Entscheidungsdatum: 23.10.2018
In der Beschwerdesache
betreffend das Patent 10 2004 023 482
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hat der 14. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 23. Oktober 2018 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Dipl.-Phys. Dr. Maksymiw, des Richters Schell, der Richterin Dipl.-Chem. Dr. Münzberg sowie des Richters Dipl.-Chem. Dr. Jäger
beschlossen:
1. Auf die Beschwerden der Einsprechenden I und II wird der angefochtene Beschluss der Patentabteilung 45 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 5. November 2014 aufgehoben.
2. Das Patent wird widerrufen.
I.
Mit dem angefochtenen Beschluss vom 5. November 2014 hat die Patentabteilung 45 des Deutschen Patent- und Markenamtes das Patent 10 2004 023 482 mit der Bezeichnung
"Selbstverfestigender Verfüllbaustoff und seine Verwendung"
in vollem Umfang aufrechterhalten.
Dem Beschluss liegen die Patentansprüche 1 bis 11 gemäß der Patentschrift DE 10 2004 023 482 B4 zugrunde, von denen die nebengeordneten Patentansprüche 1, 10 und 11 wie folgt lauten:
Die Aufrechterhaltung in vollem Umfang wurde im Wesentlichen damit begründet, dass der Gegenstand von Patentanspruch 1 ausführbar, neu und erfinderisch sei. Das Streitpatent vermittle eine klare und vollständige Lehre. Die mechanische Aktivierung von Bentonit habe zum Zeitpunkt der Anmeldung des Streitpatents zum Stand der Technik gehört. Zur Bestimmung der notwendigen Intensität für den Mischvorgang, bei dem die Bestandteile des Trockengemischs partiell zerkleinert und Bentonit aktiviert würden, bedürfe es in Abhängigkeit von den konkret eingesetzten Mischungsbestandteilen nur weniger Versuche, um einen hinreichenden Grad an Aktivierung zu erreichen. Demgegenüber sei eine Angabe starrer Rezepturen aufgrund breit streuender Eigenschaften des Bodenaushubs nicht zielführend. Daher könne der Fachmann auf Grund seines Fachwissens das streitpatentgemäße Verfahren ausführen.
Die Gegenstände nach den erteilten Patentansprüchen 1, 10 und 11 seien neu, da keiner der Entgegenhaltungen alle Merkmale des Verfahrens zur Herstellung eines selbstverfestigenden Verfüllbaustoffs gemäß Patentanspruch 1 bzw. der Verwendungen des Verfahrensprodukts nach den Patentansprüchen 10 und 11 zu entnehmen seien.
Die Gegenstände gemäß den erteilten Patentansprüchen 1, 10 und 11 beruhten auch auf einer erfinderischen Tätigkeit. Die Lehre der
D1 DE 203 15 770 U1
unterscheide sich vom streitpatentgemäßen Verfahren dadurch, dass zwingend ein Zusatz eines ökologisch abbaubaren und zumindest verflüssigend wirkenden Zusatzmittels zu dem Verfüllbaustoff erforderlich sei, was entgegen der Aufgabenstellung des Streitpatents die Herstellung verteuere und die gezielte Einstellung der Eigenschaften verkompliziere. Auch offenbare D1 keinen über einen bloßen Mischvorgang hinausgehenden kinetischen Energieeintrag bei der Mischung der trockenen Komponenten des Baustoffs. Zudem werde gemäß D1 das Wasser nicht erst abschließend zu dem Trockengemisch aus allen Komponenten zugegeben. Die unterschiedliche Mischreihenfolge habe aber Auswirkungen auf die Eigenschaften des Verfüllbaustoffs vor und nach der Verfestigung. Dasselbe gelte für die Verfahren gemäß den Druckschriften
D4 Werner, D. und Henning, O., gwf Gas – Erdgas 1998, 139, S. 112 bis 119 und
D8 DE 198 51 256 A1.
