Entscheidungsdatum: 19.01.2016
In der Einspruchssache
betreffend das Patent 10 2008 037 025
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…
hat der 14. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 19. Januar 2016 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Dr. Maksymiw, der Richter Schell und Dr. Jäger, sowie der Richterin Dr. Wagner
beschlossen:
Das Patent 10 2008 037 025
Bezeichnung:
Verfahren zur Herstellung kristalliner Wirkstoff-Mikropartikel bzw. einer Wirkstoffpartikel-Festkörperform
wird mit folgenden Unterlagen beschränkt aufrechterhalten:
Ansprüche 1 bis 11 gemäß Hilfsantrag 8 vom 19. Januar 2016
sowie Beschreibung vom 19. Januar 2016
und Zeichnungen (Fig. 1 bis 6) gemäß Patentschrift.
I.
Die Erteilung des Patents 10 2008 037 025 mit der Bezeichnung
„Kristalline Wirkstoff-Mikropartikel, Verfahren zu deren Herstellung und Verwendung in Arzneimitteln“
ist am 22. September 2011 veröffentlicht worden.
Gegen dieses Patent ist mit dem am 21. Dezember 2011 eingegangenen Schriftsatz Einspruch erhoben worden. Die Einsprechende macht unter Hinweis auf die nachfolgend aufgeführten Dokumente
D1 U. Teipel und H. Winter, „Reduzierte Abweichung – Zur Charakterisierung der spezifischen Oberfläche nach dem Durchströmungsverfahren“, Mineral Processing, 2011, Bd. 52 Seiten 45 bis 53
D2 WO 2008/084312 A2
D3 WO 2005/009375 A2
D4 DE 10 2005 053 862 A1
D5 H. Steckel, J. Thies, B.W. Müller, „Micronizing of steroids for pulmonary delivery by supercritical carbon dioxide“, Int. J. Pharm., 1997, Bd. 152, Seiten 99 bis 110
D6 K.H. Bauer, K.-H. Frömming, C. Führer, “Pharmazeutische Technologie”, 4. Auflage, Georg Thieme Verlag Stuttgart 1993, Seite 203
D9 Auszug aus Wikipedia, Stichwort „Sand“, http://de.wikipedia.org/wiki/Sand vom 12. Februar 2013, Seiten 1 bis 9
D10 W. Müller, „Mechanische Grundoperationen und ihre Gesetzmäßigkeiten“, Oldenbourg Wissenschaftsverlag GmbH, München, 2008, Seite 25
D11 HELOS, Partikelgrößenanalyse mit Laserbeugung, 0,1 µm – 8750 µm, http://www.sympatec.com/DE/LaserDiffraction/ HELOS.html vom 18. Februar 2013, Seiten 1 bis 2
D12 Laserbeugung, Partikelgrößenanalyse von 0,1 µm bis 8,75 mm, http://www.sympatec.com/DE/LaserDiffraction/LaserDiffraction.html vom 25. Februar 2013, Seiten 1 bis 2
D15 J. Bernstein, „Polymorphism in Molecular Crystals“, Clarendon Press, Oxford, 2002, Seite 41
D16 H. G. Brittain (Ed.), “Polymorphism in Pharmaceutical Solids”, Marcel Dekker, Inc., New York, 1999, Seiten iii bis ix und Seiten 183 bis 226
D17 EP 1 005 328 B1
D18 EP 0 721 331 B1
D19 EP 0 721 332 B1
geltend, dass den beanspruchten Erzeugnis-Ansprüchen des Streitpatents, also den kristallinen Wirkstoff-Mikropartikeln und der Wirkstoffpartikel-Festkörperform, sowie deren jeweils beanspruchten Verwendungen, sowohl die Ausführbarkeit, als auch Neuheit und erfinderische Tätigkeit fehlten.
Die Verfahrensansprüche des Streitpatents wurden von der Einsprechenden ausdrücklich nicht angegriffen. Mit Zwischenverfügung vom 6. November 2015 hat der Senat die Parteien darauf hingewiesen, dass dem Antrag der Einsprechenden, das angegriffene Patent nur teilweise zu widerrufen, keine Bindungswirkung zukomme.
In einer weiteren Zwischenverfügung vom 14. Dezember 2015 hat der Senat zusätzlich auf die nachfolgend aufgeführten Fachbuch-Auszüge
D20 R. Hilfiker (Ed.), “Polymorphism”, Wiley-VCH Verlag GmbH & Co.KGaA, 2006, Seiten 1 bis 7, 22 bis 35, 287 bis 305
D21 R. Voigt, „Pharmazeutische Technologie“, 10. Aufl., Deutscher Apotheker Verlag Stuttgart, 2006, Seiten 123, 146 bis 155, 230 und 231
D22 H. Leuenberger (Hrsg.), „Martin Physikalische Pharmazie“, 4. Aufl., Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft mbH Stuttgart 2002, Seiten 46 bis 49, 370 bis 377
sowie auf die Druckschrift
D23 US 2003/0175187 A1
hingewiesen.
Im Verlauf der mündlichen Verhandlung vom 19. Januar 2016 hat die Einsprechende ihren Einspruch zurückgezogen.
Die Patentinhaberin beantragt,
das Patent im Umfang des Hilfsantrags 8 vom 19. Januar 2016 sowie angepasste Beschreibung vom 19. Januar 2016 und Zeichnungen (Fig. 1 bis 6) gemäß Patentschrift beschränkt aufrecht zu erhalten.
