingelegt, mit nachfolgendem Schriftsatz vom 22. Mai 2013 eine Begründung eingereicht und beantragt, den Beschluss des Deutschen Patent- und Markenamts vom 5. Juni 2012 aufzuheben und die Angelegenheit zur Prüfung der weiteren Einspruchsgründe an die Einspruchsabteilung des Deutschen Patent- und Markenamts zurückzuverweisen, hilfsweise mündliche Verhandlung anzuberaumen.
Im Wesentlichen bringt die Patentinhaberin und Beschwerdeführerin vor, aus dem in der Beschreibungseinleitung des Patents angegebenen Stand der Technik gehe hervor, dass die aus dem Abwasser in die Umgebungsluft austretenden Geruchsstoffe mittels der elektronischen Geruchsmessgeräte Airsense oder Altrasense gemessen werden könnten und deshalb der Zurückweisungsgrund mangelnder Ausführbarkeit bezüglich Schritt a) ebenso wenig zutreffe wie das Nichtwissen des Fachmanns bezüglich eines Summenparameters mit der Bezeichnung „Geruchsstoffe“. Im Übrigen gebe es bereits gewerbliche Anbieter, die die Konzentration von Geruchsstoffen messen würden, z. B. TÜV Nord (vgl. B1 Internetangebot des TÜV Nord), wobei sie zudem auf die EN 13725 mit dem Titel „Luftbeschaffenheit – Bestimmung der Geruchsstoffkonzentration mit dynamischer Olfaktometrie“ verwiesen hat.
Im Übrigen sei der Einspruch – wie bereits im Einspruchsverfahren vor der Patentabteilung vorgebracht – unzulässig, da er nicht ausreichend mit Gründen versehen sei. In diesem Zusammenhang wirft die Patentinhaberin und Beschwerdeführerin auch die Frage einer nur dem Umfang der Begründung entsprechenden teilweisen Zulässigkeit des Einspruchs auf.
Die Einsprechende und Beschwerdegegnerin hat mit Schriftsatz vom 24. Juni 2013 demgegenüber vorgebracht, die Verschmutzung des Abwassers sei nicht anhand der Geruchsstoffe festzustellen, da diese nur einen Teil der Verschmutzungen ausmachten. Sie habe nicht gegen den Begriff „Geruchsstoffe“ an sich argumentiert und verweist dazu auf ihren Einspruchsschriftsatz vom 12. Februar 2008 (vgl. dort S. 1 und 2), aus dem weitere Gründe gegen die Ausführbarkeit zu entnehmen seien. Sie ist darüber hinaus weiterhin der Ansicht, dass die beanspruchten Gegenstände, neben der Nichtausführbarkeit, weder neu seien noch auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhten, was im Einspruchsverfahren im Übrigen noch nicht geprüft worden sei.
In einem Zusatz zur Ladung zur mündlichen Verhandlung ist den Verfahrensbeteiligten unter anderem mitgeteilt worden, dass sich die Ausführbarkeit des beanspruchten Verfahrens allenfalls auf dem Fachmann geläufige Arbeitsweisen stützen könnte. Außerdem ist darauf hingewiesen worden, dass die Patentfähigkeit an diesem die Ausführbarkeit stützenden Stand der Technik scheitern könnte. Im Übrigen wurden sie unter Verweis auf beispielsweise die vorveröffentlichte Druckschrift Wat.Sci.Tech. 38 (1998) 61-69 und unter Hinweis auf weiteren, der Patentinhaberin aus dem parallelen europäischen Erteilungsverfahren bekannten Stand der Technik darüber informiert, dass dabei auch die dem Fachmann geläufige Ermittlung der Gesamtemissionskapazität der Geruchsstoffe (OEC) zu berücksichtigen sei.
In der mündlichen Verhandlung überreichte die Patentinhaberin einen Hilfsantrag mit den Ansprüchen 1 bis 18, wegen deren Wortlauts auf die Gerichtsakte verwiesen wird.