Schließlich gebe die
D7 EP 1 103 533 A2
keine Anregung, von der in den Entgegenhaltungen D1, D8 und D4 offenbarten Mischreihenfolge abzuweichen. Die darin aufgezeigte Vorgehensweise der abschließenden Wasserzugabe sei nicht zwingend. Vielmehr sei es allgemeines Fachwissen, dass es Baustoffe gebe, bei denen man zu Trockenmischungen vor dem Einsatz lediglich Wasser zumischt, ebenso wie es Baustoffe gebe, bei denen man zunächst Suspensionen herstellt, denen man dann weitere Feststoffkomponenten zumische.
Gegen diesen Beschluss richten sich die Beschwerden der Einsprechenden. Die Einsprechende II begründet ihre Beschwerde mit mangelnder Ausführbarkeit, mangelnder Neuheit und fehlender erfinderischer Tätigkeit.
Für eine vollständige Offenbarung fehle es im Streitpatent nicht nur an einem konkreten Beispiel oder genauen und ins Einzelne gehenden Angaben. Vielmehr enthalte das Streitpatent überhaupt keine Angaben zu Mischvorrichtungen, Menge der einzubringenden Energie, Zeitdauer des Mischprozesses oder andere verfahrensrelevante Größen. Der Fachmann stehe daher bei der Nacharbeitung vor einer weit über orientierende Versuche hinausgehenden Aufgabe.
Die D1 sei neuheitsschädlich. Aus dieser Druckschrift sei ein Baustoff aus einem Bodenaushub, einem wasserbindenden Mittel und einem wasserretendierenden Mittel bekannt, bei dessen Herstellung zunächst die trockenen Komponenten vermischt würden und erst dann Wasser zugefügt werde. Das gemäß D1 erforderliche ökologisch abbaubares Zusatzmittel sei gemäß dem erteilten Patentanspruch 1 nicht ausgeschlossen. Zudem trete eine Aktivierung zwangsläufig beim Mischen der trockenen Komponenten ein.
Zudem liege es nahe, statt dem ökologisch abbaubaren Zusatzmittel gemäß D1 Ton als wasserretendierendes Mittel einzusetzen. Beispielsweise sei aus der
D2 DE 197 17 763 C1
bekannt, dass Mischungen aus Zement und Ton zur Wasserbindung und Verfestigung von Verfüllmassen aus recycelten Baustoffen geeignet seien. Eine Zusammenschau der D1 mit der D2 ergebe daher das beanspruchte Verfahren in naheliegender Weise.
Weiterhin sei es weder glaubhaft noch nachgewiesen, dass sich ein Unterschied in den Eigenschaften des Verfüllmaterials ergebe, wenn man den Ton trocken zumischt oder eine Suspension zufügt. Vielmehr sei der Einsatz einer Tonsuspension eine offensichtliche Alternative zum Einsatz eines trockenen Tons. Zudem ergäben sich aus den vorgelegten Vergleichsversuchen keine statistisch signifikanten Unterschiede im Ziehfließmaß und in der Würfeldruckfestigkeit von Verfüllbaustoffen, die nach den in Diskussion stehenden Prozessabläufen hergestellt worden seien. Das trockene Mischen sei gemäß diesen Versuchen eine gleichwertige und naheliegende Alternative zu einem Mischen in Anwesenheit von Wasser.
Die Einsprechende II stellt den Antrag,
den Beschluss der Patentabteilung 45 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 5. November 2014 aufzuheben und das Patent zu widerrufen.
Die Einsprechende I hat mit Schriftsatz vom 27. Juni 2018 mitgeteilt, dass sie nicht an der mündlichen Verhandlung am 23. Oktober 2018 teilnehmen werde. Sachlich hat sie sich im Beschwerdeverfahren nicht geäußert, sondern nur den schriftsätzlichen Antrag gestellt,
den Beschluss der Patentabteilung 45 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 5. November 2014 aufzuheben.
Die Patentinhaberin stellt zuletzt den Antrag,
die Beschwerden zurückzuweisen.
Zudem hat sie nach Schluss der mündlichen Verhandlung die Zulassung der Rechtsbeschwerde angeregt.
Sie tritt den Angriffen der mangelnden Ausführbarkeit, der mangelnden Neuheit und der mangelnden erfinderischen Tätigkeit entgegen und hält den Streitgegenstand in der erteilten Fassung weiterhin für bestandsfähig.