Die geltenden Patentansprüche 1 und 11 lauten:
„1. Verfahren zur Herstellung kristalliner Wirkstoff-Mikropartikel, umfassend die Schritte, daß aus Pri-märpartikeln des Wirkstoffs, einer Lösung des Wirk-stoffs, Nicht-Lösungsmittel für den Wirkstoff und inerten Formkörpern eine Suspension hergestellt wird, wobei die inerten Formkörper eine maximale Ausdehnung vom 0,1 – 2 mm aufweisen, Lösungsmittel und Nicht-Lösungsmittel in dem eingesetzten Mengenverhältnis mischbar sind, die Suspension durchmischt wird, wobei der Wirkstoff aus der Suspension auskristallisiert, der Wirkstoff in Form von Produktpartikeln abgetrennt wird und die Produktpartikel anschließend getrocknet werden, wobei die Primärpartikel und die Produktpartikel kristallin sind, in der stabilsten Kristallmodifikation des Wirkstoffs vorliegen, eine Kristalloberfläche von 3-10 m2/g aufweisen und die Größenverteilung der Primär- und Produktpartikel jeweils d50 = 1-2 μm, d99 < 6 μm und d100 < 12 μm beträgt.
11. Verfahren zur Herstellung einer Wirkstoffpartikel-Festkörperform, umfassend ein Verfahren gemäß einem der Ansprüche 1 bis 10, bei dem die abgetrennten Produktpartikel vor dem Trocknen zusätzlich mit einem hydrophilen, pharmazeutisch annehmbaren Hilfsstoff versetzt werden.“
Zum Wortlaut der auf Patentanspruch 1 rückbezogenen Patentansprüche 2 bis 10 wird auf die Akte verwiesen.
Die Patentinhaberin trägt hierzu unter Hinweis auf die Dokumente
D2a EP 1 944 018 A1 (Familienmitglied zu D2),
D7 T. Allen, „Particle Size Measurement“, Volume 1, 5. Auflage, Chapham & Hall, London, 1997, Seite 62,
D8 Ausdruck der Benutzeroberfläche der Auswertungssoftware WINDOX 5 von Sympatec (Gerät: Sympatec Helos, Trockendispergierer Rodos) vom 21. März 2011, eine Seite,
D13 J. Bernstein, „Polymorphism in Molecular Crystals“, Clarendon Press, Oxford, 2002, Seite 40 und
D14 R.J. Davey et al., “Rate Controlling Proceses in Solvent-mediated Phase Transformations”, Journal of Crystal Growth 1986, Bd. 79 Seiten 648 bis 653
vor, die Verfahren zur Herstellung der kristallinen Wirkstoff-Mikropartikel bzw. der Wirkstoffpartikel-Festkörperform seien ausführbar, neu und beruhten auch auf erfinderischer Tätigkeit. Auch sei die Ausführbarkeit im Hinblick auf die stabilste Kristallmodifikation gegeben, da deren Bestimmung zu dem routinemäßigen Handeln des Fachmanns im Rahmen eines Polymorphie-Screenings gehöre. Ebenso seien dem Fachmann geeignete Messmethoden für die Bestimmung der Kristalloberfläche geläufig. Darüber hinaus werde durch die Verfahrensmaßnahmen gewährleistet, dass die Produktpartikel die gleiche Korngrößenverteilung und die gleiche Kristalloberfläche wie die Primärpartikel aufwiesen. Damit sei der Fachmann in die Lage versetzt, die kristallinen Primär- bzw. Produktpartikel in der stabilsten Kristallmodifikation des Wirkstoffs mit einer Kristalloberfläche von 3-10 m2/g und einer Größenverteilung mit d50 = 1-2 μm, d99 < 6 μm und d100 < 12 μm bereitzustellen.
Zudem offenbare keine der genannten Entgegenhaltungen ein Kristallisationsverfahren zur Herstellung kristalliner Wirkstoff-Mikropartikel bzw. einer Wirkstoff-Festkörperform, bei dem inerte Formkörper einer maximalen Ausdehnung vom 0,1 - 2 mm anwesend seien. Noch vermittle eines der Dokumente dem Fachmann eine Anregung zur Herstellung der kristallinen Wirkstoff-Mikropartikel bzw. einer Wirkstoff-Festkörperform mit einem Fällungskristallisationsverfahren, bei dem neben Impfkristallen, die in der stabilsten Kristallmodifikation des Wirkstoffs vorlägen und eine Kristalloberfläche von 3-10 m2/g sowie eine Größenverteilung von d50 = 1-2 μm, d99 < 6 μm und d100 < 12 μm aufwiesen, zusätzlich inerte Formkörper einer maximalen Ausdehnung vom 0,1 – 2 mm vorhanden seien, um in Folge der Stöße der Kristallpartikel mit den Formkörpern bei der Durchmischung diese zu zerbrechen, wodurch der Kristallwachstum nach oben hin begrenzt werde, sodass die Primärpartikel und die Produktpartikel die gleiche Partikelgrößenverteilung aufwiesen.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.
II.
1. Die Zuständigkeit des Senats für die Entscheidung über den Einspruch ergibt sich im vorliegenden Fall aus dem zulässigen Antrag der Einsprechenden gemäß § 61 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 PatG. Ausnahmen gemäß § 61 Abs. 2 S. 2 PatG sind weder geltend gemacht worden noch sonst ersichtlich.
Nach Rücknahme des Einspruchs war das Verfahren von Amts wegen ohne die Einsprechende fortzusetzen (§ 61 Abs. 1 Satz 2 PatG).
2. Im vorliegenden Fall stellt sich die höchstrichterlich noch nicht abschließend geklärte Frage, ob ein Antrag des Einsprechenden, der sich lediglich auf einen Teilwiderruf des angegriffenen Patents richtet, den Verfahrensgegenstand des Einspruchsverfahrens verbindlich beschränkt oder ob das Patent unabhängig von einem solchen Antrag umfassend auf seine Rechtsbeständigkeit zu überprüfen ist.