Der Vertreter der Patentinhaberin stellt den Antrag,
den Beschluss der Patentabteilung 1.52 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 5. Juni 2012 aufzuheben,
und
die Sache zur anderweitigen Entscheidung über den Einspruch gegen das Patent 10 2005 060 193 auf Grundlage der erteilten Ansprüche 1 bis 20, Beschreibung Seiten 2 bis 7 gemäß Patentschrift, Zeichnungen Figuren 1 bis 3 gemäß Patentschrift,
hilfsweise auf Grundlage des Hilfsantrags 1 mit den Ansprüchen 1 bis 18, Beschreibung Seiten 2 bis 7 gemäß Patentschrift, Zeichnungen Figuren 1 bis 3 gemäß Patentschrift,
an das Deutsche Patent- und Markenamt zurückzuverweisen.
Die Vertreterin der Einsprechenden stellt den Antrag,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Wegen weiterer Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Akten verwiesen.
II.
Die Beschwerde der Patentinhaberin ist frist- als auch formgerecht eingelegt worden und zulässig (§ 73 PatG). Sie hat auch Erfolg.
Der angefochtene Beschluss ist aufzuheben, da der Gegenstand des Patents ausführbar ist.
Die Sache ist zur anderweitigen Entscheidung über den Einspruch gegen das Patent auf Grundlage der erteilten Patentansprüche an das Deutsche Patent- und Markenamt zurückzuverweisen, da die zuständige Patentabteilung den Widerruf ausschließlich auf die Nichtausführbarkeit lediglich eines Teilgegenstands des angegriffenen Patents gestützt und dabei versäumt hat, die Verfahrensbeteiligten zu der Entscheidung anzuhören (§ 79 Abs. 3 Nr. 2 PatG).
Zudem sind die vorgebrachten Einspruchsgründe mangelnde Neuheit und mangelnde erfinderische Tätigkeit erstinstanzlich noch nicht geprüft worden (§ 79 Abs. 3 Nr. 1 PatG).
1. Dem Vorbringen der Patentinhaberin, der Einspruch sei zumindest bezüglich einzelner Einspruchsgründe unzulässig, kann der Senat nicht beitreten.
Der rechtzeitig und formgerecht eingelegte Einspruch ist zulässig, denn es sind innerhalb der Einspruchsfrist die den Einspruch nach § 21 Abs. 1 PatG rechtfertigenden Tatsachen im Einzelnen dargelegt worden, so dass die Patentinhaberin und die Patentabteilung daraus abschließende Folgerungen für das Vorliegen oder Nichtvorliegen der geltend gemachten Widerrufsgründe ohne eigene Ermittlungen ziehen können (§ 59 Abs. 1 Satz 4 PatG). Insoweit ist der Beschluss der Patentabteilung, in dem die Zulässigkeit des Einspruchs anerkannt wurde, nicht zu beanstanden.
Für die Zulässigkeit des Einspruchs genügt, dass die Einsprechende im Einspruchsschriftsatz innerhalb der Einspruchsfrist unter Bezugnahme auf eine (oder mehrere) Druckschrift(en) zu den Patentansprüchen Stellung genommen und ausgeführt hat, weshalb der beanspruchte Gegenstand nicht patentfähig sei.
Dies ist hier der Fall.
Die Einsprechende hat in ihrem Schriftsatz vom 12. Februar 2008 und damit innerhalb der dreimonatigen Einspruchsfrist die gesetzlichen Einspruchsgründe mangelnde Ausführbarkeit, mangelnde Neuheit und mangelnde erfinderische Tätigkeit vorgebracht. Dabei hat sie in übersichtlicher Weise und im Einzelnen ausgeführt, worauf sie ihr jeweiliges Vorbringen gründet. Neben den Ausführungen zur mangelnden Ausführbarkeit hat die Einsprechende ihr Vorbringen zur Neuheit und zur erfinderischen Tätigkeit unter anderem auf mehrere vorveröffentlichte Druckschriften gestützt und dabei sämtliche nebengeordneten unabhängigen Patentansprüche abgehandelt.