Die Erfindung sei ausreichend offenbart. Die erfindungswesentliche Maßnahme sei die Mischreihenfolge gemäß Streitpatent, nach der im Gegensatz zum Stand der Technik sämtliche Komponenten der Mischung aus Bodenaushub, Bentonit und Zement gleichzeitig mit Wasser in Kontakt gebracht werden. Die einzelnen Verfahrensparameter wie Mengenanteile der Komponenten, Mischzeit oder Energieeintrag seien dabei sehr stark vom Boden abhängig und würden sich nicht wesentlich von den entsprechenden Verfahrensparametern im Stand der Technik unterscheiden. Mit den Angaben im Patentanspruch 1 habe der Fachmann daher ausreichend Informationen, um in Verbindung mit den auf der Baustelle standardmäßig durchgeführten Bodenuntersuchungen und seinem Fachwissen das streitpatentgemäße Verfahren ausführen zu können.
Die D1 sei nicht neuheitsschädlich, da sie im Unterschied zum streitpatentgemäßen Verfahren den Zusatz von Tensiden als ökologisch abbaubare Zusatzmittel für die Festlegung der Abbindegeschwindigkeit und der Endfestigkeit lehre. Demgegenüber würden diese Eigenschaften im Streitpatent durch das Zusammenspiel von Zement und Bentonit sowie der Mischreihenfolge mit Wasser eingestellt.
Darüber hinaus beruhe die Lösung des Streitpatents gegenüber D1 auch auf einer erfinderischen Tätigkeit, da die Lehre der D1 durch den Tensidzusatz in eine andere Richtung weise. Auch eine Zusammenschau mit der D2 könne das streitpatentgemäße Verfahren nicht nahelegen. Die Lösung der D2 unterscheide sich in einer Vielzahl von Merkmalen vom Streitgegenstand. So werde ein Bentonit-Soda-Gemisch eingesetzt, von dem abzuweichen, die D2 keine Veranlassung gebe. Auch werde in D2 eine Ton-Suspension genutzt. Nach der die erfinderische Tätigkeit begründenden Lehre des Streitpatents erfolge die Zugabe von Wasser erst in einem zweiten Verfahrensschritt nach dem vorgeschalteten Mischen der trockenen Komponenten Bodenaushub, Zement und Bentonit. Dadurch werde erreicht, dass der Zementanteil infolge einer gegenüber der Reaktion von Ton schnelleren Reaktion des Zements mit Wasser lediglich agglomeriere, aber keine geschlossenen und damit starren Zementsteinstrukturen bilde, wie dies aus dem Stand der Technik vom Weimarer Bodenmörtel und Beton bekannt sei. Eine Veranlassung zu einem derartigen Vorgehen finde sich weder in der D2 noch im sonstigen im Einspruchsverfahren diskutierten Stand der Technik.
Wegen weiterer Einzelheiten, insbesondere zum Wortlaut der weiteren Patentansprüche 2 bis 9 wird auf den Akteninhalt verwiesen.
II.
Die Beschwerden der Einsprechenden sind zulässig und haben in der Sache Erfolg.
1. Der Gegenstand des erteilten Patentanspruchs 1 des Streitpatents erweist sich als nicht bestandsfähig. Dabei kann es dahinstehen, ob das Verfahren zur Herstellung eines selbstverfestigenden Verfüllbaustoffs nach Patentanspruch 1 neu ist und auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht. Denn die durch diesen Anspruch gestützte Lehre ist jedenfalls nicht so deutlich und vollständig offenbart, dass ein Fachmann sie ausführen kann.