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) ist das Deutsche Patent- und Markenamt (DPMA) bei seiner Entscheidung über den Einspruch nicht auf diejenigen Widerrufsgründe beschränkt, mit denen der Einsprechende seinen Einspruch begründet (BGH, GRUR 1995, 333 – Aluminium-Trihydroxid). Darüber hinaus hat der BGH in seiner Entscheidung „Automatisches Fahrzeuggetriebe” (GRUR 2003, 695) entschieden, dass ein auf vollständigen Widerruf gerichteter Einspruch nicht deshalb unzulässig ist, weil der Einsprechende nur in Bezug auf einen von mehreren, nebengeordneten Ansprüchen substanziiert vorgetragen hat. Unter Berufung auf diese Rechtsprechung wird die Frage, ob ein Teileinspruch das DPMA bzw. (in den Fällen des § 61 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 PatG) das BPatG hinsichtlich des Prüfungsumfangs bindet, überwiegend verneint (vgl. BPatG v 13.4.2011 - 21 W (pat) 308/08 - Optische Inspektion von Rohrleitungen = Mitt. 2011, 366; BPatG v. 14.7.2009 - 17 W (pat) 318/05 - juris; BPatG GRUR 2008, 634 - Teileinspruch; BPatG v. 10.5.2007 - 20 W (pat) 76/03 - juris; BPatG v. 25.4.2006 - 21 W (pat) 339/03 - Kalibrierverfahren - juris, BGH, GRUR 2002, 55 - Branddetektion; BPatG v. 15.11.2006 - 9 W (pat) 408/03 - juris). Soweit die Bindungswirkung eines Teileinspruchs dagegen bejaht wurde (vgl. BPatG, GRUR 2008, 634 - Teileinspruch; BPatG v. 19.3.2008 - 19 W (pat) 312/05 - juris; Beschl. v. 20.6.2007 - 7 W (pat) 303/04 - juris), stützt sich diese Wertung auf den Gesichtspunkt, dass die Dispositionsmaxime gem. § 308 Abs. 1 ZPO über § 99 Abs. 1 PatG auch im Einspruchsverfahren entsprechende Anwendung finde.
Gemäß § 99 Abs. 1 PatG ist die ZPO im Verfahren vor dem BPatG entsprechend anzuwenden, soweit das PatG keine speziellen Bestimmungen enthält, und die Besonderheiten des Verfahrens vor dem Patentgericht dies nicht ausschließen. Demnach gilt der für Klageverfahren typische Verfügungsgrundsatz gem. § 308 Abs. 1 ZPO im patentrechtlichen Einspruchsverfahren zugunsten des hier maßgeblichen Amtsermittlungsgrundsatzes nur eingeschränkt. So verfügt der Einsprechende von vornherein nur über beschränkte Dispositionsbefugnisse, insbesondere kann er das einmal von ihm in Gang gebrachte Einspruchsverfahren nicht durch eigene Erklärung wieder beenden (§ 61 Abs. 1 PatG). Für die Wertung, dass der Prüfungsumfang bei Einleitung des Verfahrens nicht durch den Einsprechenden bindend beschränkt werden kann, spricht zudem, dass gem. § 59 Abs. 1 PatG der Einspruch "gegen das Patent" gerichtet werden muss, ohne dass dabei – wie etwa im Verfahren vor dem EPA (vgl. Regel 76 (2) c) AusfO EPÜ) - die Möglichkeit eines Teileinspruchs vorgesehen ist.
Die Auffassung, dass der Verfahrensgegenstand des Einspruchsverfahrens vom Einsprechenden durch einen Teileinspruch nicht verbindlich beschränkt werden könne, sondern das angegriffene Patent auch in diesem Fall umfassend auf seine Rechtsbeständigkeit zu überprüfen sei, steht auch nicht im Widerspruch dazu, dass das BPatG im Beschwerdeverfahren grundsätzlich nur insoweit zur Prüfung und Änderung von Entscheidungen befugt ist, wie dies vom Beschwerdeführer beantragt wurde. Denn diese Bindungswirkung ergibt sich aus der Funktion des Gerichts als Rechtsmittelinstanz (vgl. BGH GRUR 2002, 49, 50 – Drehmomentübertragungseinrichtung), wohingegen das Gericht in den Fällen des § 61 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 PatG gerade nicht als Rechtsmittel- bzw. als Kontrollinstanz, sondern erstinstanzlich tätig wird. Zudem ist in diesem Zusammenhang das im Vordergrund des Einspruchsverfahrens stehende öffentliche Interesse an der Beseitigung zu Unrecht erteilter Patente zu berücksichtigen (vgl. hierzu BPatG v. 14.7.2009 - 17 W(pat) 318/05 - juris; Benkard/Schwarz, PatG, 11. Aufl., § 59 Rdn. 168; Busse/Engels, PatG, 7. Aufl., § 59, 259; a.A. Schulte/Moufang, PatG 9. Aufl., § 59 Rdn. 180). Dieses Interesse der Allgemeinheit hat Vorrang vor den Individualinteressen und damit vor einer uneingeschränkten Dispositionsbefugnis der Verfahrensbeteiligten (vgl. hierzu auch van Hees/Braitmayer, Verfahrensrecht in Patentsachen, 4. Aufl., Rdn. 512 ff.).
Das angegriffene Patent war somit trotz des erfolgten Teileinspruchs vollumfänglich auf das Vorliegen von Widerrufsgründen zu überprüfen. Die an sich gebotene Zulassung der Rechtsbeschwerde zu dieser Rechtsfrage kam nicht in Betracht, nachdem die Einsprechende ihren Einspruch zurückgezogen hat und die Patentinhaberin mit ihrem zuletzt noch verfolgten Antrag erfolgreich war.
3. Die Fassung der Patentansprüche gemäß Hilfsantrag 8 ist zulässig. Der Patentanspruch 1 ist aus dem erteilten Patentanspruch 1 i. V. m. Seite 7, Abs. [0042] und Seite 8, Absatz [0048] der Streitpatentschrift bzw. aus dem ursprünglich eingereichten Anspruch 1 und Seite 11, Zeilen 25 bis 28 und Seite 12, Zeilen 28 bis 36 der ursprünglich eingereichten Unterlagen ableitbar. Die Patentansprüche 2 bis 11 entsprechenden den erteilten bzw. ursprünglich eingereichten Ansprüchen 2 bis 11 im Wortlaut.