Nicht zu beanstanden ist, dass sie sich dabei im Wesentlichen auf Kernmerkmale der jeweiligen Anspruchsgegenstände bezogen hat (vgl. z. B. BPatG GRUR 2004, 231 – Leiterplattenbeschichtung, Abschnitt II.2a; BGH Xa ZB 28/08 v. 30.7.2009 - Leistungshalbleiterbauelement).
Das wie im vorliegenden Fall inkorrekte Zitieren einer Druckschrift führt weder zur Unzulässigkeit des Einspruchs per se, noch hindert es die Einsprechende, die korrekte Literaturstelle und andere Druckschriften auch nach Ablauf der Einspruchsfrist nachzureichen, sofern der Einspruch ansonsten zulässig ist.
Die Möglichkeit eines nur bezüglich einzelner Einspruchsgründe zulässigen Einspruchs scheidet allein schon deshalb aus, weil von Amts wegen weitere Einspruchsgründe, auch solche, die von dem Einsprechenden innerhalb der Einspruchsfrist nicht wirksam geltend gemacht sind, geprüft und sogar nachträglich zugelassen werden können (Amtsermittlungsgrundsatz im Einspruchsverfahren).
Darüber hinaus gehende Überlegungen und Vorbringen der Patentinhaberin zur Unzulässigkeit des Einspruchs betreffen die Begründetheit des Einspruchs bzw. die Schlüssigkeit des Einspruchsvorbringens und damit die Patentfähigkeit des angegriffenen Gegenstands an sich, nicht jedoch die Zulässigkeit des Einspruchs.
2. Die Anspruchsfassung des Streitpatents weist insgesamt die vier nebengeordneten Patentansprüche 1, 3, 11 und 20 auf, wobei die Patentansprüche 11 und 20 jeweils auf Vorrichtungen und die Patentansprüche 1 und 3 jeweils auf Verfahren gerichtet sind.
Der Sachanspruch 11 betrifft eine
A) Vorrichtung zum Feststellen der aktuellen Verschmutzung von Abwasser,
umfassend
B) einen Reaktor zur Aufnahme der Wasserprobe,
C) eine Vorrichtung zum Ausblasen der Geruchsstoffe aus der Wasserprobe,
C.1) die an den Reaktor angeschlossen ist,
C.2) das Ausblasen erfolgt mittels eines gasförmigen Mediums,
D) ein Geruchsmessgerät zur Messung der im ausgeblasenen Medium befindlichen Geruchsstoffe,
D.1) das über eine Luftleitung ausgangsseitig mit dem Reaktor verbunden ist.
Der Sachanspruch 20 betrifft eine
E) Vorrichtung zur kontinuierlichen Reduzierung der Geruchsbelastung von Abwasser in der Kanalisation,
umfassend
F) eine Recheneinheit zum Errechnen der erforderlichen Menge eines Geruchssenkungsmittels,
G) eine Dosiereinrichtung
G.1) mit einer Vorrichtung zum Ermitteln der Belastung einer Wasserprobe mit Geruchsstoffen
oder
G.2) mit einer Vorrichtung zum Feststellen der aktuellen Verschmutzung gemäß der Merkmale wenigstens eines der Patentansprüche 11 bis 19.
Der Verfahrensanspruch 1 betrifft ein
1) Verfahren zur kontinuierlichen Reduzierung der Geruchsbelastung von Abwasser in der Kanalisation
umfassend folgende Schritte:
2) Feststellung der aktuellen Verschmutzung des Abwassers anhand einer Wasserprobe des Abwassers
2.1) durch Ermitteln der Belastung der Wasserprobe mit Geruchsstoffen,
3) Errechnen der erforderlichen Menge eines Geruchssenkungsmittels
3.1) in Abhängigkeit von dem Grad der Verschmutzung,
3.2) zur Senkung der Geruchsbelastung unter einen festgelegten Grenzwert,
4) Zugabe der definierten (erforderlichen) Menge des Geruchssenkungsmittels in das Abwasser,
5) kontinuierliche Wiederholung der Schritte 2 bis 4.
