Entscheidungsdatum: 10.04.2012
Clothianidin
Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden zur Auslegung der Verordnung (EG) Nr. 1610/96 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Juli 1996 über die Schaffung eines ergänzenden Schutzzertifikats für Pflanzenschutzmittel folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Ist Artikel 3 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung (EG) Nr. 1610/96 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Juli 1996 über die Schaffung eines ergänzenden Schutzzertifikats für Pflanzenschutzmittel dahin auszulegen, dass es der Erteilung eines ergänzenden Schutzzertifikates für ein Pflanzenschutzmittel nicht entgegensteht, wenn eine gültige Genehmigung nach Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie 91/414/EWG erteilt wurde?
2. Falls die Frage 1 bejaht wird:
Ist es nach Artikel 3 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung (EG) Nr. 1610/96 erforderlich, dass die Genehmigung zum Zeitpunkt der Anmeldung des Zertifikats noch in Kraft ist?
3. Falls die Frage 1 verneint wird:
Ist Artikel 7 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1610/96 dahin auszulegen, dass eine Anmeldung bereits vor Beginn der dort genannten Frist eingereicht werden kann?
In der Beschwerdesache
…
betreffend die Schutzzertifikatsanmeldung 12 2004 000 021.0
für das Grundpatent DE 689 06 668 (EP 0 376 279)
hat der 15. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 12. Dezember 2011 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Dr. Feuerlein, der Richterin Schwarz-Angele und der Richter Dr. Egerer und Dr. Lange in der Sitzung vom 23. Februar 2012
beschlossen:
I. Das Verfahren wird ausgesetzt.
II. Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden zur Auslegung der Verordnung (EG) Nr. 1610/96 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Juli 1996 über die Schaffung eines ergänzenden Schutzzertifikats für Pflanzenschutzmittel folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Ist Artikel 3 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung (EG) Nr. 1610/96 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Juli 1996 über die Schaffung eines ergänzenden Schutzzertifikats für Pflanzenschutzmittel dahin auszulegen, dass es der Erteilung eines ergänzenden Schutzzertifikates für ein Pflanzenschutzmittel nicht entgegensteht, wenn eine gültige Genehmigung nach Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie 91/414/EWG erteilt wurde?
2. Falls die Frage 1 bejaht wird:
Ist es nach Artikel 3 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung (EG) Nr. 1610/96 erforderlich, dass die Genehmigung zum Zeitpunkt der Anmeldung des Zertifikats noch in Kraft ist?
3. Falls die Frage 1 verneint wird:
Ist Artikel 7 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1610/96 dahin auszulegen, dass eine Anmeldung bereits vor Beginn der dort genannten Frist eingereicht werden kann?
Die Beschwerdeführerin begehrt die Erteilung eines ergänzenden Schutzzertifikats für Pflanzenschutzmittel für das Erzeugnis Poncho Pro mit dem Wirkstoff Clothianidin. Sie ist Inhaberin des am 27. Dezember 1989 beantragten und auch mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents EP 0 376 279, DE 689 06 668 (Grundpatent), das „Guanidin-Derivate, ihre Herstellung und Insektizide“ betrifft und das den Wirkstoff Clothianidin umfasst.
Am 14. Mai 2004 stellte die Rechtsvorgängerin der Anmelderin, die S…, Ltd. T…, beim Deutschen Patent- und Markenamt einen Antrag auf Erteilung eines Zertifikats für Pflanzenschutzmittel. Als gültige Genehmigung für das Inverkehrbringen des Erzeugnisses in Deutschland benannte sie die am 2. Dezember 2003 vom Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit in Braunschweig der Firma B… Deutschland erteilte Genehmigung für das Inverkehrbringen des Pflanzenschutzmittels „Poncho Pro“ mit dem Wirkstoff Clothianidin. Bei dieser (Not-)Genehmigung handelte es sich um eine Zulassung des Pflanzenschutzmittels nach § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 des Gesetzes zum Schutz der Kulturpflanzen (Pflanzenschutzgesetz - PflSchG). Nach dieser Bestimmung, mit der Artikel 8 Abs. 4 der Richtlinie 91/414 umgesetzt wird, kann das Inverkehrbringen oder die Einfuhr eines nicht zugelassenen Pflanzenschutzmittels bei Gefahr im Verzuge für die Bekämpfung bestimmter Schadorganismen für eine Dauer von höchstens 120 Tagen genehmigt werden. Die Zulassung war ab dem 15. Januar 2004 für eine Dauer von 120 Tagen gültig, sie endete also am 13. Mai 2004. Die Rechtsvorgängerin der Antragstellerin gab als Zeitpunkt der ersten Genehmigung für das Inverkehrbringen in der Gemeinschaft die am 19. Februar 2003 der Firma B… Limited in G… erteilte vorläufige Genehmigung für Clothianidin an.