4. Die in Patentanspruch 1 vermittelte Lehre ist für den Fachmann unter zumutbarem Aufwand ausführbar, da ihm mit den Angaben im Streitpatent die entscheidende Richtung gewiesen wird, in der er weiterarbeiten muss, um zu den beanspruchten Verfahren zur Herstellung von kristallinen Wirkstoff-Mikropartikeln zu gelangen (vgl. Schulte/Moufang, PatG, 9. Aufl., § 34 Rdn. 358, Punkt a)).
So informiert die Streitpatentschrift den Fachmann darüber, dass als Impfkristalle Wirkstoffpartikel-Primärpartikel mit einer Kristalloberfläche von 3 bis 10 m2/g und einer Größenverteilung von d50= 1 bis 2 µm, d99= < 6 µm und d100< 12 µm zu verwenden sind, wobei die kristallinen Primärpartikel in der thermodynamisch stabilsten Kristallmodifikation vorliegen (vgl. Streitpatentschrift S. 4, Abs. [0019], S. 5, Abs. [0028], letz. Satz, [0030], S. 6, Abs. [0034]).
Das Auffinden der thermodynamisch stabilsten Kristallmodifikation eines Wirkstoffs überschreitet nicht den zumutbaren Aufwand (vgl. vgl. Schulte/Moufang, PatG, 9. Aufl., § 34 Rdn. 356 bis 358 und 398 bis 404), denn diese wird üblicherweise im Rahmen der Formulierungsentwicklung eines Arzneimittels durch ein Standard-Screening identifiziert (vgl. D20, S. 287 bis 304 und auch Abschnitt II der Eidesstattlichen Versicherung von Herrn Detlef Grawe vom 13. Januar 2016), so dass deren Bestimmung zum routinemäßigen Handeln des Fachmanns gehört.
Auch für die Bestimmung der Partikelgrößenverteilung sind dem Streitpatent ausreichend Hinweise zu entnehmen, wie diese zu ermitteln ist. Gemäß den Ausführungsbeispielen wird die Korngrößenverteilung durch Laserbeugung mit einem Gerät der Firma Sympatec Helos bestimmt (vgl. S. 11, Abs. [0074]). Mit diesem Gerät kann zwar die Korngrößenverteilung grundsätzlich durch zwei verschiedene Untersuchungsmethoden bestimmt werden, nämlich der Fraunhofer- bzw. der Mie-Methode, jedoch ist die Mie-Methode nur bei transparenten Partikeln anwendbar (vgl. D11, S. 1, 3. Abs.). Nachdem sich aber in der Streitpatentschrift keine Angaben zur Transparenz der Partikel bzw. zu deren Brechungsindices finden, basieren die Messungen zwangsläufig auf der Fraunhofer-Methode.
Das Verfahren nach Patentanspruch 1 ist auch im Hinblick auf die Kristalloberfläche der Partikel ausführbar. Denn dem Fachmann sind geeignete Messmethoden für die Bestimmung der Kristalloberfläche bekannt. Hierbei handelt es sich um die rechnerische Bestimmung der Oberfläche basierend auf der Größenverteilung der Partikel oder experimentelle Bestimmungsmethoden wie der Gas- oder Flüssigkeitsadsorption bzw. der Gasdiffusion (vgl. D7, S. 62, letz. Abs.). Wie die Nacharbeitung von Beispiel 5 der Streitpatentschrift durch die Patentinhaberin zeigt, sind keine signifikanten Ergebnisabweichung, nämlich nur 1%, zwischen der rechnerischen Bestimmung und dem experimentellen Gasadsorptionsverfahren nach BET feststellbar (vgl. auch Vergleichsversuch „Nacharbeitung von Beispiel 5 des Streitpatents“, übergeben in der mündlichen Verhandlung vom 19. Januar 2016). Damit vermag auch das aufgeworfene Argument, dass es gerade bei experimentellen Methoden zu erheblichen personal- und gerätetechnischen Fehlern bei ein und derselben Probe komme (vgl. gutachterlich D1, S. 45, Zusammenfassung, S. 46, li. Sp., 2. und 3. Abs., S. 47, 1. Abs.), nicht durchzugreifen. Folglich ist die Kristalloberfläche mit einem Wert von 3 bis 10 m2/g für den Fachmann weder unbestimmt noch mit einem erheblichen Fehler behaftet.
Weiterhin führen die nach unten offenen Bereichsangaben der d99- und d100-Werte der Partikelgrößenverteilung nicht dazu, dass mit fortschreitender Zerkleinerung die Bedingung der Kristalloberfläche mit 3 bis 10 m2/g nicht einzuhalten ist. Denn die Verknüpfung dieser beiden Parameter bei einem fixen d50-Wert bedingt, dass nicht beliebige Mengen an kleinen Partikeln vorliegen, da andernfalls eine Kristalloberfläche von über 10 m2/g vorliegen würde.
Ferner kann durch die Wahl der Verfahrensparameter bei dem streitpatentgemäßen Verfahren ausgeschlossen werden, dass Produktpartikel in der metastabilen Form erhalten werden. Zwar besagt die Ostwald’sche Stufenregel, dass ein System beim Verlassen des instabilsten Zustands nicht direkt in den stabilsten Zustand, sondern in den nächstliegenden metastabilen Zustand übergeht, was im Übrigen auch in der Streitpatentschrift nicht ausgeschlossen ist (vgl. S. 7, Abs. [0040], S. 10, Beispiel 1). Jedoch stellt dieser zunächst gebildete metastabile Zustand nur ein Zwischenprodukt dar, das sich in die stabilste Kristallmodifikation umwandelt (vgl. Streitpatentschrift S. 6, Abs. [0034] und S. 10, Beispiel 1). Grundsätzlich kann durch die Wahl des Lösungsmittelsystems und durch die Zugabe von Impfkristallen in der stabilsten Kristallmodifikation die Kristallisation so gesteuert werden, dass der Wirkstoff in der stabilsten Modifikation erhalten wird (vgl. D16, 188, 2. Abs. bis S. 195, 2. Abs., D20, S. 34, 2. und 3. Abs.).