2. Dem Patent liegt die Aufgabe zugrunde, ein verbessertes Verfahren zur Herstellung eines selbstverfestigenden Verfüllbaustoffs bereitzustellen, das kostengünstig ist und die gezielte Einstellung der gewünschten Eigenschaften des Verfüllbaustoffs, insbesondere der End- und Dauerfestigkeit, des Aushärteverhaltens bzw. Erhärtungsverlaufs und der Abbindegeschwindigkeit sowie des Dämpfungsverhaltens, ermöglicht (vgl. Streitpatentschrift Abs. [0014] bis [0016]). Diese Aufgabe soll durch den Gegenstand des Patentanspruchs 1 mit den folgenden Merkmalen gelöst werden:
1 Verfahren zur Herstellung eines selbstverfestigenden Verfüllbaustoffes, wobei,
2 Bodenaushub,
3 mindestens ein wasserbindendes Mittel
4 und ein wasserretendierendes Mittel auf Basis von Bentonit oder einem anderen mineralischen Stoff
5 unter Zufuhr kinetischer Energie trocken gemischt, partiell zerkleinert und mechanisch so aufbereitet werden, dass das wasserretendierende Mittel durch die Reibungsenergie zwischen den Partikeln des Trockengemischs eine Aktivierung erfährt, und
6 das so erhaltene, aus den aufgeführten Komponenten bestehende Trockengemisch unter Zugabe von Wasser fließfähig eingestellt wird.
3. Die beanspruchte Erfindung muss in der Patentschrift so deutlich offenbart sein, dass sie der Fachmann – ohne dabei selbst erfinderisch tätig werden zu müssen – nacharbeiten kann und für diesen zudem ersichtlich ist, was genau dem Umfang der Erfindung entspricht, die der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt werden soll. Dabei muss die Erfindung nicht buchstabengetreu realisierbar sein, sondern es reicht aus, dass der Fachmann anhand der Offenbarung und unter Einsatz seines Fachwissens das erfindungsgemäße Ziel in praktisch ausreichendem Maß unter zumutbaren Aufwand erreichen kann (vgl. Schulte/Moufang PatG, 10. Aufl., § 34 Rdn. 338, 349, 350). Diese Vorrausetzungen sind im vorliegenden Fall nicht erfüllt.
Zwar sind die Verwendung der Komponenten Bodenaushub, wasserbindendes Mittel wie z. B. Zement und wasserretendierendes Mittel auf Basis von Bentonit sowie das Mischen dieser Komponenten und die Einstellung eines fließfähigen Gemischs durch Wasserzugabe für den Fachmann bekannte Verfahrensmaßnahmen. Allerdings wird im Merkmal 5 lediglich angegeben, dass kinetische Energie zum Herstellen des Trockengemischs aus Bodenaushub, wasserbindenden und wasserretendierenden Mittel zugeführt werden soll, wodurch die Komponenten gemischt, partiell zerkleinert und mechanisch so aufbereitet werden, dass das wasserretendierende Mittel durch Reibungsenergie zwischen den Partikeln des Trockengemischs eine Aktivierung erfährt. Weder dem Patentanspruch noch der Streitpatentschrift sind jedoch Angaben zu entnehmen, wieviel kinetische Energie erfindungsgemäß zugeführt werden soll, welche Partikelgröße bei der partiellen Zerkleinerung zu erreichen ist und wie eine anspruchsgemäße Aktivierung des wasserretendierenden Mittels bestimmt werden kann, um die in den Absätzen [0014] bis [0016] des Streitpatents angegebenen Zieleigenschaften zu erreichen. Der Fachmann, ein Tiefbauingenieur mit mehrjähriger Berufserfahrung auf dem Gebiet der selbstverfestigenden Verfüllbaustoffe, hat damit keine Anhaltspunkte, woran er seine orientierenden Versuche zur Nacharbeitung ausrichten soll, so dass ihm von der Patentschrift kein nacharbeitbarer Weg zur Ausführung der Erfindung zur Verfügung gestellt wird. Konkrete Größen, Mengen oder Maße für eine ausreichende Offenbarung können möglicherweise dann entbehrlich sein, wenn die Offenbarung dem Fachmann hinlängliche Kriterien nennt, bei deren Beachtung er unter Anwendung seines Fachwissens die jeweils in Betracht kommenden Werte – ohne selbst erfinderisch tätig zu werden – ermitteln kann (vgl. Schulte/ Moufang PatG, 10. Aufl., § 34 Rn. 403). Vorliegend fehlen derartige Kriterien jedoch, da der im Patentanspruch angegebene Begriff der "Aktivierung" in der Streitpatentschrift weder definiert noch beispielhaft erläutert wird. Aus dem Fachwissen gemäß