Der Verfahrensanspruch 3 betrifft ein
6) Verfahren zur Ermittlung der Belastung einer Wasserprobe mit Geruchsstoffen
umfassend folgende Schritte:
7) Einleiten einer definierten Menge des Wassers als Wasserprobe in einen Reaktor,
8) Ausblasen der Geruchsstoffe aus der Wasserprobe mittels eines gasförmigen Mediums,
8.1) vorzugsweise Umgebungsluft,
9) Führen des ausgeblasenen, mit Geruchsstoffen beladenen Mediums in ein Geruchsmessgerät,
10) Messen der Menge der Geruchsstoffe durch das Geruchsmessgerät,
11) Weiterleiten des Messergebnisses an eine Auswerteeinheit,
12) Ausleiten der Wasserprobe aus dem Reaktor.
3. Die Patentabteilung 1.52 des Deutschen Patent- und Markenamts hat die Zurückweisung des Streitpatents ausschließlich auf mangelnde Ausführbarkeit gegründet, dabei lediglich das Verfahren gemäß Patentanspruch 1 in der erteilten Fassung und damit nur einen Teilgegenstand des Streitpatents (vgl. Merkmal 1) auf seine Ausführbarkeit hin untersucht.
Die Beurteilung der Ausführbarkeit des durch das Verfahren nach Patentanspruch 1 bezeichneten Teilgegenstands des Streitpatents durch die Patentabteilung (vgl. den angefochtenen Beschluss S. 4, insbes. Abs. 4 und 5) hält jedoch einer Überprüfung nicht stand.
a) Zwar hat die Patentabteilung in dem angefochtenen Beschluss zutreffend ausgeführt, dass in dem Streitpatent außer Sulfiden und Schwefelwasserstoff keine weiteren Geruchsstoffe und Geruchsstoff generierenden Schadstoffe benannt sind und auch keine Methode zur Messung dieser Stoffe beschrieben ist. Die Patentabteilung ist bei der Bewertung der Ausführbarkeit des Verfahrens gemäß Patentanspruch 1 davon ausgegangen, dass die Ausführbarkeit bereits deshalb zu verneinen sei, weil – im Gegensatz zum Stand der Technik – nicht allein der Schwefelwasserstoffgehalt, sondern die tatsächlich im Abwasser befindlichen Geruchsstoffe bestimmt werden sollen, ein „Summenparameter mit der Bezeichnung Geruchsstoffe“ allerdings nicht bekannt sei. Dem kann der Senat nicht beitreten.
Ob, in welchem Umfang und wie exakt einige oder sämtliche aus dem Abwasser ausgeblasenen gasförmigen Stoffe von einem handelsüblichen und dem Fachmann geläufigen Messgerät erfasst werden können, ist abhängig von der gegenständlichen Ausgestaltung und der Qualität der beanspruchten Vorrichtung insgesamt, einschließlich des Messgeräts (vgl. Merkmale A und D sowie G.1 oder G.2) sowie des damit durchzuführenden Verfahrens und nicht eine Frage der Ausführbarkeit. Die Vollständigkeit und Genauigkeit der Erfassung sämtlicher Geruchsstoffe bedingt die Qualität, den technischen Fortschritt, die Überlegenheit und damit die Konkurrenzfähigkeit des Verfahrens einschließlich Probenaufbereitung und Analytik, nicht aber dessen Ausführbarkeit an sich.