Das Deutsche Patent- und Markenamt hat mit Beschluss vom 20. Januar 2006 den Antrag zurückgewiesen. Zur Begründung ist ausgeführt, der Antrag sei zwar innerhalb der Sechsmonatsfrist des Art. 7 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1610/96, gerechnet ab dem Zeitpunkt der Erteilung der pflanzenschutzrechtlichen Genehmigung, eingereicht worden, das Zertifikat könne aber nicht erteilt werden, denn zum Zeitpunkt der Antragstellung sei die Gültigkeitsdauer der pflanzenschutzrechtlichen Genehmigung bereits abgelaufen gewesen. Die Genehmigung sei nicht mehr im Sinne des Art. 3 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 1610/96 „gültig“ gewesen. Eine Wiedereinsetzung in die Versäumnis der Antragsfrist scheitere schon daran, dass keine dem Patentamt gegenüber einzuhaltende Frist abgelaufen sei, sondern eine materielle Eintragungsvoraussetzung während der Anmeldefrist weggefallen sei.
Bereits am 8. September 2004 hatte das zuständige Bundesamt der Firma Bayer für den Wirkstoff Clothianidin eine (vorläufige) Genehmigung nach § 15c PflSchG - der der Umsetzung von Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 91/414 dient - mit einer Zulassungsdauer vom 8. September 2004 bis zum 7. September 2007 erteilt. Mit Schreiben vom 25. November 2004 teilte die Anmelderin dies dem Patentamt mit.
Die Rechtsvorgängerin der Antragstellerin hat gegen den Beschluss Beschwerde eingelegt. Sie trägt vor, die Rechtsmeinung des Patentamts führe dazu, dass die Sechsmonatsfrist des Artikels 7 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1610/96 unzulässig verkürzt werde und in Fällen, in denen der genehmigte Zeitraum später als sechs Monate nach dem Zeitpunkt der Genehmigung beginne, sogar völlig wirkungslos verstreichen würde.
Am 14. und 15. Juni 2007 hat das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit für den Wirkstoff Clothianidin endgültige Genehmigungen nach § 15 PflSchG erteilt. Diese Vorschrift setzt Artikel 4 Abs. 1 der Richtlinie 91/414 um.
Die Anmelderin hat nur den vorliegenden Antrag auf Erteilung eines Zertifikats gestellt. Die Firma B… hingegen hat nach jeder pflanzenschutzrechtlichen Genehmigung innerhalb der Sechsmonatsfrist des Art. 7 der Verordnung Nr. 1610/96 unter Benennung eines eigenen Grundpatents einen Antrag auf Erteilung eines Schutzzertifikats eingereicht. Das Patentamt hat auf den ersten Antrag nach Erteilung der (Not-)Genehmigung nach § 11 Abs. 2 PflSchG am 6. September 2004 ein Zertifikat erteilt. Dies entsprach der damaligen Praxis des Patentamts. Dieses Zertifikat ist mit einer Nichtigkeitsklage angegriffen, über die noch nicht entschieden ist. Der zweite Antrag der Firma B… nach Erteilung der (vorläufigen) Genehmigung nach § 15c PflSchG wurde vom Patentamt mit der Begründung zurückgewiesen, für das Erzeugnis sei bereits ein Zertifikat erteilt worden. Dagegen hat die Firma B… Beschwerde eingelegt. Dieses Verfahren befindet sich vor dem Bundespatentgericht und ist noch nicht abgeschlossen. Über den dritten Antrag der Firma B… nach der Erteilung der (endgültigen) Genehmigung nach § 15 PflSchG hat das Patentamt bisher noch nicht entschieden.
Der Erfolg der Beschwerde hängt von der Auslegung des Art. 3 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1610/96 und möglicherweise des Art. 7 der Verordnung Nr. 1610/96 ab. Vor einer Entscheidung über das Rechtsmittel ist deshalb das Verfahren auszusetzen und gemäß Art. 267 Abs. 1 Buchst. b, Abs. III AEUV eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union zu den im Beschlusstenor gestellten Fragen einzuholen.
Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist nach deutschem Recht nicht nur die Prüfung der Rechtmäßigkeit der patentamtlichen Entscheidung, sondern in erster Linie das dieser Entscheidung zugrunde liegende Begehren des Rechtssuchenden. Das Patentgericht entscheidet, von Ausnahmen der Zurückverweisung nach § 73 Abs. 3 PatG abgesehen, in aller Regel in der Sache selbst, was hier auch beabsichtigt ist. Es hat dabei die zum Zeitpunkt seiner Entscheidung geltenden Rechtsnormen zugrunde zu legen (Schulte Patentgesetz mit EPÜ 8. Auflage § 73 Rdn. 7; Busse/Schäfers Patentgesetz 6. Auflage § 73 Rdn. 8; Benkard/Keukenschrijver Patentgesetz 10. Auflage vor § 73 Rdn. 8; s. a. Gerichtshof der Europäischen Union, Urteil vom 8. Dezember 2011, C-125/10 -- Sitagliptin Rdn. 23 ff).
I. Als erstes stellt sich die Frage, ob das Patentamt den Antrag auf Erteilung eines Zertifikats schon deshalb zurückweisen musste, weil eine Genehmigung nach Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie 91/414 nicht als eine Genehmigung im Sinne des Art. 3 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 1610/96 anzusehen ist.
Die Richtlinie 91/414/EWG wurde durch Art. 83 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 mit Wirkung ab dem 14. Juni 2011 aufgehoben. Gemäß Artikel 83 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1107/2009 gelten Bezugnahmen auf die aufgehobenen Richtlinien als Bezugnahme auf die vorliegende Verordnung. In Artikel 53 der Verordnung Nr. 1107/2009 ist unter der Überschrift „Notfallsituationen im Pflanzenschutz“ das Inverkehrbringen eines Pflanzenschutzmittels für einen Zeitraum von höchstens 120 Tagen geregelt.
Nach Art. 3 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 1610/96 wird das Zertifikat erteilt, wenn in dem Mitgliedstaat, in dem die Anmeldung nach Art. 7 der Verordnung Nr. 1610/96 eingereicht wird, zum Zeitpunkt dieser Anmeldung für das Erzeugnis als Pflanzenschutzmittel eine gültige Genehmigung für das Inverkehrbringen „gemäß Artikel 4 der Richtlinie 91/414/EWG“ erteilt wurde. Nach Art. 4 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 91/414 durfte ein Mitgliedstaat ein Pflanzenschutzmittel nur zulassen, wenn die darin enthaltenen Wirkstoffe in Anhang I der Richtlinie aufgeführt und die dort festgelegten Bedingungen erfüllt sind.
Daneben ist nach der Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union in der Rechtssache Iodosulfuron, Husar (Urteil vom 11. November 2010, C-229/09) Artikel 3 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 1610/96 dahin auszulegen, dass er der Erteilung eines ergänzenden Schutzzertifikates für Pflanzenschutzmittel nicht entgegensteht, wenn eine Genehmigung nach Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 91/414 (vorläufige Genehmigung) erteilt wurde, die Wirkstoffe also noch nicht in Anhang I dieser Richtlinie aufgenommen worden sind. In der Begründung ist ausgeführt, dass bei diesen von den Mitgliedstaaten für Pflanzenschutzmittel mit neuen Wirkstoffen erteilten vorläufigen Genehmigungen dieselben wissenschaftlichen Zuverlässigkeitsanforderungen gelten und sie nach denselben Voraussetzungen überprüft oder für nichtig erklärt werden können, wie bei den nach Art. 4 der Richtlinie 91/414 erteilten endgültigen Genehmigungen (Rdn. 43). Zwar betreffe die Beurteilung, die ein Mitgliedsstaat bei einer vorläufigen Genehmigung vornehme, ihrer Natur nach eine voraussichtliche Entwicklung und sei zwangsläufig mit einem größeren Unsicherheitsfaktor verbunden als die Beurteilung in Hinblick auf die Erteilung einer endgültigen Genehmigung. Nach Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 91/414 sollen die Voraussetzungen, unter denen eine vorläufige Genehmigung erteilt wird, einer endgültigen Genehmigung entsprechen (Rdn. 45). Wegen dieses funktionalen Gleichwertigkeitszusammenhangs zwischen den Kriterien des Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 91/414 und denen des Art. 4 dieser Richtlinie sei es nicht gerechtfertigt, Erzeugnisse von einer Anwendung des Art. 3 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung 1610/96 auszuschließen, für die eine vorläufige Genehmigung erteilt wurde (Rdn. 46).