P2 US 3,700,474 und
P3 Lagaly, G. und Jasmund, K. (Hrsg.), "Tonminerale und Tone – Struktur, Eigenschaften, Anwendung und Einsatz in Industrie und Umwelt", Steinkopff Verlag, Darmstadt 1993, S. V, 112, 113, 116 u. 117
mag dem Fachmann bezüglich der Aktivierung von Bentonit bekannt sein, dass diese mechanisch durch Zermahlen großer Tonpartikel in feine Partikel oder chemisch durch Zugabe von Soda erfolgen kann (vgl. P2 Sp. 1 Z. 69 bis Sp. 2 Z. 5, vgl. P3 S. 117 drittle. Abs.). Da aber das Streitpatent weder Aussagen über die Partikelgröße des aktivierten wasserretendierenden Mittels noch konkrete Angaben bezüglich der Mischdauer des Verfahrensschritts gemäß Merkmal 5 und der dabei zu verwendenden Mischapparaturen offenbart, wodurch der Fachmann Rückschlüsse auf die streitpatentgemäße Aktivierung hätte ziehen können, ist er bei der Nacharbeitung auf sich selbst gestellt und steht somit vor einem unzumutbaren Aufwand (vgl. Schulte/Moufang PatG, 10. Aufl., § 34 Rn. 359b). Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 ist daher nicht ausreichend offenbart und aus diesem Grund nicht bestandsfähig.
Die Argumentation, der Fachmann müsse gemäß Merkmal 5 nur solange mischen, bis der selbstverfestigende Verfüllbaustoff die Fähigkeit aufweise, die im Streitpatent beschriebenen Reaktionen – Verflüssigung und Rückverfestigung – im vorgesehenen Zeitregime zu durchlaufen, kann ebenfalls nicht durchgreifen. Denn für eine Nacharbeitbarkeit fehlen dem Fachmann auch insoweit die hierzu erforderlichen näheren Angaben im Streitpatent. Diese Angaben sind auch nicht in den Absätzen [0056] und [0057] der Streitpatentschrift enthalten. Im Absatz [0056] ist lediglich offenbart, dass der hoch viskose, fließfähig eingestellte Baustoff für die Lagerstabilisierung punktuell auf die verlegten Rohre aufgebracht wird und in der hoch viskosen Form schnell abbindet. Erforderliche Angaben, wie z. B. Abbindezeit und Viskosität der fließfähig eingestellten Mischung, aus denen der Fachmann Rückschlüsse auf den erforderlichen Energieeintrag beim Mischen des Trockengemischs ziehen könnte, fehlen allerdings. Im Abs. [0057] wird angegeben, dass der streitpatentgemäße Baustoff schnell abbindend eingestellt werden kann, so dass es bereits nach relativ kurzer Zeit von z. B. 2 Stunden gelingt, über dem gerade verfüllten Bereich die nächste Leitung zu verlegen. Diese Zeitangabe als einzige konkrete Zahlenangabe ist aber nicht ausreichend, dass der Fachmann mit zumutbarem Aufwand das streitpatentgemäße Verfahren nacharbeiten kann.
Soweit die Patentinhaberin in der mündlichen Verhandlung geltend gemacht hat, es sei für den Fachmann selbstverständlich, dass die Trockenmischung solange gemischt werde, bis sie rieselfähig sei, kann ebenfalls kein anderes Ergebnis begründen. Denn zum einen ist das Erfordernis der Rieselfähigkeit in der Streitpatentschrift weder explizit angesprochen noch ist sie dieser implizit zu entnehmen. Zum anderen kann auch ein nicht rieselfähiges Trockengemisch durch Zugabe von Wasser fließfähig eingestellt werden. Zudem versteht der Fachmann unter dem Begriff der Rieselfähigkeit das Ausmaß der freien Beweglichkeit oder das Fließverhalten von Schüttgütern, das u. a. durch Korngröße, Kornverteilung, Wassergehalt und Oberflächenbeschaffenheit der Körner beeinflusst wird. Es handelt sich somit um eine stark materialabhängige Eigenschaft, die ohne Vergleichs- bzw. Orientierungswerte für den Nachweis der Nacharbeitbarkeit nicht herangezogen werden kann.