5. Der jeweilige Gegenstand nach den nebengeordneten Patentansprüchen 1 und 11 ist neu.
a) In keiner der Druckschriften ist ein Verfahren zur Herstellung kristalliner Wirkstoff-Mikropartikel bzw. einer Wirkstoffpartikel-Festkörperform beschrieben, bei dem die inerten Formkörper eine maximale Ausdehnung von 0,1 bis 2 mm haben und die kristallinen Primärpartikel in der stabilsten Kristallmodifikation des Wirkstoffs vorliegen, wobei sie eine Kristalloberfläche von 3 bis 10 m2/g und eine Größenverteilung von d50= 1 bis 2 µm, d99 < 6 µm und d100 < 12 µm aufweisen.
In der Druckschrift D23 ist ein Verfahren zur Kristallisation von Wirkstoffen beschrieben, bei dem ein in einem Lösungsmittel gelöster Wirkstoff mit einem mit dem Lösungsmittel mischbaren Fällungsmittel in einem Mischer zu einer Fällungslösung vereinigt wird. Zu dieser Lösung wird ein Transportmedium zugeführt, um einen segmentierten Stoffstrom aus Transport- und Fällungslösungskompartimenten auszubilden. Dieser Stoffstrom wird dann zur Kristallisation in eine kühlbare Retentionsstrecke geleitet (vgl. D23, S. 1, Abs. [0003], S. 2, Abs. [0030-0034], S. 5, Abs. [0087] und [0094], Fig. 3 und 9). Zur Förderung der Kristallbildung können ferner Mikropartikel in Form von Adjuvantskolloiden oder Wirkstoffpartikeln (Impfkristalle) zu gegeben werden (vgl. D23, S. 4, Abs. [0069-0074]). Im Gegensatz zu den im streitpatentgemäßen Verfahren verwendeten Formkörpern haben die Adjuvantskolloide gemäß D23 jedoch nur eine Partikelgröße im Submicrometer-Bereich (vgl. D23 S. 4, Abs. [0069], 1. Satz und Abs. [0074]).
In den Fachbuch-Auszügen D16 und D20 sind binäre Lösungsmittelsysteme zur Kristallisation von pharmazeutischen Wirkstoffen beschrieben, wobei die Lösungsmittel miteinander mischbar sein können. Zur Kristallisationssteuerung können zusätzlich Saatkristalle des gewünschten Polymorph zugegeben werden (vgl. D16, S. 194/195, Abschnitt „C. Evaporation from Binary Mixture of Solvents“, S. 218/219, Abschnitt „G. Miscellaneous Methods“; D20, S. 289/290, Abschnitt „11.2 Crystallization Methods“). Das Kristallisationsverfahren nach D16 bzw. D20 unterscheidet sich damit vom streitpatentgemäßen Verfahren darin, weder inerte Formkörper noch kristalline Primärpartikel (Impfkristalle) in der stabilsten Kristallmodifikation des Wirkstoffs mit einer Kristalloberfläche von 3 bis 10 m2/g und einer Größenverteilung von d50= 1 bis 2 µm, d99 < 6 µm und d100 < 12 µm einzusetzen.
Die weiteren Dokumente D3 bis D5, D14 und D17 betreffen zwar Kristallisationsverfahren von Wirkstoffen, jedoch werden bei diesen Verfahren weder Formkörper noch Wirkstoff-Primärpartikel eingesetzt.
Bei dem in D3 offenbarten Verfahren zur Kristallisation von kleinen sphärischen Wirkstoffpartikeln wird ein Wirkstoff in einem ersten Lösungsmitteln gelöst. Zu dieser Wirkstofflösung wird ein zweites Lösungsmittel gegeben, in dem der Wirkstoff weniger löslich ist. Dieses Dreikomponentengemisch wird auf eine Oberfläche als dünner Film ausgebracht. Die Lösungsmittel werden dann verdampft, indem ein Gasstrom über den Film geleitet wird. Dabei bilden sich die Wirkstoffpartikel (vgl. D3, Patentanspruch 38, S. 12 Z. 23 bis S. 15, Z. 18, Fig. 11 bis 13).
Das Dokument D4 betrifft ein Verfahren zur Herstellung von Suspensionen hochfeiner Partikeln, bei dem ein Flüssigkeitsstrom aus einer partikelfreien, einen Wirkstoff enthaltenden Flüssigkeit 1 mit einem zweiten Flüssigkeitsstrom aus einer Flüssigkeit 2 in einer hochenergetischen Zone oder frühestens 2 Sekunden vor Erreichen dieser Zone zusammengeführt wird, wobei es zur Ausfällung der Partikel kommt, da der Wirkstoff nicht oder nur gering in Flüssigkeit 2 löslich ist (vgl. D4, Patentanspruch 1, S. 7, Abs. [0032]).
In den Druckschriften D5 und D17 ist die Mikronisierung von steriodalen Wirkstoffen in einem „aerosol solvent extration system“ (ASES) durch überkritisches Kohlendioxid beschrieben. Dafür wird eine Wirkstofflösung in überkritisches Kohlendioxid gesprüht, wobei es zur Partikelbildung kommt (vgl. D5, S. 99, Abstract, S. 101/102, Abs. 2.1 „Microparticle production“; D17, Patentansprüche 11 bis 13, S. 2, Abs. [0009]).