Ob diese Grundsätze auch auf eine Genehmigung Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie 91/414 bzw. auf Art. 53 der Verordnung Nr. 1107/2009 anzuwenden sind, erscheint zweifelhaft. Nach Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie 91/414 konnte ein Mitgliedstaat unter besonderen Umständen für eine Dauer von höchstens 120 Tagen das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln zulassen, wenn dies aufgrund einer unvorhersehbaren Gefahr, die mit anderen Mitteln nicht eingedämmt werden konnte, notwendig war. Anders als in Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 91/414 mussten die Pflanzenschutzmittel nicht den Bestimmungen des Artikel 4 der Richtlinie 91/414 entsprechen. Es musste also weder festgestellt werden, dass „die Unterlagen für diesen Wirkstoff die Anforderungen der Anhänge II und III nach Maßgabe des geplanten Anwendungszwecks erfüllen“ (Art. 8 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. a der Richtlinie 91/414), noch, dass „der Mitgliedstaat festgestellt hat, dass der Wirkstoff den Bedingungen des Artikel 5 Absatz 1 gerecht werden kann und dass angenommen werden kann, dass das Pflanzenschutzmittel den Bedingungen des Artikel 4 Absatz 1 Buchstaben b) bis f) entspricht“ (Art. 8 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. b der Richtlinie 91/414). Dies bedeutet, dass bei einer (Not-) Genehmigung, anders als bei der vorläufigen Genehmigung nach Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 91/414/EWG, weder die Prüfung nach Anhang III der Richtlinie 91/414/EWG durchlaufen worden ist, noch, dass der in dem Pflanzenschutzmittel enthaltene Wirkstoff einer Prüfung nach Anhang II dieser Richtlinie unterworfen wurde. Auch in den Erwägungsgründen der Richtlinie 91/414/EWG sind die Unterschiede bei den Anforderungen an die beiden Zulassungsarten dargestellt. Während im Erwägungsgrund 14 für die vorläufige Zulassung darauf abstellt wird, das der Mitgliedstaat zu dem Schluss gelangt ist, der Wirkstoff und die Pflanzenschutzmittel dürften den „von der Gemeinschaft festgesetzten Anforderungen entsprechen“ ist eine Notzulassung nach dem Erwägungsgrund 18 auch möglich, wenn die Pflanzenschutzmittel „den genannten Voraussetzungen nicht entsprechen“, jedoch eine unvorhersehbare Gefahr für die Pflanzenerzeugung besteht, die mit anderen Mitteln nicht eingedämmt werden kann. Obwohl der Mitgliedstaat, der eine solche Zulassung aussprach, die anderen Mitgliedstaaten und die Kommission unverzüglich von seinen Maßnahmen unterrichten musste (Art. 8 Abs. 4 Satz 2 der Richtlinie 91/414) und die Zulassung von der Kommission in enger Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten im Rahmen des Ständigen Ausschusses für Pflanzenschutz geprüft werden sollte (Erwägungsgrund 18), dürfte der Prüfungsumfang bei der Erteilung einer Notgenehmigung weitaus weniger eingehend und umfangreich sein, als dies bei der endgültigen und vorläufigen Zulassung eines Pflanzenschutzmittels der Fall ist. Nach dem Wortlaut der Bestimmungen der Richtlinie 91/414/EWG, des deutschen Pflanzenschutzgesetzes und auch der neuen Verordnung Nr. 1107/2009 steht bei der Notzulassung eines Pflanzenschutzmittels vielmehr die Abwehr einer unmittelbaren und unvorhersehbaren Gefahr für das Gedeihen der Pflanzen im Vordergrund, was ein sofortiges Handeln notwendig macht. Von einem „funktionalen Gleichwertigkeitszusammenhang“ der Prüfungskriterien, wie ihn der Gerichtshof der Europäischen Union in der Rechtssache „Iodosulfuron, Husar“ bei der vorläufigen Genehmigung im Vergleich zur endgültigen Genehmigung angenommen hat, kann also wohl kaum gesprochen werden.