Dass es sich bei „Geruchsstoffen“ nicht um ein durch einen „Summenparameter“ exakt zu definierendes, hinsichtlich seiner stofflichen Elemente invariables Stoffkollektiv handelt, ist dem Fachmann geläufig und ergibt sich allein schon aus der je nach seiner (bio)chemischen und physikalischen Vorgeschichte bis hin zur Analytik variierenden Zusammensetzung des Abwassers. Diese vom Einzelfall abhängige Zusammensetzung des Abwassers bedeutet allerdings nicht, dass dem Fachmann der Begriff „Geruchsstoffe“ und die Möglichkeiten zur Analyse solcher darunter subsumierbarer gasförmiger Geruchsstoffe, einzeln oder als mehr oder weniger umfangreiches Stoffkollektiv, in Abwässern unbekannt sind.
Bereits aus den Verfahrensmerkmalen des nebengeordneten erteilten Patentanspruchs 3, insbesondere aus dem Ausblasen der Geruchsstoffe mittels eines gasförmigen Mediums (vgl. Merkmale 8, 8.1), ergibt sich mangels anderweitiger stofflicher Ausgestaltung und Offenbarung, dass es sich bei den nach Patentanspruch 1 zu erfassenden Geruchsstoffen (vgl. Merkmal 2.1) unter anderem um die dem Fachmann geläufige Gesamtemissionskapazität bzw. das Gesamtemissionspotential von Geruchsstoffen eines Abwassers handeln kann. Die Patentabteilung hätte diesen Sachverhalt ohne Weiteres aus dem im Einspruchsverfahren vorgebrachten Stand der Technik erkennen können (vgl. (1), (2), (4), (5), z. B. (2) S. 64 Abs. 2 ff, (4) S. 372 mi Sp. le Abs., (6a) 9-11 Abschn. 4). Weitergehende Überlegungen oder eine eigene Recherche des nächstkommenden Standes der Technik waren deshalb für die Bewertung der Ausführbarkeit nicht erforderlich. Ob mit dem/den Verfahren und mit der/den Vorrichtungen des Streitpatents dann gegenüber dem Stand der Technik neue und gegebenenfalls erfinderische Lehren verbunden sind, ist dann aber nicht eine Frage der Ausführbarkeit, sondern der Abgrenzbarkeit von dem vorgebrachten oder zu ermittelnden Stand der Technik.
Eine Feststellung der aktuellen Verschmutzung des Abwassers anhand einer Wasserprobe des Abwassers durch Ermitteln der Belastung der Wasserprobe mit Geruchsstoffen (Merkmale 2 und 2.1) im Zuge eines Verfahrens zur kontinuierlichen Reduzierung der Geruchsbelastung von Abwasser in der Kanalisation (Merkmal 1) ist – ungeachtet der Qualität und Überlegenheit des beanspruchten Verfahrens gegenüber dem Stand der Technik – mit herkömmlichen analytischen Mitteln jedenfalls insoweit möglich und damit ausführbar.
b) Entsprechendes ist bei der Bewertung der Ausführbarkeit des Verfahrens gemäß dem nebengeordneten Patentanspruch 3 sowie der Vorrichtungen gemäß den nebengeordneten Sachansprüchen 11 und 20 zu berücksichtigen.
Das Verfahren zur Ermittlung der Belastung einer Wasserprobe mit Geruchsstoffen gemäß Patentanspruch 3 umfasst, wie der Wortlaut der Merkmale 6, 8 bis 10 erkennen lässt, nicht die Erfassung bestimmter, konkret festgelegter Geruchsstoffe, sondern ein stofflich unbestimmt gehaltenes Kollektiv von mittels eines gasförmigen Mediums aus dem Abwasser bzw. der Abwasserprobe ausblasbaren Stoffen. Sämtliche anspruchsgemäß umfassten Verfahrensschritte 7 bis 11 sind ersichtlich ohne Weiteres ausführbar, einschließlich des Ausblasens der dem Wortsinn entsprechend flüchtigen, je nach dem Detektionssystem mehr oder weniger stark zu riechenden Inhaltsstoffe des Abwassers sowie der Messung der geruchsbildenden Stoffe, gegebenenfalls mittels eines wie in der Beschreibungseinleitung ausgeführten handelsüblichen Geruchsmessgeräts. Die qualitativen und quantitativen Ergebnisse der einzelnen Verfahrensschritte bestimmen – wie bei allen analytischen Verfahren – vor allem die Fortschrittlichkeit, die Akzeptanz und damit den Markterfolg eines analytischen Verfahrens und/oder einer analytischen Vorrichtung, nicht aber dessen Ausführbarkeit in patentrechtlicher Hinsicht.