Dass die genannten Parameter in der Patentschrift nicht enthalten sind, wurde von der Patentinhaberin nicht in Zweifel gezogen. Nach der Wertung des Senats sind diese Parameter aber für die Ausführbarkeit der Erfindung als zwingend erforderlich anzusehen und können vom Fachmann auch nicht ohne eigenes erfinderisches Tätigwerden aufgefunden werden. Bei dieser Sach- und Rechtslage war das Angebot des Erfinders unbehelflich, in der mündlichen Verhandlung Versuche zu der aus seiner Sicht dennoch gegebenen Ausführbarkeit der Erfindung vorzuführen. Denn die Möglichkeit, dass der Erfinder, mit seiner naturgemäß besonderen Kenntnis von der Erfindung, diese ausführen kann, ohne dabei auf die Nennung der erforderlichen Parameter in der Patentschrift angewiesen zu sein, ist von vornherein nicht geeignet, die von dem fachkundig besetzten Senat getroffenen Feststellungen in Zweifel zu ziehen, wonach die Ausführung der Erfindung ohne die vorstehend genannten Angaben für den Fachmann nicht möglich ist.
Die von Seiten der Einsprechenden vorgelegten Vergleichsversuche zur Mischreihenfolge können entgegen der Ansicht der Patentinhaberin die Ausführbarkeit der Erfindung ebenfalls nicht belegen. Die Vergleichsversuche stellen keine Nacharbeitungen der streitpatentgemäßen Lehre dar, da sie lediglich den Einfluss des Zeitpunkts der Wasserzugabe zu Gemischen gleicher Zusammensetzung mit Sand als Modellsubstanz für den Bodenaushub bei einer Gesamtmischzeit von 2 Minuten untersuchen (vgl. Anlage A zum Schriftsatz vom 28. September 2016). Ob dabei eine Aktivierung gemäß Merkmal 5 erfolgt ist, lässt sich den Angaben der Anlage A nicht entnehmen, zumal, wie bereits ausgeführt, die Streitpatentschrift keinerlei Angaben oder Daten enthält, anhand derer der Fachmann die Aktivierung gemäß Merkmal 5 im Vergleichsbeispiel hätte bestimmen bzw. vergleichen können. Zudem können nachgereichte Experimentaldaten vorhandene Offenbarungslücken nicht schließen, da der insoweit maßgebliche Zeitpunkt für die Ausführbarkeit einer patentierten Erfindung der Anmelde- bzw. Prioritätstag ist (vgl. hierzu Schulte/Moufang PatG, 10. Aufl., § 21 Rn. 30 ff. m. w. N.).
Schließlich kann dahinstehen, ob es sich beim vorliegenden Patent um eine "Pioniererfindung" handelt. Die Patentinhaberin hat diesbezüglich vorgetragen, dass die erfinderische Idee des Streitpatents in der Mischreihenfolge bzw. in dem Zeitpunkt der Wasserzugabe liege und die Erfinder als grundlegend neue Innovation erstmals erkannt hätten, dass durch die Zugabe von Wasser als letzte Komponente die Lösung der streitgemäßen Aufgabe in besonders vorteilhafter Weise ermöglicht werde. Die Argumentation der Patentinhaberin lässt jedoch unberücksichtigt, dass es auf diesen Aspekt bei der Prüfung der Ausführbarkeit nicht ankommt, sondern insoweit nur die Mittel zur Durchführung des Verfahrens beachtlich sind, die bereits in den Erstunterlagen offenbart sein müssen. Denn nicht die Erklärung der Wirkungsweise, wonach die Trockenmischung unter Zufuhr kinetischer Energie trocken gemischt, partiell zerkleinert und mechanisch so aufbereitet wird, dass das wasserretendierende Mittel eine Aktivierung erfährt, ist die Lösung der gestellten Aufgabe, sondern die Angabe der konkreten Mittel, mit denen der angestrebte Erfolg, nämlich die Aktivierung der Bentonitpartikel erreicht werden kann. Diese Mittel sind aber, wie vorstehend erläutert, gerade nicht offenbart, so dass der Fachmann die beanspruchte Lehre nicht ohne weiteres ausführen kann.