Andererseits erlaubte eine Zulassung nach Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie 91/414, ebenso wie es nunmehr eine solche nach Art. 53 der Verordnung Nr. 1107/2009 tut, die Vermarktung des Pflanzenschutzmittels, auch wenn sie nach dem Text der Richtlinie nur für eine „beschränkte und kontrollierte Verwendung“ erfolgt. Wird eine Zulassung für die Höchstdauer von 120 Tage ausgesprochen, so dürfte dabei häufig der Zeitraum abgedeckt sein, der für die Verwendung eines Pflanzenschutzmittels bei der Aussaat oder während der Wachstumsphase notwendig, aber auch ausreichend ist. Aus Stellungnahmen der Europäischen Kommission vom 23. März 2011 und vom 28. April 2011 (z. B. E-001151/11 und E-003156/11) ist zu entnehmen, dass diese Ausnahmegenehmigungen in den vergangenen Jahren vermehrt in Anspruch genommen wurden. Nach der Parlamentarischen Anfrage E-001151/20011 soll eine Zunahme dieser Genehmigungen von 59 Fällen im Jahr 2009 auf 321 Fällen im Jahr 2010 stattgefunden haben. Dies könnte nach Ansicht der Kommission damit zu tun haben, dass die Industrie bei einer geringfügigen Verwendung eines Pflanzenschutzmittels nur einen begrenzten wirtschaftlichen Anreiz für die Beantragung einer endgültigen Zulassung hat. Sofern eine derartige (Not-) Zulassung mehrfach erteilt wurde, was nach Art. 8 Abs. 4 Satz 3, Art. 19 der Richtlinie 91/414 unter Mitwirkung des Ständigen Ausschusses für Pflanzenschutz möglich war, könnte der Umsatz bei der Vermarktung dieses Pflanzenschutzmittels aufgrund der zeitlichen Begrenzung seines Einsatzes mitunter kaum geringer sein als derjenige bei einer dreijährigen vorläufigen Zulassung nach Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 91/414.
II. Sollte Art. 3 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung (EG) Nr. 1610/96 dahin auszulegen sein, dass er auch eine (Not-)Genehmigung nach Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie 81/414/EWG bzw. des Artikel 53 der Verordnung Nr. 1107/2009 umfasst, so stellt sich weiter die Frage, ob hier der Antrag auf Erteilung des Zertifikats rechtswirksam gestellt wurde.
Nach Art. 7 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1610/96 muss die Anmeldung des Zertifikats innerhalb von sechs Monaten, gerechnet ab dem Zeitpunkt, zu dem für das Erzeugnis als Pflanzenschutzmittel die Genehmigung für das Inverkehrbringen erteilt wurde, eingereicht werden. Das ist hier geschehen. Nach Art. 3 Absatz 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 1610/96 muss „zum Zeitpunkt dieser Anmeldung“ für das Erzeugnis als Pflanzenschutzmittel eine „gültige Genehmigung für das Inverkehrbringen“ erteilt worden sein. Eine pflanzenschutzrechtliche Genehmigung war hier zwar erteilt worden, diese Zulassung war jedoch auf einen Zeitraum von 120 Tagen beschränkt und am Tag vor der Antragstellung abgelaufen.