Die Bereitstellung von Vorrichtungen gemäß den Patentansprüchen 11 und 20 mit den gegenständlichen Ausgestaltungen der betreffenden Merkmale B bis D.1 und F bis G.2 ist ohne Weiteres möglich. Deshalb bestehen nach Ansicht des Senats auch keinerlei Bedenken zur Ausführbarkeit der Lehre des Streitpatents betreffend die Teilgegenstände der Patentansprüche 11 und 20.
4. Die Patentabteilung hat nur einen Teilgegenstand von insgesamt vier Teilgegenständen auf die Ausführbarkeit hin untersucht und sich im Übrigen nicht mit den weiteren Einspruchsgründen auseinandergesetzt.
Dabei hat es die Patentabteilung unterlassen, die Verfahrensbeteiligten vorab zumindest in einem Zwischenbescheid über den beabsichtigten Widerruf des Streitpatents wegen mangelnder Ausführbarkeit nur eines Teilgegenstands in Kenntnis zu setzen (vgl. hierzu BGH GRUR 2010, 87 – Schwingungsdämpfer). Eine solche Unterrichtung wäre auch deshalb erforderlich gewesen, weil sich die Patentinhaberin in ihrer Erwiderung auf den Einspruch unter Verweis anhand der vorveröffentlichten Druckschrift (8) auf den dem Fachmann geläufigen Stand der Technik zur Messung von Geruchsemissionen aus Abwasser insbesondere mit der Frage der Ausführbarkeit auseinandergesetzt hat.
Ein Patent darf im Einspruchsverfahren jedenfalls nur dann insgesamt widerrufen werden, wenn die Widerrufsgründe sämtliche selbstständigen (erteilten) Patentansprüche betreffen oder der Patentinhaber die Aufrechterhaltung des Patents nur im Umfang eines Anspruchssatzes begehrt, der zumindest einen nicht rechtsbeständigen Patentanspruch enthält (vgl. BGH GRUR 2007, 862 – Informationsübermittlungsverfahren II).
Auch wenn die Patentinhaberin im Einspruchsverfahren keinen hilfsweisen Antrag auf mündliche Verhandlung gestellt hat, oblag es der Patentabteilung in Anbetracht der besonderen Fallkonstellation die Verfahrensbeteiligten vorab in einem Zwischenbescheid nicht nur über die Zulässigkeit, sondern insbesondere über den beabsichtigten Widerruf des Patents wegen fehlender Ausführbarkeit nur eines seiner Teilgegenstände zu informieren.
Gemäß § 79 (3) PatG steht eine Zurückverweisung oder eine abschließende Entscheidung über die Beschwerde im Ermessen des Gerichts. Dabei sind Instanzenverlust, Verfahrensverzögerung und sachgerechte Prüfung gegeneinander abzuwägen. In vorliegendem Fall kommt der Senat zu dem Ergebnis, dass der seitens der Patentinhaberin geltend gemachte Instanzenverlust sowie die bisher fehlende Untersuchung der Frage der Neuheit und erfinderischen Tätigkeit der Gegenstände des Streitpatents eine Zurückverweisung an das Patentamt rechtfertigt.
Die Patentabteilung wird folglich die Ausführbarkeit des gesamten Verfahrens gemäß Patentanspruch 1 sowie der Gegenstände der Patentansprüche 3, 11 und 20, als auch die weiteren Einspruchsgründe mangelnde Neuheit und mangelnde erfinderische Tätigkeit zu prüfen haben. Dies gilt gegebenenfalls auch für die Patentansprüche nach Hilfsantrag 1.