Aus diesen Gründen verletzt das Verfahren gemäß Patentanspruch 1 auch das Rechtsschutzbedürfnis der Öffentlichkeit, weil für Dritte der Umfang der unter Schutz gestellten Erfindung nicht erkennbar ist. Der Patentgegenstand muss aber in jedem Fall so präzise beschrieben sein, dass für Dritte seine eindeutige Identifizierbarkeit gewährleistet und dabei erkennbar ist, ob sie den Patentgegenstand verletzen oder nicht (vgl. Busse/Keukenschrijver PatG, 8. Aufl., § 1 Rn. 8; BGH GRUR 1972, 80, 83 4.c) – Trioxan). Diese Voraussetzung wird auch nicht dadurch hinfällig, dass die Angabe starrer Rezepturen wegen der breit streuenden Eigenschaften des Bodenaushubs nicht zielführend gewesen sei, weshalb die Streitpatentschrift keine konkreten Beispiele enthalte. Denn der Fachmann muss im vorliegenden Fall, wie oben ausgeführt, bei der Nacharbeitung der beanspruchten Lehre so viele, nicht in der Streitpatentschrift offenbarte Parameter eigenständig auswählen und festlegen, dass er ohne erfinderisches Zutun nicht in der Lage ist zu überprüfen, ob er die streitpatentgemäße Lehre verletzt oder nicht.
4. Die neben- und nachgeordneten Patentansprüche 2 bis 11 gemäß Hauptantrag teilen das Schicksal des Patentanspruchs 1 (vgl. BGH GRUR 2007, 862 – Informationsübermittlungsverfahren II; BGH GRUR 1997, 120 – Elektrisches Speicherheizgerät).
III.
Soweit die Patentinhaberin mit Schriftsatz vom 1. November 2018 weiter in der Sache vorträgt, konnte dies als Vorbringen nach Schluss der mündlichen Verhandlung nicht mehr berücksichtigt werden (vgl. hierzu Schulte/Püschel, 10. Aufl., § 91 Rn. 5 m. w N.).
Zu der ebenfalls in diesem Schriftsatz angeregten Zulassung der Rechtsbeschwerde zu den beiden Fragen
1. Ist eine Zurückweisung wegen fehlender Ausführbarkeit gerechtfertigt, wenn die Patenanmeldung für bestimmte Parameter keine Bereiche angibt, obwohl der Fachmann diese Angaben ohne erfinderisches Zutun aus dem zitierten Stand der Technik ergänzen kann?
2. Ist eine Zurückweisung wegen fehlender Ausführbarkeit gerechtfertigt, obwohl die Einsprechende für die fehlende Ausführbarkeit keinen Beweis erbracht hat und die Patentinhaberin angeboten hat, einfache Versuche vorzuführen? Unter welchen Voraussetzungen bzw. Umständen kann eine derartige Versuchsvorführung vom Gericht abgelehnt werden?
weist der Senat – unabhängig davon, dass auch diese Fragen erst nach Schluss der mündlichen Verhandlung von der Patentinhaberin vorgetragen wurden – auf Folgendes hin:
Die erste Frage bezieht sich auf eine Fallgestaltung, wie sie – wie unter II.3. ausgeführt – vorliegend gerade nicht gegeben ist. Die zweite Frage verkennt, dass eine "Beweispflicht" der Einsprechenden jedenfalls dann nicht in Betracht kommt, wenn sich die fehlende Ausführbarkeit – wie hier – bereits durch die Feststellungen des fachkundig besetzten Senats belegen lässt.
Da keine der in § 100 Abs. 2 PatG genannten Voraussetzungen erfüllt ist, war eine Zulassung der Rechtsbeschwerde durch den Senat nicht veranlasst.