Die Publikation D14 betrifft Lösungsmittel basierte Phasenumwandlungen von u. a. dem agrochemischen Wirkstoff „Paclobutrazol“. Für die Kristallisation wird ein Überschuss an Polymorph α des Wirkstoffs in einem Lösungsmittelsystem aus 50%igen wässrigen Methanol gelöst. Die Phasenumwandlung von Polymorph α in β wird bei 65°C beobachtet (vgl. D14, S. 648, Zusammenfassung, S. 651, Abschnitt „3. Experimental“).
Die weiteren Entgegenhaltungen D2, D6, D7, D10, D13, D15, D18, D19, D21 und D22 können die Neuheit von Patentanspruch 1 nach Auffassung des Senats nicht in Frage stellen, da sie keine Kristallisationsverfahren betreffen.
Die Druckschriften D1 und D8, D9, D11 und D12 stellen keinen nach § 3 PatG zu berücksichtigen Stand der Technik dar, da sie nachveröffentlicht sind.
b) Nachdem der nebengeordnete Patentanspruch 11 auf ein Verfahren zur Herstellung einer Wirkstoffpartikel-Festkörperform gerichtet ist, das alle Verfahrensmaßnahmen nach Patentanspruch 1 umfasst und diesen nur den weiteren Schritt hinzufügt, dass die erzeugten, kristallinen Mikropartikel vor der Trocknung mit einem hydrophilen, pharmazeutisch annehmbaren Hilfsstoff versetzt werden, gelten die Ausführungen zu Patentanspruch 1 hier gleichermaßen. Er ist damit ebenfalls neu.
6. Der jeweilige Gegenstand der Patentansprüche 1 und 11 beruht auch auf einer erfinderischen Tätigkeit.
a) Aufgabe des Streitpatents ist es, ein Verfahren bereitzustellen, das mit geringen Aufwand Wirkstoffpartikel bzw. eine Wirkstoffpartikel-Festkörperform liefert, wobei die Wirkstoffpartikel hoch kristallin sind, in der stabilsten Kristallmodifikation vorliegen und eine sehr enge Partikelgrößenverteilung im Mikrometerbereich aufweisen (vgl. Streitpatentschrift S. 4, Abs. [0018]).
b) Diese Aufgabe wird gemäß Patentanspruch 1 durch ein
1. Verfahren zur Herstellung kristalliner Wirkstoff-Mikropartikel, umfassend die Schritte, wobei
2. eine Suspension hergestellt wird aus
2.1. Primärpartikeln des Wirkstoffes
2.2. einer Lösung des Wirkstoffs,
2.3. einem Nichtlösungsmittel für den Wirkstoff und
2.4. inerten Formkörpern,
2.4.1 wobei die Formkörper eine maximale Ausdehnung von 0,1 bis 2 mm aufweisen,
3. wobei Lösungsmittel und Nicht-Lösungsmittel in dem eingesetzten Mengenverhältnis mischbar sind,
4. die Suspension durchmischt wird,
5. wobei der Wirkstoff aus der Suspension auskristallisiert,
6. der Wirkstoff in Form von Produktpartikeln abgetrennt wird und
7. die Produktpartikel anschießend getrocknet werden,
8. wobei die Primär- und die Produktpartikel
8a. kristallin sind,
8b. in der stabilsten Kristallmodifikation des Wirkstoffs vorliegen,
8c. eine Kristalloberfläche von 3 bis 10 m2/g aufweisen und
8d. die Größenverteilung der Primär- und Produktpartikel jeweils d50= 1 bis 2 µm, d99 < 6 µm, d100 < 12 µm beträgt.
und gemäß Patentanspruch 11 durch ein
11.1 Verfahren zur Herstellung einer Wirkstoffpartikel-Festkörperform,
11.2 umfassend ein Verfahren nach einem der Ansprüche 1 bis 10,
11.3 bei dem die abgetrennten Produktpartikel vor dem Trocknen zusätzlich mit einem hydrophilen, pharmazeutisch annehmbaren Hilfsstoff versetzt werden.
c) Geltender Rechtsprechung folgend, ist bei der Bewertung der erfinderischen Tätigkeit zunächst zu klären, was die Erfindung gegenüber dem Stand der Technik tatsächlich leistet (BGH GRUR 2003, 693, 695 [35] – Hochdruckreiniger) und ob der Fachmann Veranlassung hatte, diesen Stand der Technik zu ändern. Dabei besteht bei der Wahl des Ausgangspunktes jedoch „kein Vorrang eines nächstkommenden Standes der Technik“ (BGH GRUR 2009 382, 387 [51] - Olanzapin). Vielmehr bedarf es bei der Auswahl des Ausgangspunktes der Rechtfertigung, die in der Regel in dem Bemühen des Fachmannes liegt, für einen bestimmten Zweck eine bessere Lösung zu finden, als sie der bekannte Stand der Technik zur Verfügung stellt. Um die Lösung des technischen Problems auf dem Weg der Erfindung zu suchen, bedarf es dafür daher über die Erkennbarkeit des technischen Problems hinausreichender Anstöße, Anregungen, Hinweise und sonstiger Anlässe (BGH GRUR 2009 746 Ls. - Betrieb einer Sicherheitseinrichtung).