Die Frage, ob die pflanzenschutz- bzw. arzneimittelrechtliche Genehmigung (Art. 3 Buchst. b der Verordnungen Nr. 1610/96 bzw. Nr. 496/2009) zum Zeitpunkt der Antragstellung noch in Kraft sein muss, wird unterschiedlich beantwortet. Der Gerichtshof der Europäischen Union hat hierzu, soweit ersichtlich, noch keine Entscheidung getroffen. In der Rechtssache Yamanouchi Pharmaceutical (C-110/95 Urteil vom 12. Juni 1997) wird zwar im Leitsatz ausgeführt, dass die Erteilung eines Zertifikats für Arzneimittel nach Art. 3 Buchst. b der Verordnung Nr. 1768/92 voraussetzt, dass zum Zeitpunkt der Anmeldung eine in dem Mitgliedstaat erteilte gültige Genehmigung vorliegen muss, der Entscheidung lag jedoch ein anders gearteter Sachverhalt zugrunde. Dort hat die Anmelderin unmittelbar vor Ablauf des Patents ein Zertifikat beantragt, obwohl die arzneimittelrechtliche Zulassung im Anmeldestaat erst zwei Jahre später erteilt wurde. Im Schrifttum wird überwiegend die Ansicht vertreten, dass die Genehmigung zum Zeitpunkt der Anmeldung des Zertifikats noch in Kraft sein muss. So ist Hacker in Busse Patentgesetz (a. a. O.) unter Rdn. 40 zu Anh § 16a PatG zu Art. 3 Buchst. b der Verordnung 1768/92 der Ansicht, dass es entscheidend ist, ob das Arzneimittel zum Zeitpunkt der Antragstellung in den Verkehr gebracht werden darf. Er verweist dabei auf die Bestimmung des Art. 14 Buchst. d dieser Verordnung, wonach das Zertifikat erlischt, wenn und solange das Erzeugnis infolge Widerrufs der betreffenden Genehmigung nicht mehr in den Verkehr gebracht werden darf. Dieser Auffassung schließt sich Grabinski in der Kommentierung Benkard (a. a. O.) in Rdn. 26 zu § 16a PatG an. Der Verfasser Kühnen weist in Schulte (a. a. O.) unter Rdn. 14 zu § 16a PatG ausdrücklich darauf hin, dass die gültige Genehmigung bei der Antragstellung weder widerrufen oder zurückgenommen sein, noch ihre Gültigkeit durch Ablauf des Zulassungszeitraumes verloren haben darf. Er geht damit über die erstgenannten Kommentierungen hinaus, denn der Ablauf des Zulassungszeitraums ist in Art. 14 Buchst. d der Verordnungen Nr. 1610/96 bzw. Nr. 469/2009 als Grund für das Erlöschen des Zertifikats nicht genannt (vgl. Schennen, Die Verlängerung der Patentlaufzeit für Arzneimittel im gemeinsamen Markt 1. Auflage 1993, Art. 14 Nr. 5, Seite 76; Busse/Hacker a. a. O. Anh § 16a PatG Rdn. 100). Nach der deutschen Amtspraxis wird kein Zertifikat erteilt, wenn die arznei- oder pflanzenschutzrechtliche Genehmigung am Tag der Anmeldung tatsächlich nicht mehr in Kraft ist, unabhängig davon, ob die Genehmigung widerrufen oder zurückgenommen wurde oder ob sie wegen Ablauf des Zulassungszeitraums ihre Gültigkeit verloren hat (Richtlinien des Deutschen Patent- und Markenamts für das Prüfungsverfahren bei ergänzenden Schutzzertifikaten, Stand vom 7. März 2011 Ziff. 3.3.1.2).
Diese Rechtsauffassung führt dazu, dass die Sechsmonatsfrist des Artikel 7 der Verordnung Nr. 1610/96 im Einzelfall erheblich verkürzt sein kann. Im vorliegenden Fall wäre eine wirksamen Antragstellung nur zwischen dem 15. Januar 2004 - dem Tag, an dem die mit Datum vom 2. Dezember 2003 erlassene Genehmigung wirksam wurde - und dem 13. Mai 2004 möglich gewesen.
Der erst am 14. Mai 2004 gestellte Antrag kann auch nicht unter Anwendung der Bestimmungen über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand als rechtzeitig gestellt fingiert werden. Zwar erlaubt § 16a Abs. 2 PatG an sich die entsprechenden Anwendung des § 123 PatG, der die Wiedereinsetzung regelt, auf die Verordnungen über die Schutzzertifikate. Voraussetzung ist aber, dass eine Frist versäumt wurde, was hier nicht der Fall ist. Die Antragstellung am 14. Mai 2004 geschah innerhalb der noch offenen Sechsmonatsfrist des Art. 7 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1610/96, allerdings zu einem Zeitpunkt, als eine materielle Voraussetzung, nämlich eine in Kraft befindliche Genehmigung, entfallen war. Das Wegfallen einer sachlichen Bedingung für die Zuerkennung eines Rechts kann nicht im Weg der Wiedereinsetzung in eine versäumte Frist rückgängig gemacht werden.