Diesen Grundsätzen folgend, bedurfte es zur Lösung der dem Streitpatent zugrunde liegenden Aufgabe, ein Verfahren zur Herstellung kristalliner Wirkstoff-Mikropartikel mit dem in Patentanspruch 1 angegebenen Merkmalen und ein Verfahren zur Herstellung einer Wirkstoff-Festkörperform gemäß den Merkmalen nach Patentanspruch 11 vorzuschlagen, eines erfinderischen Zutuns. Denn keine der vorliegenden Entgegenhaltungen spricht das zu lösende Problem an, ein Verfahren zur Herstellung von Wirkstoffpartikeln bzw. einer Wirkstoff-Festkörperform zu entwickeln, mit dem kristalline Wirkstoffpartikel in der stabilsten Kristallmodifikation, einer sehr enge Partikelgrößenverteilung von d50= 1 bis 2 µm, d99 < 6 µm und d100 < 12 µm und einer geringen Kristalloberfläche mit 3 bis 10 m2/g erhalten werden, wobei diese wiederum zu einer Festkörperform weiterverarbeitet werden, oder gibt Hinweise darauf, dass eine derartige Problemstellung zu lösen ist.
d) Bei dem vorliegend zuständigen Fachmann handelt es sich um einen Chemiker oder Pharmakologen mit mehrjähriger Erfahrung in der Entwicklung von pharmazeutischen Formulierungen, der sich für eventuell auftretende medizinische Fragestellungen bei einem Mediziner informiert (vgl. BGH GRUR 2012, 482 Ls., 484 [18] - Pfeffersäckchen).
e) Zur Lösung der Aufgabe wird sich der Fachmann an der D23 orientieren. So konnte er von dem in der Druckschrift beschriebenen Verfahren zur Kristallisation von Wirkstoffen ausgehen. Bei dem Verfahren wird zunächst eine Wirkstofflösung bereitgestellt, die im Anschluss zur Bildung einer Fällungslösung mit einem Fällungsmittel vermischt wird, wobei das Lösungsmittel der Wirkstofflösung und das Fällungsmittel miteinander mischbar sind. Zur Bildung eines segmentierten Stoffstroms wird der Fällungslösung ein Transportmedium zugeführt, das mit der Fällungslösung nicht mischbar ist. Für die Kristallisation wird der segmentierte Stoffstrom in eine Retentionsstrecke geleitet, in der unter kontrollierter Abkühlung die Kristallisation stattfindet. Am Ende der Retentionsstrecke werden die entstandenen Kristalle von dem segmentierten Strom abgetrennt (vgl. D23, Patentansprüche 1 und 2, S. 1, Abs. [0003], S. 3, Abs. [0060] bis S. 4, Abs. [0062], S. 4, Abs. [0066], S. 5, Abs. [0087], [0090-0091], [0094], S. 6, Abs. [0095], [0105], [0108], S. 6/7, Abs. [0110], Fig. 3, 5, 6 und 9). Durch die Zugabe von festen Partikeln mit einer Größe im Submikrometerbereich als heterogene Kristallisationskeime kann der Kristallisationsprozess besser gesteuert werden. Bei den festen Partikeln handelt es sich um Impfkristalle („Primärpartikel“) und feste Formkörper bestehend aus Adjuvantskolloiden (vgl. D23, S. 4, Abs. [0069-0074], S. 6, Abs. [0107]). Somit sind aus der D1 die Merkmale 1 bis 2.4, 3 bis 6, 8 und 8a des Patentanspruchs 1 gemäß Streitpatent bekannt. Ein Hinweis darauf, dass die Formkörper eine Größe im Bereich von 0,1 bis 2 mm aufweisen und dass die Impfkristalle in der stabilsten Kristallmodifikation mit einer Kristalloberfläche 3 bis 10 m2/g und einer Größenverteilung der Primär- und Produktpartikel jeweils d50= 1 bis 2 µm, d99 < 6 µm und d100 < 12 µm vorliegen, kann der D23 aber nicht entnommen werden.
Anregungen ein Verfahren zur Herstellung kristalliner Wirkstoff-Mikropartikel mit den in Patentanspruch 1 angegebenen Maßnahmen bereitzustellen, werden dem Fachmann auch nicht durch die in den weiteren Entgegenhaltungen D3 bis D5, D14, D16, D17 und D20 genannten Kristallisationsverfahren geben.
Aus der Druckschrift D3 ist ein Verfahren zur Kristallisation von kleinen, sphärischen Partikeln bekannt, bei dem zu einer Lösung eines Wirkstoffs in einem ersten Lösungsmittel ein zweites Lösungsmittel zugegeben wird, in dem der Wirkstoff aber weniger löslich ist. Diese Dreikomponentenmischung wird zur Kristallisation als dünner Film auf eine Oberfläche ausgebracht. Zur Verdampfung der Lösungsmittel wird ein Gasstrom über den Film geleitet, der nicht mit den Komponenten reagiert. Während der Verdampfung kristallisieren die sphärischen Wirkstoffpartikel. Als Oberfläche kann ein rotierender Zylinder, ein Förderband oder innere Oberfläche eines Glaszylinder dienen (vgl. D3, S. 12, Z. 23 bis S. 15, Z. 20, S. 20, Z. 8 bis S. 21, Z. 17, Fig. 12 bis 14). Hinweise anstelle der Oberflächen Formkörper mit einer Größe 0,1 bis 2 mm einzusetzen und zusätzlich Saatkristalle mit den Eigenschaften gemäß den Merkmalen 8a bis 8d einzusetzen finden sich dagegen in D3 nicht.
Ebenso werden bei dem Verfahren nach D4 hochfeine Partikeln ausgehend von einem solchen Dreikomponentengemisch hergestellt. Dafür wird ein Flüssigkeitsstrom aus einem in einer Flüssigkeit 1 gelösten Wirkstoffs mit einem zweiten Flüssigkeitsstrom 2 in einer hochenergetischen Zone oder frühestens zwei Sekunden vor Erreichen dieser Zone zusammengeführt, wobei die beiden Flüssigkeiten miteinander mischbar sind und der in der Flüssigkeit 1 gelöste Wirkstoff in der Flüssigkeit 2 nicht oder geringer löslich ist. Beim Vermischen der beiden Flüssigkeiten fällt der Wirkstoff in Form von Partikeln aus (vgl. D4, Patentansprüche 1 bis 3 und 7, S. 7, Abs. [0032], S. 12, Beispiel 6). Damit erhält der Fachmann jedoch keine Anregung Formkörper und Impfkristalle gemäß den Merkmalen 2.4, 2.4.1 und 8a bis 8d zu verwenden.