Folgt man der gegenteiligen Rechtsauffassung, so schadet es nicht, dass die pflanzenschutzrechtliche Genehmigung nicht mehr in Kraft war. Diese Rechtsmeinung geht vom unmittelbaren Wortlaut des Art. 3 der Verordnung Nr. 1610/96 aus. So weist Brückner in seinem Kommentar Ergänzende Schutzzertifikate 2011 unter Rdn. 311 ff zu Art. 3 der Verordnung Nr. 469/2009 darauf hin, dass Artikel 3 Buchst. b dieser Verordnung nicht wörtlich voraussetze, dass die arzneimittelrechtliche Genehmigung zum Zeitpunkt der Anmeldung in Kraft sein muss, was zu abweichenden Auslegungen führe. Nach der britischen Amtspraxis werde keine noch in Kraft befindliche arzneimittelrechtliche Genehmigung verlangt (Brückner a. a. O. Rdn. 313; Ziff. SPM 3.03 der „Supplementary protection certificates for medicinal and plant protection products“ vom Oktober 2011 des „Manual of Patent Practice“ des UK-IPO). Auch die Beschwerdeführerin stützt sich auf den Wortlaut der Bestimmung und meint, gerade die Vergangenheitsform von „erteilt wurde“ zeige unmissverständlich, dass es ausreicht, wenn die Genehmigung einmal von der zuständigen Behörde unter Beachtung der geltenden Bestimmungen erteilt wurde und damit „gültig“ war. Das weitere Schicksal der Genehmigung sei sodann ohne Bedeutung, womit ein Zertifikat auch erteilt werden könne, wenn die Genehmigung zum Zeitpunkt der Antragstellung bereits abgelaufen war.
Nach dieser Rechtsansicht steht der Anmelderin für die Antragstellung die gesamte Sechsmonatsfrist des Art. 7 der Verordnung Nr. 1601/96 zur Verfügung.
Diese Unterschiede bei der Auslegung dieser europäischen Norm veranschaulichen, dass die richtige Anwendung des Gemeinschaftsrechts nicht derart offenkundig ist, dass für vernünftige Zweifel kein Raum bliebe.
III. Sollte Art. 3 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung (EG) Nr. 1610/96 dahin auszulegen sein, dass er keine (Not)Genehmigung nach Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie 91/414/EWG umfasst, so stellt sich weiter die Frage, ob das Zertifikat aufgrund der am 8. September 2004 erteilten (vorläufigen) Genehmigung nach Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 91/414/EWG erteilt werden kann.
Als das Patentamt die Anmeldung mit Beschluss vom 20. Januar 2006 zurückwies, weil zum Zeitpunkt der Antragstellung keine gültige Genehmigung vorgelegen habe, war ihm bekannt, dass bereits am 8. September 2004 eine vorläufige Genehmigung nach § 15c PflSchG für das Inverkehrbringen des Erzeugnisses erteilt worden war. Nach der damaligen Entscheidungspraxis des Patentamts wurden Zertifikate sowohl nach Erteilung einer Not-Genehmigung nach § 11 Abs. 2 PflSchG, als auch einer vorläufigen Genehmigung nach § 15c PflSchG ausgestellt. Etwa im Jahr 2006 änderte sich diese Praxis dahingehend, dass das Vorliegen einer endgültigen pflanzenschutzrechtlichen Genehmigung verlangt wurde. Um Rechtsnachteile bei dieser unterschiedlichen Auslegung des Art. 3 Abs. Buchst b der Verordnung Nr. 1610/96 zu vermeiden, erschien es manchem Anmelder von Vorteil, nach jeder pflanzenschutzrechtlichen Genehmigung einen Zertifikatsantrag zu stellen, was die Firma B… für das vorliegende Erzeugnis auch getan hat (siehe hierzu auch Stratmann/Dernauer, Die neue Praxis des DPMA zur Erteilung von ergänzenden Schutzzertifikaten für Pflanzenschutzmittel - eine Frage des Vertrauensschutzes? Mitt. 2008, 150; Vorabentscheidungsersuchen des BPatG v. 29. April, Mitt. 2009, 462 und Anmerkung von v. Renesse, Schwenk). Da im vorliegenden Verfahren nur ein einziger Antrag auf die Erteilung eines Schutzzertifikats gestellt wurde, stellt sich die Frage, ob aufgrund dieses Antrags ein Zertifikat ausgestellt werden kann, das sich auf die vorläufige Zulassung des Pflanzenschutzmittels nach § 15c PflSchG als erste Genehmigung nach Artikel 3 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 1610/96 stützt.