Auch die Publikation D5 und die Entgegenhaltung D17 liefern dem Fachmann keine Anstöße in Richtung des streitpatentgemäßen Kristallisationsverfahrens, da bei dem angewandten Mikronisierungsverfahren keine heterogenen Kristallisationskeime gemäß den Merkmalen 2.4, 2.4.1 und 8 bis 8d eingesetzt werden. Die Herstellung mikronisierter Steroide für die pulmonale Anwendung gemäß D5 bzw. die Herstellung von fein verteilten, kristallinen Budenosid-Partikeln gemäß D17 erfolgt durch Lösungsmittelextraktion mit Kohlendioxid („ASES“ = aerosol solvent extraction system“), dabei wird der in einem organischen Lösungsmittel gelöste Wirkstoff in superkritisches Kohlendioxid gesprüht, woraufhin sich Wirkstoffkristalle bilden (vgl. D5, S. 99, Abstract, S. 100, Fig. 1, S. 101/102, Abs. „2.1 Mircoparticle production“; D17, Patentansprüche 1, 11 bis 13, S. 2, Abs. [0009], S. 3, Beispiele 1 bis 4).
Die Publikation D14 kann dem Fachmann ebenfalls keine Anregung vermitteln, zur Steuerung der Kristallisation sowohl inerte Formkörper als Impfkristalle einzusetzen. Aus dem Dokument ist eine Lösungsmittel basierte Phasenumwandlungen u. a. von dem agrochemischen Wirkstoff „Paclobutrazol“ bekannt. Für die Kristallisation wird ein Überschuss an Polymorph α des Wirkstoffs in einem Lösungsmittelgemisch aus 50%igen wässrigen Methanol gelöst. Die Phasenumwandlung von Polymorph α in β wird bei 65°C beobachtet (vgl. D14, S. 648, Zusammenfassung, S. 651, Abschnitt „3. Experimental“).
Aus dem Dokument D16 sind Kristallisationsverfahren bekannt, die darauf beruhen, dass der Wirkstoff in einem ersten Lösungsmittel gelöst wird und diese Lösung mit einem zweiten Lösungsmittel versetzt wird, in dem der Wirkstoff kaum bzw. schwerlöslich ist. Die entstandene Fällungslösung kann mit Primärkristallen des gewünschten Polymorphs geimpft werden, um dessen Kristallisation zu fördern (vgl. D16, S. 194/195, Abschnitt „C. Evaporation from a Binary Mixture of Solvents, S. 218/219, Abschnitt „G. Miscellaneous Methods“). Hinweise auf die Verwendung von inerten Formkörpern bzw. auf die Eigenschaften der Primärpartikeln gemäß den Merkmalen 8a bis 8d sind der D16 aber nicht zu entnehmen.
Gleichfalls bietet die Entgegenhaltung D20 dem Fachmann keinen Anlass inerte Formkörper während des Kristallisationsprozesses vorzusehen, um so die Eigenschaften der Produktpartikel zu steuern. Bei dem Fällungsverfahren nach D20 wird der Wirkstoff ebenfalls in einem Lösungsmittel gelöst und dann mit einem Nicht-Lösungsmittel versetzt, wobei zusätzlich Impfkristalle zugeben werden können, um die Kristallisation in Richtung des herzustellenden Polymorph zu steuern. Zwar wird in D20 erwähnt, dass darüber hinaus noch als weitere Kristallisationskeime „heteroseeds“ u. a. in Form von anorganischen, organischen oder polymeren Formkörpern zugegeben werden können, jedoch wird der Fachmann auch darauf hingewiesen, dass die Verwendung solcher Formkörpern aus regulatorischen Gründen bei pharmakologischen Wirkstoffen zu vermeiden ist (vgl. D20, S. 290, 2. Abs.). Damit vermittelt die Druckschrift D20 ebenfalls keinen Anstoß, ein Kristallisationsverfahren, bei dem neben Impfkristallen mit den Eigenschaften nach den Merkmalen 8a bis 8d auch noch inerte Formkörper mit einer Größe im Bereich von 0,1 bis 2 mm einzusetzen.
Schließlich führt eine Zusammenschau dieser Dokumente auch nicht zum Streitgegenstand, da ihr ebenfalls nicht sämtliche Merkmale des geltenden Patentanspruchs 1 zu entnehmen sind.
Die Berücksichtigung der weiteren dem Senat vorliegenden und in der mündlichen Verhandlung nicht mehr aufgegriffenen Entgegenhaltungen führt zu keiner anderen Beurteilung des Sachverhalts, da sie keine Kristallisationsverfahren betreffen. Damit können diese Druckschriften dem Fachmann keine Hinweise zur Bereitstellung eines Verfahrens mit den in Patentanspruch 1 genannten Maßnahmen vermitteln.
Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 ist daher vom Stand der Technik nicht nahegelegt.
f) Nachdem der nebengeordnete Patentanspruch 11 auf ein Verfahren zur Herstellung einer Wirkstoffpartikel-Festkörper gerichtet ist, das alle Verfahrensmaßnahmen nach Patentanspruch 1 umfasst und diesen nur den weiteren Schritt hinzufügt, dass die erzeugten, kristallinen Mikropartikel vor der Trocknung mit einem hydrophilen, pharmazeutisch annehmbaren Hilfsstoff versetzt werden, gelten die Ausführungen zu Patentanspruch 1 hier gleichermaßen. Er beruht damit ebenfalls auf einer erfinderischen Tätigkeit.
7. Nach alledem weisen die Verfahren nach den Patenansprüchen 1 und 11 des Streitpatents alle Kriterien der Patentfähigkeit auf. Diese Ansprüche sind daher rechtsbeständig.
8. Die auf Patentanspruch 1 rückbezogenen Patentansprüche 2 bis 10 betreffen weitere, über Selbstverständlichkeiten hinausgehende Ausgestaltungen des Verfahrens nach Patentanspruch 1. Sie sind daher mit diesen ebenfalls rechtsbeständig.