Ob der Antrag auf Erteilung eines Schutzzertifikat vor Beginn der Frist des Artikel 7 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1610/96 rechtswirksam gestellt werden kann, ist im Schrifttum bisher, soweit erkennbar, kaum behandelt worden. Schennen (a. a. O.) weist in seiner Kommentierung bei Artikel 7 (der Verordnung Nr. 1768/92) unter Ziff. 8 (Seite 63) darauf hin, dass in den Fällen, in denen die Anmeldung bereits vor der Erteilung des Grundpatents und damit vor Fristbeginn (des Absatz 2) eingeht, das Patentamt erwägen sollte, dem Anmelder Gelegenheit zu geben, zu erklären, dass das Verfahren vorläufig nicht weiter betrieben werden soll. Er hält eine solche Praxis für unbedenklich, denn die Bestimmung des Artikel 7 verbiete keine Anmeldungen vor Fristbeginn. Hacker hingegen (a. a. O. Anh § 16a Rdn. 74) ist der Ansicht, dass eine Anmeldung vor Fristbeginn nicht in Betracht kommt, da in einem solchen Fall die Voraussetzungen des Artikel 3, für die es auf den Anmeldezeitpunkt ankommt, nicht erfüllt sein könnten. Ein zu früh gestellter Antrag sei zurückzuweisen. Auch Brückner (a. a. O. Art. 7 Rdn. 3) hält eine Anmeldung vor Fristbeginn für nicht zulässig, vertritt aber die Ansicht, dass eine solche Anmeldung nicht ohne weiteres zur Zurückweisung wegen Unzulässigkeit führen müsse. Das Patentamt sei vielmehr gehalten, dem Anmelder Gelegenheit zu geben, zu erklären, dass das Verfahren nicht betrieben werden soll, bis die arzneimittelrechtliche Genehmigung erteilt ist.
Geht man von dieser Rechtsansicht aus, so könnte das Schreiben der Anmelderin vom 25. November 2004 als Bitte gewertet werden, das Verfahren aufgrund der nunmehr ergangenen vorläufigen Genehmigung weiter zu betreiben und das Zertifikat, ausgehend von dem bereits gestellten Antrag, zu erteilen. Der Eingang dieses Schreibens beim Patentamt am 27. November 2004, der in Bezug auf die am 8. September 2004 erteilte vorläufige Genehmigung innerhalb der Frist des Art. 7 der Verordnung Nr. 1610/96 lag, könnte sodann den nach Artikel 3 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1610/96 maßgebenden „Zeitpunkt dieser Anmeldung“ festlegen. Zu diesem Zeitpunkt lagen sämtliche für die Erteilung eines Zertifikats notwendigen Voraussetzungen vor, sodass der Beschluss des Patentamts aufzuheben und - durch das Patentgericht - ein Schutzzertifikat zu erteilen wäre.
Folgt man demgegenüber der Ansicht, dass eine Antragstellung vor Beginn des Fristlaufs des Artikel 7 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1610/96 ausgeschlossen ist, ein zu früh gestellter Antrag also verbraucht ist, so hätte hier die Beschwerdeführerin ihren an sich bestehenden materiellen Anspruch auf Erhalt eines Zertifikats verloren. Dies erscheint jedoch in den Fällen unbillig, in denen der Antrag allein deshalb verfrüht, nämlich bereits nach Erteilung der Not-Genehmigung nach § 11 Abs. 2 PflSchG gestellt wurde, weil es der Amtspraxis entsprach, Zertifikate bereits aufgrund einer derartigen Genehmigung zu erteilen und ein später, also nach Erlass der vorläufigen Genehmigung nach § 15c PflSchG, gestellter Antrag schon deshalb zurückgewiesen worden wäre, weil es sich bei dieser Genehmigung nach Ansicht der Behörde nicht um die erste Genehmigung nach Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe d der Verordnung Nr. 1610/96 gehandelt hätte.
Diese unterschiedlichen Rechtansichten bei der Auslegung der Art. 3 Abs. 1 und Art. 7 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1610/96 und die Abweichungen bei dessen Anwendung innerhalb der Gemeinschaft veranschaulichen die Schwierigkeiten bei dessen Auslegung. Damit besteht die Gefahr weiterer abweichender Entscheidungen innerhalb der Europäischen Union. Da es primäres Ziel der Vorschrift des Art. 267 AEUV ist, eine einheitliche Auslegung und Anwendung des Gemeinschaftsrechts in sämtlichen Mitgliedstaaten zu gewährleisten, erscheint die Durchführung des Vorabentscheidungsverfahrens notwendig.